sixteen

Julian

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als  ich durch die sterilen, weißen Gänge des Krankenhauses lief und  nach meinen Eltern und Jascha Ausschau hielt, die hier irgendwo sein mussten.
Und dann sah ich sie; auf einer dieser typischen Reihen von Plastikstühlen.
Jascha hatte den Kopf in den Händen und die Ellbogen auf die Knie gestützt, während mein Vater seinen Arm um meine Mama gelegt hatte, die verzweifelt vor sich hin weinte.
Man konnte es bis hierher hören...

Als sie mich erblickten, sprangen sie sofort auf und kamen auf mich zu.
Ein schmerzhafter Stich durchfuhr meinen zitternden Körper; ließ mich regelrecht zusammenzucken.
Was war hier passiert?
In meinem Kopf waren die geschluchzten Worte, die meine Mutter vorhin am Telefon zu mir gesagt hatte, noch nicht ganz durchgedrungen.
Es wirkte alles verschwommen; nicht eindeutig erkennbar und realisierbar.

Meine Mutter fiel mir sofort weinend in die Arme und auch mein Vater und Jascha umarmten mich mit traurigem Gesichtsausdruck.
Das konnte nichts Gutes bedeuten, oder? Oder?


"Was ist denn passiert? Was ist mit Kai und Jannis?", wollte ich mit zitternder Stimme wissen.
So sehr ich meine Stimme auch kontrollieren wollte; ich konnte es nicht.
Dabei wusste ich nicht mal, was genau los war.
Aber ich spürte, dass es nichts Gutes sein konnte.

"Jule", weinte meine Mutter und nahm meine Hände in ihre," Sie werden noch operiert. Jannis hat sich scheinbar nur das Bein gebrochen, aber Kai..."
Sie brach ab.
Nein. Nein, nein, nein.
Nein, das kann nicht sein.
All mein Blut sackte mit einem Mal weg; mein Herz blieb stehen.
Das kann nicht sein; das darf nicht sein.

"Es sieht nicht sehr gut aus für ihn Julian", führte mein Vater den Satz meiner Mutter aus.
Mir wurde auf einmal ganz schwindelig, alles drehte sich, mir wurde schwarz vor Augen.
Als meine Beine versagten, griffen Jascha und mein Dad direkt an meine Oberarme und hievten mich auf einen der Plastikstühle.
"Hey ,hey,hey Junge mach jetzt keinen Scheiß hier", murmelte mein Vater und reichte mir einem Becher mit Wasser. 
Keine Ahnung, woher er den auf einmal hatte, aber es war mir auch egal.
Ich wollte zu Kai, wollte ihn sehen, mich vergewissern, dass es ihm gut ging und die alle hier scheiße redeten.

"Beruhig dich erstmal,", meinte Jascha , während ich an dem Wasser nippte.
"Ich kann mich aber nicht beruhigen. Wissen seine Eltern schon Bescheid? Und seine Geschwister?"
Nervös wippte ich hin und her, konnte nicht still sitzen. Ich wusste nicht, wie es Kai und Jannis ging.
Ob Kai überhaupt noch lebte, wenn es doch so schlecht für ihn aussah.
"Ja, der Pfleger hat gesagt, sie machen sich sofort auf den Weg."

Gefühlte Jahre verbrachten wir hier. Schweigend. Niemand wusste so recht,was er sagen sollte. Alles schien unangebracht.
Meine Gedanken waren bei Kai; was sie gerade mit ihm machten da drinnen.
Wie es ihm ging, ob er irgendwas mitbekam, von dem, was hier gerade passierte.
Ein paar Mal hatte ich vergeblich nach der Kamera gesucht, die mich filmte und der Beweis dafür wäre, dass ich hier fälschlicherweise am Set für eine dieser Krankenhausserien gelandet war.
Nur, dass es eine solche Kamera nicht gab.
Weil das hier kein Set war, sondern die bittere Realität.

Immer wieder kamen Leute aus dem Op, aber niemand konnte uns etwas sagen.
Verzweifelt stützte ich meinen Kopf in die Hände und spürte dann die Arme meiner Mutter um mich. Auch sie weinte noch immer.
Normalerweise würde ich sie jetzt in den Arm nehmen und für sie da sein, aber ich konnte gerade nicht; hatte keine Kraft mehr.

"Was,wenn K-kai es nicht schafft?", fragte ich leise; eigentlich mehr zu mir selbst.
"Hey, er schafft das schon. Kai ist ein Kämpfer,das weißt du doch. Der gibt nicht so einfach auf", versuchte Jascha mich zu ermutigen,was eher bedingt funktionierte.
Aber er hatte schon recht. Kai war ein Kämpfer. Wenn ihm etwas nicht passte, dann kämpfte er so lange, bis er bekam was er wollte.
Und es passte ihm sicherlich nicht, dass er da jetzt auf dem Op-Tisch lag und um sein Leben kämpfte.
Aber waren seine Verletzungen vielleicht ein Gegner, gegen den er nichts ausrichten konnte?

Wir standen ungeduldig und alarmiert auf, als ein Bett mit Jannis an uns vorbei geschoben wurde.
"Was ist mit ihm? Geht es ihm gut?", fragte meine Mutter aufgeregt und lief neben dem Bett her.
"Ihm geht es gut. Sein Bein wird wieder in Ordnung. Ein paar Wochen Reha wird er brauchen. In den nächsten zwei Stunden sollte er aufwachen.", erklärte der Arzt ruhig und schob das Bett in ein Zimmer.
"Und was ist mit Kai?", wollte ich dann wissen; ich musste es wissen.
"Kai Havertz?"
Ich nickte schnell.

"Dazu kann ich Ihnen leider nicht viel sagen. Nur,dass es noch eine Weile dauern wird. ", meinte er und verließ nach einer Verabschiedung das Zimmer.
Während wir uns auf die beistehenden Stühle setzten, ließ meine Mum sich auf der Bettkante nieder und strich ihrem Sohn durch die Haare.
Es tat mir leid; es tat mir alles so leid.
Mama tat mir leid, weil sie so sehr litt, wenn sie ihren Sohn hier so sehen musste.
Und Jannis tat mir leid, weil er wegen mir hier lag; weil ich ihn gebeten hab, Kai abzuholen.
Alle taten mir leid, weil sie sich die größten Sorgen machten.

Es dauerte eine Weile bis Jannis benommen die Augen öffnete und sich verwirrt umschaute.
"Wo bin ich? Was ist passiert?", stellte er gleich müde Fragen, nachdem meine Mutter ihm einen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte.
Trotz der beschissenen und scheinbar ausweglosen Situation huschte ein kleines Lächeln über meine Lippen.

"Du bist im Krankenhaus.Kai und du, ihr hattet einen Unfall.Erinnerst du dich?", antwortete mein Vater und stand ebenfalls auf, um zum Bett zu gehen. Er schien nachzudenken und nickte schließlich.
"Was ist mit mir?", fragte er dann wieder und griff sich an den Kopf. Ich musste mich sofort daran erinnern, dass es mir, abgesehen von dem Bein, vor ein paar Wochen genauso ging wie ihm. Ich hatte hier auch gelegen. Und Kai hatte neben mir am Bett gesessen und mich nicht alleine gelassen. "Dir ist nichts Schlimmes passiert. Du hast ein Schleudertrauma und ein gebrochenes Bein. Sonst ist alles gut", führte er aus.
"Und.....und Kai?",seine Stimme war  brüchig und leise.
Kaum war Kais Name gefallen, stiegen mir wieder brennende Tränen in die Augen. Jascha,der meine Tränen bemerkte, griff nach meiner Hand und drückte sie.
Sein mitleidiger Blick ruhte auf mir und machte, wenn ich ehrlich war, alles nur noch schlimmer.

" Es sieht nicht sehr gut aus für ihn. Mehr wissen wir auch noch nicht."
Ich musste aufschluchzen, konnte es einfach nicht mehr aushalten. Diese Ungewissheit machte mich einfach fertig.
Heute Morgen war noch alles gut und jetzt?

Was werden seine Eltern sagen,wenn sie hier ankommen? Werden sie mir Vorwürfe machen?
Werden sie mich hassen?
"Was ist denn überhaupt passiert?"
"Mensch Jürgen ,jetzt lass den Jungen doch mal. Er ist gerade erst aus dem Op gekommen", legte meine Mutter Widerspruch ein.
"Wir waren auf dem Weg zu Jule und waren auf....auf dieser Kreuzung. Wir hatten rot und mussten warten. Und dann kam einer von hinten und ist uns aufgefahren.....wir sind so ein paar Meter nach vorne geschlittert und dann kam einer auf uns zu. Der.....der hatte grün und konnte nicht mehr bremsen", berichtete er ohne den Einspruch meiner Mutter zu beachten.

Ich konnte mir das nicht mehr anhören und stürzte nach draußen auf den Flur.
Kai kämpfte gerade um Leben und Tod und die hatten nichts Besseres zu tun, als ein Verhör über den Unfallhergang zu starten.
Ich wollte das alles nicht mehr hören, wollte nur noch Kai wieder in meinen Armen wissen und sehen, dass es ihm gut ging.
Wir hatten uns wochenlang auf diese eine verdammte Woche gefreut und jetzt das.
Die Tür zu Jannis' Zimmer ging auf und mein Vater kam heraus und gesellte sich zu mir.
Er legte einen Arm um meine Schulter.
"Hey", meinte er sanft," Es tut mir leid,dass ich das gefragt habe. Ich hätte besser nachdenken sollen."
"Schon okay." Ich wischte mir mit dem Ärmel die Tränen weg.
"Es wird alles gut,das verspreche ich dir.Kai schafft das." Er zog mich in seine Arme. Schluchzend vergrub ich meinen Kopf in seiner Halsbeuge. Wir standen einfach nur da auf dem Flur und hofften,dass alles wieder gut würde.

"Jule", wurden wir von einer verweinten Stimme aus unseren Gedanken gerissen.
Wir lösten unsere Umarmung und sahen zu den Neuankömmlingen.
Es waren Kais Eltern und seine Schwester.
Auch Kais Mutter schloss mich in ihre Arme.
"Weißt du schon was?", erkundigte sie sich und wurde immer wieder von Schluchzern durchrüttelt.
Deprimiert schüttelte ich den Kopf.
"Wo ist Jan?", fragte ich nach Kais Bruder.
"Der ist  unterwegs,aber ist in den Stau gekommen. Kann also noch dauern."
Es war alles so surreal. Heute morgen hatte ich mich noch so gefreut,dass Kai endlich kommen würde und jetzt saß ich hier und wünschte mir,dass wir niemals geplant hatten, dass Kai kam.
"Ich....ich muss Timo noch anrufen", fiel mir ein.
"Soll ich das machen?", fragte Jascha, der ebenfalls gerade auf den Flur gekommen war.
Ich nickte und gab ihm die Nummer von Kais Kumpel, bevor ich wieder ins Zimmer zurückkehrte.

Nach fast drei Stunden kam endlich ein Arzt ins Zimmer und begrüßte uns höflich.
Er war Anfang vierzig,hatte braune Haare,die etwas zurück gegelt waren,einen Dreitagebart und markante Gesichtszüge.

"Sind Sie alle Angehörige von Herrn Havertz?", fragte er.
Er machte einen kompetenten Eindruck; als wüsste er genau, was er tat.
Ich wusste nicht genau warum, aber ich fasste sofort Vertrauen zu ihm.
Wir alle nickten,auch wenn das natürlich nicht so nicht stimmte. Das war uns aber im Moment auch scheißegal.
Was zählte, war Kai.
Kai, Kai, Kai.


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