05. Engagement
Wir waren nur 10 Studierende in diesem Kurs. Ich war froh darum, da es ein fortgeschrittener Kurs war und es sehr interessant war, sich mit den anderen über das Klavier auszutauschen. Viele belegten zunächst den Anfänger-Kurs, der oft überfüllt war, um danach zu entscheiden, dass Klavier doch nicht unbedingt ihr Ding sei. Wie sie sich damit jemals in der Musikwelt behaupten wollten, das fragte wohl nicht nur ich mich. Der Anfänger-Kurs war aber nach Angaben von Kommilitonen auch sterbenslangweilig, ganz im Gegensatz zum fortgeschrittenen Kurs. Kein Wunder also, dass so viele Studierende dieses Fach abbrachen. Am Anfang wurden oft nur einfache, langweilige homophone Stücke durchgenommen. Bachchoräle waren das höchste der Gefühle. Doch in unserem Kurs schrieben wir Klavierstimmen zu verschiedensten Liedern, improvisierten, und lernten generell mehr über das Klavier und die Methodik. Ich liebte meine Musikstudium einfach.
Madame Carbonne, die Dozentin für den Fachbereich Klavier, saß bereits in dem Saal vor den Elfenbeintasten und spielte ihre eigene Melodie. Das tat sie eigentlich immer, wenn wir kamen, unter anderem damit wir begriffen, dass das Improvisieren einfach war, und es tausende verschiedene Melodien gab, die noch erfunden werden mussten. Die kleine, etwas rundlichere Frau hörte auf zu spielen, als alle zehn Studierende den Raum betreten hatten, und ergriff das Wort.
"So meine Lieben, da ihr nun excellent beherrscht, wie die Tasten des pianos zu spielen sind, werden wir hier in die praktischen Details gehen. Die Vertiefung wird im Einzelunterricht stattfinden, hier geht es ja nur um die fondamentaux, die Grundlagen. Ich möchte euch allerdings bitten, das piano nicht ruhen zu lassen sondern immer fein weiterzuspielen, d'accord? So, und nun darf sich einmal jeder an die Tasten setzen, möchtest du beginnen, Lara?" Lara war immer die Erste, die sich freiwillig meldete, egal worum es ging. Sie hörte oft nicht einmal zu und meldete sich dann, wenn nach Freiwilligen gefragt wurde. Allerdings hatte jeder wohl seine Macken, also konnte man es ihr nicht übelnehmen. Ich zumindest war froh, dass sie sich so oft freiwillig meldete.
Lara setzte sich an den Flügel, an dem eben noch Madame Carbonne gesessen hatte, welche sich nun in die erste Reihe verfrachtet hatte. Dann begann sie, den neuesten Song aus dem Radio zu improvisieren. Das Mädchen liebte alle Musik die gerade in war, und spielte diese dann immer problemlos nach. Nur das Noten aufschreiben war nicht ihre Stärke, dafür konnte sie umso besser frei Hand spielen. Ihre Finger glitten sanft über die Tasten, als sie dem Instrument einige lautere Töne entlockte.
Wenn Lara spielte, wurde unsere kleine Klaviergemeinschaft immer kurzfristig zu einem Chor umfunktioniert, der ausschließlich die modernsten Lieder sang. Auch diesmal schmetterten wir Lara die Töne entgegen, und auch wenn wir eigentlich auf das Klavier spezialisiert waren, singen konnten die meisten trotzdem. Eine Gesangsausbildung, selbst wenn sie nur kurz war, bekam eigentlich jeder Musikstudent an unserem College spätestens im zweiten Semester aufgedrückt. Ich machte das Ganze sogar freiwillig, indem ich Solo-Gesangsunterricht bei der jungen Dozentin Siva Dollars nahm. Sie war wirklich gut, aber gab eigentlich keinen Gesang, sondern Streicher-Seminare. Diese waren auch meist voll besetzt. Siva kannte ich privat, sie kam aus Amerika und war ein Jahr in Dublin gewesen, um dort an der Royal Irish Academy of Music zu studieren. Wir hatten sie in unserer Eigentumswohnung in Dublin leben lassen und ich hatte mich mit ihr angefreundet. Als ich erfuhr, dass sie an meiner zukünftigen Uni Vorlesungen gab, hatte ich sofort mit ihr Kontakt aufgenommen und sie um Gesangsunterricht gebeten, da ich noch von der Zeit in Dublin wusste, wie toll sie sang und wie gut sie das vermitteln konnte. Außerdem war der Unterricht in der Gruppe zwar auch ganz wichtig, aber wenn man als Solo-Künstler etwas werden wollte, brachte das Gruppengesinge auch nichts. Trotzdem war ich auch immer mal wieder froh in einer Gruppe singen zu können und in Klavier machte das immer riesigen Spaß.
Nachdem Lara ihr Stück beendet hatte, begannen wir zu klatschen und Finja (das Mädchen mit den Berührungsängsten) stand auf, um irgendein superaltes Stück heraus zu kramen. Ihre Stücke waren mit Abstand die ältesten und alle fragten sich immer wieder, woher sie die Noten oder einfach die Melodien dieser Stücke bekam. Es mutete fast schon nach gregorianischen Gesängen an, abgesehen davon, dass die Melodien harmonisiert waren. In jedem Fall klangen sie meist ruhig und eben wie alte Stücke, die deutlich vor der Barockzeit entstanden waren.
Heute war sie scheinbar mal wieder auf der traurigen Schiene unterwegs und hatte ein dementsprechendes Stück herausgesucht. Höchstwahrscheinlich hatte eines ihrer Dates sie wieder berührt, wenn auch nur an der Hand, und sie war weggelaufen. So lief das immer mit Finja. Dates hatte sie trotz allem genug, doch sie konnte sich dann einfach nicht überwinden und rannte weiter vor ihren Problemen weg. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Während die traurige Melodie unsere Ohren benebelte, dachte ich plötzlich an Niall und musste lächeln, bei der Erinnerung, wie ich das erste Mal bei Titanic gelacht hatte. Er war schon ein komischer Kauz ... Genau wie ich.
Finja beendete ihr Stück, erhob sich leise vom Klavierhocker und setzte sich auf ihren Platz zurück. Man sah schon die Tränen in ihren Augen, die immer kamen, wenn sie traurige Musik hörte oder spielte. Trotz allem hatte sie einfach ein Faible für diese Art der Musik. Je trauriger, desto besser. Ich wurde aufgefordert, mich auf den Klavierhocker zu begeben und ich erhob mich, selber bereits gespannt was ich spielen würde. Meistens ließ ich meine Finger entscheiden zu welchem Stück sie gerade Lust hatten, vor allem weil ich mich auf diese Stunden nicht extra vorbereitete. Dafür fehlte mir einfach die Zeit, und so ging es ja eigentlich auch.
Aus einem mir nicht erkennbaren Grund stimmten meine Finger schließlich "I'm walking on sunshine" an. Es gab meiner Meinung nach eigentlich keinen Grund, besonders fröhlich zu sein, aber wenn meine Hände das entschieden, wie sollte ich mich da wehren? Fröhlich sangen die anderen den Gute-Laune Allrounder mit.
"I'm walking on sunshine, whoao!"
Die anderen Stücke flogen dann nur so an mir vorbei und Madame Carbonne erhob sich wieder.
"Sehr schön, mes petites!", lobte sie uns und klatschte in die Hände. "Da ihr ja besser werden wollt, aber schon flüssig nach Noten spielen könnt, möchte ich euch bitten, bis zum Anfang des vierten Semesters ein Stück zu improvisieren, von dem es in gar keinem Fall Noten geben darf. Viel Spaß also beim Komponieren!", gab sie uns noch mit auf den Weg, bevor wir den Saal verließen und uns in die Cafeteria setzten. Madame Carbonne hatte schon ein ganz eindeutiges Faible für Improvisation, das fiel mir immer wieder auf. Ich holte meinen Laptop heraus und ging auf Twitter, was ich sonst in der Uni eher selten tat. Jedoch hatte ich gerade einfach nichts zu tun, sodass ich mich einloggte und auf neue Tweets sah. Greg hatte mal wieder etwas getwittert, was ich mir sofort durchlas.
@Greghoran87: love u all, life's so great, can't believe i'm just happy
Wollte ich wissen, was passiert war? Ja, wollte ich! Schnell verfasste ich eine private Nachricht.
What's up? Let me guess... it's a girl?! Denise? Well, whatever it is, congrats!! Sa xx
Während ich auf seine Antwort wartete, verfasste ich schnell meinen eigenen Tweet.
@SaraTraysen: has anybody seen this guy who laughed at "titanic"? i'm just searching for him^^
Nachdem ich den Tweet gepostet hatte, sah ich bei meinen Nachrichten eine neue von Greg aufblinken.
Hi honey, you're right, it's actually my girl now! As in she's just wearing my ring... you know? Do you want to come to our wedding? I'll send you the date once I know the details :) but who's that boy who laughed at "titanic"? And why'd u be searching for him? I'm kinda shocked, even though I don't even know him^^ xx Greg
Innerlich lachend schrieb ich schnell zurück. Kaum zu glauben, dass Greg jetzt verlobt war. Erst Perrie und jetzt er, die Leute in meinem Umfeld schienen es eilig zu haben. Während ich nicht einmal eine einfache Beziehung auf die Reihe bekam.
so, once more congrats are in order! So great, I'd really want to be at your wedding, keep me posted^^ thx! I don't actually know who he is, but first we both cried, then we laughed and afterwards we cried again. Kinda weird, but funny nonetheless! He's really cool, but I don't know who he is, so... doesn't really matter. Sa xx
you're welcome. It sounds funny alright... What I don't get is why you'd watch a movie with a guy you don't know? Sounds extremely strange to me, but that's probably today's young people... xx Greg
it IS really strange! He is a stranger! But still it was funny, so no problems there^^ oh... and don't you dare ask about if there was more, because it's NOTHING, you know?! Sa xx
alrighty, understood. So, then we're all happy. About that, I still need to call my brother (who is still single I might mention), of course he has to come to the wedding too. What about the two of you? Although, sorry, I forgot you don't like that relationship stuff. xx Greg
thx for this :) I'll NEVER date your brother; I can assure you... So, you're not even allowed to think about it. Yeah, I don't like relationship anything. Bye and tell him a big kiss of the girl who doesn't know him. Sa xx
noted. But if I win this bet, then you'll have to write a song for him. If I lose, you can tell my fiancée the music story, I'm sure you know what I mean^^ I'll tell him... Bye xx Greg
the bet begins! Sa xx war das Einzige, was ich noch zurückschrieb, um dann wieder in die Studentenwelt in der Cafeteria zu kommen. Ich klappte meinen Laptop zu, verstaute ihn in der Tasche und holte mir etwas zu Essen, um dieses genüsslich zu verschlingen. Ich war so in mein Essen vertieft, dass ich nicht bemerkte, wie Finja zu mir stieß.
"Hi." Ich zuckte zurück, merkte, dass es nur Finja war, und wandte mich wieder meinem Essen zu.
"Hey", brachte ich zwischen zwei Bissen hervor.
"Ich war gestern mit so einem Typen aus...", fing sie auch schon an und offenbarte damit den Grund, weshalb sie zu mir gekommen war. Probleme mit ihren Berührungsängsten...
"Er war total toll, hat mich nicht einmal berührt und alles, aber dann beim Verabschieden hat er meine Hand genommen, ich war total überrascht, konnte nicht denken, habe gehofft ich könne das aushalten, was dann letztendlich auch geklappt hat, das Problem war nur, er wollte mich umarmen!", sie redete ohne Punkt und Komma und ich versuchte, ihren Erzählungen zu folgen. "Ich bin zurückgewichen und dabei ziemlich heftig gegen eine Hauswand geprallt, er wollte sich um mich kümmern, aber als er meinen Hinterkopf berührt hat sind alle Sicherungen durchgebrannt und ich hab' ihm eine geklatscht und bin weggerannt. Was mach ich denn jetzt, ich mochte ihn echt gern!" Sie sah vollkommen verzweifelt aus.
"Erstmal bleibst du ruhig. Dann schaust du in deinem Handy, ob du seine Nummer hast", gab ich ruhig Anweisungen, wie ich es gewohnt war.
"Okay." Sie atmete einmal tief durch und holte dann ihr Handy heraus, um die Nummer zu suchen.
"Da!" Sie hüpfte auf ihrem Platz auf und ab und zeigte mir freudestrahlend die Nummer.
"Gut. Jetzt rufst du ihn an, entschuldigst dich und fragst, ob ihr euch noch einmal treffen könnt, ohne irgendwelche Berührungen, damit du ihm dann erklären kannst, was los war. In Ordnung?" Ich kam mir echt vor wie in einer Beziehungsberatung, aber im Prinzip war ich ja praktisch schon so eine Tante, die nichts Eigenes zu Stande bekommt, aber allen immer super helfen kann.
"Okay." Sie tippte auf die Nummer und hielt sich das Telefon ans Ohr.
"Hey Ben, hier ist Finja von gestern Abend - Ja, mir geht's gut - ich wollte mich eigentlich entschuldigen, ja, ich hätte es dir vielleicht vorher erklären sollen, aber ich hab' da immer so eine Hemmschwelle... - genau! - Hör mal, können wir uns vielleicht nochmal treffen? - ja, dann kann ich dir das erklären, am Telefon geht das immer so schlecht... - das war's eigentlich... Ach so, nein, bitte keinerlei Berührungen, okay? - ich erklär's dir. - ja okay, ich freu mich, tschüss!" Sie legte auf und strahlte mich an.
"Danke Sa, ich bin dir was schuldig!" Ich grinste.
"Ich werde darauf zurückkommen." Beschwingt erhob Finja sich und ging aus der Cafeteria.
Inzwischen hatte auch ich aufgegessen und nahm meine Tasche, um mich mit Catrina und Kayla zu treffen. Wir drei arbeiteten zurzeit an einem Projekt für das Tonstudio und trafen uns öfter mal in der Uni, um dort weiterzukommen. Die beiden warteten bereits in einem Konferenzraum auf mich und hatten ihre Sachen ausgebreitet. Ich setzte mich schnell dazu und öffnete meinen Laptop.
"Willst du die Leute begrüßen?", erkundigte Catrina sich, anstatt Hallo zu sagen, bei mir.
"Meinetwegen." Ich öffnete das Dokument, in dem wir bereits einige Ideen gesammelt hatten.
"Okay, dann erklärt Cat die regelmäßigen Besucher des Studios und ich mache den Rest?", schlug Kayla vor und machte sich bereits einige Notizen.
"In Ordnung." Catrina und ich nickten einstimmig und wandten uns dann dem uns zugewiesenen Teil zu. Bisher hatten wir alle zusammen allgemeine Informationen gesammelt, mit denen wir nun unsere einzelnen Teile ausarbeiten konnten.
Herzlich Willkommen im neuen Tonstudio der Sony Music Company!, tippte ich und las mir dann noch einmal die gesammelten Infos durch. Wir sollten bei der Eröffnung eines neuen Tonstudios helfen, die Vorträge halten und die Uni repräsentieren.
Nach einer kleinen Führung..., meine Finger unterbrachen sich und ich sah noch einmal nach.
...können Sie das Studio eigenhändig erkunden oder beim Buffet vorbeischauen...
Hallo ihr Lieben!
Wie geht es euch?
Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen, falls es Kritikpunkte gibt immer her damit ;) Jetzt wisst ihr ja schon ein bisschen mehr über Sara, und in diesem Kapitel wird auch ihr freundschaftliches Verhältnis zu Greg ein bisschen klarer. Wie findet ihr Sara denn bisher so?
Das nächste Kapitel kommt dann (hoffentlich) wieder nächsten Dienstag, also bis dahin!
Liebe Grüße
Catrifa xx
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