Kapitel 36

Mit der Schulter stieß Bea die Tür auf, da ihr der Korb voller frisch gewaschener Wäsche die Benutzung ihrer Hände unmöglich machte, und war nicht überrascht, ihren Sohn wie üblich auf dem Bett lümmeln zu sehen, Augen magnetisch angezogen vom Display seines Handys, das fürsorglich in seinen Händen ruhte. Er sah nicht einmal auf, als sie die sorgfältig zusammengelegten Kleidungsstücke auf seinen Stuhl legte. Die Luft roch wie in einem Tigerstall, Bea rümpfte wortlos die Nase und öffnete einen Fensterflügel. Das weckte Jonas Aufmerksamkeit, er sah auf und verlangte:

"Fenster zu, es wird kalt!"

„Sei nicht so empfindlich!", schalt Bea und schüttelte verständnislos den Kopf, „Ein bisschen frische Luft hat noch keinem geschadet."

„Erstunken ist noch keiner, erfroren aber schon viele", parierte Jonas und warf ihre einen missmutigen Blick zu.

Bea seufzte, egal, was sie sagte, es führte seit Monaten unweigerlich zu einer Konfrontation.

„Denk daran, dass es in einer Viertelstunde Essen gibt. Zusammen! Anschließend fahren Jan und ich dann ins Kino."

Jonas verzog sein Gesicht.

"Ich komme nicht zum Essen! Ich esse, wenn er wieder weg ist."

Bea schloss kurz genervt die Augen und bat um göttlichen Beistand und eine Prise Geduld. Dann gab sie entschieden zurück:

"Ich sagte gemeinsam. Benimm dich nicht wie ein Kind im Trotzalter!"

Nur Augenblicke später verfinsterte sich Jonas' Gesicht und mit der Absicht, sie zu verletzen, erwiderte er bissig:

"Besser mit dreizehn trotzig als mit achtundreißig peinlich. Im Ernst, Mama, die Fotos von deiner Partynacht sind einfach nur grauenhaft. Du kannst das deinen neuen Freunden noch so gleich tun, aber in deinem Alter ist das einfach nur ..." Er schüttelte sich angewidert.

Für einen Moment verschlug es Bea die Sprache und sie zermarterte sich den Kopf darüber, was Jonas meinte. Das einzige Foto von der Party neulich war so was von zahm, dass es auch in einem Restaurant hätte aufgenommen worden sein können. Und auch Jannik hatte, soweit sie wusste, nichts eingestellt, dessen sie sich schämen müsste.

„Wenn du glaubst, mich damit irritieren zu können, bist du auf dem Holzweg", versetzte sie und hätte beinahe gelacht, weil Jonas es fast geschafft hätte, sie zu verunsichern.

„Du glaubst mir nicht", kommentierte Jonas grimmig, „Warte!"

Er scrollte über sein Display und hatte kurz darauf gefunden, was er suchte. Schadenfroh präsentierte er ihr sein Handy mit der Facebook-Seite, die ein Foto von Bea zeigte, wie sie sichtbar angetrunken zwischen Jannik und einem anderen Mann lehnte und ein anderes, auf dem sie auf dem Tisch saß, Janniks Hände hielt, der vor ihr stand, und sich mit geschlossenen Augen nach hinten lehnte, so dass ihr Körper einen leichten Bogen beschrieb.

Oh Gott, dachte Bea entsetzt und riss die Augen auf, sie hatte keine Ahnung gehabt, dass jemand Fotos gemacht hatte. Es musste von Janniks Bekannten kommen, schlussfolgerte sie, denn sie war überzeugt, dass Jannik so etwas nicht posten würde, ohne sie zu fragen... doch um ganz sicher zu gehen, wollte sie knapp wissen:

„Von wem ist das?"

„Was weiß ich, irgend so ein Typ", erwiderte Jonas und grinste, da er es geschafft hatte, seiner Mutter einen Schreck einzujagen.

Bea hätte sich ohrfeigen können und haderte damit, sich nicht mit dem Alkohol zurückgehalten zu haben. In dem Bemühen, die Gesprächsführung zurück zu erlangen und das freche Grinsen bei Jonas zu unterbinden, gab sie ungewohnt harsch zurück:

"Das tut hier nichts zur Sache!" Beredt sah sie auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Wir essen in zehn Minuten. Alle!"

Jonas funkelte sie wütend an und murmelte etwas wie Du kannst mich nicht zwingen, aber so leise, dass Bea tat, als hätte sie nichts gehört, sie ergriff den leeren Wäschekorb und marschierte ebenfalls aufgebracht aus dem Zimmer.

Im Bad stellte sie den Wäschekorb so heftig in die Badewanne, dass es knallte. Sie verstand ihren Sohn einfach nicht! Warum war er auf einmal so gegen Jannik? Sie hatte versucht, mit ihm zu reden, herauszufinden, was der plötzliche Grund seiner Abneigung war, aber alles, was er gesagt hatte, war Lass mich, okay? um ihr dann, als sie beharrlich blieb, seine Tür vor der Nase zuzuknallen.

Ihre Lügengeschichte jedenfalls schien nicht der Grund zu sein, resümierte Bea, er erwähnte sie gar nicht mehr und sie hatte sich auch längst bei ihm entschuldigt.

Prüfend sah sie in den Spiegel und fuhr sich noch einmal mit der Bürste durch die Haare, bis sie seidig schimmerten. Allerdings trug ihr Gesichtsausdruck in nicht geringem Maße dazu bei, den gewünschten Effekt einer strahlenden, glücklichen Frau zu mindern. Die gerunzelte Stirn und die angespannten Mundwinkel zeigten deutlich ihre Frustration angesichts Jonas' kontinuierlicher Ablehnung, und ihr Bedauern darüber, dass Jannik mit seiner optimistischen Einschätzung danebengelegen hatte, dämpfte die Vorfreude auf das gemeinsame Abendessen. Daher zwang sich Bea nun zu einem Lächeln, um ein ansprechenderes Äußeres abzugeben und nicht Pessimismus par excellence auszustrahlen.

Obwohl ihr ein wenig bange vor dem neuen Aufeinandertreffen von Jannik und Jonas war, hatte sie entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Es hatte schon gereicht, dass sie kürzlich Jannik sofort angerufen hatte, um ihr Herz auszuschütten; diese Schwäche durfte ihr kein weiteres Mal passieren, schließlich wollte sie vermeiden, dass Jannik wegen irgendwelcher Schwierigkeiten, die ihre Ursache darin hatten, dass Bea Kinder hatte, sofort das Weite suchte. Für solche Probleme waren Freundinnen da, entschied Bea und reckte entschlossen ihr Kinn, warf ihrem Spiegelbild noch einen Blick zu, der das gewünschte Maß an Selbstbewusstsein abbildete, und verließ das Bad.

Im selben Moment klingelte es an der Tür und noch bevor Bea reagieren konnte, war Hannah zur Tür geeilt, hatte auf den Summer gedrückt und sich an dem Schloss zu schaffen gemacht. Dank der weit geöffneten Tür drang der Klang von sich rasch nähernden Schritten auf der Treppe schon bald zu ihnen hinauf, da war kein Zögern, kein Verlangsamen und angesichts der dadurch zum Vorschein kommenden Freude, sie zu sehen, begann Beas Herz unwillkürlich schneller zu schlagen. Sie fühlte sich wie ein junges Mädchen in Erwartung des Besuchs ihres Freundes und kicherte verlegen in sich hinein.

Als Jannik schließlich auf ihrem Treppenabsatz erschien, war Hannah die Erste, die ihn, im Türrahmen stehend, freudestrahlend begrüßte. Beide klatschten sich fröhlich ab, ein Ritual, dass sie offenbar beim letzten Treffen im Zoo kreiert hatten, und Bea ließ derweil geduldig ihre Augen auf ihrem Freund ruhen, der mit seinen sorgfältig gestylten Haaren, aber dem wie üblich sportlichem Outfit von Jeans und Sweatshirt einen hinreißenden Anblick bot, ergänzt von seiner lachenden Miene, die er auf Hannah gerichtet hielt, bevor er sich dann ihr zuwandte und sich sein Lächeln und seine Augen in etwas verwandelten, das reine Zuneigung ausdrückte.

Beider strahlenden Augen versanken ineinander, während sie sich dank Hannahs Anwesenheit mit einem dezenten Kuss begnügten, und die federleichte Berührung ihrer Wange durch Janniks Fingerspitzen ließ Bea kurz erschauern.

„Geht doch schon mal zum Tisch", wies sie anschließend Hannah und Jannik an und machte die letzten Handgriffe in der Küche, während sie sich des Gedankens nicht erwehren konnte, warum es nicht mit Jonas genauso einfach sein könnte...

„Kann ich noch etwas helfen?"

Die unerwartete Frage in ihrem Rücken ließ sie zusammenzucken, aber geistesgegenwärtig drückte sie Jannik schließlich Geschirr in die Hand und auch Hannah, von Janniks gutem Beispiel angesteckt, zeigte sich hilfsbereit und nahm ihr das Besteck ab.

„Jooonas! Essen!", rief sie schließlich in Richtung des Zimmers ihres Sohnes und hoffte, dass ihre Autorität genügte, sein Erscheinen zu veranlassen; erleichtert registrierte sie einen Moment später, wie Jonas ins Wohnzimmer schlurfte.

„Hi Jonas, geht's dir gut?", grüßte Jannik freundlich,

„Jetzt nicht mehr", gab Jonas pampig zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete auf Janniks Reaktion, während Bea ihm ein aufgebrachtes „Jonas!" zuzischte. Jonas freche Erwiderung trieb ihr verlegen die Röte ins Gesicht, Jannik musste denken, dass sie ihren Sohn nicht im Griff hatte.

Jannik verlegte sich einen Moment aufs Schweigen und starrte Jonas lediglich gelassen an, eine Haltung, die Bea nicht umhin kam zu bewundern, bevor er mit einem Hauch von Desinteresse gelangweilt zurück gab:

"Sicher? Ich hätte zwei Karten für das Bayern-Spiel gegen den HSV in Hamburg. Du könntest mit deiner Mutter oder einem Freund hingehen."

Der innere Kampf, den Jonas ausfocht, war seinem Gesicht anzusehen, das einen kurzen Augenblick ein Strahlen zeigte. Die Mundwinkel hoben sich und er setzte an, eine Frage zu stellen, doch dann klappte er den Mund wieder zu, ein Ausdruck von Bedauern überflog sein Gesicht und er blinzelte ein paar Mal kurz nacheinander, bis er schließlich den Kiefer anspannte und mit entschlossener Stimme, deren Flüstern jedoch gerade noch die Unsicherheit desjenigen, der sich zwischen Kund und Jugendlichen befand, offenbarte:

"Ich lass mich nicht kaufen!"

„Wie du willst." Ungerührt nahm Jannik die Ablehnung zur Kenntnis.

„Gehst du dann mit mir?", wollte Bea wissen, hin und her gerissen zwischen Verzweiflung über das blöde Verhalten ihres Sohnes und dem Wunsch, einem der Top-Spiele des HSV beizuwohnen.

„Vielleicht..." Er lächelte, „Aber es sind Karten im Bayern-Block."

„Urgh", Bea verzog das Gesicht und Janniks Augen funkelten belustigt, während über Jonas Gesicht ein schmerzhaftes Sehnen huschte, aber schnell drehte er sich weg, als er Beas Blick auf sich spürte und ließ sie angesichts seines bockigen Verhaltens kopfschüttelnd zurück.

Bea seufzte leise und ging zurück in die Küche, um das restliche Essen zu holen. Jannik war ihr gefolgt und als er neben ihr Anstalten machte, einen Topf vom Herd zu nehmen, berührten sich ihre Arme und unwillkürlich fiel ihr Blick auf die blonden Härchen auf seinem Arm, die fast im hellen Licht der Deckenlampe verschwanden. Sie kosteten die Berührung ihrer Arme einen Moment lang aus und lächelten sich schweigend an, ohne die sich anschließende Stille mit Worten füllen zu wollen.

In ihrem Inneren empfand Bea dabei ein Gefühl, das so groß war, das es sie völlig ausfüllte, eine Mischung aus Staunen, von diesem Mann geliebt und begehrt zu werden, und Glück über ihre wunderbare Beziehung voller Spontanität, Leidenschaft und Vertrauen. Weit davon entfernt, lediglich romantische Verliebtheit zu empfinden, begriff Bea in diesem einfachen Moment, in der Alltäglichsten aller Situationen, dass es wirklich etwas Ernstes zwischen Jannik und ihr geworden war, dass ihre Gefühle eine Intensität und Dauer erreicht hatten, von der sie hoffte, dass es Jannik ebenso ging. Das ich liebe dich lag ihr auf der Zunge, aber die Hemmung, eine Liebeserklärung von Angesicht zu Angesicht auszusprechen, ließ Beas Lippen geschlossen bleiben.

In Janniks Augen, deren weit geöffnete Pupillen sie fast schwarz erscheinen ließen, lag eine Sehnsucht, aber alles, was er leise sagte, war:

"Du bist so unglaublich schön..."

Er setzte an, etwas hinzuzufügen, aber entschied sich dann plötzlich anders und neigte in unverkennbarer Weise den Kopf.

In diesem Moment hörte man Hannah aus der Nähe „Mama?" rufen und beide fuhren hastig auseinander, bevor Hannah fragend ihren Kopf in die Küche steckte.

„Wir sind gleich da", antwortete Bea in dieser abwesenden Stimme, die deutlich machte, dass sie den Autopiloten eingeschaltet hatte, aber obwohl Hannah gleich wieder aus der Küche glitt, war der innige Moment zerstört und die Realität holte Bea wieder ein.

„Tut mir leid, dass Jonas so frech ist", entschuldigte sie sich leise und beschäftigte sich mit den Töpfen.

Sie spürte Janniks Schulterzucken mehr als sie es sah und hörte ihn murmeln:

"Egal. Ich bin nicht so zart besaitet."

Ihre Augen trafen sich, als Bea den Blick wieder hob, und wie auf Kommando beginnen sie beide zu lachen, einen Augenblick unbeschwert und bar jeder Schwierigkeit, als würden sich damit alle Probleme in Luft auflösen.

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