20. Kapitel: Back to You
Chloe P.O.V
Ich wusste nicht so recht, wie ich es geschafft hatte, meine Augen zu öffnen. Es kam einfach über mich und ich fand, es war der richtige Moment, endlich die Augen aufzuschlagen. Seine letzten Worte haben mich dann schlussendlich wieder zurück in die Realität geholt. Ich wollte ihn nicht so lange warten lassen. Ich wollte ihn unbedingt wieder zurück. Ich wollte, dass wir so schnell wie möglich wieder zu einem WIR werden. Wir haben beide so lange auf diesen Moment gewartet und diese schwierige Zeit überstanden.
Federleicht kamen mir die Worte „Ich dich auch" über die Lippen, was für mich selbst an ein Wunder grenzte. Ich hätte nicht gedacht, dass ich wieder dazu fähig wäre, zumindest nicht so leicht. Und als ich dann noch in Nialls wunderschöne, blaue Augen blickte, wusste ich, dass ich wieder in mein Leben zurückgefunden hatte und vor Freude kullerten mir die Tränen über die Wangen, weil ich nicht mehr wirklich daran geglaubt hatte, dass ich ihn je wiedersehen werden.
Vor Freude und Glück schien auch Niall angefangen haben zu weinen und drückte mir nun einen Kuss auf die Stirn.
„Oh Shit...", lächelte er weinend und wischte sich die Tränen aus den Augen, „Endlich habe ich dich wieder. Wie ich dich vermisst habe."
Sanft streichelte er mir mit seinen Fingern über meine Hand und drückte mir abermals einen Kuss auf die Stirn. Diese Berührungen hatte ich bis ins Unermessliche vermisst und genoss sie jetzt umso mehr. Nie wieder möchte ich seine Nähe und Berührungen missen. Ich schloss meine Augen, um diesen einen, wundervollen Moment einfach genießen zu können.
„Ich bin gleich wieder da. Ich hole nur schnell einen Arzt.", meinte Niall.
Widerwillig ließ ich ihn gehen. Es fühlte sich so an, als würde wieder mal ein Teil von mir verschwinden. Ich möchte, dass es bei mir bleibt. Ich will nicht mehr allein sein. Das wird wahrscheinlich meine größte Angst werden. Allein sein will niemand.
Nach ein paar Minuten kam Niall mit Dr. Carter und Schwester Jana zurück. Ein herzliches Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie vor meinem Bett zum Stehen kamen. Während ich mir den Oberarzt genauso vorgestellt hatte, um die fünfzig, schon graue Haare, kleine Fältchen im Gesicht und die freundlichen braunen Augen, war Schwester Jana irgendwie das Gegenteil von dem, was ich erwartet hätte.
Vor mir stand nun eine junge Krankenschwester, die vielleicht gerade mal 25 war. Ich musste gestehen, dass sie echt ein Augenschein ist mit ihren langen schwarzen Haare, die fein säuberlich zu einem Zopf gebunden waren und den grünen Augen, die sehr denen von Harry ähnelten, und der schlanken Figur, die an den richtigen Stellen Kurven besaß. Jede Frau hätte für diesen Körper und dieses Aussehen einfach alles gegeben. Ich hätte gedacht, dass sie etwas älter wäre, weil sie sich, wenn sie mit mir gesprochen hat, sehr erwachsen angehört hat.
„Schön, dass Sie uns wieder mit ihrer vollen Anwesenheit beehren. Und glauben Sie mir, wenn ich jetzt sage, dass wir mehr als nur positiv überrascht sind.", sagte er lächelnd.
Niall setzte sich wieder auf den Stuhl neben meinem Bett und griff sofort wieder meine Hand, während Jana an irgendwelchen Geräten herumdrückte.
„Geht es ihnen soweit gut?", fragte er mich, worauf ich nur nickte. Ich war so erschöpft, dass ich kaum etwas sagen konnte und froh war, dass ich meine Augen offen halten konnte.
„Das ist gut. Sie werden jetzt noch etwas geschafft sein. Ihr Körper muss sich erst einmal wieder an die Belastung gewöhnen. Also dürfte es in den nächsten Tagen normal sein, dass Sie viel schlafen werden. Schwester Jana wird Ihnen jetzt noch eine Infusion gegen die Schmerzen geben, die im Laufe der nächsten Stunden eintreten können. Sie hören dann spätestens übermorgen von mir.", meinte er, während er irgendetwas auf das Klemmbrett schrieb. Er lächelte mich aufmunternd an, als er wieder aufsah.
„Sie schaffen das. Ich glaube ganz fest an Sie.", sagte er dann noch und wandte sich an Niall, „Mr. Horan, wir haben noch einiges zu besprechen. Folgen Sie mir doch bitte in mein Büro."
Er nickte mir kurz zu, setzte ein nettes Lächeln auf und verließ das Zimmer dann. Niall gab mir einen Kuss auf die Stirn und meinte, dass er gleich wieder da sein wird, ehe er dem Mann im weißen Kittel hinterhereilte.
Eigentlich war er wie jeder andere Arzt auch, vielleicht mit ein paar Abstrichen, aber im gröbsten stimmte das Bild überein. Da ich durch meine Ausbildung im Krankenhaus in Dublin viele Ärzte kennengelernt habe, weiß ich ganz genau, wie sie etwas meinen. Ich weiß also auch, dass sein letztes Lächeln nur gespielt aufgesetzt war. Die nette, fröhliche Art, damit der Patient glaubt, dass alles in Ordnung war. Aber meistens ist genau dann nicht so, wie es sein sollte. Allein schon nur, dass er mit Niall nicht vor mir reden möchte, zeigt mir, dass es sich um etwas Ernsteres handeln muss. Ich meine, ich habe ein gutes Recht darauf, zu erfahren, was mit mir ist, oder nicht?
„Sie sollten sich nicht so viele Gedanken machen. Ihr Zustand ist erschreckend stabil. Darauf kann man aufbauen.", hörte ich Schwester Jana sagen.
Damit riss sie mich komplett aus meiner Gedankenwelt und ich drehte meinen Kopf langsam so, dass ich sie ansehen kann. Sie befestigte gerade eine Kanüle an meinem Arm, die mit einem Tropf verbunden war. Sie schmunzelte mich freundlich an, während ich sie etwas skeptisch ansah.
„Sie können mir ruhig glauben. Sie sind wohl das größte Wunder, was dieses Klinikum je gesehen hat. Sie können wirklich froh sein, dass es jetzt so ist, wie es ist. Und mit diesem Mann an Ihrer Seite kann es nur bergauf gehen. Er gibt nicht so schnell auf, glauben Sie mir.", meinte sie und ging zur Tür, wo sie sich nochmal kurz umdrehte, „Sie sollten sich ausruhen. Versuchen Sie etwas zu schlafen."
Sie hatte Recht. Ich darf nicht immer so pessimistisch denken. Vielleicht ist ja auch alles gut und schön, aber das ist ungefähr so unwahrscheinlich, wie eine sprechende Katze zu besitzen. Ich muss jetzt einfach Vertrauen in die Ärzte hier haben. Sie werden schon wissen, was sie hier mit mir machen und was noch nötig ist, damit ich wieder vollständig auf die Beine komme. Und vor allem vertraue ich Niall. Ich würde ihm mein ganzes Leben anvertrauen und wenn er sagt, dass alles in Ordnung ist, glaube ich ihm das. Er würde mich in so einer Sache nie anlügen.
Mit der Zeit fielen mir dann doch die Augen zu, obwohl ich eigentlich vorhatte, auf Niall zu warten. Aber meine Erschöpfung traf irgendwann einen Punkt, an dem meine Augenlider sich selbstständig machten und einfach nach unten fielen.
Ich war hundemüde, was zum großen Teil daran lag, dass ich einfach keine Kraft hatte. Ich fühlte mich einfach komplett ausgelaugt. Ich weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal so schwach gefühlt habe. Ich spüre jetzt noch nicht mal meinen ganzen Körper und eine kleine Kopfbewegung macht mich zu schaffen. Was soll das denn erst werden, wenn ich wieder alles bewegen muss? Dann bin ich nach einer Minute schon k.o. oder wie? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich so schnell wieder auf die Beine kommen will, wie ich es mir eigentlich vorgenommen hatte. Aber da muss ich jetzt wohl oder übel durch.
Irgendwann überfielen mich dann meine inneren Traummonster und schleppten mich in einen neuen, mir total unbekannten Traum. Doch eigentlich war er überhaupt nicht unbekannt, zumindest nicht alles.
Zusammen saßen wir als Familie in der wunderschönen Landschaft von Irland. Wir dachten uns, dass wir unseren diesjährigen Urlaub einfach bei Nialls Dad verbringen können.
Und so kam es, dass wir jeden Tag an der frische Luft waren und durch die Natur Irlands wanderten. Der Sommer schien endlich alles des Landes erreicht zu haben. Die Sonne strahlte am wolkenfreien Himmel, die Vögel zwitscherten in den Bäumen. Ja, man konnte sogar die Bienen summen hören.
Während Bobby und ich es uns auf der Decke bequem gemacht hatten und er sich schon am Picknickkorb zu schaffen machte, tollte Niall mit Jordan und Aine über die Wiese, auf der die Blumen nur so sprießten. Alle sind so unendlich glücklich. Während sich Jordan lachend wie ein Klammeraffe an Nialls Bein festhält, sodass mein Verlobter beinahe hingefallen wäre, hüpft Aine lächelnd über die Blumenwiese, um vor ihrem Dad zu flüchten, der es ja durch Jordan schwerer hat, sie einzufangen.
Mit Späßen, die Niall immer trieb, schaffte er es immer, unsere Kinder zum Lachen zu bringen und ihnen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Ich solchen Momenten mit meiner Familie bin ich der glücklichste Mensch auf Erden. Ich kann mir einfach nichts Schöneres vorstellen.
Nachdem Niall es geschafft hatte, Aine einzufangen und Jordan von seinem Bein zu lösen, kam er mit beiden zurück zur Picknickdecke gestiefelt.
„Mummy, ich hab Hunger.", sagte Jordan, während Aine sich als erstes die Trinkflasche krallte, weil sie ziemlich außer Atem war.
Ich holte dann die Dose mit den Kuchenstückchen raus und reichte sie an meinen Sohn weiter, welcher sich sofort einen in den Mund schob. In dieser Hinsicht konnte man definitiv nicht übersehen, dass er Nialls Sohn war. Als Niall sich auch gerade einen Kuchen nahm und ihn genau wie Jordan in den Mund schob, schlug ich ihm gegen die Schulter.
„Waschh?", nuschelte er hervor und sah mich nun fragend an.
„Du isst wie ein... Du bist ein schlechtes Vorbild und beschwerst dich selbst immer, wenn unsere Kinder nicht ordentlich essen. Woran das wohl liegt? Wie der Vater so die Kinder.", antwortete ich und sah ihn nun leicht sauer an. Bobby schien mal wieder unsere Auseinandersetzung sehr amüsant zu finden, denn er beobachtete uns schmunzelnd.
Niall sagt erst nichts und überlegte wahrscheinlich gerade, was ich da gesagt hatte, bis es irgendwann in seinem Kopf zu rattern begann und er verstand, was ich meinte. Er zog mich mit einem frechen Grinsen zu sich auf den Schoß.
„Das hast du jetzt nicht so gemeint."
„Doch hab ich.", gab ich grinsend zurück.
„Na warte."
Und dann drehte er mich so, dass ich unter ihm lag, und begann mich zu kitzeln. Lachend schnappte ich nach Luft. Doch auch so sehr ich versuchte, mich irgendwie zu wehren oder Niall dazu zu bringen aufzuhören, ich schaffte es nicht. Er verlangte von mir, dass ich sage, dass ich das nicht ernst gemeint habe. Ich konnte es einfach nicht sagen, weil es die Wahrheit war. Und so kitzelte er mich weiter durch und grinste mich an, um mir zu zeigen, dass er seinen Spaß hatte.
„Hör bitte auf. Ich nehme alles zurück.", brachte ich mühsam hervor.
Sofort ließ Niall von mir ab und drückte mir grinsend einen Kuss auf den Mund.
„Blödmann.", fluchte ich leise auf Deutsch, auch wenn es nicht ernst gemeint war.
Und so saßen wir dann alle gemeinsam auf der Decke und vertilgten die Speisen, die sich im Picknickkorb befanden, bis dieser endlich leer und wir alle vollgefuttert waren.
Nachdem wir alles wieder zusammengepackt hatten und es langsam auf den Abend zuging, machten wir uns wieder auf den Weg zum Auto, da wir wirklich weiter von der Stadt entfernt waren als sonst und Aine und Jordan nicht so lange laufen können, wie der Weg lang ist.
Bobby erklärte sich freiwillig, hinten zwischen den Zwillingen zu sitzen und die möglichen Streitereien über sich ergehen zu lassen. Ich schnallte die beiden also in ihren Kindersitzen an und stieg dann nach vorn zu Niall.
Die Fahrt wurde sogar recht lustig, weil Bobby versuchte, den Streit der beiden Kinder zu schlichten, sie ihn aber komplett ignorierten, sodass er letztendlich aufgab.
„Beide sind einfach nur Dickköpfe.", schmunzelte er.
„Rate mal von wem sie das haben.", lachte Niall und sah mich von der Seite provozierend an.
Ich winkte nur ab, weil eine Diskussion nichts bringe würde. Ich würde mich nur aufregen und Niall sich darüber lustig machen, weshalb es im Endeffekt für mich keine Lösung bringt.
Von jetzt auf gleich veränderte sich das Wetter plötzlich. Anstatt des Sonnenscheins waren nun dicke Gewitterwolken aufgezogen. Dunkel und tief hingen sie am Himmel. Es fing an, zu stürmen und der Regen prasselte nur so auf das Autodach. Keine Sekunde später konnte man einen Blitz am Horizont erkennen, hell und grell. Ein perfekter Kontrast zur schwarzen Gewitterwolke. Ein lauter Donner folgte, sodass Aine und Jordan sich erschreckten und sofort aufhörten, sich zu streiten. Aus Angst griffen sie beide nach einer Hand ihres Grandpas.
„Mummy, ich hab so Angst.", flüsterte Jordan.
Ich drehte mich zu ihm um, streichelte kurz über sein Bein und sah ihn lächelnd und ermutigend an: „Alles wird gut, Schatz. Mit Sicherheit."
Ich drehte mich wieder nach vorn zu Niall, der mich nun lächelnd ansah. Ich konnte nicht anders und erwiderte sein Lächeln sofort, weil es einfach zu ansteckend ist.
Und dann passierte alles voll schnell. Ich konnte mir nicht erklären, wo auf einmal der LKW herkam, der mit voller Geschwindigkeit auf uns zuhielt. Meine Angst stand mir nun komplett ins Gesicht geschrieben, als der LKW die Kontrolle verlor, weil die Straße durch den Regen schon etwas rutschig war, sodass er mit voller Kraft in uns hineinfuhr. Das Auto wurde etwas durch die Luft geschleudert und ich konnte einen kurzen Blick auf Niall erhaschen, der vergebens versuchte, dass sich unsere Blicke trafen.
Ich kann nicht sagen, wie sich in dem Moment mein Herz zusammenzog. Ich konnte meine Knochen knacken hören und wie sich irgendetwas in meine Lungen bohrte, sodass ich nicht mehr fähig war, zu atmen. Mein Hals schnürte sich komplett zu und ich rang keuchend nach Luft bis alles schwarz vor meinen Augen wurde. Die Leere umfing mich. Kalt, schwarz, unendlich. Angst machte sich in mir breit. Angst und Panik.
„Du darfst jetzt nicht die Kontrolle verlieren.", sagte mir eine Stimme.
Doch ich konnte nicht. Da war einfach nichts mehr, was ich kontrollieren könnte, oder etwas, an das ich mich festhalten könnte. Und so schrie ich und wand mich, in der Hoffnung, dass mich jemand hier rausholt.
„Chloe! Chloe!", rief eine Stimme von weit weg und ich spürte eine Hand, die an meine Schulter drückte.
Erschrocken schnappte ich nach Luft und hätte vermutlich kerzengerade im Bett gesessen, wenn ich mich schon wieder bewegen könnte. Der Albtraum schoss mir immer noch durch den Kopf und ich konnte die Nässe auf meiner Wange fühlen, die ich mal als Tränen identifizierte.
Als ich auf meine Hände sah, zitterten und schwitzten diese enorm. Eine Hand legte sich auf meine und ich zuckte schreckhaft zusammen. Mein Kopf drehte sich schnell in die Richtung, wo die Person sitzen musste. Blaue Augen musterten mich und sahen mich sorgevoll an. Diese Augen würde ich überall wiedererkennen. Dass Niall mir nur gegenübersaß und ich seine Nähe und Wärme spüren konnte, beruhigte mich ungemein und ich entspannte mich etwas.
Trotzdem kamen da immer wieder diese Bilder des Unfalls in meinen Kopf. Das perfekte Leben, das sich in einen einzigen Albtraum verwandelt. So schnell kann es gehen und ehe man sich versieht, trifft es einen selbst. Das Schicksal kann manchmal schon echt gemein sein, oder? Es überfällt immer diejenigen, die das Glück und die Liebe mehr als nur verdient haben, und nimmt ihnen dann diese Freude. Ist das nicht ungerecht? Aber was kann man dagegen schon machen? Nichts.
Und so muss ich das alles über mich ergehen lassen. Und ich bin gerade eine Person, die so viel Glück hatte, dass es anderen doch deutlich schlechter gehen muss. Dennoch weiß ich jetzt, dass dieser Weg kein Spaziergang ist und man immer wieder zurückfallen kann. Ich habe Angst vor diesem Rückfall. Ich habe einfach nur schreckliche Angst, dass das alles wieder passieren wird.
„Geht es dir gut? Du hattest einen Albtraum oder?", fragte mich Niall, der sanft über meine noch immer zitternde Hand streichelte.
Am liebsten hätte er mich fest in seine Arme geschlossen, das konnte ich in seinen Augen erkennen. Aber dennoch war da diese Vorsicht, dass ich zerbrechen könnte, wenn er mich an sich drückte. Gerne hätte ich wieder eine seiner liebevollen Umarmungen genossen, aber vorerst sah Niall leider davon ab.
„Woher...?"
„Du hast geschrien. Und als dir dann noch Tränen über die Wangen liefen und du so viel geschluchzt hast, wusste ich, dass es nur ein Albtraum sein konnte.", unterbrach er mich mitten in der Frage.
Ich nickte nur. Ich konnte einfach nichts anderes dazu sagen, selbst wenn ich es konnte. Ich fühlte mich gerade nicht der Verfassung dazu, weder physisch noch psychisch.
„Willst du mir davon erzählen? Vielleicht geht es dir dann besser.", meinte er, doch ich schüttelte nur den Kopf.
Niall versuchte es die nächsten Minuten immer wieder. Ich konnte seine Sorge um mich verstehen, und dass er mir unbedingt helfen will, doch das kann er nicht, dabei zumindest jetzt nicht. Er hilft mir allein schon nur dadurch, dass er hier ist und mich nicht allein lässt. Das hat im Moment so viel Wert für mich.
„Singst du nochmal das Lied, was du nur für mich geschrieben hast?", fragte ich ihn flüsternd.
Erstaunt sah Niall mich jetzt an und daran konnte ich perfekt erkennen, dass er damit nicht gerechnet hatte. Doch dann lächelte er mich an.
„Ich hab meine Gitarre aber nicht dabei.", gab er entschuldigend zurück.
„Ich möchte es trotzdem hören.", bat ich ihn.
Mir war es recht egal, ob mir den Song nun mit oder ohne Gitarre vorsingt. Ich möchte ihn einfach nur hören und in Nialls wunderschönen Stimme versinke so wie zu Hause in Irland, als ich mich immer in das Musikzimmer geschlichen hatte, um den Tönen und Melodien zu lauschen, die mich buchstäblich in andere Welten getragen haben.
Und als er dann anfing, diesen Song wieder für mich zu singen, schloss ich die Augen und war sofort in einer anderen Welt. Allein schon nur bei den ersten Tönen zog sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper und alle Haare stellten sich auf. Es war beeindruckend mit wie viel Gefühl er dieses Lied sang, nur für mich.
Es versetzt mich immer in die Zeit in Irland zurück. Alles friedlich, alle glücklich und mittendrin wir. Ob vor dem Kamin im Winter oder auf der Terrasse in Sommer, wir sangen, lachten und liebten zusammen. Doch dass das vorerst ausbleiben würde, sollte ich erst später erfahren.
Ganze zwei Wochen später hatte ich zumindest schon mal Kraft. Ich fühlte mich nicht mehr so ganz ausgelaugt wie davor, aber dennoch merkte ich, dass ich den alten Zustand meines Körpers noch lange nicht erreicht hatte. Wenn man diese Phase mit der Besteigung eines Berges vergleichen würde, würde ich gerade am einen Schritt gemacht haben. Ich habe also noch einen langen Weg vor mir.
Jeden Tag kam Dr. Carter zu mir und führte weitere Tests durch und sagt nie etwas zu mir bezüglich meiner Gesundheit. Da zog er Niall lieber vor, der mir aber ebenso wenig berichtete, was mich umso mehr stutzig machte. Aber da ich Niall vollkommen vertraue, würde er mir schon die Wahrheit sagen, wenn es irgendwas Schlimmes geben würde, was ich wissen sollte.
Aufstehen durfte ich auch noch nicht. Einfach gesagt: Bettruhe. Keine Störungen und Ablenkungen, sprich Handy, Telefonate, Fernsehen oder sonst irgendwas. Ich glaube, mittlerweile darf ich gar nichts mehr, außer liegen und atmen und natürlich Besuch empfangen.
Vor zwei Tagen kamen mich Magritte, Aine und Jordan besuchen und ich flennte nur so vor Freude. Meine Kinder hatten sich so weit entwickelt. Sie konnten schon längere Sätze sprechen, obwohl Jordan sich damit noch etwas schwer macht. Sie sind gewachsen und wie. Im letzten halben Jahr sind sie einen ganzen Kopf größer geworden, zumindest erscheint mir das so. In allem haben sie Fortschritte gemacht und ich habe alles verpasst. Wenn sie mir stolz erzählt haben, dass sie ganz tapfer die Impfung, ohne zu weinen, überstanden hatten oder mit dem Kindergarten zum Frühling Frühblüher gepflanzt haben, dass Jordan schon viel mit dem Laufrad fährt und auf dem Keyboard rumklimpert, war ich erstaunt, aber gleichzeitig auch sehr traurig.
Es ist deprimierend für mich, dass ich die Zeit, in der sie so viel dazugelernt haben, verpasst habe. Es ist wir eine Last, dass ich da nicht ihrer Freude und ihren Erlebnissen teilhaben konnte. Trotzdem war es ein unbeschreibliches Gefühl, sie wieder in meine Arme zu schließen, mit ihnen zu kuscheln und sie abzuknutschen. Am liebsten hätte ich sie nie wieder losgelassen, doch irgendwann mussten sie gehen.
Eigentlich sollte Niall heute schon längst da sein, doch es ließ sich Zeit, viel Zeit, was ich überhaupt nicht von ihm kannte. Vielleicht war ja irgendwas vorgefallen, sodass er sich verspätete.
Und da lag ich gar nicht mal so falsch, als die Tür von meinem Zimmer aufging und Bett reingeschoben wurde. Normalerweise bekam ich nie einen Zimmernachbarn.
Doch als ich sah, um wen es sich handelte, rutschte mir mein Herz in die Hose. Grace. Was zur Hölle machte sie hier? Ich... ich wusste nicht, was das hier sollte.
Gemächlich und entspannt kamen Harry und Niall mit einem Lächeln auf den Lippen ins Zimmer geschlendert. Wie konnten sie nur so glücklich sein? Meine Schwester liegt direkt neben mir in einem Krankenbett.
Niall kam auf mich zu und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Als er meinen verstörenden und verwirrten Blick sah, grinste er nur noch breiter. Ich hasse es, wenn ich nicht weiß, worum es geht aber alle anderen. Ich sah zu Harry, der überglücklich bei Grace auf dem Bett saß und ihr über die Haare streichelte.
„Was ist hier los? Warum liegt meine Schwester...?", fragte ich immer noch komplett neben der Spur.
„Alles zu seiner Zeit.", schmunzelte Niall.
Am liebsten hätte ich ihm sogleich meine Meinung gesagt, doch Stress und Aufregung waren für mich nicht gut, also ließ ich es.
Nach ein paar Minuten öffnete meine Schwester ihre Augen und lächelte ebenso freudig zu Harry hoch.
„Wo ist er?", fragte sie.
„Sie bringen ihn gleich her.", kam es von Harry zurück, der jetzt noch mehr grinste, schlimmer als ein Honigkuchenpferd.
„Wen bringen sie her?", fragte ich und versuchte mich etwas aufzusetzen, um Grace besser sehen zu können. Doch ein höllischer Schmerz durchfuhr mich und ich verzog das Gesicht.
„Ganz langsam, Baby. Bleib bitte einfach liegen.", bat mich Niall, der mich jetzt etwas sorgevoll ansah, weil sein Beschützerinstinkt sogleich aus ihm sprach.
„Chloe, du bist Tante.", rief meine Schwester freudig.
Ich war erst einmal sprachlos und musste das verarbeiten, was sie gerade gesagt hatte. Und als ich dann endlich gecheckt hatte, um was es ging, zogen sich meine Mundwinkel nach oben und Tränen kamen mir in die Augen.
In dem Moment ging die Tür auf und das kleine Bettchen wurde von einer Schwester reingeschoben. Vorsichtig legte sie das Kind in die Arme meiner Schwester. Mit voller Begeisterung beobachtete ich, wie Grace sachte die kleinen Finger in ihre Hand nahm. Harry stand stolz daneben und lächelte liebevoll zu seinem Kind runter.
„Wenn es dir und dem Kind gutgeht, warum bist du dann hier auf der Intensivstation?", fragte ich sie schniefend.
„Ich wollte hierher verlegt werden, damit ich bei dir sein kann. Und Dr. Carter fand es gar nicht mal so schlecht. Und hier bin ich.", lächelte sie, „Willst du ihn auch mal halten?"
„Aber klar doch. Da fragst du noch?"
Harry nahm ihr das Baby ab und legte es behutsam in meine Arme: „Dein Neffe Robin Corey"
Und schon wieder kamen mir nur noch mehr die Tränen, als dieser kleine Murkel in meinen Armen lag. Die Stupsnase hatte er definitiv von Grace. Einfach nur zu niedlich wie er mit offenem Mund schläft. Das erinnert mich irgendwie direkt an Sydney, der genauso war. Vorsichtig streichelte ich ihm über die Wange.
„Du kannst ihn gerne wiederhaben. Die paar Minuten reichen mir aus.", meinte ich und gab das Kind wieder zu Harry.
Die paar Minuten reichen aus, um wieder die Momente als werdende Mutter in mir aufleben zu lassen. Wie stolz man doch war, als man sein Kind in den Armen gehalten hat, der Mann fürs Leben an deiner Seite stand und euch beide angelächelt hat. Das war ein Moment des puren Glückes.
„Niall... ich muss dir noch etwas sagen, was wahrscheinlich schon längst überfällig ist.", meinte ich und drehte meinen Kopf zu ihm. Er sah mir einfach nur in die Augen, ohne etwas zu sagen.
„Ich wollte es dir eigentlich an Silvester sagen, aber dann ist all das andere passiert und ich hatte nicht mehr die Gelegenheit dazu. Ich dachte, es wäre vielleicht eine schöne Überraschung für das neue Jahr. Ich wollte dir sagen, dass ich schwanger bin...", sprach ich einfach weiter, ohne mich von seinem Blick zu lösen.
In Nialls Augen glitzerten die Tränen, die Sekunden später über seine Wangen rollten. Doch als ich erkannte, dass es keine Freudentränen waren, stockte ich kurz. Neun Monate sind schon lange vorbei und... Als ich begriff, dass wir kein weiteres Kind bekamen und ich es möglicherweise verloren hatte, schluchzte ich niedergeschlagen auf. Die Tränen rannen nun auch mir über die Wangen. Ich hatte unser Kind verloren. Ich... Ich kann mir das nie verzeihen. Und so steigerte ich mich immer weiter rein anstatt mich zu beruhigen. Die Tränen flossen um unser verlorenes Kind. Niall setzte sich auf meine Bettkante und zog mich an seine Brust.
„Baby... Ich... Es tut mir so leid.", murmelte er in meine Haare.
„Ich...", schluchzte ich bitterlich und schüttelte den Kopf, „Nein... das kann nicht..."
Tja ihr seht also, es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Und das wird es so schnell auch nicht, das kann ich euch mit ziemlicher Sicherheit sagen 😈
Was wird jetzt wohl folgen? Ich bin mal auf eure Ideen gespannt
Schöne neue Woche 😚
Chloe :)
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