02. Ordinary

Der Rest des Konzertes floss an mir vorbei. Dieser Niall schien mich noch einige Male kurz anzusehen, aber sein Blick schweifte immer wieder ab, wenn ich ihn ebenfalls ansah. Nach wahrscheinlich über zehn nervigen Zugaben war das Konzert endlich vorbei, die Jungs hüpften von der Bühne und alle strömten aus der Halle. Jess, ich, das Mädchen neben mir und noch vereinzelte andere vorne blieben sitzen und standen erst auf, als die Halle vollkommen leer war. Gemeinsam begaben wir alle uns in den Backstage Bereich, und während alle irgendwie verschwanden, mussten wir noch auf jemanden warten, der uns hier aus diesem Labyrinth lotste. Außer uns beiden wartete allerdings noch die Brünette.

Jess, die ein unglaubliches Talent dafür hatte, Leute anzuquatschen, verwickelte die junge Frau direkt in ein Gespräch. Bei ihrem Thema hatte ich jedoch kaum etwas beizutragen, denn es ging größtenteils um Make-Up und Styling.

Als endlich jemand von der Security kam, fiel das Mädchen dem Mann um den Hals und meinte fröhlich: "Hallo Paul!"

Woher kannte sie den?

"Hey El, warum bist du nicht schon zu den Jungs gegangen?", fragte er sie neugierig, nachdem er sie begrüßt hatte. Ihr Spitzname war wohl El, und mir war nun klar, dass sie die Jungs persönlich kannte.

"Ach, die brauchen auch mal ihre Ruhe, außerdem wollte ich niemanden hier vereinsamt stehen lassen, bis du auch mal auftauchst!" Sie rammte dem scheinbar Älteren in die Seite und lachte.

"Ich musste erst die Jungs sicher in den Aufenthaltsraum geleiten!", redete er sich heraus und ich nahm an, dass er ein Bodyguard war. "Da sind sie übrigens immer noch, also lass deinen Schatz nicht zu lange auf dich warten!"

"Du bist Eleanor!", platzte Jess plötzlich heraus, was sie scheinbar schon länger hatte sagen wollen.

"Ja, die bin ich!", meinte sie fröhlich und reichte Jess ihre Hand. Jess schüttelte diese voller Enthusiasmus und zeigte dann auf mich.

"Das ist Sa und ich bin Jess!", stellte sie uns mit Spitznamen vor.

"El", grinste El und reichte mir ebenfalls die Hand.

Nach der Vorstellungsrunde zückte Jess ihr Smartphone und reichte es dem Bodyguard namens Paul.

„Kannst du mal ein Foto von uns machen?", fragte sie wie selbstverständlich, und El schien kein Problem damit zu haben. Wir stellten uns also zu dritt vor die Kamera. Während Jess vermutlich vor Freude gar nicht aus dem Strahlen herauskam, konnte ich meine Mundwinkel nur mit Mühe nach oben ziehen. Inzwischen war ich doch recht müde.

Nachdem er das Handy wieder an Jess zurückgegeben hatte, klatschte Paul in die Hände.

"Wir gehen jetzt raus, El, mach was du willst aber vergiss nicht, dass Louis morgen noch ein Interview hat und da auch anständig angezogen erscheinen sollte!" El kicherte, wahrscheinlich dachte sie an etwas Witziges aus der Vergangenheit zurück.

"Wir können uns gerne mal treffen, falls ihr Lust habt! Ich fand es gerade sehr interessant, was du zur Konturierung erzählt hast", meinte sie dann zu Jess und reichte ihr eine kleine Karte mit einer Handynummer und einem Namen. „Und schick mir gern das Foto von uns!" Jess quietschte auf, nahm die Karte und verabschiedete sich von El mit einer Umarmung. Auch ich wurde gedrückt, murmelte ein: "Bye!" und El verschwand in einem der Gänge.

Paul führte uns nach draußen, wo immer noch eine riesige Menge an Fans standen, die wohl doch noch auf ihre Idole hofften, welche sich aber nicht blicken ließen.

Mit der U-Bahn fuhren wir zurück zu meiner Wohnung, und weil Jess keine Lust hatte, von mir aus noch nach Hause zu fahren, beschloss sie kurzerhand, bei mir zu übernachten. Nachdem wir uns abgeschminkt hatten, fielen wir total erschöpft ins Bett und schliefen schnell ein.

Piep, piep, piep, piep, piep, piep

Verdammter, beschissener Wecker! Ich haute irgendwo drauf und das Piepen erstarb. Seufzend stieg ich aus dem Bett und stolperte über etwas. Ein Schrei ertönte, ich verlor das Gleichgewicht und fiel rückwärts aufs Bett. Ich sah mir das Etwas an, über was ich gestolpert war, und erkannte Jess' glatte, blonde Haare vor ihrem verschlafenen Gesicht.

"Sorry!", kicherte ich. "Hab vergessen, wo du liegst!" Sie stöhnte nur und richtete sich langsam auf, während ich bereits ins Bad spazierte. Als sie merkte wo ich hinwollte, sprang sie plötzlich voller Energie auf und wollte vor mir ins Bad, jedoch war ich schneller und schloss die Tür schnell hinter mir. Ich duschte schnell, meine Haare band ich mir dabei hoch, damit sie nicht nass wurden. Mit einem Handtuch um den Körper verließ ich das Bad und sah Jess schon ungeduldig davor stehen.

"Verdammt, ich hab in 'ner halben Stunde 'ne Vorlesung!", fluchte sie, während sie sich ins Bad drängte. Ups... Ich zog mir schnell irgendein Shirt und eine Jeans an und setzte mich dann an den Küchentisch. Schnell schmierte ich Jess ein Brot und machte mir selbst dann Müsli, meine erste Vorlesung begann erst eine halbe Stunde nach Jessicas. Diese kam auch schon in die Küche gestürmt, bedankte sich mit einem Kuss auf die Wange für das Brot, schnappte sich ihre Tasche (die für die Uni, die Sporttasche ließ sie bei mir) und rannte mit einem: "Danke, wir sehen uns in der Kantine!" aus der Tür in den Hausflur. Ich aß mein Müsli auf und schnappte mir dann ebenfalls meine Tasche, sowie meinen Laptop, um die Wohnung zu verlassen und Richtung Uni zu laufen. Ich hatte knapp 10 Minuten Weg zu Fuß und wenn ich rannte schaffte ich das locker in 5 Minuten. Jedoch brauchte ich mich nicht zu beeilen, ganz gemütlich ging ich in Richtung der Uni und begrüßte auf dem Weg alle Leute, die ich kannte, und das waren viele. Ich war nun einmal jemand, der schnell Freundschaften schloss und mit allen Menschen zurechtkam, egal wie sie waren oder wer sie waren.

Ich stieß die Eingangstüren des Hauses auf, in dem der Vorlesungssaal war und fand mich in der Eingangshalle wieder, in der viele Studenten um das schwarze Brett standen und versuchten, ihre aktuellen Pläne zu entnehmen. Ich erkannte Mara, die mit ihrem Freund (der, den sie nicht liebte) eng umschlungen dort stand und hilflose Blicke in die Menge warf.

"Hey Mara!", erlöste ich sie und sie wandte sich aus den Armen des Typens und rannte zu mir, um mich zu umarmen.

"Danke, du hast mir das Leben gerettet!", flüsterte sie mir zu und wir begaben uns wieder zum schwarzen Brett. Sie entdeckte, dass sie nun eine andere Vorlesung als ihr Freund zu haben schien und rannte erleichtert in Richtung Saal 3.

Mal wieder musste ich den Kopf darüber schütteln, wie veraltet unsere Hochschule war. Das schwarze Brett war analog und online nicht einsehbar, und oft änderten sich Kurszeiten oder Orte kurzfristig. Das hatte schon zu dem ein oder anderen Ärgernis geführt.

Ich sah auf den Plan, die Komponisten-Vorlesung war in Saal 5 und war um eine Stunde verkürzt, aus welchem Grund auch immer. Mit einigen Kommilitoninnen aus meinem Semester machte ich mich auf den Weg, einige Treppen hoch, und stieß die Tür auf. Wir legten dem Professor unsere Hausarbeiten auf den Tisch und setzten uns in eine Reihe. Die Aufgabe in diesem Monat waren Hausarbeiten über unseren favorisierten Komponisten gewesen. Tatsächlich hatte ich über Mozart geschrieben, denn seine Stücke faszinierten mich gewissermaßen. 30 Seiten Text, davon 20 über die Kompositionen und 10 Seiten nahm der Lebenslauf ein.

Konnte man so viel über eine Person und ihre Kompositionen schreiben? Ich konnte es, denn wären 30 Seiten nicht das Limit gewesen, hätte ich noch mindestens dieselbe Anzahl an Seiten mit Informationen bedrucken können. Ich wusste wirklich alles über Mozart, es gab eben Dinge die man sich merken konnte, und Dinge die einfach nicht im Gedächtnis bleiben wollten, aber Mozart hatte schon immer zu ersterem gehört.

"Wie war gestern eigentlich das Konzert?", fragte Dina (Teil der drei Lästerschwestern) mich neugierig.

"Da musst du Jess fragen, nicht mich!", erklärte ich ihr. "Ich war nur dabei, um ihr eine Freude zu machen!"

"Sind die Jungs nicht heiß?", fragte Alexa mich Beifall heischend.

"Geht so!", murmelte ich. Ehrlich gesagt hatte ich da nicht wirklich drauf geachtet, und es war mir auch egal.

"Aber sie können doch toll singen!", mischte Lara sich nun ein, die dritte im Bunde.

"Sie treffen nicht mal alle Töne!", widersprach ich mit Bezug auf die Intonation und die drei brachen sofort in ein hitziges Gespräch aus, ob das die Jungs nun langweiliger oder interessanter machte. Ich hörte nicht zu und nahm meinen Laptop aus meiner Tasche, um bei der Vorlesung mitzuschreiben. Der Professor begann auch fast sofort zu reden, und ich schrieb eifrig mit. Für andere klang es vielleicht total uninteressant, die gesamte Zeit nur von bereits verstorbenen Komponisten zu hören, jedoch machten diese die beste Musik. Vor allem Bach war der absolute Meister der Komposition. Ab dem vierten Semester sollten wir dann auch selbst komponieren, worauf ich mich schon sehr freue. Zurzeit war ich am Ende des dritten Semesters und wünschte mir schon sehnlichst das vierte herbei. Nach drei Semestern voll von alten Musikern wollte ich auch endlich etwas anderes in diesem Kurs tun. Das hieß in diesem Fall praktische Arbeit. Ich hatte schon von einigen Absolventen gehört, im vierten Semester würden praktische Arbeiten an der Tagesordnung stehen und vor allem in Komponisten würde man viel machen müssen.

"Das eben gehörte Hörbeispiel war aus dem zweiten Satz der Eroica, der dritten Symphonie Beethovens, das ist ja trivial. Die Heldendarstellung in der Musik ist ganz offensichtlich, das haben Sie sicher gemerkt. Diesen Bezug haben auch andere Werke Beethovens, weshalb es Aufgabe für die nächste Woche ist, ein dazu passendes Stück Musik Beethovens herauszusuchen und den Zusammenhang darzustellen." Er beendete die Vorlesung wie auf dem schwarzen Brett angekündigt frühzeitig und der Saal leerte sich recht schnell.

Ich hatte jetzt noch eine Stunde bis zur Mittagspause, in der ich nichts zu tun hatte und beschloss, die Aufgabe schon einmal anzufangen.

Zusammen mit meinem Laptop und meinen Kopfhörern setzte ich mich an meinen Lieblingsplatz in der Uni, einen kleinen Kellerraum, wo immer angenehme Temperaturen herrschten und den anscheinend kaum jemand kannte. Jedenfalls hatte ich dort meist meine Ruhe. Ich öffnete zunächst Google und suchte nach einer guten Aufnahme der dritten Symphonie. Dabei war es nicht nur wichtig, auf das Orchester zu achten, das die Interpretation vertonte, sondern vor allem auf den Dirigenten. Dieser fuchtelte nämlich nicht nur mit seinem Stab vor den Musikern herum, sondern gestaltete die Musik ganz nach seinen Wünschen.

Für die Aufgabe war es eine Voraussetzung, dass ich mir aufmerksam die gesamte dritte Symphonie anhörte, denn ich hatte diese schon viel zu lange nicht mehr gehört und war mir nicht sicher, wie genau die Darstellung von Helden vertont wurde. Dabei las ich in der Partitur mit, und machte mir zwischendurch immer wieder Notizen zum Thema der Heldendarstellung. Allein das dauerte bereits die ganze Stunde, und als ich damit fertig war, musste ich seufzen. Da würde ich noch deutlich mehr Arbeit reinstecken müssen. Vor allem das Suchen nach Merkmalen in verschiedenster Musik war ein endloses Unterfangen, gerade, wenn man in Beethovens unendlichem Oeuvre danach suchte. Er hatte so viele Werke komponiert, dass man damit schon einige Wochen zubringen könnte.

Es läutete zur Mittagspause, ich packte meine Sachen zusammen, machte mich auf den Weg in die Kantine, holte mein Essen und setzte mich dann zu Jess, die erwartungsvoll auf den Platz neben sich klopfte.

"Hast du es noch geschafft?", fragte ich und ließ mich und mein Tablett neben sie fallen.

"Ja, Professor Hudgins ist zu spät gekommen", grinste sie. "Wir müssen uns übrigens unbedingt über gestern Abend unterhalten!", meinte sie dann mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen. Oh nein, das kannte ich. Wenn sie so aussah, wollte sie mich entweder verkuppeln, oder mir erzählen, dass jemand ziemlich verliebt in mich war. Nur was hatte das mit gestern Abend zu tun?

"Niall James Horan hat dich angesehen!", quietschte sie, zum Glück in einer Lautstärke, in der nur ich es verstehen konnte. Ich war mir inzwischen sicher, dass das gar nicht sein konnte. Schließlich sah man von der Bühne aus überhaupt keine Details aus dem Zuschauerraum, das wusste ich als Musikstudentin sehr gut. Aber trotzdem half das Abstreiten nicht, denn ich hatte schon zu viel Erfahrung mit Jess und ihren Beziehungs-Ideen für mich, nach denen ich immer wieder froh war, Single zu sein und zu bleiben.

"Was ist daran jetzt so schlimm?", fragte ich deshalb bloß.

"Er hat nur dich angesehen, und keine andere! Ich werde in jedem Fall El anrufen, damit sie was zwischen euch organisieren kann. Ich wette, er ist nicht abgeneigt von dir!" Jess machte schon ernsthafte Pläne für mein nächstes Date. Ich wollte wirklich keine Beziehung und war glücklich, wie es war! Doch dieses dickköpfige Mädchen bekam das einfach nicht in ihren Schädel. Deshalb zuckte ich nur mit den Schultern. Das würde sicher sowieso nicht klappen.

Während ich versuchte, meine Bandnudeln angemessen zu verspeisen, erklärte sie mir noch zehntausend weitere Methoden, wie sie uns zusammenbringen könnte.

Ich hätte mich wahrscheinlich wirklich darüber gefreut, wenn ich in ihn verliebt gewesen wäre. Doch das war ich nicht, also hoffte ich nur, sie schnell von dieser Idee abzubringen. Sie sollte lieber sich selbst mit diesem Harry-Typen zusammenbringen, als mich mit einem seiner Freunde zu verkuppeln.

Hallo ihr Lieben! Wie geht es euch?

Ich möchte euch in dieser Geschichte unter anderem ein paar Einblicke in Saras Musikstudium geben. Falls es euch zu viele Details sind oder ihr Dinge nicht versteht, schreibt mir das bitte. Mir ist das oft nicht bewusst, da musikalische Fachbegriffe mein Alltag sind. Für die ExpertInnen unter euch: Da ich diese Geschichte 2013 angefangen habe, als ich noch nicht wusste, wie ein Musikstudium tatsächlich aussieht, und ich wie gesagt nicht alles neu schreiben möchte, ist Saras Musikstudium eher unkonventionell.

Ansonsten hoffe ich, dass euch das Kapitel und die bisherige Entwicklung gefällt und freue mich auf eure Rückmeldung. Bis nächsten Dienstag und bleibt gesund!

Catrifa xx

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