28. Overthinking...

(Bild von Penelope Davis)

...

Ich stand auf dem Schulflur. Direkt am Spind, um es genauer zu machen. Mein Blick ging starr geradeaus, da ich einem gewissen Jungen dabei zusah, wie er tonlos seine Bücher ausräumte, während alle um ihn herum lachten und sich umher schubsten. Sie waren alle so laut... Doch er machte sich gar nichts daraus. Er tat einfach so, als wäre niemand um ihn gewesen... Als lebe er alleine... Als hätte er nur sich...

Mein Herz zog sich schmerzerfüllt zusammen.

Gestern. Gestern hatte ich erfahren dürfen, was mit Park Jimin vor drei Jahren geschah. V hatte es mir verraten und ich versprach ihm daraufhin, dass ich das für mich behalten würde. Ich versprach ihm, mir nichts anmerken zu lassen. Ich versprach ihm, Jimin nicht mit anderen Augen zu sehen...

Nun. Vielleicht versprach ich zu viel. Vielleicht... Verlangte man zu viel von mir...

Leider.

Ich konnte nämlich nicht mehr so tun als wäre nichts geschehen. Dafür war die Wahrheit über ihn zu brutal. Ich konnte Jimin nicht mehr mit den selben Augen betrachten, wie ich es einst tat. Dafür... Dafür fing ich endlich an ihn zu verstehen. Ich verstand, weshalb er so war, wie er war. Ich konnte verstehen, warum er sich veränderte... Ich verstand, wieso er keinen mehr an sich ranließ...

Vor der Wahrheit konnte ich das nicht nachvollziehen. Ich konnte nicht schnallen, weshalb Jimin sich nach seinem Aufenthalt veränderte. Heute schloss ich, dass das von dem Mord kam, zu dem er regelrecht gezwungen wurde. Ich begriff, warum er keine Gefühle mehr zeigte, denn sie würden ihn zum Verhängnis werden, wie damals, als er versuchte, jemandem das Leben zu retten. Ich verstand, wieso er keinen mehr an seinem Leben teilhaben ließ... Das würde ja bedeuten, es gäbe eine Chance, erneut jemanden zu verlieren und das möchte er vermutlich nicht riskieren. So gut kannte ich Jimin, auch wenn es eine Weile her war, dass wir uns beste Freunde nannten.

Ich hatte ihn endlich verstanden. Eine Sache, die ich für unmöglich hielt.

Bloß stand ich hier nun. Ich stand hier mit einer Information- Nein. Einem Geheimnis! Dass mir eigentlich nicht zu stand.

Das Traurige daran?

Ich hatte nicht das Gefühl, als hätte sich irgendetwas verändert.

Ich dachte... Sobald ich wüsste, was Jimin widerfuhr, würde es einfacher werden, aber nein. Das wurde es nicht. Es wurde schlimmer, obwohl ich verstand. Ich dachte an unserer jetzigen Beziehung würde sich etwas ändern, doch dem war nicht so. Ich dachte jetzt würde alles besser werden... Aber, nein. All das war außer meiner Realität.

Die bittere Wahrheit war... Ich stand genau da, wo ich vorher auch stand, nur mit dem Unterschied, dass ich das Wissen hatte. Ich wusste, was Jimin erleiden musste...

Und das kotzte mich an. Es kotzte mich so an, dass ich tatsächlich die Hoffnung hatte, etwas würde sich verändern, nachdem ich die Wahrheit erfuhr. Wieso glaubte ich das? Sah ich denn nicht, wie gebrochen Jimin war? Musste ich es wirklich nochmal gesagt bekommen?

Das war doch absurd. Ich wusste ja nicht einmal, was er genau fühlte, obwohl ich das Wissen zum Geschehen hatte. Mein ehemaliger bester Freund öffnete sich nämlich niemandem. Er konnte nicht mit einer einzigen Person offen über sich selber sprechen, nicht einmal mit seiner Familie.

Ich war ehrlich. Einerseits war das für mich ein Fluch, da ich weiterhin unwissend blieb. Andererseits auch ein Segen, weil ich dadurch wusste, dass ich nicht die Einzige war, die er nicht an sich ranließ. Dennoch war ich die Einzige, die er brutal abzustoßen versuchte und ich wusste einfach nicht, weshalb...

Denn, wie gesagt. Ich wusste bloß, was in der Nacht geschah. Mehr war mir unbekannt und mehr würde ich auch nicht wissen; das hatte V selber gesagt. Nur Jimin wusste mehr, bloß sprach dieser nicht.

Also... Ja. Ich stand vor einer Mauer. Einer Mauer, die mich inne halten ließ. Eine, die mich nicht weiter brachte.

Nein... Sie ließ mich bloß Qualen erleiden, weil ich nun klarer sehen konnte. Ich sah Jimin endlich mit einem ehrlichen Auge...

Eine Tatsache, die alles zwischen uns beiden zerstörte, ohne dass ich das auch nur ahnte...

Ich hasste es. Ich hasste es, dass ich hier stand und nur zusah. Dabei... Kannte ich den Grund für meinen Hass nicht. Was genau hasste ich denn? Dass sich nichts veränderte? Dass ich die Einzige war, mit der er keinen Kontakt mehr wollte? Darüber war ich eher traurig. Somit stellte ich mir erneut die Frage; weshalb war ich so hasserfüllt und so... Wütend?

Penelope. Was an der Situation mit Jimin regt dich denn so auf? Warum bist du so wütend auf ihn, obwohl du hättest traurig sein sollen...?, sprach meine innerliche Stimme zu mir.

Naja.

Ich wusste es nicht.

Zumindest noch nicht...

„Penelope?", wurde mein Name aufgesagt, weshalb ich aufmerksam den Kopf hob.

„Hm?"

Ich war mal wieder so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht mitbekam, was sich um mich herum abspielte.

Das war so widersprüchlich...

Zugleich verdrängte ich das Thema Jimin nämlich. Das, was mir V erzählte, das hatte mich auch gar nicht schockiert.

Wieso sollte es das?

Nachdem ich von den Venoms hörte und sah, wie leer Jimin war, konnte es nur etwas grauenvolles gewesen sein... Darauf stellte ich mich bereits die ganze Zeit an. Das mit Jimin... Wurde nur traurig, weil es sich mir bestätigte. Bestätigte, wie er zerstört wurde...

„Bist du noch anwesend?", sah ich in sein grinsendes Gesicht und musste zweimal blinzeln, um zu realisieren, dass ich tatsächlich in der Schule war.

Vor mir stand Namjoon, der den Kopf schräg legte und auf eine Antwort von mir wartete.

Ich nickte, als ich mir übers Haar fuhr.

„Bin müde...", verzog ich das Gesicht.

In dem Augenblick kam auch Jihyo bei uns an, die entspannt einen Arm um Namjoons Hüfte legte. Er wiederum legte seinen um ihre Schultern.

„Hey", sprach sie ihrem Liebhaber zu, worauf sie mich ansah. „P..."

Sie sah wieder beiseite, was mich die Lippen zu einer Gerade formen ließ.

Mein gewohnter Alltag war zurück.

Naja... Zumindest fast. Wenn man die Umstände außen vor ließ...

Ein lautes Klingeln erlang meine Aufmerksamkeit. Ich schnallte direkt, dass der Ton von meinem Handy kam, weshalb ich es hervor nahm. Ruhig auf das Display gesehen, erkannte ich, dass ich eine Nachricht von Jin bekam.

Heute wird Suga entlassen...

Las ich und auf der Stelle sackte mir das Herz in die Hose.

Wir werden ihn heute abholen...

Abholen? Was?! Was las ich da gerade? Suga wird heute entlassen?

Ausgerechnet heute???

Ich musste hart schlucken, als ich für einen Moment meine Umgebung checkte, um zu sehen, dass ich nicht beobachtet wurde, damit ja niemand sah, wie ich innerlich anfing durchzudrehen.

Ehrlich gesagt, dachte ich... Suga würde in der kommenden Woche entlassen werden, sodass ich Zeit zum Nachdenken hatte. Ich erwartete nicht, dass er direkt heute aus dem Gefängnis kommen würde... Nicht, nachdem ich Jimin noch nicht ganz verarbeitete.

Das ließ mich aus allen Wolken fallen, wobei mich eine unbekannte Kälte umgab, die bei dem Namen Suga nie fiel.

Er würde entlassen werden.

Ich musste erneut nervös schlucken.

Das bedeutete... Er war definitiv unschuldig.

„Alles in Ordnung, Penelope?", hörte ich die weibliche Stimme von Jihyo. „Du bist auf einmal so blass."

Zu ihr aufgesehen, senkte ich mein Handy.

„Ehm... Ja.", nickte ich.

Ich konnte ja schlecht erzählen, dass ich gerade eine Nachricht von Jin bekam, die beinhaltete, dass Suga nun entlassen wurde und er mich dabei haben wollte, weshalb ich innerlich hyperventilierte. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich Schuldgefühle hatte, die mich wegen der Situation plagten und die ich vermutlich nie wieder loswerden würde? Lieber antwortete ich ihr mit einem Ja; Ja, alles war gut. Das war die einfachere Variante.

„Siehst nicht so aus...", sprach sie

„Doch", strich ich mir übers Haar. „Doch, doch. Wirklich..."

Für einen Moment schaute ich wieder auf mein Handy, um die Nachricht nochmals zu verinnerlichen, bevor ich das Handy kurzerhand in meiner Jackentasche verschwinden ließ.

Suga würde entlassen werden... Heute noch...

Wieso brachte mich Jin überhaupt in Kenntnis? Machte er das mit Absicht, um mich in Panik zu versetzen? Oder... Wollte er etwa wirklich, dass ich mit ihm mitging? War das nicht etwas zu viel verlangt?

Suga wollte mich ganz sicher nicht sehen. Er hasste mich bestimmt, weil ich diejenige war, wegen die er hinter Gittern saß- buchstäblich hinter Gittern! Er musste in das Gefängnis, weil ich ihm keinen Glauben schenken konnte. Es war meine Schuld, dass alle ihn des Falles beschuldigten, was die Nacktfotos angingen...

Schuldgefühle brachen auf mich ein.

Nein... Er wollte mich ganz bestimmt nicht sehen. Dafür kannte ich Suga bereits gut genug. Er verspürte sicherlich soviel Wut mir gegenüber, dass er mich abgrundtief hasste. Sollte ich ihn besuchen, würde er mich nur von sich stoßen...

Ich sollte nicht mitgehen. Ich sollte nicht einmal daran denken mitzugehen. Denn ich hatte es nicht verdient in seiner Gegenwart zu sein, nachdem ich ihm Unrecht tat, zumal ich respektieren sollte, dass er seinen Freiraum wollte bzw. brauchte.

Mein Kopf fing an zu schmerzen.

Oh, das wurde mir alles allmählich zu viel. Erst Jimin, nun Suga... Es fühlte sich an, wie früher... Als mir all meine Probleme mit den Jungs zum Verhängnis wurden. Nur mit dem Unterschied, dass... Dass ich den Fehler heute bei mir suchte und nicht mehr bei ihnen.

„Übrigens", ertönte Jihyos Stimme wieder, weshalb ich automatisch in ihre braunen Augen sehen musste.

Sie musste die Achseln zucken.

„Ich... Ich wollte mich bedanken."

„Was? Wofür...?", zog ich die Augenbrauen zusammen.

Was war denn jetzt geschehen?

Jihyo Smith... Wollte sich bei mir bedanken? Was hatte ich verpasst?

„Für die Sache mit Namjoon..."

Geblinzelt und beiseite gesehen, bemerkte ich, dass der erwähnte Junge längst nicht mehr bei uns stand. Hatte er etwa nicht Tschüss gesagt? Oder verabschiedete er sich und ich bekam es nur nicht mit?

War ich heute etwa so abwesend?

„Du bist eine der Gründe, weshalb wir zueinander gefunden haben."

Zueinander gefunden...

Ich wusste nicht, weshalb... Aber auf einmal überkam mich eine Erleichterung. Eine Erleichterung, weil ich diese Nachricht und den Dank aus Jihyos Munde hörte. Durch meine geistige Abwesenheit bekam ich kaum mit, was um mich herum geschah, weshalb es mir entging, dass Namjoon und Jihyo zusammen gekommen waren, obwohl ich von Anfang an dafür war.

Daher war das, was sie sagte, umso schöner für mich. Unter all dem Stress und dem Gefühlschaos, den ich durchlebte, war diese kleine Nachricht ziemlich bedeutend für mich. Sie nahm mir für einen Moment all meine Sorgen.

„Dafür bedankst du dich?", fragte ich dennoch verwundert.

„Was meinst du, wieso ich mit aufs Internat kam? Ich fand, ich musste dir etwas zurückgeben.", hob sie eine Augenbraue.

Oh. Deshalb kam sie auf das Internat und half den anderen? Sie glaubte, mir etwas zurückgeben zu müssen, indem sie das tat?

Ich vermutete andere Gründe...

„Naja. Ich dachte, du kämest, weil du am Skandal Schuld trugst...", presste ich die Lippen aufeinander.

Das brachte sie dazu sich übers Haar zu streifen, worauf sie den Kopf senkte. Fast schon beschämt...

„Es tut mir fürchterlich leid, Penelope."

Sobald das Mädchen vor mir diese Worte sprach, musste ich aufmerksam die Augenbrauen heben.

Entschuldige sich Jihyo gerade bei mir? Etwa so, wie es Eliza tat...?

Es war, wie... Als hätte sie gerade, ohne das überhaupt bewusst gewollt zu haben, ein Pflaster über mein Herz gelegt, das ich benötigte. Ein Pflaster, der die blutende Wunde auf meinem Herzen für einen Moment ruhen ließ.

„Das bedeutet mir sehr viel...", fasste ich mir intuitiv an die Brust.

„Genauso, wie mir das mit Namjoon sehr viel bedeutet", sagte sie ehrlich.

Ein Lächeln legte sich über meine Lippen. Eines, das ich heute nicht erwartete.

„Ja. Ich finde... Wir sollten von nun an... Du weißt schon..."

„Frieden schließen?", fragte ich.

Sie nickte.

„Frieden schließen... Ja."

Mein Lächeln wurde größer und mein Herz um einiges leichter. Jihyo Smith bedankte und entschuldige sich heute bei mir...

Niemand würde sich je vorstellen können, wie viel mir das bedeutete... Wie viel Wert eine Entschuldigung bei mir trug, da ich sie viel zu selten zu hören bekam...

„Keine Zickereien mehr?", fragte ich verspielt.

„Ich werde es versuchen.", blinzelte sie, bevor sie ebenfalls zu lächeln anfing.

In der Sekunde ertönte die Klingel, die uns daran erinnerte, dass wir uns in der Schule aufhielten.

„Wir sehen uns, Davis.", schulterte sie ihre Tasche.

„Ja. Wir sehen uns, Smith.", nickte ich.

Sie zwinkerte mir zu, woraufhin sie an mir vorbei ging. Ich musste ihr erleichtert hinterher sehen.

Eine Sache war passiert, die ich für unmöglich hielt. Jihyo Smith, meine langjährige Feindin, und ich... Wir hatten uns vertragen. Sie kam auf mich zu, worauf sie sich bei mir für etwas bedankte, was ich für selbstverständlich hielt. Nicht nur das... Sie entschuldigte sich für eine Sache, bei der ich dachte, sie wäre ihr nicht so wichtig. Sie kam auf mich zu, trotz der Rivalitäten zwischen uns, die seit Kindheitszeiten bestanden, weil unsere Eltern uns gegeneinander ausspielten... Sie kam trotz ihres Stolzes auf mich zu und entschuldigte sich bei mir. Sie bat um Vergebung... Sie bat um Frieden...

Ich musste hart schlucken.

Jihyo kam einen Schritt auf mich zu- das entsetzte mich so sehr, dass ich ihr nur vergeben konnte. Ich war bereit ihr entgegen zu kommen, da sie über ihren Schatten sprang.

Könnte ich das auch...? Könnte ich über meinen Schatten springen?

Obwohl ich gegenüber Suga Schuldgefühle besaß und glaubte, er würde mir nicht vergeben... Sollte ich nicht dennoch auf ihn zugehen, um es zu versuchen? Sollte ich nicht versuchen, um Verzeihung zu bitten? War mir die Sache wichtig genug? War Suga mir wichtig genug?

Natürlich war er das. Ich liebte ihn einst vom tiefsten Herzen und ich liebte ihn noch immer. Er bedeutete mir fast mehr als jeder andere Mensch.

Wie könnte ich es wagen, zu glauben, Abstand zu halten wäre vorteilhafter für ihn und mich? Sollte ich nicht um unsere Beziehung kämpfen?

Schließlich tat ich es einst auch für Jimin. Nur mit dem Unterschied, dass er mich grob abstieß.

Ich biss meine Kiefer aufeinander.

Zwar würde es mir das Herz brechen, wenn Suga mich von sich stoßen würde... Doch das war mir lieber, als mit diesen Schuldgefühlen zu leben, die immer mehr mein Herz einnahmen. Ich konnte deshalb nicht schlafen. Zum einen wegen Suga und zum anderen wegen Jimin...

Mein Inneres war aufgewühlt und brannte aufgrund der Schmerzen, die ich wegen den beiden Jungs verspürte.

Aber wenigstens konnte ich dafür sorgen, dass eine der Schmerzen ein wenig nachließen... Ich könnte dafür sorgen, dass Suga mir in die Augen sehen konnte. An Jimin käme ich doch sowieso nicht ran... Und... Wer wusste es schon? Vielleicht kam mir die Sache mit Suga gut gelegen, sodass er mich nicht nur ablenkte, sondern von Jimin heilte...

Wenigstens könnte ich dann eine Freundschaft retten...

...

Ich stand in unserem Wintergarten und schaute in die Ferne.

Ich erinnerte mich daran, als die Taehyungs und die Parks bei uns zu Essen waren... Ich musste daran denken, wie Jimin sich hier draußen zu mir stellte... Ich musste an seine Worte zurückdenken, die mir sagten, ich solle noch mit ihm im Stillen stehen, bevor ich in das Haus ging.

Zu dem Zeitpunkt... Hatte ich mich so gefreut. Ich bildete mir ein, dass Jimin gerne Zeit mit mir verbringen wollte... Ich dachte daran, wie ich ihn ständig vermisste und mir wünschte, dass es zwischen uns besser wäre...

Nun stand ich alleine hier... Kannte die Wahrheit über ihn und wusste noch immer nicht, weshalb nichts zwischen uns so war, wie früher... Hinzu kam Suga, der meine Gedanken besetzte. Meine Brust war von Schuldgefühlen gefüllt.

Irgendwie war die Situation so überfordernd, dass ich schon wieder weinen musste. Nur dieses Mal waren es stumme Tränen, die mir über die Wange liefen. Tränen, die ich nicht wegwusch und um die ich mir keine Gedanken machte. Das waren Tränen, die aufgrund der Überforderung, die ich fühlte, zustande kamen.

Jin wartete auf mich... Er sagte, er würde Suga nur aufsuchen gehen und abholen, wenn ich dabei wäre...

Aber verstand er denn nicht? So kurz davor, je näher ich Suga war... Desto schwerer fiel es mir einfach hinzugeben. Obwohl ich es wollte...

„Penelope?", ertönte plötzlich eine männliche Stimme in meinen Ohren.

Das brachte mich dazu zurückzusehen, obwohl ich das nicht wollte.

„V?", fragte ich erschrocken, weil ich ihn nicht erwartete.

Er stand bereits dicht hinter mir und sah zwischen meinen Augen her, bevor er die Lippen verzog und einfach die Arme breitete, um sie schlussendlich um mich zu legen. Auf der Stelle ließ ich mich in sie fallen, da ich gerade nichts mehr brauchte, als einen Menschen, der mich verstand. Jemand, der für mich da war und mir eine Stütze sein konnte...

„Weinst du wegen Suga?", fragte V. „Oder ist es wegen Jimin?"

Nun. Ich wusste es nicht.

Weinte ich um den Jungen, dessen Herz nicht gerettet werden konnte oder weinte ich um mein eigenes Herz, welches die Schuldgefühle nicht mehr ertrug, die sie selber zu Verschulden hatte...

Schweigend, schniefte ich bloß.

Ich konnte ihm keine Antwort geben...

„Ich habe auch viel um ihn geweint...", sagte er schließlich nach einer Zeit.

Sachte von ihm gelöst, sah ich zu ihm auf.

„Seine Veränderung hat mich hart getroffen. Du musst dir mal vorstellen, P. Ich war da, als es geschah. Und ich konnte nichts tun...", er blickte auf mich hinab.

Stumm sahen wir einander an. Er musste sanft lächeln, als er nach meiner Wange fasste, um meine Tränen weg zu wischen.

Eine Geste, die ich liebte, wenn er sie tat.

„Ich weiß, was du fühlst. Ich verstehe dich und ich lasse dir die Zeit zum Trauern. Sobald es dir etwas besser geht, werde ich dir einiges über Jimin erzählen."

Wie bitte? Das wollte er? Bereute er etwa nicht... Mir davon erzählt zu haben?

„Warum?", fragte ich verwundert.

„Warum? Weil ich weiß, wie es ist, wenn er schweigt. Darum", sagte er gleichgültig. „Und ich sehe den Schmerz, den er bei dir hinterlassen hat. Du verdienst eine Antwort."

Den Schmerz, den er bei mir hinterlassen hat...? Ich sah ihn auch in Vs Augen. In seinen... In Jungkooks... In Hyunjins... In den Augen von Jimin selber...

„Aber...?", musste ich nachhaken, weil das nicht so klang, als wäre das alles gewesen.

„Ich gebe ihm die Chance, sie dir selber zu geben."

Abrupt musste ich mich richten. Dafür zog ich mich aus der warmen Umarmung von V. Ich schaute zwischen seinen Augen her, als ich den Kopf schüttelte.

„Jimin?", fragte ich nochmal nach.

Da hob er eine Augenbraue.

„Wirst du ihn darauf etwa nicht ansprechen?"

Wollte ich das; das war hier die Frage. Wollte ich Jimin darauf ansprechen? Riskierte ich es, noch mehr von ihm verstoßen und gehasst zu werden...?

„Ich weiß nicht, ob ich das möchte.", murmelte ich.

„Eines Tages wird es dich überkommen", zog er die Lippen zu einer Gerade. „Du wirst definitiv mit ihm reden wollen."

Meinte er? Er glaubte, ich würde eines Tages von mir aus mit Jimin darüber reden wollen, obwohl er nicht derjenige war, der mich darauf ansprach? Das fand ich sehr abwegig. So war ich nicht. Vor allem nicht, nachdem V mir das indirekt verbot...

Wie konnte er sich also so sicher sein...?

Er hatte es sicherlich selber getan.

„Du meinst, wie du es einst tatst?", fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

Da nickte mein Gegenüber.

„Genau..."

Er atmete aus, bevor er abwinkte. Anschließend sah er an mir hinab, worauf er die Augenbrauen zusammenzog. Ich tats ihm gleich.

Er musste fragend einen Finger heben.

„Und? Bist du endlich angezogen? Du willst doch nicht in Pyjama zu Suga, oder?"

Ich wusste, dass er alberte, damit wir das Thema vorübergehend abharkten und damit ich lächelte. Und, wie immer, es gelang ihm.

„Wohin gedenkst du, Valerio?"

Er rollte die Augen, als er hinter sich nickte.

„Ich gebe dir fünf Minuten. Na los. Jin wartet sicherlich."

Warten... Ja. Das tat er ganz sicher.

„Begleitest du uns?", kam es aus mir, in der Hoffnung, er würde Ja sagen.

„Ich glaube... Es wäre besser, wenn nicht."

Ich musste die Augenbrauen zusammenziehen.

„Weshalb?"

„Stell dich darauf ein, dass...", versuchte er es bedacht zu formulieren. „Dass Suga wütend ist."

...

Meine Hände waren kalt, schwitzten aber fürchterlich. Mein Herz schlug laut und feste gegen meine Brust, sodass ich kaum Atmen konnte. Je näher wir der Polizeistation kamen, desto schneller ging mein Herzschlag. Wir fuhren nicht direkt ins Gefängnis, weil Suga von der städtischen Polizeistation entlassen werden würde; so erklärte es Jin mir.

Ich schluckte hart. In meiner Bauchgegend machte sich dieses Gefühl breit. Das Gefühl, welches mir zeigte, wie aufgeregt ich war. Mir war deshalb so übel. Ich hatte das Gefühl, ich würde mich noch übergeben.

Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe, während ich mit dem Bein wippte. Ich hielt die stille Autofahrt kaum aus und wünschte mir, Jin hätte einige Worte mit mir gewechselt. Obwohl wir nur einige Minuten fuhren, kam es mir wie eine halbe Ewigkeit vor! Das war gar nicht gut, denn das brachte mich bloß dazu, mir dumme Fragen zu stellen.

Was würde gleich geschehen? Wie reagierte Suga auf mich? Was sollte ich überhaupt sagen, wenn ich erstmal bei ihm war? Dass es mir leid tat? Würde er mit mir reden? Ging er drauf ein? Was sollte ich außerdem sagen? Sollte ich ihn umarmen? Wie sollte ich reagieren???

Das Auto, das uns fuhr, hielt plötzlich, worauf ich direkt zu Jin sehen musste. Der sah mir meine Panik an. Das ließ ihn bloß aufatmen, bevor er nickte.

„Beruhig dich bitte, Penelope. Alles wird wieder gut."

Ich nickte nur benommen, nicht verstanden, was ich da tat, weil die Aufregung in mir viel zu groß war. Ich bekam kaum mit, dass uns die Türen geöffnet wurden und wir aus dem Auto traten, um anschließend das Grundstück der Polizeistation zu betreten.

Meine Aufregung ließ noch immer nicht nach, ganz im Gegenteil. Sie stieg immer weiter an.

Wenn ich mich bei Suga entschuldigen würde... Würde das ihm ausreichen?

Er hasste mich sicherlich...

„Wir würden gerne zu Suga Min Yoongi.", sprach Jins Stimme, weshalb ich aufsehen musste.

Ich schluckte hart- vermutlich das fünfzigste mal heute.

Der Officer nickte freundlich und bat Jin, ihm zu folgen. So auch ich...

Jin kontrollierte regelmäßig, ob ich hinter ihm her lief oder ob ich überhaupt noch stand...

Ich biss die Zähne aufeinander, als wir einen längeren Flur entlang gingen. Allmählich hielt ich es nicht mehr aus. Ich wollte endlich seine Reaktion erleben, damit ich mich beruhigen konnte! Damit ich wenigsten wusste, wo ich bei ihm war...

„Er sitzt hinter dieser Tür.", teilte uns der junge Herr mit.

Jin bedankte sich herrlich, bevor er die Tür öffnete, als hätte er jedes Recht dazu. Er öffnete die Tür zu einem kleinen Raum, in dem sich exakt drei Leute befanden; zwei Polizisten und Suga... 

Intuitiv trat ich beiseite, um besser etwas sehen zu können. Auf der Stelle zog sich mein Herz bei dem Anblick von Suga zusammen. Mir stiegen Tränen in die Augen und ich hatte mir direkt gewünscht, es wäre nicht soweit gekommen...

Denn da saß er... In Handschellen. Sein Kopf war leicht gesenkt, wodurch sein ungekämmtes Haar ihm ins Gesicht fiel. Doch sie versperrten mir nicht die Sicht zu seinen Wunden... Ich konnte sehen, wie auf seiner linken Wange ein großer blauer Fleck zu erkennen war und seine Unterlippe mehrere Kratzer zierten. Dadurch, dass ich ihn von der Seite sah, war all das zu sehen. Selbst sein Arm schien verletzt aus, was ich erkannte, da er ein T-Shirt trug, mit diesem er festgenommen wurde. Er trug seine gewohnte Kleidung.

Er sah so... Abwesend aus. So... Traurig...

„Jetzt nehmt ihm doch bitte einer die Handschellen ab.", ergriff Jin nun wieder das Wort.

Suga reagierte auf niemanden von uns, selbst als der Polizist auf ihn zuging, um ihn seine Handschellen abzunehmen, zeigte er keine Reaktion. Er ließ bloß mit sich machen...

In dem Augenblick konnte ich weitere Wunden erkennen. Ich sah Schlürfwunden an seinen Knöcheln, Schnittwunden an seinen Unterarmen und weitere Narben oder Flecken im Gesicht.

Als er sich dann auch noch erhob, humpelte er...

Ich musste nach Jins Arm greifen, in den ich fest rein kniff.

In was für einen Zustand befand sich Suga bitte? Wie sah er aus und warum fühlte es sich so an als wäre er misshandelt worden? War er nicht ein Tear? Hätten ihn die Insassen nicht in Frieden lassen müssen?

Nun konnte ich meine Tränen auch nicht mehr zurückhalten. Vor allem nicht, als Suga auf uns zukam und den Kopf anhob, sodass sich unsere Augen trafen...

Auf der Stelle ließ ich von Jin ab, um auf ihn zu zu stolpern. Ich konnte nicht anders... Da schlang ich meine Arme um seinen Körper und drückte mein Gesicht in seine Brust. Es fühlte sich fast schon befreiend an... Aber auch nur fast... Denn sein Geruch oder seine Nähe änderte nichts an der Tatsache, wie die Situation verlief...

„Es tut mir so leid, Suga...", fing ich furchtbar an zu weinen. „So, so leid!"

Ich fing ihn fester an zu drücken.

„Ich... Ich wollte nicht glauben, dass du's warst. E-Es", musste ich atmen, damit ich besser sprechen konnte. „Es tut mir so leid. Ich... Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie leid es mir tut!"

Meine Atmung war schwer und ging zu schnell für meine Verhältnisse. Ich wollte den Moment dennoch auskosten, auch wenn Suga nicht auf mich einging. Er stand da wie eine Statue.

Ich hörte seinen rasanten Herzschlag und seinen schweren Atem.

Sein Zustand und die Reaktion gaben mir bedenken, aber ich ließ trotzdem nicht ab.

„Suga...", presste ich die Augen aufeinander.

Erst dann fing er an sich zu bewegen...

Trotz meiner Umarmung ging er einen Schritt vor. Mit aller Mühe versuchte er mich damit tonlos zu ignorieren und von sich zu stoßen.

Das brach mir beinahe das Herz.

Auf der Stelle fing ich an den Kopf zu schütteln.

„Nein, Suga! Bitte!!! Nein, nein, nein."

Doch er hörte nicht auf mich, sondern setzte seine Bewegungen stumm fort. Er kämpfte sich regelrecht aus meiner Umarmung, bis ich automatisch loslassen musste, denn sonst wäre ich hingefallen.

Das Stechen in meiner Brust machte sich bemerkbar, als Suga emotionslos weiter ging.

Die Tränen verstärkten sich und... Das war das erste Mal, dass Suga mich von sich stieß, obwohl ich weinte. Das erste Mal, dass er mich nicht beachtete, obwohl ich tiefe Trauer empfand.

Oh... Das tat mir so weh... So weh, dass mir das Atmen schwer fiel...

Die Schuldgefühle, die ich empfand, wurden durch sein Verhalten stärker. Sie frassen mich regelrecht von innen auf.

Ich ertrug das nicht mehr. Nein... Ich ertrug das einfach nicht mehr...

„Suga, wir...", wollte Jin ansetzen, als Suga nach der Türklinke griff.

„Halt deine Fresse.", erwiderte dieser jedoch, noch bevor Jin weiter sprechen konnte.

Eine Gänsehaut durchfuhr meinen Körper.

Seine Stimme... Sie klang so rau. So gedämpft... Er klang heißer, als hätte er eine ganze Zeit nicht gesprochen...

Aber darüber konnte ich nicht mehr nachdenken. Suga griff nach der Türklinke und verließ das Zimmer, in dem wir alle standen.

Jin ließ er bedrückt zurück und mich?

Mich ließ er mit sichtlichen Qualen und furchtbaren Schmerzen ignoriert.

Und... Obwohl mein Zustand kaum auszuhalten war, musste ich dennoch zugeben...

Ich konnte jeden Schritt, den Suga heute ging, verstehen... Denn ich hätte genau so reagiert...


———

Ehm... hier bin ich dann auch mal, zurück. Nach zwei Monaten 😂🌚
Was soll ich sagen... Zwei Monate waren viel zu kurz. Ich bin noch immer derbe unzufrieden mit dem Kapitel und weiß, dass ich es mit den nächsten auch sein werde... Ich werde dennoch versuchen mich ran zu setzen, damit die Story sich auch mal schreibt, hm.

Whatever.

Zum Inhalt; wie fandet ihr Penelopes Gedankengänge? Nachvollziehbar? Auf Jimin und Suga bezogen?

Eine schöne Nachricht (oder mehrere?); Jihyo und Penelope konnten sich vertragen, zumal Jihyo mit Namjoon zsm ist 👀... Dann ist da Tae, der natürlich versucht für Penelope da zu sein, weil er sich denken kann, wie sie sich fühlt...

But hold on. Da kam das Ende. Das dramatische Ende mit Suga, der Penelope ziemlich unsanft von sich stieß... Meinungen dazu?

Ist mal wieder alles und nichts in einem Kapitel passiert... Naja. Mal sehen, was uns demnächst erwartet!

Stay Tuned!

In love, N ❤️

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