23. Lion

Alle taten so, als sei heute ein Tag wie jeder andere auch, aber für mich war es das nicht.

Es war Montag, ich saß in Tylers Unterricht und musste es mir geben, dass er genauso drauf war wie immer. Es juckte ihn nicht, dass es mir seinetwegen scheiße ging.

Okay, ich hatte ihn zum Abschied noch geküsst, aber das sagte doch nicht, dass alles gut war, sondern einfach, dass ich ihn gerne küsste.

Außerdem hatte er sich nicht mehr gemeldet und auf meinen einzigen Versuch, ihn zu erreichen, hatte bloß reagiert, indem er mich weggedrückt hatte.

Das war doch alles scheiße. Noch dazu nervte mein Kurs meine Freunde und mich damit, ob Tyler wirklich schwul war und einen Freund hatte.

Ha! Nicht nur einen! Aber ich war ja auch gar nicht sein Freund. Ich wäre es gern...

Jedenfalls traute sich keiner, ihn direkt zu fragen, weil sie alle Feiglinge waren.

Ich sah es als Möglichkeit, ihn zu provozieren, meldete mich also, als es gerade keiner tat. Ty war ein bisschen überrascht, rief mich aber auf.

„Nun ja, ich habe da eine Frage, die den Kurs ziemlich interessieren dürfte" Ich richtete mich etwas auf, sah ihn an. „Stimmt es, dass du schwul bist?"

Er presste kurz die Lippen zusammen. „Inwiefern hat das was mit dem Unterricht zu tun?"

Er lehnte sich ans Pult und verschränkte die Arme. „Naja, es interessiert viele und deshalb ist eine ziemliche Unruhe im Raum. Wenn du es einfach sagst, dann können wir uns besser auf den Unterricht konzentrieren"

Mir wurde zugestimmt.

Er seufzte. „Na fein. Ich bin schwul und ich habe einen festen Freund" Dabei sah er mich herausfordernd an. „Und nein, mehr aus meinem Privatleben werde ich nicht mit euch teilen"

„Ich habe ein Frage!", meinte Dax.

„Das sehe ich, wenn du dich meldest, Dax, du musst das nicht extra dazu sagen. Aber bitte"

„Wie funktioniert das?"

Tyler seufzte. „Bitte, Dax, DNA-Replikation solltest du aus der 10-ten Klasse können"

„Nein nein", winkte Dax ab. „Schwuler Sex meine ich" Er meinte es echt nicht böse, war einfach nur neugierig.

Tylers Seufzen klang leicht verzweifelt. „Gibt es noch mehr Fragen über das Thema?", fragte er erschöpft.

Jeder meldete sich, außer mir.

Tyler seufzte. „Na gut, wir reden eine halbe Stunde darüber, aber danach will ich, dass ihr wieder besser aufpasst okay? Mein Sexleben hilft euch nämlich nicht bei eurem Abschluss"

Alle waren einverstanden und Ty machte sich an die Beantwortung der Fragen.

„Also wie geht das jetzt?", fragte Dax wieder.

Ty atmete überanstrengt durch. „Weiß es denn jemand von euch?"

Er sah mich an.

Plötzlich sahen mich alle an.

Ich hob abwehrend die Hände. „Keine Ahnung, Mann, sehe ich aus als würde ich so nen gay shit abziehen?"

Er presste sie Zähne zusammen, sagte aber nichts.

Caro meldete sich und rettete mich dadurch quasi. Ty rief sie auf. „Also man steckt ihn doch dann einfach hinten rein oder?"

Die Klasse benahm sich überraschend erwachsen, was das Thema anging.

„Hat man dann nicht Scheiße am Schwanz kleben?", fragte Eric angewidert.

Ty lachte leicht. „Eigentlich nicht. Wenn man vorhat, Sex zu haben, dann kümmert man sich auch davor darum, dass das alles sauber ist."

„Und was ist, wenn beide stechen wollen?"

„Dann wechselt man halt ab, bitte, denkt nach Leute" Ty schüttelte den Kopf, aber je mehr wir darüber redeten und er feststellte, dass keiner ein Problem mit alle dem hatte, desto lockerer und auch amüsierter wurde er.

„Hattest du denn schon mal einen hinten drin?"

Ty grinste leicht, nickte aber.

Ein leises Raunen ging durch den Kurs und die Fragen schossen weiter hervor.

„Und im Mund?"

„Ja, sowie ungefähr jedes Mädchen hier im Raum."

Einige sahen zu Lucy und lachten. Sie verdrehte die Augen. „Was soll ich sagen, ich steh halt auf große Würste" Sie klopfte mir auf den Oberschenkel und ließ die Hand dann liegen.

Ich musste leicht lachen. Ich liebte sie zwar nicht, aber sie war echt cool und ich mochte sie sehr. Gerade, weil sie, was das anging ziemlich locker drauf war.

„Oh ich auch", meinte Tyler.

Dadurch brachte er die Klasse zum Lachen und ich schmunzelte auch darüber, aber Tyler sah mich kalt an und mir verging der Spaß.

Okay, ich hatte ihn ziemlich ins offene Messer laufen lassen, aber was soll ich denn sagen? Ich war nun mal verletzt. Und wenn ich verletzt war, wollte ich andere verletzen.

Aber Ty schien mir das ziemlich übel zu nehmen, obwohl es ja alles gut angekommen war. Klar, war er jetzt erstmal Gesprächsthema Nummer eins, aber ganz nebenbei hatte ich Tony und Matt so geholfen, weil jetzt keiner mehr über sie herzog.

Nach der Stunde überlegte ich, ob ich, wie jeden Montag in der Pause, noch bei ihm bleiben sollte, aber er schrie mich durch seinen Blick quasi an, mich zu verpissen, bevor er die Kontrolle verlor, also tat ich das, weil ich nicht riskieren wollte, dass meinem hübschen Gesicht etwas passierte.

Der Wunsch, uns aus dem Weg zu gehen, war eigentlich total sinnlos, weil er sich am Nachmittag für das Beaufsichtigen meiner Putzarbeiten eingetragen hatte, die ich heute machen musste.Ich hasste es.

Lucy, Tony und Matt blieben noch mit mir da, obwohl sie keinen Unterricht mehr hatten und aßen mit mir in der Mensa.

Dann aber, als ich los zur Arbeit musste, verabschiedeten wir uns und ich ging unsicher in den Raum.

Da war sie weg, meine Selbstsicherheit. Ich fühlte mich gerade, als hätte ich einen richtig kleinen Schwanz, obwohl das echt nicht die Wahrheit war. Aber bei Ty vergaß ich alles und es gab nur noch ihn und mich und wie ich mich unter seinem Blick fühlte. Und gerade war das echt mickrig.

Ich hatte an die Tür geklopft, er hatte mit einem kalten Herein geantwortet und ich war zögerlich eingetreten. Nun stand ich hier und er erhob sich von seinem Stuhl hinter dem Pult, fixierte mich mit seinen faszinierenden Augen.

Als er auf mich zukam, ging ich einen Schritt zurück.

„Komm ich zeig dir, was du machen sollst", sagte er dann mit neutraler Stimme und ging in den Raum, in den eigentlich nur die Lehrer durften.

Ich atmete tief durch, folgte ihm.

Das würden die schlimmsten zwei Stunden meines Lebens werden.

„Also du räumst du Regale ab, wischst sie ab, machst die Sachen, die drauf waren, sauber und stellst sie wieder so hin wie sie waren. Und mach diesen Tisch leer" Er deutete auf einen Tisch, der so voll war, dass man den Tisch an sich gar nicht mehr erkannte.

Ich verdrehte die Augen. Ich konnte mir spaßigere Dinge vorstellen, die ich in meiner Freizeit machen konnte.

Tyler übergab mir wortlos ein paar Putzutensilien und so grässliche pinke Gummihandschuhe.

„Sexy", kommentierte ich das, als ich sie mir überzog.

„Beeil dich, ich will, dass du in einer Stunde fertig bist"

Ich sah Ty entgeistert an. „Geht's noch? Ich hab 2 Stunden!"

Er schnaubte und deutete um uns. „Siehst du hier irgendwen, der mehr zu sagen hat als ich?"

Schnaubend drehte ich mich weg und knurrte ein „Arschloch!"

„Das hab ich gehört und es sind zehn Minuten weniger Zeit"

Ich drehte mich zu ihm um, lächelte ihn freundlich an und hielt ihm meinen Mittelfinger vor die Nase.

Er zog nur die Augenbrauen hoch und sah mich so abfällig an wie noch nie.

Super, ich fühlte mich wie ein Stück scheiße. Gut gemacht, Tyler.

„Nach wie vor: Arschloch!", knurrte ich ihm ins Gesicht.

„Toll, du stehst ja auf Arschlöcher, mh?" Herausfordernd sah er mich an. „...und auf Schwänze. Aber das hast du natürlich nicht sagen können heute Morgen."

Ich schüttelte den Kopf, drehte mich schnaubend weg von ihm, um mich an die Arbeit zu machen.

„Du gibst dich für den Größten aus, stellst Ansprüche an mich und dabei habe ich all das schon lange durch, wozu du dich nicht mal ansatzweise traust. Hör auf, mich zu verurteilen, Alexander... Und pass auf, dass hier nichts explodiert" Somit verließ er den Raum, um ins Klassenzimmer nebenan zu gehen, doch ließ die Tür offen.

„Darf ich Musik anmachen?", rief ich ihm zu.

Er brüllte ein „Nein!" zurück.

Ich knurrte, steckte mir Kopfhörer in die Ohren und machte trotzdem Musik an. Er bekam es ja nicht mit. Ich beeilte mich mit dem Putzen, unter anderem, weil ich keine Lust hatte, länger mit ihm allein zu sein als nötig.

Wie schnell sich Dinge doch änderten... Vor ein paar Tagen hätte ich für ein bisschen Zweisamkeit mit ihm noch getötet und jetzt wollte ich mich am liebsten selbst töten. Aber wenn er meinte, ich ließ mich so leicht von ihm unterkriegen, dann dachte er falsch. Vielleicht war er der erste Mann, den ich liebte, aber ich würde mich hier sicherlich nicht zum Affen machen und ihm in den Arsch kriechen. Also im nicht-sexuellen Sinne. Das wäre geil... Aber es wird nicht mehr vorkommen, denn er will ja nicht mehr ficken, bis ich 18 bin und wenn ich es bin und er sich davor nicht für mich entscheidet, dann werde ich zu beleidigt sein, um ihn ranzulassen.

Ich werde auf jeden Fall weit weit wegziehen, wenn ich meinen Abschluss habe. Ich habe zwar noch keine Uni, aber ich kann auch einfach ein FSJ einlegen. Irgendwie hat Ty nämlich schon recht. Nur Jura zu studieren, weil ich quasi dazu verpflichtet bin, wird mich genauso unglücklich machen wie ihn seine kranke Beziehung, über die ich mich ja die ganze Zeit beschwere. Auch, wenn ich nicht eifersüchtig wäre, würde ich ihn anhalten, diesen Schwachsinn zu beenden. John hat ihn einfach nicht verdient, so sieht es aus.

Ich allerdings, ich... Ja, okay ich habe ihn auch nicht verdient, aber ich kann versuchen, mich zu bessern. Ich habe wenigstens noch nicht alles falsch gemacht. Ich habe ich nicht betrogen. Und ich fordere nicht von ihm, mir zu erlauben, ihn zu betrügen. Warum? Na ganz einfach, weil wir nicht zusammen sind. Leider.

Letztens hatte ich diesen kranken Traum, Arm in Arm mit ihm über den Pausenhof zu laufen, über all diese dummen Blicke zu lachen, uns vor allen zu küssen. Dann macht er mir einen Antrag, wir heiraten... Aber all das ist Schwachsinn, das weiß ich.

Er will das alles ja nicht mal. Er will mich nicht. Er hält mich für einen gestörten kleinen Jungen. Er hasst mich jetzt wegen der Sache mit seinem Outing. Und ich hasse ihn, weil er mich nicht liebt.

Ich war erleichtert, als ich endlich fertig war und ging zu Tyler raus. Er saß am Pult und korrigierte so wies aussah irgendwelche Aufsätze. Da war Tonys bestimmt auch mit dabei.

„Ich bin fertig", teilte ich vorsichtig mit, weil ich ihn nicht erschrecken wollte, wenn er so konzentriert war.

Er schaute auf die Uhr. „Eine dreiviertel Stunde. Nicht schlecht"

Er stand auf, ging an mir vorbei, ohne mich anzusehen und überprüfte meine Arbeit. Währenddessen nahm ich meine Kopfhörer raus. Aber genau in dem Moment schaute er mich an. „Hast du etwa Musik gehört?"

„Nein, ich mag einfach das Gefühl von Kopfhörern in meinem Gehörgang", meinte ich augenverdrehend. Manchmal frage ich mich echt, wie dieser Typ zum Studium zugelassen werden konnte.

Er sah mich wütend an. „Wieso kannst du nicht einmal das machen, was man dir sagt?" Er schüttelte missbilligend den Kopf.

Ich verdrehte die Augen. „Ach halt die Klappe, Ty, bei mir musst du diese Pädagogen-Schiene nicht fahren. Je blöder du mich jetzt behandelst, desto trotziger werde ich. Ich bin eben noch ein kleines Kind" Herausfordernd sah ich ihn an.

Er kam auch mich zu, langsam, aber trotzdem zu schnell. „Ich denke, ich sollte dir was sagen"

Kurz vor mir blieb er stehen, verschränkte er seine Arme.

Ich konnte nichts tun, als steif dazustehen und zu schlucken, als er mich so ernst ansah.

„Es geht um die Entscheidung, vor die du mich gestellt hast"

Toll, hau schon her deinen Korb.

„Das Wochenende mit John hat mich um einiges klarer denken lassen, was ihn und mich, sowie dich und mich angeht. Und es hat mir geholfen, mit meinen Gefühlen in Einklang zu kommen. Ich weiß jetzt, dass ich nur einen will. Dich"

Ich zog unverstehend die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf. „Was redest du da?"

Er ließ die Arme sinken, steckte sie in die Hosentaschen, und zog die Schultern hoch. Er wirkte nervös.

Was geht denn jetzt ab?!

„Ich dich auch", sagte er zusammenhangslos.

Ich kniff verwirrt die Augen zusammen.

Er seufzte frustriert. „Ich liebe dich auch, okay?"

Als es dann draußen war, wirkte er sofort erleichterter.

„Du hattest mit allem Recht. Das mit John und mir ist einfach nur noch ein Haufen Scheiße. Natürlich empfinde ich noch was für ihn und das wird auch nicht einfach so weggehen, aber ich liebe ihn einfach nicht mehr so wie früher und nicht annähernd so sehr, wie ich dich liebe. Klar ist mit ihm alles viel einfacher, aber ich kann an meinen Gefühlen nichts ändern, auch wenn deine Aktion heute echt scheiße war. Manchmal benimmst du dich wie ein trotziges kleines Kind und manchmal bist du erwachsener als ich selbst. Ich weiß, dass wir eigentlich keine Chance haben und dass es ein riesen Rückschritt für mich ist, mir das mit mir anzutun, aber ich kann einfach nicht..." Er schüttelte den Kopf. „...Ich kann nicht anders. Ich liebe dich"

Er sah mich abwartend an, ich ihn geschockt.

Hab ich das richtig verstanden? Er liebt mich? Er will mich?

„Wieso warst du dann grade so scheiße zu mir?", fragte ich ungläubig.

Er grinste leicht. „Weil du wissen sollst, wer das Sagen hat"

„Ach halt den Mund!" Ich winkte ab, stürmte auf ihn zu, nahm seinen Kopf in die Hände und presste meine Lippen auf seine.


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