IV
Das Klingeln ihrer Wohnungstür riss Nayla aus dem oberflächlichen Schlaf, in den sie erst vor einer knappen Stunde gefunden hatte. Müde rieb sie sich die Augen. Doch erst als es ein weiteres Mal klingelte, schlüpfte sie seufzend unter ihrer Bettdecke hervor, warf sich ihren Morgenmantel über und ging zur Freisprechanlage.
„Guten Morgen", ertönte eine Stimme, die Naylas Herz sofort höher schlagen ließ. „Ich bringe Ihnen Ihre Blumen."
„Meine Blumen?", antwortete Nayla stockend, doch drückte dann den Summer der Tür. Gleichzeitig öffnete sie die Wohnungstür, als auch schon der rothaarige Lockenkopf die Treppe nach oben sprang. Das Gesicht der hübschen Floristin strahlte geradezu, als sie oben ankam.
„Guten Morgen Frau Yildiz. Ich dachte mir, bei dem schönen Wetter bringe ich Ihnen die Blumen persönlich vorbei."
Fassungslos schaute Nayla die Frau an, in die sie sich verguckt hatte und die nun, warum auch immer, vor ihrer Wohnungstür stand.
Nayla wollte gerade antworten, dass sie doch gar keine Blumen bestellt hätte, als die Worte wieder aus ihrem Gegenüber sprudelten.
„Als ich heute Morgen Ihre Mail gelesen habe, dass Sie für Ihr neues Kunstprojekt ganz dringend frische Blumen brauchen, aber es leider nicht schaffen, diese selbst abzuholen und unseren Lieferdienst in Anspruch nehmen wollen, habe ich mich direkt gefreut. Schließlich habe ich Sie die letzten zwei Wochen in meinem kleinen Laden vermisst und außerdem würde ich unglaublich gerne etwas von Ihrer Kunst sehen."
Erst jetzt schien der Floristin aufzufallen, dass Nayla vor ihr eben erst aus dem Bett gekrochen war.
Die porzellanfarbene Haut unter ihren Sommersprossen färbte sich in zartem Rosa. „Entschuldigung. Es war keine Lieferzeit angegeben und ich dachte mir, lieber komme ich zu früh als zu spät vorbei."
Nayla wusste immer noch nicht, was los war, aber sie kam zu dem Entschluss, dass es ein Wunder sein musste. Endlich fing sie sich wieder, räusperte sich und trat dann einen Schritt zur Seite.
„Möchten Sie vielleicht hereinkommen?", war das Erste, was sie hervorbrachte.
Wieder erschien dieses unheimlich schöne Lächeln auf dem Gesicht der anderen, als sie nickte und mit dem großen, in grünem Papier verpackten Blumenstrauß eintrat.
„Setzen Sie sich bitte", meinte Nayla und deutete auf den Holzstuhl, der an dem kleinen Tisch ihrer Wohnküche stand. „Ich muss nur schnell ins Badezimmer und bin gleich wieder da. Fühlen Sie sich wie zu Hause."
In dem kleinen gefliesten Raum angekommen, spritzte sich die Künstlerin eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Immer noch konnte sie nicht fassen, dass die schöne Frau Wagner wirklich in ihrer Wohnung saß. Im Eiltempo putzte sie sich die Zähne und zog sich ihre schlichte schwarze Jeans und ein graues T-Shirt über.
Als sie aus dem Badezimmer trat, entdeckte sie den Rotschopf am Spülbecken ihrer Küchenzeile. Die junge Frau hatte eine Vase gefunden und füllte diese gerade mit Wasser für die Blumen.
„Danke, sehr lieb von Ihnen", sagte Nayla und nahm ihr die Vase ab, um sie auf den Tisch zu stellen. „Möchten Sie auch einen Mokka, oder lieber Tee?"
Das bezaubernde Lächeln auf den rosa Lippen schlug Nayla entgegen und raubte ihr ein weiteres Mal den Atem.
„Mokka, bitte. Wollen wir uns eigentlich Duzen?"
Die Künstlerin nickte grinsend. „Nayla", sagte sie.
„Jasmin", antwortete die Rothaarige.
Die Künstlerin stellte die kupferne Kanne auf den Herd, bevor sie sich Jasmins Blumenstrauß widmete. Langsam öffnete sie das grüne Packpapier, gespannt darauf, welches Arrangement sie erwarten würde.
„Wow, der ist ja traumhaft!", rief sie aus. Pinke Chrysanthemen tummelten sich neben zarten rosa Nelken und beigen, kugeligen Pfingstrosen, umgeben von zartgrünen Eukalyptusblättern.
„Schön, dass er dir gefällt", lächelte die Floristin. Wieder erschien ein rosa Hauch unter ihren Sommersprossen.
Während Nayla jede einzelne Blüte musterte und sich schon Gedanken machte, wie sie diese auf eine ihrer Leinwände bringen könnte, wurde der Raum vom Duft des Kaffees erfüllt.
„Ist das Bild dort von dir?", fragte Jasmin und deutete auf ein Gemälde, das an der Wand über Naylas Schlafsofa hing. Es zeigte ein Stillleben mit einem bunten, ausladenden Blumenstrauß.
Naylas Augen folgten ihrem Zeigefinger. „Ja, genau. Und eben für solche Bilder benötige ich deine Blumen", grinste sie.
„Richtig schön", antwortete die Floristin begeistert. „Tolle Art, sie haltbar zu machen. Darf ich dein Atelier auch sehen?"
Das aromatische Heißgetränk sprudelte in der kleinen Kupferkanne wild nach oben. Nayla drehte sich zum Herd um. Sie zog die Kanne schnell von der heißen Platte und fischte zwei Mokkatassen aus dem Hängeschrank über sich. Nachdem der Mokka ein weiteres Mal aufgekocht war, goss sie ihn in die beiden orientalischen Tassen.
„Mein Atelier ist oben", sagte sie und reichte Jasmin das Kaffeegetränk.
Mit ihrer eigenen Tasse in der Hand ging sie die schmale Holztreppe nach oben. Die Stufen ächzten gequält unter den beiden Frauen.
„Das ist mein kleines Reich", lächelte die Künstlerin und ließ ihren Arm durch den Raum wandern. In diesem Moment entdeckte sie ihr Smartphone. Sie nahm es in die Hand, entsperrte es und sah die verschickte E-Mail.
Verwirrt schaute sie wieder auf. Ihr Blick fiel auf das Gemälde von Sila. Ein seltsames Gefühl umwaberte ihr Herz. Skeptisch kniff sie ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Doch dann riss Jasmin sie aus ihren Gedanken. „Sieht gemütlich aus."
„Schau dich ruhig um, ich hole eben noch deinen schönen Blumenstrauß." Sie stellte ihre Tasse auf den Beistelltisch und flitzte die protestierenden Treppenstufen wieder nach unten. In der Wohnküche angekommen, verharrte sie und betrachtete die Blumen.
Angestrengt überlegte sie, wie diese E-Mail an Jasmin gelangt war, als wieder dieses seltsame Gefühl und ein Gedanke in ihr aufkeimte: Sila hatte auch immer solche Flausen im Kopf gehabt, aber das Gemälde, war schließlich nicht ihre Schwester, sondern eben nur ein Gemälde. „So ein Quatsch", flüsterte sie deshalb und schnappte sich die große Vase mit den Blumen.
Während sie die Stufen erklomm, dachte sie an ihre Großmutter. Jeden Abend hatte sie Sila und ihr Wundergeschichten von schönen Prinzessinnen, tapferen Kriegern und frechen Dschinn erzählt. Nayla hatte nie an sowas geglaubt, vor allem nicht an Letzteres, doch vielleicht war ja doch etwas dran an diesem Aberglauben.
Grinsend und immer noch in Gedanken versunken, kam sie oben an und hätte dort aus Schreck fast die Vase fallen lassen.
Die Floristin stand mitten im Atelier und betrachtete ein Bild, das sie dabei von sich streckte. Nayla sah die Leinwand nur von hinten, trotzdem wusste sie genau, um welches Bild es sich handelte. Wie peinlich!
Rasch stellte sie den Blumenstrauß ab. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, während ihr Puls zu rasen begann.
„Entschuldige ... ich ... das Bild ... das Bild ist ...", stammelte sie.
„Du hast mich gut getroffen", gluckste nun die Rothaarige und richtete ihren Fokus von dem Gemälde auf die Künstlerin. „Der Stil ist wirklich interessant, gibt es dafür einen Namen?"
Nayla schoss die Hitze ins Gesicht. „Jugendstil, oder auch Art Nouveau", murmelte sie kaum hörbar. „Aber es wäre noch besser geworden, wenn ich dich nicht aus dem Gedächtnis hätte malen müssen."
„Na dann werde ich den Blumen wohl bald Gesellschaft als Modell leisten müssen", kicherte die Floristin und strahlte die junge Künstlerin dabei glücklich an.
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