Kapitel 2
Der Tag näherte sich seinem Ende, die Segelboote auf der Alster wurden weniger und die Sonne sandte warmes, goldenes Licht über das Wasser, bis es von den immer länger werdenden Schatten der Uferbäume geschluckt wurde. Es wurde still auf dem Wasser, nur das leichte Plätschern von Paddeln war zu hören, während die SUP-Bretter ansonsten lautlos durch die Fluten glitten. Der Blick gen Süden offenbarte eine beeindruckende Skyline, von der vor einigen Jahren gebauten Elbphilharmonie bis zu den größten Kirchen der Stadt, und der milde Abend lockte tausende junger Leute an die Alster, die auf den Rasenflächen oder kleinen Mäuerchen saßen und die sommerlichen Abendstunden im Beisammensein ihrer Freunde genossen. Weit über das Wasser hinweg trug der Schall Takte einer getrommelten Melodie und durch die Parkanlagen konnte man eine Kette von Joggern hindurch huschen sehen, die ihre Kräfte bei einem abendlichen Laufwettbewerb miteinander maßen.
Mit Bedauern registrierte Bea die Uhrzeit, die ein deutliches Signal zur Rückgabe des SUPs sandte, und sie erhob sich seufzend aus ihrer entspannten, sitzenden Haltung. Mit energischem Eintauchen der Paddel steuerte sie das SUP-Board in Richtung Kudammbrücke, vorbei an den letzten verbliebenden Segelbooten, die im warmen Licht der untergehenden Sonne bei nur mäßigem Wind mehr vor sich hin dümpelten als vom Wind getrieben durch das Wasser glitten. Das ruhige Wasser bereitete Bea keine Probleme, geübt wechselte sie ihr Paddel von der linken in die rechte Hand, um Kurs zu halten. Erst als das Wasser vor ihr einen rotgoldenen Schein widerspiegelte, hielt sie an und drehte sich um, um den Sonnenuntergang zu beobachten, der sich hielt, bis langsam heranziehende Wolken ihn schließlich verschluckten.
Die letzte Strecke legte Bea im Eiltempo zurück. Sie spürte zufrieden die Kraft ihrer Arme, mit der sie das Board durch das Wasser zog, und nur entfernt drangen Klänge einer Gitarre an ihr Ohr, die in ihr die Sehnsucht nach einer gemütlichen Runde an der Elbe mit Gitarre und Lagerfeuer weckte, die sie einst direkt nach dem Schulabschluss genossen hatte. Mit der festen Absicht, beim nächsten Mal zwei Stunden zu buchen, gab sie kurze Zeit später ihr Board ab und streifte ihr Sommerkleid über den Bikini, bevor sie sich daran machte, den Schlüssel ihres Schließfaches wieder abzugeben.
Der Duft nach gebratenem Fisch wehte vom nebenan gelegenen Restaurant herüber, dessen Außengastronomie wie immer bis zum letzten Tisch gefüllt war, während andere Besucher auf den zum Restaurant führenden Treppen Platz genommen hatten wie in einem Amphitheater und an den bestellten Getränken nippten. Aus Richtung des Restaurants brandete fröhliches Wortgeplänkel an Beas Ohr und eine Gruppe lachender junger Männer näherte sich, die Bea desinteressiert mit einem automatischen Blick streifte. Einer von ihnen machte eine ausholende Bewegung mit der Hand und sah dabei in ihre Richtung, bis er plötzlich stutzte und einige Sekunden lang seinen Blick auf ihr ruhen ließ. Bea hob überrascht die Augenbrauen, denn es schien sich bei ihm um den Kinobesucher von vorhin zu handeln. Selbstkritisch strich sie sich einige verschwitze Haarsträhnen aus dem Gesicht, aber er hatte sich bereits wieder abgewandt.
Da sie gezwungenermaßen warten musste, bis die Gruppe ihre Buchung an der Kasse beendet hatte, starrte sie mit einer Mischung aus Neugier und Langeweile zu dem Mann hinüber, der mit ihr das Kino geteilt hatte, registrierte blonde kurze Haare über einer hohen Stirn, eine lange Nase und ein markantes Kinn. Zu dem dunkelgrünen Shirt trug er kurze Shorts, die den Blick auf durchtrainierte, lange Beine freigaben. Er war einer von denen, die „man nicht von der Bettkante stoßen würde", wie ihre Freundin Andrea es ausdrücken würde. Ausgelassen alberte er mit seinen Kumpels herum, während jemand anderes aus der Gruppe die Formalitäten regelte. Zum Warten verdammt sinnierte Bea darüber nach, wie ihm wohl der Film gefallen hatte, und sie fragte sich, ob seine Kumpels wussten, dass er allein im Kino gewesen war und welchen Film er geguckt hatte... Ohne dass sie lauschte, drangen Teile der Unterhaltung mit dem SUP-Verleiher an ihr Ohr.
„...brauchen einen zweiten Schrank...".
„Hier ist noch die 4!"
Der SUP-Verleiher reichte dem Kinogänger einen Schlüssel und dann kam Bewegung in die jungen Männer, mit ansteckender Fröhlichkeit strebten sie auf die Schränke zu und schlenderten daher direkt an Bea vorbei. Einer von denen, die Bea noch nie gesehen hatte, nickte ihr höflich zu und dann war die ganze Gruppe schon fast vorbei, als der Mann aus dem Kino sich plötzlich umdrehte, Bea direkt an sah und dann ein Lächeln auf sein Gesicht zauberte.
Verdutzt lächelte Bea zurück und sandte ihm einen nachdenklichen Blick hinterher, als er sich wieder seinen Freunden zuwandte. Unschlüssig, ob sein Blick etwas zu bedeuten gehabt oder es sich nur um eine oberflächliche Freundlichkeit gehandelt hatte, blieb Bea noch gedankenverloren einen Moment stehen. Sie waren sich jetzt zum zweiten Mal über den Weg gelaufen und unwillkürlich kam ihr der Satz ihrer Freundin von vorhin in den Sinn: „Das hat doch etwas zu bedeuten."
„Willst du Wurzeln schlagen?" riss die Stimme des SUP-Verleihers sie aus ihren Grübeleien und hätte nicht seine Stimme schon ausgereicht, Ungeduld zu vermitteln, so taten es spätestens seine auf den Tresen klopfenden Finger, so dass Bea ihm mit einem entschuldigenden Lächeln den Schlüssel reichte und dann in ihre Schuhe schlüpfte, nachdem sie das sandige Areal des SUP-Verleihs verlassen hatte.
Während sich langsam die Dämmerung herabsenkte, setzte Bea sich vor dem Restaurant auf die von der Abendsonne noch angewärmten Treppenstufen und blickte auf den Fluss hinunter, wo sich die Gruppe inzwischen auf ihre Boards begab. Es sah sehr wackelig aus, offenbar war es für alle das erste Mal, aber dessen ungeachtet drang ihr lautes Johlen über den Fluss hinüber, eher noch befeuert von der Abenteuerlust, auf einem schwankenden Brett das Gleichgewicht zu halten. Einer der Männer hielt übermütig eine Bierdose aus seinem auf dem Board festgezurrten Vorrat in der Hand. Bea schmunzelte und war sich sicher, dass heute Abend bestimmt nicht nur einer von ihnen noch im Wasser landen würde. Neugierig suchte ihr Blick den Kinogänger. Er hatte sich seines T-Shirts entledigt und stand schwankend, aber entschlossen auf dem Board und schob sich mit dem Paddel in die Mitte des Flusses.
Wieder drängte sich Andreas Satz in ihre Gedanken und obwohl Bea nie von sich behaupten würde, an Schicksal zu glauben, musste sie doch zugeben, dass zwei zufällige Begegnungen an einem Tag geradezu danach schrien, etwas daraus zu machen. Außerdem wäre es interessant zu erfahren, was einen Mann in diesen Kinofilm verschlagen hatte.
Die jungen Männer entfernten sich schließlich in ungleichen Spuren langsam gen Alster, ihre Stimmen verklangen. Die Möglichkeit, ihn anzusprechen, war schon vergangen, bevor Bea überhaupt klar wurde, dass das für sie tatsächlich eine Option dargestellt hatte. Die jetzige Situation enthob sie jedoch der unschönen Aufgabe, im Beisein seiner Freunde ein Gespräch zu beginnen zu müssen.
Alternativ kam ihr in den Sinn, eine Nachricht zu hinterlassen, denn sie kannte ja seine Schließfachnummer. Sie kramte daher in ihrer Tasche und beförderte einen angeknabberten Bleistift und einen Einkaufsbon zu Tage, was ihr aber als zu profan erschien. Eine spontan herausgerissene Taschenbuchseite musste schließlich herhalten und nach mehreren Minuten des Grübelns brachte Bea schließlich kurz und knapp Folgendes zu Papier: Hi, ich hoffe, dir hat der Film gefallen. Hast du Lust, dich darüber auszutauschen? Dann melde dich gerne. Sie schloss mit Bis dann, Bea.
Der SUP-Verleiher musterte sie kritisch, als sie mit ihrem gemurmelten Hab was vergessen an ihm vorbei schlüpfte. Nachdem er sich wieder seiner Kasse zugewandt hatte, schob sie mit klopfendem Herzen den Zettel durch die Ritze am Boden des Schließfaches.
In diesem Moment fiel Bea siedend heiß ein, dass sie ihre Festnetznummer aufgeschrieben hatte, was ihr sofort ungeheuer altbacken vorkam! Das Objekt ihres Interesses war definitiv unter dreißig und würde sie jetzt mit Sicherheit für noch älter halten als sie ohnehin schon war, die überhaupt nur vage Realität eines Anrufes war damit nun höchst unwahrscheinlich geworden. Bea fluchte unterdrückt, besänftigte sich dann mit dem Gedanken, dass es sowieso eine Schnapsidee gewesen war, sich mit einem Unbekannten über einen Film zu unterhalten, und trat ihren Heimweg an.
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