Kapitel 18

„Einen Gyrosteller, bitte", bestellte Jannik und verschwand an die äußerste Ecke des Tresens, die halb im Dunkeln lag, was ihm im Moment ganz recht war. Kurze Zeit später stellte ihm der Wirt einen Ouzo hin, den Jannik im Nu leerte; angenehme Wärme breitete sich in seinem Magen aus.

„Noch einen, bitte!", verlangte er, denn er hatte sich zum Ziel gesetzt, diesen Abend zwar allein, aber nicht bei klaren Sinnen zu beenden.

Er hatte genug von den Grübeleien, die ihn die Tage über umgetrieben hatten. Sobald er an die Tatsache dachte, dass Bea Kinder hatte und obendrein schon ältere, erfasste ihn ein leichtes Gefühl von Panik. Er selbst hatte keine Geschwister, kannte niemanden mit Kindern und hatte keinen blassen Schimmer, was man mit ihnen machte. Bea ohne Kinder war aber ganz offenbar keine zur Verfügung stehende Alternative mehr, das hatten ihre Worte neulich deutlich gemacht.

Er ließ seinen Kopf schwer in die Handflächen sinken und fuhr sich mehrmals durch die Haare. Hatten ihre Kinder auch in den ganzen letzten Wochen keine Rolle gespielt und waren quasi nicht existent gewesen, so war ihm jetzt jedoch klar, dass es ein „weiter wie bisher" für Bea wohl nicht geben würde, selbst wenn er nun das Vorhandensein von Kindern für sich akzeptieren würde – wozu er sich noch längst nicht entschieden hatte.

Ein junger Mann zapfte routiniert Bier in die bereit gestellten Gläser, das Zischen der Zapfanlage drang den ganzen Tresen entlang, dann stellte er die Gläser auf ein Tablett, auf dem sich bereits andere Getränke befanden, und rief mit einer Unmutsgeste in den rückwärtigen Teil des Restaurants hinein, in dem sich vermutlich die Küche befand. Die griechischen Wörter waren nicht zu verstehen, aber der Inhalte wurde sogleich klar, als mit hochrotem Kopf eine junge Frau erschien, das Tablett ergriff und sich daran machte, die Getränke zu verteilen.

Jannik dachte an das vor noch gar nicht so langer Zeit geführte Gespräch mit seinen Kumpels und seufzte tief. Er hatte mit Kindern nichts am Hut, weder jetzt noch später, hatte nie zu den Typen gehört, die sich ein Familienleben vorstellten und war immer der Meinung gewesen, ein Leben könne auch ohne Kinder vollkommen sein.

Die Lippen grimmig aufeinander gepresst haderte er damit, dass es ihm nun ausgerechnet eine Frau mit Kindern angetan hatte, welch böse Volte des Schicksals. Wenn das auch noch Luis und Tobi erführen, wäre ihm eine Peinlichkeit sondergleichen gewiss. Er ergriff den just vor ihm abgestellten Ouzo, legte den Kopf in den Nacken und leerte das Glas in einem Zug.

Die griechische Musik im Lokal war inzwischen lauter gestellt worden, der leicht klagende Ton der Klarinetten drang an Janniks Ohr und entsprach genau seiner deprimierten Stimmung.

Was Bea am Ende gesagt hatte, hatte ihn getroffen, gerade weil es stimmte. Er hatte sich immer als furchtlos empfunden, doch jetzt hatte er erkennen müssen, dass er sich falsche Illusionen gemacht hatte, dass seine an den Tag gelegte Unbekümmertheit doch ihre Grenzen hatte. Diese Selbsterkenntnis traf ihn in seinem Stolz, aber nach einer Weile und weiteren Ouzos stellte Jannik fest, dass dieser Gedanke seinen Schrecken verloren hatte. Hungrig vertilgte er das griechische Essen mitsamt der Salatbeilage und wollte vom Wirt, nachdem dieser ihm einen neuen Ouzo gebracht hatte, wissen:

"Hast du eigentlich Kinder, Jannis?"

„Oh ja, drei Kinder, zwei Mädchen, eine Junge", strahlte der Wirt stolz.

„Und wie ist es, Kinder zu haben?" Janniks Finger umfassten das Schnapsglas, aber seine Augen sahen auf Jannis und harrten der Antwort.

„Oho, Kinder sind das Beste von der Welt", strahlte der Wirt.

Selbst in seiner leichten Alkoholumnebeltheit bezweifelte Jannik die Pauschalität dieser Aussage, doch Jannis fuhr bereits fort:

"Bringen Leben ins Haus, neue Ideen, und später Enkelkinder, wenn man Glück hat." Er lachte fröhlich und wollte dann wissen: "Warum fragst du? Wirst du Papa?"

Er blinzelte ihm zu und ohne die Antwort abzuwarten, machte er sich bereits wieder auf, die anderen Gäste zu bedienen.

So ähnlich, dachte Jannik und sah nachdenklich in den Gastraum hinein, an dem inzwischen jeder Tisch belegt war, die meisten von ihnen von vier Personen. Mit dem Zeigefinger fuhr er ratlos den oberen Rand seines Schnapsglases entlang, aber er trank nicht, denn ihm war klar, dass er eine Entscheidung zu treffen hatte, treffen musste, wofür er einen einigermaßen klaren Kopf brauchte. Zwar kannte er Bea noch nicht unermesslich lange, aber an einen Abbruch ihrer Beziehung mochte er gar nicht denken.

Obwohl ihm die Konzentration schon ein wenig schwer fiel, realisierte er folgende Gleichung:

Bea war ihm wichtig, sehr sogar.
Bea gab es nur im Dreierpack.
Also musste er über seinen Schatten springen.

Zehn und dreizehn Jahre alt waren die Kinder, hatte Bea gesagt. An der Schwelle zur Pubertät.

"Oh Gott", stöhnte er unwillkürlich und ließ den Kopf erneut in die Hände sinken. Das würde das Abenteuer seines Lebens werden.

Bevor ihn der Mut wieder verließ, angelte Jannik sein Handy aus der Hosentasche, öffnete seinen WA-Account und schrieb an Bea: "Ich habe nachgedacht."

Mit einem Tastendruck versandte er den Text und war gerade dabei, eine weitere Nachricht zu formulieren, als er bemerkte, dass Bea online war und seine Worte las. Mehr als überrascht davon, sie um 2.oo Uhr nachts noch wach anzutreffen, hielt Jannik inne. Er hatte nicht vorgehabt, in einen Dialog zu treten, sondern hatte eigentlich geplant gehabt, dass sie seinen Text nach dem Aufwachen lesen würde.

„Wieso bist du noch wach?", wollte er daher überrascht wissen.

„Weil ich auf dem Balkon bin, da kann man nicht gut schlafen."

„Ist es dir nicht zu kalt?"

„Ich habe eine Decke dabei. Und du?"

„Bin in der Schanze, beim Griechen."

„Und dann hast du Zeit zum Texten?"

„Bin alleine hier."

„Was machst du denn allein beim Griechen?"

„Mich betrinken."

„Warum?"

Jannik ließ sich mit der Antwort Zeit und suchte nach den richtigen Worten, um zu übermitteln, was in ihm vorging, schrieb schließlich:

„Um den Mut aufzubringen, dir zu sagen, dass du die Frau meines Lebens bist."

Sein Blick klebte auf dem Display und mit pochendem Herzen wartete er auf ihre Reaktion, die mehrere Sekunden auf sich warten ließ, eine Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam.

„Wie viel hast du getrunken?"

Jannik schnaubte mehr belustigt als gekränkt darüber, dass sie seiner Mitteilung offenbar die Ernsthaftigkeit seiner Empfindungen absprach. Dann seufzte er, anscheinend würde er sie anrufen müssen, um die Verlässlichkeit seiner Worte unter Beweis zu stellen, entschied sich als leichteren Weg dann für eine Sprachnachricht und gab sich viel Mühe, den alkoholumwehten Ton aus seiner Sprache fernzuhalten. „Du bist die Frau meines Lebens. Es ist mir daher egal, wie alt oder jung du bist oder dass du Kinder hast. Klingt das nüchtern genug?"

Noch bevor ihm bewusst wurde, dass man das Wort nüchtern auch anders verstehen konnte, erreichte ihn als Antwort ein einzelnes, pulsierendes rotes Herz.

Motiviert fuhr Jannik fort: „Ich stelle mich daher der Herausforderung. Was genau soll ich tun?"

Bea schickte ein Daumen hoch und fügte hinzu: „Ich denke mal nach."

„Sag Bescheid, wenn du mit Denken fertig bist."

„Heute Nacht nicht mehr, morgen. Jetzt kann ich ja einschlafen."

„Weil du nicht mehr auf dem Balkon bist?"

„Weil es mir wieder besser geht."

„Nur besser?"

„Besser, aber nicht super gut. Ich vermisse dich."

Zwei Textnachrichten, schnell hintereinander getippt: „Ich dich auch!" und „Telefonieren wir später?"

„Auf jeden Fall! Melde mich, wenn ich aufgewacht bin."

„Schlaf schön!"

„Du auch!"

„Träum von mir!"

Ein lachender Emoji. „Mach ich."

Jannik konnte sich nicht verkneifen zu fragen: „Hast du schon mal von mir geträumt?"

„Das fragst du nicht im Ernst".

„Also ja. War der Traum jugendfrei?"

„Jan!!!"

„Frage ja nur." Er schickte einen lachenden Emoji hinterher.

„Träumst du von mir?", wollte nun Bea wissen.

„Jede Nacht."

„Das glaube ich dir nicht."

„Ist aber so." Jannik lächelte, denn es war ein klein wenig geflunkert.

„Was träumst du denn?"

„Das erzähle ich dir lieber, wenn du bei mir bist..."

„Du machst mich neugierig – muss aber jetzt wirklich schlafen. Sonst finde ich den Weg nicht mehr ins Bett und erfriere auf dem Balkon."

„Das will ich natürlich nicht riskieren! Schlaf schön!!!"

„Du auch. Gute Nacht"

„Gute Nacht."

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