-32- Stein im Schuh

„Bis heute Abend. Ich versuch vor eins da zu sein, okay?", verabschiedet sich David mit einem Kuss. „Okay. Viel Spaß, wir werden beim Konzert sein, also gib dir Mühe.", scherze ich. „Na klar, wenn ich zwei so hübsche Damen beeindrucken muss! Ich freu mich auf später, Jolie.", zwinkert er. „Du freust dich nur, weil ich ein tragbarer Groupie bin!" „Beschwer dich nicht, immerhin darfst du zum Frühstück bleiben!", lacht er und ich verdrehe die Augen.

Ich seufze. Und so sind alle Tage. Er kann wirklich nichts für meine Enttäuschung, er ist und war schon immer der perfekte Freund. Jeden Morgen mit ihm aufzuwachen und jede Nacht neben ihn einzuschlafen ist wunderschön. Die Konzerte sind Wahnsinn und mittlerweile können wir echt jedes Lied auswendig (obwohl Sarah meint, sie kann es bald nicht mehr hören). Die Überfahrten in die nächsten Städte sind unheimlich lustig, da wir uns immer besser mit den anderen verstehen. Und so viel Neues zu sehen ist wirklich sehr bereichernd und die Geschichte und Kultur Ameri- Ach, wen verarsche ich denn? Natürlich ist nicht alles gut! Und als ob Amerika auch nur den Ansatz einer Kultur hat, dieses Land wählt Donald Trump zum Präsidenten und ihre Geschichte gründet darauf irgendwelche Ureinwohner zu unterdrücken!

„Sarah!", rufe ich frustriert. „Ja, Schatz?", kommt es von draußen. „Komm her!", flehe ich. Eine Minute später legt sich Sarah zu mir ins Bett. Dann verzieht sie das Gesicht: „Bitte sag mir, dass ich nicht in Sperma liege." „Die Bettlaken werden jeden Tag gewechselt?", tröste ich sie. „Aber der Zimmerservice war noch nicht da!" „Wir können uns aufs Sofa setzen.", schlage ich vor.

„Wollen wir Sightseeing machen?", frage ich nach einer Weile. „Nein, diese Amistadt sieht genauso aus, wie die davor. Im Ernst. Ich habs grade bei Google eingegeben. In Indianapolis gibt es Häuser, Museen, Denkmäler für den zweiten Weltkrieg, einen Zoo und 8 Walmarts. Ich will kein Sightseeing mehr machen.", sagt sie resigniert. „Wollen wir uns einen Film anschauen gehen?" „Und Klischees zählen?" „Ja?" „Okay, aber wollen wir echt Geld dafür verschwenden, wir haben doch Netflix?", wirft sie ein. „Ich kann nicht den ganzen Tag im Zimmer hocken, Sarah. Ich will nicht eine dieser Cheerleaderfrauen sein, die nur auf ihren Mann warten, ich glaub mein Gehirn stirbt ab!", seufze ich und Sarah lacht: „Ach, da war ja eh nicht viel drin, meine Lieblingsblondine..."

„Was hat Jake eigentlich zu Georginas Angebot gesagt?", erkundige ich mich.„Er findet es nicht so gut, weil er dann keine Groupies mehr ficken kann.", sagt sie und muss ein Lachen verbergen. „Schade, das ist wohl das Aus für deine D-Promi Karriere." „Ich hätte gern meine eigene Reality-TV-Show gehabt.", sagt sie verträumt, „Aber Jake meinte nach der Tour, können wir das gerne machen. Aber jetzt hat er gerade, ich zitiere: ‚die beste Groupiezeit seines Lebens'." „Und... willst du dann noch länger hier bleiben?", frage ich überrascht. „Ich weiß nicht, wann bekommt man denn schon mal so eine Chance? Georgina meinte als Freundin eines berühmten Drummers kann sie mir Modeljobs besorgen, ich kann Fotografen kennenlernen und ich muss mir nie wieder über Bafög Gedanken machen.", erklärt sie. Sie war schon immer sehr praktisch orientiert. Für Sarah, die Kunst in Richtung Fotografie studiert wäre das natürlich die Chance des Lebens. „Okay. Das klingt gut, mach's!", ermutige ich sie, „Außerdem wer weiß, vielleicht ist er ja der Mann deines Lebens, auch wenn er schlecht küsst..." „Und zwischen uns kein einziger Funke ist?" „Vielleicht kommt das noch?" Sie schüttelt den Kopf grinsend: „Wir haben letztens nochmal zum Test rumgemacht, aber es war eher so naja. Ich glaube es ist hoffnungslos. Aber deswegen ist es ja perfekt! Wir verstehen uns ganz gut und haben keinerlei Chemie, perfekte Bedingungen!"

„Was ist wirklich los, Jo? Ich weiß doch, dass du nicht wirklich über Indianapolis oder Jake reden möchtest.", fragt Sarah mich nach einer Weile. „Ich fühle mich so unnötig.", murre ich, „Wie so eine dieser Dekorationsfrauen, weißt du?" „Fußballerehefrauen?", fragt sie grinsend. „Ja! Oder wie die zwanzig-Jährigen, die sich einen Millionärs-Opi geschnappt haben. Auf jeden Fall wie eine dieser Frauen, die wir immer so gehasst haben." „Die, die ihren Kerl, nicht wegen seinem Supercharakters lieben.", fügt sie hinzu. „Nach wegen kommt ein Genitiv, Sarah. Beispiel: Aber ich liebe David doch wegen seines Supercharakters!" Sie verdreht die Augen: „Du bist so falsch in BWL." „Ich weiß.", seufze ich, „Und ich will nicht, dass er alles für mich bezahlt."

„Dann solltest du ihm sagen, dass du die Penthouse-Suite Rechnungen ab jetzt übernimmst.", grinst Sarah. „Inklusive Frühstück?", frage ich. „Ich bitte darum! Nein, im Ernst, ich glaube nicht, dass er denkt, dass du nur hinter seinem Geld her bist und du musst dich auch nicht schlecht fühlen, er wollte, dass du hier bist und ohne sein Geld hättest du es nicht machen können, Jo. Du hast nicht mal einen Nebenjob, du wurdest bei Lidl gefeuert." „Das war ein Missverständnis!" „Natürlich, sorry. Aber der Punkt ist, du hättest nicht kommen können, wenn er nicht dafür bezahlt hätte und das ist auch okay. Das ist wie mit der Relativitätstheorie, ein Gramm ist schwer für eine Ameise, aber sehr leicht für einen Menschen. In diesem Fall bist du leider die Ameise, aber nur weil er finanziell gesehen mehr für eure Beziehung tut, heißt das nicht, dass eure Beziehung im Ungleichgewicht ist. Ich meine du bist für ihn hierher geflogen, du könntest auch zuhause lernen." „Bitte erinner mich nicht daran.", stöhne ich. Aber sie hat Recht und so wie immer, geht es mir besser nachdem ich mit ihr rede. Zumindest ein wenig.

Doch trotzdem ändert es nichts daran, dass mein Leben gerade einen Stein im Schuh hat. Jedes Mal, wenn ich in die Eingangshalle von einem unserer ach-so-vielen und ach-so-teuren Hotels laufe, jedes Mal, wenn wir uns im Bus verstecken, wenn die Band aussteigt und die Fangirls ihre ohrenbetäubenden „Ich will ein Kind von dir, du bist so heiß"- Chöre anstimmen, jedes Mal, wenn Georgina David und mich missbilligend betrachtet und jedes Mal, wenn die Band uns für ihre Auftritte verlässt, kann ich nicht umhin mich so zu fühlen. Fehl am Platz.

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Yo, kein Scherz:

Es gibt wirklich sieben Walmarts in Indianapolis. 
Update: jetzt, Stand 29.09.2018 gibt es anscheinend 8 Walmarts. Danke, aufmerksame Leserin!

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