Kapitel 29
Vorwort: die aktuelle Weltlage hat sich mittlerweile verändert. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass meine Story zwar in der relativen Gegenwart spielt, aber auf einer Zeit basiert, die vor 2022, also vor dem Krieg in der Ukraine, liegt. Janniks politische Äußerungen sind daher vor diesem Hintergrund zu betrachten - mit dem, was man damals wissen oder vermuten konnte.
--------------------
„Wann musst du los?", wollte Bea gerade wissen und nahm einen Bissen von ihrer Laugenstange. Der Geruch nach Salami hing in der Luft und es war mittlerweile so warm im Raum geworden, dass sie ihre Beine auf der Decke ausgestreckt hatte und sich Janniks Füße und ihre berührten.
Jannik ließ zärtlich seinen Blick auf ihr ruhen; sie hatte ein T-shirt von ihm übergestreift, das ihr zu groß war und daher ihre femininen Formen völlig verhüllte, die Ärmel gingen ihr bis zu den Unterarmen. Als die Nachmittagssonne vorhin noch durch das Fenster geschienen hatte, hatte sie das weiße Shirt durchsichtig genug erscheinen lassen, dass es den Blick auf Beas dunklen BH freigegeben hatte, aber inzwischen war die Sonne weitergewandert und hatte das Zimmer in gedämmter Helligkeit zurückgelassen, als hätten die beigefarbenen Wände einen Schleier auf das Tageslicht gelegt.
Beas zerzauste Locken hatten sich an ihren Kopf und Hals geschmiegt, sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie in Form zu bringen, und in der Art, wie sie an ihrer Laugenstange knabberte, hatte sie beinahe etwas Kleinmädchenhaftes. Jannik ertappte sich bei dem Gefühl eines leichten Staunens, dass sich diese lebenserfahrene Frau für ihn interessierte, denn was hatte er schon zu bieten außer Charme, Sex und eine gewisse Fähigkeit zum verbalen Austausch über theoretische Themen, die keinen praktischen Nutzen im Alltag hatten.
Sie hingegen gab seinem Leben eine Bedeutung, eine Werthaftigkeit, die es zuvor nie besessen hatte, und schien ihn so zu akzeptieren, wie er war. Dennoch spürte er ein Gefälle zwischen ihnen, dass sich in Erfahrungen bemaß, Bea hatte schon so manche raue See im Leben gemeistert, während es ihm so vorkam, als müsse er sich erst noch beweisen, und in Gedanken an die Aufnahme von Kindern in sein Leben war er entschlossen, genau das zu tun.
Jetzt bemerkte er, dass Bea inne hielt und ihn mit verwunderten Augen ansah; er hatte ganz vergessen, was sie gefragt hatte.
„Muss eine komplizierte Planung sein, wenn du so lange benötigst, eine Antwort zu geben", neckte Bea ihn und streckte ihren Arm aus, um den Kaffeebecher heranzuziehen, der neben dem Bett auf dem Boden stand.
„Ich habe mich in deinen Anblick versenkt", gab Jannik mit einer lässigen Geste zu, „Was wolltest du wissen?"
„Wann du los musst", schmunzelte sie und ein Grübchen erschien auf ihrer linken Wangenseite.
„Wie ungewohnt – und angenehm –, das heute einmal von dir zu hören", versetzte er lächelnd und sah dann hinüber zur seiner Uhr an der Wand. „In eineinhalb Stunden. Wartet heute keiner auf dich?"
„Erst heute Abend", bekannte Bea und schlug die Beine übereinander, „Hannah und Jonas sind mit meinen Eltern im Barfußpark." Sie warf ihm einen lockenden Blick zu und schlug vor: "Kannst du das nicht ausfallen lassen? Dann hätten wir mehr Zeit zusammen..."
Für einen kurzen Moment rang Jannik mit sich – sie hatten schon lange keinen ganzen Tag mehr miteinander verbracht, denn zwischen Job und Kindern blieb Bea nie viel Zeit – dann schüttelte er den Kopf. „Das ist meine Arbeit", begründete er schlicht und setzte dann hinzu: "Die Aktion ist mir wichtig. Außerdem will ich die anderen nicht hängen lassen."
Bea war enttäuscht, aber wusste es gut zu verstecken, Jannik erkannte es nur daran, dass sie einige Sekunden lang schwieg und auch ihr Gesicht keine Regung zeigte. Dann kam ein leicht dahin gesagtes Okay und sie richtete sich auf und reckte die Schultern, als hätte sie soeben einen Entschluss getroffen, doch ihr weiteres Schweigen verriet nicht, was sie dachte.
„Komm doch mit!", forderte Jannik sie auf und lächelte schon bei dem Gedanken an die Chance, sie für politisches Engagement zu gewinnen.
Doch Bea wehrte sofort heftig ab: "Zu einer Partei, die den Austritt aus der NATO propagiert? Auf keinen Fall!"
Jannik blieb äußerlich ruhig an die Wand gelehnt sitzen, doch unvermittelt erhöhte sich seine Körperspannung, ähnlich einer Raubkatze, die in Lauerstellung lag.
„Und was hat die NATO so Tolles gemacht, dass du meinst, nicht ohne sie auskommen zu können?", konfrontierte er sie mit seiner Ansicht und zählte auf: "Sie kettet einen an unzuverlässige Bündnispartner wie die Türkei und hat das gegenüber Russland gegebene Versprechen gebrochen, sich nicht bis an die Grenzen Russlands auszudehnen."
Bea zog die Beine an, bis sie in einem Schneidersitz saß, und zog es vor, den erst genannten Punkt unter den Tisch fallen zu lassen und widersprach nur dem Zweiten:
"Das weiß man nicht. Es gibt keine Vereinbarung dazu."
„Aber aufgezeichnete Wortlaute der Unterhaltungen", konterte Jannik, „Die USA hatten es Gorbatschow zugesichert."
Bea runzelte die Stirn und dachte einen Moment nach, entgegnete dann aber nur ein wenig unwillig: "Davon weiß ich nichts."
„Ist aber so!", verkündete Jannik mit solcher Überzeugung, als wäre er dabei gewesen.
„Die Osteuropäer werden schon wissen, warum sie unter den Schutz der NATO geschlüpft sind", widersprach Bea und verschränkte die Arme vor der Brust, aber ihr Gesicht blieb entspannt, denn sie genoss den Schlagabtausch genauso wie er.
„Und haben damit die Chance auf Frieden in Europa erschwert."
Jeder seiner Einwände kam locker aus der Hüfte, mit einer Mühelosigkeit, die sich in seinem lächelnden Gesicht spiegelte. Seine Feststellung empörte Bea jedoch: "Wir haben Frieden in Europa!"
„Und befinden uns in einer Situation, die in Richtung Kalter Krieg hin steuert, nur diesmal nicht mit der UdSSR, sondern mit Russland", konterte Jannik.
„Hmph" grummelte Bea und verzog dann das Gesicht, weil ihr keine Argumente mehr einfielen; angelegentlich sah sie zum Fenster hinüber, das den Blick auf einen wolkenverhangenen Himmel freigab, der Straßenlärm und das Alltagsgeräusch von undifferenzierten Unterhaltungen der Passanten auf dem Gehweg draußen waren nun deutlich zu hören.
„Gibst du auf?", neckte Jannik und stupste mit seinen Zehen ihre Knie an.
Bea drehte sich wieder zu ihm um.
„Mir fällt nichts mehr ein, aber überzeugt hast du mich trotzdem nicht."
„Kommt noch."
Sein Selbstbewusstsein war unerschütterlich. Bea blickte zum Boden, auf dem noch die Reste des Frühstückes standen und fragte halbherzig, mehr pflichtbewusst als motiviert:
"Sollten wir nicht die übrigen Sachen mal in den Kühlschrank legen?"
Jannik zuckte mit den Achseln und meinte nur: "Das hält schon noch ein bisschen", nahm sich dann gleich noch ein Croissant und beschmierte es mit Butter.
Der laute Ton einer Polizeisirene war zu hören und verklang schnell wieder. Jannik bemerkte, dass Bea ihn neugierig ansah, aber noch bevor er sie ansprechen konnte, fragte sie bereits:
"Seit wann bist du eigentlich bei der LSP und warum?" Sie hatte die Hände nun entspannt auf die Oberschenkel abgelegt und harrte seiner Antwort.
In einer unwillkürlichen Bewegung zog Jannik die Beine zu sich heran und stellte die Füße auf, die Frage kam für ihn nicht überraschend und seine Antwort daher zügig und umfassend:
„Mein Geschichtslehrer hat umfangreich das dritte Reich behandelt. Danach war klar, dass so etwas nie wieder passieren darf. Und die Einzigen, die sich den neuen Faschisten wirklich entgegen stellen, ist die LSP." Er sprach mit dem Engagement und der inneren Überzeugung desjenigen, der nicht mehr zweifelte.
„Der GA ist keine Alternative?"
Jannik machte eine wegwerfende Handbewegung und kommentierte etwas abfällig:
"Der ist auf dem Marsch in die Bürgerlichkeit. Und Antifaschismus ist bei denen nur Theorie."
Ein leicht ironischer Zug umspielte seine Mundwinkel und automatisch und ohne es zu merken ließ er seine Beine wieder auf das Bett rutschen. Bea hatte aufgehorcht und wollte dann wissen:
"Und was ist praktischer Antifaschismus?"
„Soziale Netzwerke beobachten, Artikel schreiben, rechte Publikationen lesen, Fotos machen..."
Er stoppte schließlich abrupt die Aufzählung, was auch Bea nicht verborgen blieb, interessiert hielt sie den Blick auf sein Gesicht gerichtet, das eine gewisse Unruhe nicht verbarg.
„Und...?"
Jannik erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte und ärgerte sich darüber, sah aber keine Möglichkeit, etwas daran ändern zu können. Mit betont gelangweilter Stimme fügte er hinzu:
"Das willst du gar nicht wissen."
Es fehlte nicht viel und er hätte gepfiffen, um das Gespräch auf einen Level purer Unterhaltung zu heben, den es irgendwann im Laufe der letzten Sekunden verloren hatte.
„Das will ich gar nicht wissen?", echote Bea und sah nicht so aus, als hätte sie sich von seiner lässigen Art täuschen lassen.
Genaugenommen wollte er selbst gar nicht wissen, was eine Juristin von einigen der Aktionen hielt, die er mit Mitstreitern aus der linksalternativen Szene durchgeführt hatte. Dass ein Sitzstreik rechtlich unproblematisch war, wusste er, bei ein paar der anderen Sachen war er sich jedoch nicht so sicher und sich auf dem Argument des Nichtwissens auszuruhen, war nur allzu verlockend.
„Nein, willst du nicht!", gab er daher entschieden zurück.
Angesichts seiner Wortkargheit gab sich Bea für's Erste damit zufrieden, warnte aber: "Die Frage ist aber nicht aufgehoben."
Jannik zuckte nur mit den Achseln und hoffte darauf, dass sie die Angelegenheit trotz ihrer letzten Bemerkung bald vergessen haben würde.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top