„Puh, was sagt ihr dazu?", fragte das gemalte Mädchen namens Sila. Sorgenvoll blickte sie zu Gaia und Picasso, die auf der anderen Seite der Staffelei standen. Ihre Künstlerin war so durcheinander gewesen, dass sie beim Gehen nicht mal das Licht gelöscht hatte.
„Unsere arme Künstlerin, wohl wahr", hauchte Gaia.
„Sie ist doch wundervoll. Warum denkt sie so schlecht von sich?", fragte Sila. Ihre heisere Stimme überschlug sich dabei verzweifelt.
„An ihrer Vergangenheit es liegt?", fragte Picasso sorgenvoll.
„Wohl wahr", antwortete die Naturgöttin. „Zu viel hat sie erlebt in ihrer damaligen Heimat: Erniedrigung, Zwang und Verlust."
„Da ist es nicht verwunderlich, dass ihr Selbstwertgefühl gelitten hat. Dabei hat sie noch vor ein paar Wochen so hoffnungsvoll geklungen, als sie begonnen hatte, das Bild der schönen rothaarigen Frau zu malen." Sila machte eine Pause und runzelte die Stirn, bevor sie weitersprach. „Was ist eigentlich eine Floristin, Gaia? Die Künstlerin erwähnt es immer wieder, wenn sie von ihr spricht."
„Eine Floristin?" Die Naturgöttin dachte nach. „Das ist eine Person, die Blumen liebt, wohl wahr, und diese an andere Menschen verkauft. Oft auch arrangiert zu schönen Gebinden, wohl wahr."
„Aha! Dann sind die schönen Sträuße bestimmt von ihr gewesen." Sila erinnerte sich an die kunstvollen Blumenarrangements, die neben der Künstlerin auf dem Beistelltisch gestanden hatten, als sie die Blüten auf dem Bild der Floristin gemalt hatte.
„Aber keine Nemulb mehr da sind", grummelte Picasso.
„Wohl wahr", meinte Gaia. „Sie bringt keine frischen Blumen mehr mit."
Eine traurige und nachdenkliche Stille entstand. Sila dachte nach, während ihr Blick durch das Atelier wanderte. „Sagt mal, Leute? Täusche ich mich, oder liegt neben dem Glas mit dem Pinsel das Smartphone unserer Künstlerin?"
„Doch, da liegt es, wohl wahr. Sila? Was machst du denn da?!"
Das Mädchen aus dem Gemälde hatte einen Entschluss gefasst. Langsam schob sie ihre Hand aus dem Bild. Erst die Fingerkuppen, dann die ganze Hand bis zum Handknöchel. Ein kribbelnder und glimmender Kranz erschien an der Stelle, an der das zweidimensionale Mädchen auf die Realität traf.
Picasso und Gaia hielten die Luft an, während Sila sich mehr und mehr aus der Leinwand pellte, doch als ihr kompletter Oberkörper in der Luft hing, stockte sie.
„Was los ist?"
„Ich komm' nicht weiter!", antwortete das von einem zarten Glimmen umgebene Mädchen.
„Sila." Gaias erdige Stimme war sanft. „Du bist ein Porträt, bei dem nur der Oberkörper gemalt wurde, wohl wahr. Du kannst nicht weiter heraus, wohl wahr. Was willst du damit denn überhaupt bezwecken?"
„Ich. Will. An. Das. Smartphone!", ächzte Sila angestrengt. Sie stützte sich mit den Handballen gegen den Keilrahmen und versuchte, sich selbst weiter aus der Leinwand zu drücken. „Argh!" Es klappte nicht. Verzweifelt gab sie auf und ließ ihren Körper vornüber aus dem Bild hängen. „So ein Mist!", wütete sie.
„Was du willst mit Smart-Dings?", brummte Picasso.
Sila blickte auf, ohne ihre missliche Position dabei zu verändern. „Eine E-Mail schreiben", nuschelte sie. Immer wenn Silas Künstlerin frische Blumen im Atelier hatte, hatte sie am Tag zuvor eine E-Mail an die Floristin geschrieben und die Blumen dort bestellt. Da die Künstlerin beim Tippen auf ihrem Smartphone alles leise vor sich hin murmelte, was sie schrieb, hatten auch die Gemälde davon Wind bekommen. Insbesondere Sila, die sich nun daran erinnerte. „Ich will der Floristin eine E-Mail schreiben!", wiederholte sie.
„Ich helfe dir, wohl wahr", erklang Gaias Stimme ganz zur Verwunderung der anderen beiden Werke, zählte die Naturgöttin nun mal nicht zu den risikofreudigen Personen. Doch bevor Sila sich versah, schob sich eine der grünen, mit Blüten bewachsenen Ranken aus Gaias Leinwand. Mit Leichtigkeit erreichte das glimmende und immer länger werdende Gewächs das digitale Gerät, umwickelte es und führte es weiter durch die Luft bis vor Silas sommersprossige Nase.
Das Mädchen hatte mit geweiteten Augen und heruntergeklapptem Kiefer das Szenario beobachtet. „Du bist die Beste", quietschte sie aufgeregt, rappelte sich auf und schnappte sich das mobile Endgerät.
„Du weißt, wie Smart-Dings funktioniert?"
„Klar, ich bin das Abbild einer vierzehnjährigen Teenagerin. Natürlich weiß ich, wie das funktioniert. Mist, Passwort!" Sie überlegte und hatte sofort eine Idee: das Geburtsdatum ihres Originals.
Ein Grinsen erschien auf Silas Lippen. „Ich bin drin."
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