Kapitel 24

„Wir haben gewonnen!!!", rief Jonas sogleich begeistert in die Wohnung hinein, kaum dass er sie betreten hatte, und schleuderte seine Sporttasche auf den Boden, so dass sie passgenau unter den aufgehängten Jacken seiner Mutter landete. Der Essensduft verriet ihm, dass er seine Mutter in der Küche antreffen würde und in seiner glücklichen Stimmung sah er unbekümmert darüber hinweg, seine Schuhe auszuziehen, sondern nahm den schnellsten Weg in die Küche.

„3:2! Und ich hab einen Elfer gehalten!"

Seine Wangen glühten vor Stolz und Begeisterung über seine Tagesleistung, er stellte sich in die Küche wie ein Held, ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch die plötzlich herein flutenden Sonnenstrahlen, die ihn in ihrem Lichtkreis erfassten.

„Fünf Minuten vor Schluss!"

Auch ohne dass er die Augen schloss, konnte er noch die Begeisterung seiner Teamkameraden spüren, die ihn überwältigt umarmt hatten, und hörte den ohrenbetäubenden Jubel, in den ihr ganzes Team nach dem Abpfiff gefallen war.

„Das ist ja großartig, Jonas, Glückwunsch!", strahlte seine Mutter und zog ihn impulsiv in eine rasche Umarmung, die so flüchtig war, das er den üblichen Widerwillen eines Dreizehnjährigen gegenüber Liebesbekundungen nicht spürte, eine Reaktion, die dem Anlass angemessen dieses Mal jedoch ohnehin ausgesetzt gewesen wäre.

„Er hat da gestanden und überlegt, in welche Ecke er schießt und dann... und dann hat er Anlauf genommen und ich wusste es einfach und bin nach links gehechtet und genau dorthin flog der Ball und mit den Fingern habe ich ihn erwischt und weggedrückt!", berichtete Jonas mit übersprudelnder Stimme, die Hände auf den Tisch gestützt und mit wippenden Füßen.

Wie aufgeregt er gewesen war, als der Schiedsrichter auf Elfmeter entschieden hatte und gewusst hatte, dass es jetzt so kurz vor Schluss auf ihn allein ankäme. Aber als dann der Moment gekommen war, war er ganz ruhig gewesen und als er dann gehalten hatte, war ein Glücksgefühl durch ihn hindurch geschossen, wie er es noch nie erlebt hatte und dem er mit einem lauten Jubelschrei Luft gemacht hatte.

„Toll!", lobte seine Mutter stolz und beeindruckt, auch ohne dass sie wusste, was in seinem Inneren gerade vor sich ging, aber anschließend legte sich kurz ein Schatten auf ihr Gesicht, als sie bedauerte, nicht dabei gewesen zu sein.

Jonas zuckte dazu mit den Achseln und schwieg, aber seiner Euphorie tat das keinen Abbruch. Natürlich hätte er sich gewünscht, dass sie und Hannah seine Glanzparade hätten sehen können, allerdings waren sie inzwischen bei längst nicht mehr jedem Spiel dabei und so war damit zu rechnen, dass sie das ein oder andere verpassten.

„Du kommst gerade richtig", fuhr seine Mutter fort und machte sich nun an den Töpfen zu schaffen, heißer Dampf entwich in einer Wolke, als sie den Deckel anhob und wurde schließlich in der Umgebungsluft unsichtbar.

"Was gibt es heute?", wollte Jonas wissen und schnupperte.

„Chili con carne", erwiderte Bea und goss den Reis ab.

„Das ist gut, ich habe Hunger wie ein Wolf", freute sich Jonas und beschloss zufrieden seinen Bericht mit: „Wir waren noch Eis essen, um unseren Sieg zu feiern", während er bereits im Begriff war, die Küche zu verlassen.

Vage bekam er mit, dass sich Hannah im Wohnzimmer mit jemandem unterhielt, schenkte dem aber keine Aufmerksamkeit, sondern spielte mit dem Gedanken, nun auch gleich seinen Vater von dem heutigen Erfolg zu erzählen, denn der spielte selbst auch noch Fußball, bei sich zu Hause in der Schweiz, wohin er vor einigen Jahren gezogen war.

„Mama, kann ich jetzt Papa anrufen?", rief er in die Küche hinüber und streifte lässig seine Schuhe ab, ohne sich die Mühe zu machen, vorher die Schnürsenkel zu lösen.

Bea tauchte im Flur auf.

„Nein, wir essen jetzt erst einmal. Aber du kannst den Reis ins Wohnzimmer bringen." Sie drückte ihm eine Schüssel in die Hand, an der er sich fast verbrannte.

„Wieso essen wir im Wohnzimmer?", wunderte er sich, tat aber, wie ihm geheißen war und war mit den Gedanken sogleich wieder bei dem heutigen Sieg, der ihr Team in der Tabelle um einige Plätze nach oben katapultiert hatte.

"Wir sind jetzt auf Rang drei..."

Dann stoppte er abrupt, als er den fremden Mann am Tisch sah, der mit seiner Schwester herum alberte.

Der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss, war, dass seine Mutter einen Freund hatte, aber nach flüchtiger Betrachtung, scheu aus den Augenwinkeln heraus, verwarf er diese Überlegung sofort, denn der Mann war deutlich jünger als seine Mutter. Aber wer war das und woher kannte Hannah ihn?

Er verlangsamte seine Schritte, stellte den Reis auf den Tisch und murmelte ein genuscheltes Hallo, bevor er sich auf seinen Stuhl fallen ließ.

„Hi, ich bin Jannik.", begrüßte ihn der Mann in genau der selbstsicheren Art, die Jonas auch gern besessen hätte, und nickte ihm lässig zu.

Er war möglicherweise ein Sportler, überlegte Jonas und betrachtete ihn verstohlen, die entsprechende Muskulatur und Fitness schien er jedenfalls zu haben, was aber jedenfalls immer noch nicht erklärte, wieso er bei ihnen war, doch den Teufel würde er tun und nachfragen.

Als ahnte sie, was in ihm vorging, trällerte Hannah aufgekratzt:

"Jannik ist mit mir ganz oben im Klettergarten geklettert. Mama hat ihn deshalb zum Essen eingeladen."

„Schön für dich", erwiderte Jonas eine Spur bissig, denn er ärgerte sich jetzt ein bisschen, dass Hannah diese Möglichkeit gehabt hatte und er nicht.

Bea betrat das Wohnzimmer und hatte die letzten Worte mitbekommen.

„Dafür hatte Jonas heute seinen großen Tag auf dem Fußballplatz", griff sie ein, bevor sich ein Streit entspinnen konnte, „Erzähl doch mal!"

Erwartungsvoll sah seine Mutter ihn an, aber Jonas schüttelte nur widerwillig den Kopf und war nicht bereit, sich vor einem Fremden der Peinlichkeit auszusetzen, mit seinem gehaltenen Elfer anzugeben.

Leider begriff seine Mutter diese Zurückhaltung nicht, sondern fuhr stattdessen begeistert fort:

„Jonas hat kurz vor Abpfiff seiner Mannschaft mit einem gehaltenen Elfmeter den Sieg ermöglicht."

Jonas schloss kurz gequält die Augen und wäre am liebsten im Boden versunken.

„Eh, cool", freute sich Hannah, aber ihre Reaktion zeichnete sich ohne innerliche Beteiligung aus, denn ihr Interesse an Amateurfußball, obwohl ihr Bruder es spielte oder vielleicht gerade deswegen, war gering.

„Klasse Leistung!", kam der anerkennende Kommentar von diesem Jannik. „Für welchen Verein spielst du?"

„Für den Borgfelder FC, in der D-Jugend."

„Hat bestimmt ordentlich was gebracht, für die Tabelle, jetzt zu Ligabeginn, oder?"

Jonas hob seinen Blick von der Tischplatte, die er angelegentlich betrachtet hatte, und sah zu Jannik hinüber, der ihm schräg gegenüber saß, wobei er sich gleichzeitig bemühte, ihn nicht allzu neugierig zu betrachten.

„Wir spielen seit fünf Wochen und sind jetzt auf Rang drei", erwiderte er dann und sein plötzliches Lächeln konnte die Freude darüber nicht mehr verhehlen.

„Besser kann der Start ja kaum verlaufen", freute sich Jannik mit ihm, während Hannah die Lippen zu einem Schmollen verzog, weil sich Janniks Interesse nun auf ihren Bruder verlagert hatte.

„Das ist echt cool", bestätigte Jonas und war mit seinen Gedanken für einen Moment wieder voll und ganz beim heutigen Erfolg und daran, wie man den Tabellenplatz nächste Woche verteidigen konnte.

Indessen füllte Bea alle vier Teller und forderte sie auf, sich die gewünschte Menge Reis zu nehmen, und dann war für einen Moment lediglich das rege Geklapper von Besteck zu hören. Jonas warf seiner Mutter einen fragenden Blick zu, in dem die Hoffnung lag, dass sie seine unausgesprochene Frage, was es mit diesem Besuch auf sich hatte, beantworte. Aber obwohl sie direkt neben ihm saß, bekam sie es nicht mit, sie hatten diesen Blick entspannter Heiterkeit aufgesetzt, der bedeutete, dass sie mit ihren Gedanken bei etwas Schönen war. So, wie sie es oft auch tat, wenn ein Streit zu eskalieren begann, sie nahm sich dann quasi aus der Gegenwart heraus, und auf seine später einmal gestellte Frage hatte sie geantwortet, dass sie an einen bestiegenen Berggipfel dachte, von dem aus sie über die Täler hinabblicken konnte.

Somit musste Jonas für's Erste akzeptieren dass Jannik eine unbekannte Größe für ihn blieb; er wirkte auf Jonas jedoch sympathisch genug, um ihm schließlich eine Frage zu stellen, die sich aus der vorangegangen Unterhaltung fast automatisch ergab:

„Spielst du auch Fußball?"

„Bis vor dem Studium habe ich als Außenstürmer bei Victoria gekickt. Aus Zeitgründen bin ich aber nun mehr nur noch auf Position Zwölf unterwegs, mit den Aufgaben Aufspringen, Anfeuern, Klatschen", scherzte Jannik und offenbarte dabei ein gewisses Maß an Selbstironie, das Jonas durchaus zu schätzen wusste, auch wenn er es nicht als solches hätte benennen können.

Er lächelte unvermittelt, nahm hungrig von seinem Essen und wollte dann wissen: „HSV oder Pauli?", ohne zu bemerken, dass Jannik einen Augenblick mit der Antwort zu zögern schien, bevor er sich dann als Pauli-Fan outete.

Jonas war nicht überrascht, irgendwie hatte er es geahnt, obgleich er nicht wusste, wieso er darauf geschlossen hatte. Nur am Rande drangen Bruchstücke von Hannahs Unterhaltung mit ihrer Mutter an sein Ohr, irgendetwas mit Puzzle und Voldemort.

„Und du bist HSV-Fan", setzte Jannik das Gespräch fort, mehr feststellend als fragend, und nahm sich noch ein wenig Reis.

„Wieso meinst du das?", wunderte sich Jonas, aber gab Jannik keine Gelegenheit für eine Erläuterung, sondern ergänzte:

"Eigentlich Bayern, aber das geht in einer HSV-Familie nicht", er lächelte schelmisch zu seiner Mutter hinüber, „Zum HSV hat mich Mama schon als Baby mitgenommen und mein Opa ist auch beim HSV."

Jannik sah verblüfft zu Bea hinüber und legte den Löffel wieder ab, den er gerade zu Mund hatte führen wollen:

"Du bist HSV-Fan?! Das wusste ich gar nicht."

Seine Mutter grinste breit und gab dann vergnügt den HSV-Slogan zum Besten: "Nur der HSV. Die Sachen im Bad sind übrigens meine."

Dann musste sie angesichts Janniks Gesichtsausdrucks lachen. Schließlich schnaubte er belustigt und schüttelte leicht den Kopf.

„Du überrascht...", er unterbrach sich hastig und behielt dann für sich, was er hatte sagen wollen.

Jonas nutze die Gelegenheit, sich hinüber zu Hannah zu beugen und flüsternd zu fragen:

"Wer ist das eigentlich?"

Beide Kinder bekamen daher nicht mit, dass in dem Blick, den die Erwachsenen für einen Moment miteinander wechselten, mehr lag als nur oberflächliche Bekanntschaft.

„Von so 'nem Seminar, auf der Mama mal war", gab Hannah desinteressiert zurück und meldete sich dann die Stimme anhebend mit dem Hinweis zu Wort, dass die beiden blau-schwarz-weißen Badeenten ihr gehörten.

„Du auch?", schmunzelte Jannik. „Ich nehme dich mal mit zum Millerntor, damit du den wahren Verein kennenlernst."

„Neeein!!!", kreischte Hannah nachdrücklich und fügte schelmisch hinzu: „Das hat Opa verboten!"

Bea verkniff sich ein Lachen und zuckte amüsiert mit den Schultern: "Braun-Weiß hat hier keine Chance."

„Scheint mir auch so." Jannik wusste, wann er sich geschlagen geben musste.

Dann lehnte er sich leicht über den Tisch zu Bea hinüber und raunte mit einem Augenzwinkern:

"Das gibt ein Nachspiel", nicht leise genug, um Jonas' Ohren zu entgehen, aber da keine weitere Erläuterung folgte und sich Jonas daher keinen Sinn auf die Bemerkung machen konnte, hatte er sie bald darauf wieder vergessen.

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