Kapitel 35

Schockiert verließ Jonas den Facebook-Account, durch den er soeben gescrollt war. Er war über einer der Kommentare, die ein gewisser Chris bei Janniks Partybildern hinterlassen hatte, auf ihn gestoßen und hatte dabei Bilder seiner Mutter entdeckt, für die er sich fremdschämte und inständig hoffte, dass keiner seiner Freunde diese Aufnahmen je sehen würde.

Die Fotos ließen Jonas nachdenklich zurück, denn solch ein Verhalten lag seiner Mutter eigentlich fern. Sie war ab und an lustig, aber ansonsten vernünftig bis zur Langweiligkeit und das ein oder andere Mal hätte er es schon mal gern gehabt, dass sie etwas verrückter und risikofreudiger wäre, aber nachdem er sich mit diesen peinlichen Bildern konfrontiert sah, löste sich jeder diesbezügliche Wunsch in Luft auf.

Dass sie sich nun auf einmal so ungewöhnlich verhielt, musste es etwas mit ihrem Freund zu tun haben, vermutete Jonas, ließ sich rückwärts ins Bett fallen und starrte die Decke an. Er mochte es sich kaum eingestehen, aber irgendwie machte ihm das Angst. War dies der Anfang einer Veränderung, eine Entwicklung, die irgendwann nicht mehr zu steuern oder aufzuhalten war? Würde seine Mutter dann eine ganz Andere sein?

Von einem Schulkamerad aus der Parallelklasse wurde berichtet, dass seine Mutter mit ihrem Freund durchgebrannt sei und er seitdem bei seinem Vater lebe. So sehr Jonas seinen Vater auch liebte, in die Schweiz ziehen und hier alles zurück lassen mochte er nicht.

Die Verunsicherung machte ihn rastlos, er sprang aus dem Bett, holte sich seinen Fußball und kickte ihn durch das Zimmer gegen die Wand, so dass es rumste. Wie erwartet klopfte die Nachbarin von unten nur einen Moment später gegen die Decke. Jonas stellte sich vor, wie sie mit dem Besenstiel in der Hand in ihrem Schlafzimmer stand, und schoss, um sie zu ärgern, gleich noch ein weiteres Mal gegen die Wand.

Beruhigt hatte ihn das allerdings nicht und von Unruhe getrieben entschloss er sich, seinen Vater anzurufen, er wählte seine Handynummer und fläzte sich wieder auf sein Bett.

„Thorsten Büttner", melde sich sein Vater förmlich, was zweierlei bedeuten konnte, entweder war der Moment des Anrufes ungünstig oder er hatte nicht auf das Display nach dem Anrufenden geschaut.

„Hallo Papa, ich bin's", verdeutlichte er daher.

„Ach, hallo Jonas, wie geht's?" Es war Letzteres und die Stimme seines Vaters klang entspannt und erfreut.

Nach ein wenig Small talk kam Jonas zum eigentlichen Thema seines Anrufes. Ohne seine Sorge in Worte zu fassen, teilte er mit:

"Ich hab dir doch erzählt, dass Mama einen Freund hat. Ich muss dir dazu etwas zeigen, warte mal."

Er ging noch einmal auf den Account von diesem Chris, machte einen Screenshot von den peinlichen Fotos und schickte sie anschließend seinem Vater, zusammen mit weiteren Bildern, die Jannik und Bea zeigten.

„Hast du?", wollte er dann ungeduldig wissen, aber ein paar Sekunden lang war nur das dezente Klappern einer Computertastatur zu hören und von weit her der unverständliche Zuruf einer von Papas Kollegen.

„Der ist ja jung", kommentierte Jonas Vater schließlich, ohne dass Jonas heraushören konnte, ob darin Missbilligung oder nicht lag, zu den in Jonas' Augen verwerflichen Fotos äußerte er lediglich:

"Da hat es sich Bea aber gut gehen lassen."

Jonas seufzte unhörbar, denn der Satz seines Vaters ließ so viele Deutungsmöglichkeiten, dass er keine Ahnung hatte, ob sich darin Kritik verbarg. Mit den Füßen trommelte er einen unsteten Rhythmus auf die Matratze.

„Wie findest du ihn denn?", konnte er sich dann die Frage nicht verkneifen.

„Bisschen jung für Bea, oder nicht?", erwiderte Thorsten und Jonas schloss die Augen und lächelte befriedigt. Sein Vater sah das also genauso wie er.

„Ja, er ist erst 26!", teilte er vorwurfsvoll mit. „Und wegen ihm geht Mama auf solche Art feiern! Und außerdem...", Jonas holte tief Luft, um seinen letzten Triumph auszuspielen, „Das ist ein richtiger Frauenheld, hat andauernd eine andere. Facebook ist voll von deren Bildern!"

Und jetzt war eindeutig Kritik in seiner Stimme zu vernehmen, als Thorsten zurück gab:

"Da hat sie doch wirklich etwas Besseres verdient. So ein junger Kerl hat ja nur Flausen im Kopf. Warum lässt sie sich mit so jemand ein, sie ist doch sonst nicht so leichtgläubig."

„Keine Ahnung", bekannte Jonas, obwohl ihm durchaus eine Antwort einfiel, eine Antwort jedoch, die er auf keinen Fall geben geschweige denn hören wollte.

„So ein Blödsinn", schimpfte nun sein Vater, „Wenn sie sich einsam fühlt, gäbe es doch ganz andere Möglichkeiten..." Er ließ den Satz ins Leere laufen und schwieg.

Jonas horchte überrascht auf und hörte auf, mit dem alten Stoffdackel herumzuspielen, den er in der Hand hielt. Hatte sein Vater da etwas angedeutet? Er zögerte damit, die Trennung seiner Eltern anzusprechen, die er am liebsten verdrängte, tat es aber dann doch.

„Sag mal, wer von euch wollte eigentlich die Scheidung?", tastete er sich langsam vor, denn er kannte zwar den Grund, aber hatte bislang von den Einzelheiten nie etwas wissen wollen.

„Ich hätte gern eine zweite Chance gehabt", kam es leichthin aus dem Hörer, „Aber das wollte eure Mutter leider nicht. Kann ich ja auch verstehen", ergänzte er dann nach einer Schweigesekunde.

„Also Mama?", wollte Jonas nun konkret wissen, was sein Vater bejahte.

„Thorsten, kommst du bitte mal?" Die Stimme eines Fremden war nun so deutlich zu hören, als spräche derjenige direkt in den Hörer.

„Hör mal, Jonas, ich muss hier weitermachen. Grüß Hannah und deine Mutter auch und wir telefonieren dann abends mal, okay?" Thorsten hatte es nun eilig.

„Klar, kein Problem. Tschüs!"

Jonas legte auf und runzelte die Stirn. Das, was er gerade gehört hatte, klang irgendwie so, als läge seinem Vater noch immer etwas an seiner Ex-Frau. Und es war eine Tatsache, dass er in den vergangenen Jahren nie eine Neue präsentiert hatte. Jonas legte sein Handy beiseite und begann zu grübeln...

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