Kapitel 15
Der Eingangsbereich, in den Jannik nach dem Summen des Türöffners und der aufgleitenden Tür eingelassen worden war, war hell und freundlich. Durch ein hohes Panoramafenster fiel viel Licht in den Sitzbereich, der mit zwei Ledersesseln und einem Glastisch ausgestattet war, und eine nicht mehr ganz junge Frau mit grauen Strähnen im blonden, modisch gestylten Haar fragte nach seinem Anliegen. Ihr abschätzender, aber nicht unfreundlicher Blick machte deutlich, dass er nicht in die hier übliche Kategorie von Kunden passte, zu denen üblicherweise Anzugträger aus der Versicherungsbranche gehörten.
Jannik hingegen trug wie üblich Jeans und T-shirt und sein großer Rucksack, den er aus Nachhaltigkeitsgründen noch nicht ersetzt hatte, hatte längst bessere Tage gesehen. Seinem charmanten Lächeln, als er nach Frau Lichtenfeld fragte, konnte die Dame am Empfang jedoch nicht widerstehen, deutlich von ihm angetan erwiderte sie es und fragte nach seinem Namen, der ihr zum Glück nichts zu sagen schien. Sie wies lediglich auf die Sitzecke und bat ihn, einen Moment zu warten, da Frau Lichtenfeld gerade telefoniere.
„Olaf, sagst du bitte mal Bea Bescheid, dass ein Herr Kerner auf sie wartet?", forderte sie einen vorbeigehenden Kollegen auf und verschwand dann wieder hinter ihrem Bildschirm, nicht ohne Jannik noch einmal zugelächelt zu haben.
Er verkürzte sich die Zeit des Wartens mit dem Checken seiner Nachrichten und sah erst auf, als er Beas Stimme hörte, bar jeder Verwunderung über sein ungeplantes Auftauchen, auf das sie sich bereits ein paar Minuten hatte einstellen können. Ein leichtes Schmunzeln in ihrer Stimme war jedoch nicht zu überhören:
„Hallo Herr Kerner, wie schön, Sie zu sehen."
Ihre Augen strahlten und machten deutlich, dass sie sich über seinen unerwarteten Besuch freute, doch da sie ihm zu der betont sachlichen Anrede lediglich höflich die Hand reichte, begriff Jannik, dass sie jetzt offenbar nicht den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt, ihn als ihren Freund zu begrüßen.
"Kommen Sie doch mit in mein Büro", forderte Bea ihn anschließend auf und er folgte ihr den Flur entlang, an dessen Seite eine weitere Glasfront ein großes Büro abteilte, bis sein Blick schließlich angetan an ihrer eng sitzenden Jeans hängenblieb, die ihren süßen Arsch betonte. Schließlich öffnete Bea die Tür zu einem der nicht-gläsernen Büroräume und hieß ihn eintreten. „Das ist ja eine Überraschung!", lachte sie, nachdem sie die Bürotür geschlossen hatte und erlaubte in der Abgeschiedenheit ihres Büros sich und ihm nun einen Begrüßungskuss.
„Schickes Büro", kommentierte Jannik dann, nachdem er das Zimmer kurz überflogen hatte, und, während seine Augen dann auf ihrer Gestalt verweilten:
"Schicke Juristin."
Sein Blick verlor sich in ihrem Ausschnitt und seine Finger zupften die Rückseite ihrer Bluse aus dem Hosenbund und fuhren zart über ihre Haut. Bea schloss die Augen und seufzte leise, legte ihrerseits ihre Hände auf seinen Hintern und zog ihn damit eng an sich, während sich ihre Lippen zu einem weiteren Kuss trafen. Jannik hätte sie hier und jetzt auf dem Schreibtisch vernaschen können, aber noch bevor er ihr verbal das vorschlagen konnte, was der Kuss bereits vermittelt hatte, ließ Bea ihn los und schalt lächelnd:
"Untersteh dich...! Hier kann jederzeit jemand reinkommen."
„Na und?!", grinste Jannik, nicht im Geringsten abgeschreckt, aber Bea schüttelte nur lachend den Kopf.
„Auch ich habe einen Ruf zu pflegen. Versuch es um Mitternacht noch mal."
„So lange arbeitest du nicht!", widersprach er voller Überzeugung, denn solche langen Überstunden nahm er ihr nicht ab.
„Irgendwann ist immer das erste Mal." Und jetzt blitzte deutlich der Schalk aus ihren Augen. Sanft schob sie seine Hände fort. „Nun erzähl mal, was verschafft mir die Ehre deines Besuches?"
Sehnsucht? Er begnügte sich mit einer sachlicheren Antwort, die von einem fröhlichen Lächeln begleitet wurde:
"Ich möchte dich zu einem Picknick abholen. Auf dem Wasser."
„Hm...", sie warf einen Blick zum Computer hinüber: "Ich fürchte, du ziehst jetzt den Kürzeren. Gegen so ein Angebot kommt ja eine Maschine nicht an." Dann strahlte sie Jannik an und befand: "Tolle Idee! Gib mir zehn Minuten."
Sie speicherte ihren Text, fuhr den Computer runter und ging sich frisch machen, während Jannik auf dem Besucherstuhl Platz nahm und seinen Blick nun etwas langsamer durch den Raum streifen ließ. Das Büro war nicht groß, aber verbreitete durch die modernen Möbel, zwei gut gepflegte Pflanzen und geschmackvolle Landschaftsfotografien Stil und eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Neugierig trat er auf das Bücherregal zu und studierte die Titel der dort befindlichen Bücher, bis Bea zurückkam.
„So, wir können starten", verkündete sie frohgemut. Während sie beim Verlassen des Büros ihren Kollegen gegenüber noch den Anschein von geschäftlicher Bekanntschaft zu vermittelten vermochte, griff Bea jedoch nach seiner Hand, sobald sie ins Freie getreten waren, und fragte unternehmungslustig: "Wohin jetzt?"
Ihr Blick streifte über die Parkplätze am Rand der Straße. Jannik sah es und musste schmunzeln, als er erklärte:
"Ich habe kein Auto."
„Du hast...", sie sah ihn überrascht an, „...kein Auto? Aber ich dachte..."
Sie biss sich auf die Lippen und behielt den Rest des Satzes für sich, aber Jannik konnte sich denken, was sie hatte sagen wollen und vervollständigte daher:
„...meine Eltern hätten mir einen Wagen gekauft?"
Bea nickte und fuhr sich verlegen durch die Haare. Jannik schob sie sanft in Richtung Fahrrad und gab zu:
"Hätten sie. Aber ich wollte nicht."
„Du kannst ein Auto kriegen und willst nicht?" Bea starrte ihn ungläubig an.
Jannik war klar, wie blöd das für andere klang, die lange sparten, um sich ein Auto leisten zu können, während er so ein Geschenk einfach ablehnte, und versuchte daher, ihr seine Beweggründe zu erklären.
"Ich lebe in Hamburg, mit haufenweise U- und S-Bahnen. Und ein Rad habe ich auch. Wozu braucht man da ein Auto, das nur herumsteht?"
„Hm...", machte Bea nachdenklich, zupfte sich ein Insekt aus dem Haar, das sich versehentlich dort niedergelassen hatte, und erwiderte schließlich scherzend: „Und ich dachte, du hättest mit einer coolen Karre diese ganzen Frauen beeindruckt".
Jannik lachte fröhlich: „Dafür brauche ich kein Auto. Dafür reicht mein charmantes Wesen."
„Ja, da ist irgendwie etwas dran", gab ihm Bea mit einem Zwinkern recht und wollte mit einem kurzen Blick auf ihre Pumps dann wissen: "Und wie bist du bisher ohne Auto und bei weiten Wegen das Problem hochhackige Schuhe bei deinen Freundinnen angegangen?"
„Hm...", machte Jannik nachdenklich und folgte ihrem Blick, „Meine bisherigen Beziehungen waren ehrlich gesagt nicht lang genug, um mich mit diesem Problem auseinander setzen zu müssen." Bei one-night-stands spielt das nicht so eine Rolle...
Unkonkrete Bilder von ausgelassenen Taxifahrten mit irgendwelchen Barschönheiten kamen ihm in den Sinn.
„Da sind wir ja schon drüber hinaus", kommentierte Bea leichthin, doch der Blick, den sie ihm zuwarf, war schwer zu deuten.
„Definitiv!", bestätigte Jannik und drückte ihre Hand, um anschließend mit plötzlicher Entschlossenheit zu verkünden: "Deshalb biete ich dir jetzt auch eine Lösung! Ich fürchte, da musst du dich jetzt mal ganz Arwen-mäßig beschützen lassen und auf ein Pferd sprich Fahrrad steigen!" Mit diesen Worten blieb er stehen und schloss sein Rad auf.
„Oder ich gehe barfuß", widersprach Bea, doch er sah ihr an, dass sie diesen Vorschlag mehr aus Oppositionsgründen denn aus wirklicher Absicht gemacht hatte.
„Warst du immer schon so ein Trotzkopf oder liegt das an mir?", scherzte Jannik und trat so nahe auf sie zu, dass sie zu ihm hoch schauen musste. Doch noch während er mit einer Haarsträhne spielte und auf ihre Antwort wartete, näherte sich mit zügigen Schritten ein Anzugträger, der im Vorbeigehen mit „Schönen Feierabend, Bea!" grüßte.
Angesichts des neugierigen Blickes, der auf sie fiel, trat Bea hastig einen Schritt zurück und winkte verlegen: "Tschüs, Boris."
„Bin ich dir etwa unangenehm?", spottete Jannik gutmütig, was so vehement von Bea verneint wurde, dass der Eindruck entstand, dass seine Einschätzung nicht gänzlich daneben getroffen hatte.
Bea bemerkte es und konkretisierte rasch: "Es ist nur, weil ich im Büro noch niemandem von dir erzählt habe", was ihm plausibel genug schien, nicht weiter nachzufragen, sondern nun einladend auf den Sattel zu verweisen: „Voila, meine Dame!"
Lachend stieg Bea auf und ließ sich dann in Richtung Stadtpark schieben.
Aus der Ferne waren die tiefen Bässe einer Band zu hören, einer der Gruppen, die heute ein Open-Air-Konzert gaben, aber Jannik hatte versäumt nachzuschauen, um wen es sich handelte. Das wäre auf jeden Fall eine Idee für das nächste Mal, ging es ihm durch den Kopf, aber bevor er Gelegenheit hatte, nach Beas Musikgeschmack zu fragen, überraschte sie ihn mit einer Frage:
"Da ich ganz offensichtlich nicht zu den One-night-stands gehöre, was unterscheidet mich?"
Für einen Augenblick musste er an Murat denken, der ihm mal berichtet hatte, dass Bianca ihn gerne mal aus heiterem Himmel mit irgendwelchen Fragen überfiel. Wenn er es recht bedachte, war sie auch früher schon so gewesen, als sie bei ihm zu Hause ein und aus gegangen war. Immer wieder war sie mit Fragen nach dem Warum herausgeplatzt; Sachen zu hinterfragen war anscheinend allen Frauen eigen. In dem Versuch, sich ein wenig Bedenkzeit zu verschaffen, um nicht wie ein Vollidiot ein keine Ahnung von sich geben zu müssen, gab er heiter zurück:
"Fishing for compliments?"
„Yipp", bestätigte Bea und harrte neugierig seiner Antwort.
Ein Radfahrer kam ihnen laut klingelnd entgegen und automatisch machten sie ihm Platz und setzten ihren Weg weiter am Rand fort.
Jannik sah in ihr erwartungsvolles Gesicht, in dem die Lippen zu einem zarten Lächeln geschwungen waren. Auf ihren Nasenflügeln tummelten sich ein paar Sommersprossen und ihre Augen leuchteten, als gäbe es im Moment nichts Wichtigeres auf der Welt, als an seiner Seite zu sein. Im Nu verschwand daher die Versuchung, ihr ein paar erprobte Komplimente zu machen, und machte einer Ehrlichkeit Platz, die, da für ihn selbst neu, sich nur tastend voranwagte:
"Du bist irgendwie anders als die anderen..."
Er blieb stehen, um seine Gedanken zu sortieren, registrierte nur vage das Vogelgezwitscher und das Rauschen der Bäume im Hintergrund, und ohne den Blick von ihr zu wenden, fuhr er dann zögernd mit dem fort, was ihm just in den Sinn kam:
"Ich glaube, du bist die Erste, die bei mir mehr als nur Charme und good looks sieht."
Bea hörte zu, ohne zu unterbrechen, nickte jedoch zustimmend, was Jannik ermutigte, trotz der Verlegenheit, die er spürte, denn er befand sich hier auf völlig unbekanntem Terrain, fortzufahren:
"Ich habe bei dir einfach das Gefühl, dass wir total gut zusammen passen."
„Geht mir genauso", bestätigte Bea leise und dann beugte sie sich zu ihm hinüber und drückte ihm einen zarten Kuss auf die Lippen, und Jannik empfand ein unermessliches und bisher nicht gekanntes Glück in dem Wissen, dass Bea das Gleiche empfand wie er.
-----------------
„Wie war das mit deiner Ehe?", war es nun die Reihe an ihn, einige Minuten später zu fragen.
Bea zuckte mit den Schultern, ohne die Hände von der Lenkstange zu nehmen und verkündete knapp:
"Es war eine Studentenehe, mehr aus einer Laune heraus... ich glaube nicht, dass wir beide reif genug dafür gewesen waren, so eine für das Leben bedeutsame Entscheidung zu treffen."
Ihr Blick verlor sich nachdenklich im Geäst der Bäume über ihr. Aus der Ferne drang Kinderlärm vom Spielplatz an Janniks Ohren und der Duft von Gegrillten von der nahen Festwiese waberte vorbei. Sie ließen den großen Natursee links liegen und folgten dem Weg, der sich schnurgerade durch den Park zog und an dessen Seiten sich Rasenflächen befanden, die ein El Dorado für Picknicker und Sportenthusiasten waren. Jannik beobachtete im Vorübergehen mehrere Fußballer, die ausgelassen einem Ball hinterher jagten sowie eine Gruppe von Kindern, die Wikingerschach spielten, während er geduldig darauf wartete, dass Bea fortfuhr.
„Du kennst doch das Sprichwort Gegensätze ziehen sich an?"
Bea suchte seinen Blick und Jannik nickte, daher fuhr sie fort:
"So war das bei mir und Thorsten... wir waren in vielen Dingen sehr verschieden."
Dann richtete sich ihr Blick konzentriert auf den Weg vor ihnen und er erkannte das Bemühen, einen Schmerz zu kaschieren, den sie offenbar noch spürte, als sie mit Bitterkeit in der Stimme berichtete:
"Auch in Bezug auf Treue. Ich war es und er... halt nicht..."
Idiot, fuhr es Jannik durch den Kopf, bevor er impulsiv herausplatzte: "Dann hatte er dich auch nicht verdient!"
Ein verstohlenes Lächeln erschien auf Beas Gesicht, das ihre Anspannung sichtbar minderte, und mit einem Versuch, die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben, verkündete sie mit demonstrativer Leichtigkeit: "Egal, ist ja Schnee von gestern."
Der Satz trug einen abschließenden Ton in sich, der auch Jannik nicht verborgen blieb, und er nahm daher davon Abstand, mehr aus diesem Teil ihres Lebens zu hören, überzeugt davon, dass sie zu gegebener Zeit weiteres erzählen würde, wenn ihr danach war.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top