✗ 9. | l e v i
Nachdenklich strich mein Finger über das blaue Display, um weitere Informationen zu suchen. Eveline hatte schnell entschieden, ob sie sich näher mit der Person befassen wollte, die ich für sie gefunden hatte. Sie hatten nun seit zwei Wochen über die Plattform Kontakt und heute war der Tag, an dem sie sich zum ersten Mal verabredet hatten. Sie hatten sich für ein neutrales Café in der Öffentlichkeit entschieden. Evelines Begeisterung war durch ihre Aufregung und Unsicherheit etwas gedämpft, aber sie hatte schließlich zugestimmt. Ich verengte die Augen. Als Vertragspartner konnte ich Eveline im Auge behalten, selbst wenn ich mich in meiner Welt aufhielt. Doch das hatte ich in all den Jahren bisher nicht getan. Warum überkam mich nun der Drang, es zu tun? Mein Zeigefinger bewegte sich über das Display und gelangte zur Vertragspartner-Überwachung.
„Tue es!" Erschrocken drehte ich mich um. Reflexartig holte ich mit der Faust zum Schlag aus und traf Hange an der Schulter. Überrascht stolperte sie zurück und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die betroffene Stelle.
„Au!", jammerte sie. „Was soll das?"
„Hast du noch alle Tassen im Schrank, dich heimlich in mein Büro zu schleichen? Beim nächsten Mal breche ich dir die Nase!"
„Herrschaftszeiten. Darf ich denn meine Fähigkeit der Unsichtbarkeit nicht einmal für einen Scherz nutzen?"
„Du bist eine Schande für deine Ahnen von Spionen!", zischte ich verärgert.
Hange rieb sich die Schulter. „Schon gut. Wie läuft es denn?", erkundigte sie sich und blickte auf das Display. Eveline und ihre Verabredung waren zu sehen, wie sie draußen an einem Tisch des Cafés saßen. Anscheinend war ich durch Hanges Aktion doch zum Überwachungsfeld gelangt. Mit Interesse betrachtete sie jedes Detail, das die magische Übertragung bot. „Ah", murmelte sie zustimmend. „Deine Klientin hat also endlich ein Date. Ist das derjenige, den du ausgesucht hast?"
„Ja", murmelte ich verärgert. „Aber was hat dich das alles zu interessieren? Das ist nur ein weiterer Grund, dir die Nase zu brechen, damit du sie nicht in jede Angelegenheit steckst!"
„Komm schon! Ich schaue mir oft auf diese Weise die Menschenwelt an. Das hat mich schon viele Abende lang unterhalten!", kicherte Hange.
„Meine Klientin ist nicht Teil deiner Unterhaltung!", erwiderte ich und mein Finger zuckte zum Abbruch.
„Oh weh. Aber die Körpersprache deiner Vertragspartnerin wirkt nicht entspannt. Eher abweisend." Hanges Bemerkung hielt mich zurück. „Täuscht mich das, oder redet dieser Typ schon seit fünf Minuten, ohne dass sie etwas sagt? Schalte doch mal den Ton ein!"
Ich schnaubte verächtlich und ließ das Display verschwinden. „Ich werde mich nicht einmischen, und das soll auch nicht zu deinem Vergnügen dienen! Was willst du hier?"
Hange zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich wollte eigentlich nur erfahren, wie es bisher mit deinem Auftrag läuft. Du hast mir erzählt, dass sich der Wächter deiner Klientin zu erkennen gegeben hat, und da hatte ich Schlimmes befürchtet. Er hatte sich doch als Arbeitskollege getarnt, oder? Hat sie etwas erwähnt, nach eurem Treffen?"
„Nein. Er ist anscheinend krankgeschrieben." Hange starrte mich an. „Was ist los? Willst du jetzt wissen, ob ich sie darüber informiert habe, dass ihr Kollege ihr Wächter ist? Natürlich nicht. Selbst ohne das Verbot, dass Menschen niemals von der Tarnidentität ihres Wächters erfahren dürfen, wäre sie von der Situation überfordert." Hange grinste. „Hast du getrunken? Wenn du nichts zu sagen hast und mich nur doof anschaust, kannst du verschwinden!", sagte ich scharf.
„Du verbringst ziemlich viel Zeit in der Menschenwelt", stellte Hange mit einem merkwürdigen Unterton fest. „Du kümmerst dich wirklich um deinen Vertragspartner. Wenn du so weitermachst, wirst du noch zum Mitarbeiter des Monats", kicherte sie.
Ich rollte genervt mit den Augen. „Sicher. Was noch?"
„Bist du sicher, dass du dir nicht zu viel zumutest?", fragte Hange ernsthaft. „Es ist ehrenwert, dass du versuchst, dem Ruf deiner Spezies entgegenzuwirken, aber wir Dämonen haben einfach kein Verständnis für das Glück der Menschen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie Liebe so definieren wie wir."
„Glaubst du also, dass Emotionen und Gefühle je nach Welt unterschiedlich sind? Wir haben doch auch Familie und Freunde, genauso wie die Menschen. Diskriminierung ist auch in keiner der Welten unbekannt."
„Ja, sicher. Aber nur weil etwas in der Menschenwelt als Gabel bezeichnet wird, bedeutet das nicht, dass es in unserer Welt nicht auch ein Löffel sein kann."
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Sollte das gerade eine merkwürdige Metapher sein, oder was? So oder so, es ist und bleibt Besteck. Und jetzt verschwinde! Deine verdrehte Denkweise könnte sonst noch abfärben!", seufzte ich und stieß sie mit meinem Fuß in Richtung Tür. Glücklicherweise ging sie, ohne mir weiter auf die Nerven zu fallen, kommentarlos aus meinem Büro. In der Zwischenzeit beschloss ich, meine liegengebliebene Büroarbeit zu erledigen. Der Zwischenbericht zu meinem neuen Auftrag würde sich allerdings recht kurzfassen lassen. Wenn das Date von Eveline kein Erfolg sein sollte, müsste ich im Hinterkopf behalten, dass es möglich wäre, dass der Vertrag mit ihr zurückgezogen wurde. Es war zwar selten der Fall, aber wenn ein Auftrag in den Zwischenberichten für die Vorgesetzten erfolglos erschien, wurde er zurückgezogen. Die menschlichen Erinnerungen bezüglich unserer Begegnung und des Vertrags wurden ohnehin gelöscht. Ohne große Emotion blickte ich auf die Zeilen und entschied mich spontan, die Lage zu meinen und Evelines Gunsten etwas auszuschmücken. Den Bericht reichte ich wenig später an der zuständigen Rezeption ein. Als ich die Zentrale verlassen wollte, vernahm ich Evelines Ruf in meinen Gedanken. Genauer gesagt, war es ein mentaler Wunsch ihrerseits nach meiner Anwesenheit, der mich erreichte.
Ich öffnete das Portal, welches mich in die Nähe von Eveline führte und gelangte so an einen unscheinbaren Ort in der Menschenwelt. Offensichtlich hatte sie das Café verlassen, denn ich befand mich nun in einem Park, umgeben von Bäumen und Sträuchern. Nur wenige Meter saß Eveline auf einer Bank.
„Was für eine Verschwendung von Wünschen", bemerkte ich, als ich mich ihr näherte.
Eveline starrte mich überrascht an. „L-Levi, du hier?"
„Sicher." Ich deutete auf meine Schläfe. „Als Vertragspartner nehme ich auch gedankliche Wünsche wahr. Du wolltest, dass ich hier bin, und hier bin ich. Aber was machst du eigentlich hier?"
Eveline presste ihre Lippen zusammen und wandte ihren Kopf zur Seite. In der Zwischenzeit setzte ich mich neben sie. „Ich ... ich habe das Date abgebrochen", murmelte sie.
„Verstehe. Willst du mir sagen, warum?"
Eveline atmete tief durch. „Beim nächsten Mal solltest du vielleicht die gesamte Akte der betreffenden Person lesen", seufzte sie.
„Wenn du das möchtest. Was war das Problem?"
„Nun ja ... während wir miteinander geschrieben haben, sind bestimmte Eigenschaften überhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Du meintest, er schätzt Ehrlichkeit und Treue, richtig? Der Kerl lebt im Mittelalter!", entfuhr es ihr entsetzt. „Er ist der Meinung, dass nur die Frau treu sein und für den Mann sorgen sollte. Ich hatte kaum Raum in den Gesprächen, und wenn ich etwas zu einem Thema äußerte, hat er mir unmissverständlich klar gemacht, dass meine Meinung nichts zählt, weil ich eine Frau bin. Ich habe noch nie so etwas Unangenehmes erlebt, und das, obwohl meine Exfreunde schon schlimm waren!"
„Und du bist einfach gegangen?", fragte ich und schlug ein Bein übereinander.
„N-Nein ... also ... vielleicht doch ... als wir uns verabschieden wollten, hat er mich ganz unangenehm an sich gedrückt und mir einen Kuss gegeben. Daraufhin habe ich ihm eine Ohrfeige verpasst und bin abgehauen."
„Ich erinnere mich, in einem bestimmten Abschnitt deiner Akte gelesen zu haben, dass du Dominanz ansprechend findest. Aber in diesem Fall scheint es nicht so zu sein. Woran ..."
„Das ist was völlig anderes! Nur weil ich in manchen Situationen Dominanz anziehend finde, bedeutet das nicht, dass ich wie ein Objekt behandelt werden will!", unterbrach sie mich empört. „Dieser Kerl hatte überhaupt keinen Respekt vor mir! Einfach nur widerlich! Auf so ein Date kann ich wirklich verzichten!"
„In Ordnung. Beim nächsten Mal werde ich die Akte gründlicher überprüfen. Trotzdem sind wir jetzt wieder am Anfang", räumte ich ein und öffnete das Display, um den Fortschritt ihres eigentlichen Wunsches zu überprüfen. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Der Fortschritt war bei fünfzehn Prozent. Eigentlich hätte dieses Date den Prozentsatz auf null bringen sollen. Woher kam also diese Anzeige? War es ein Fehler?
„Es tut mir wirklich leid wegen deiner Bemühungen, aber ich möchte den heutigen Tag einfach nur vergessen", sagte Eveline und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. „Es war einfach nur ... ekelhaft, daran zu denken, dass seine schmierige Zunge in meinem Mund war..." Sie schüttelte sich angewidert. „Pfui! Nein! Nie wieder!"
Ich schloss das Display. „Er wurde aber nicht weiter zudringlich, oder?"
„Nein. Er hat wahrscheinlich nicht mal verstanden, warum ich ihm eine Ohrfeige verpasst habe. Seltsam. Im Vergleich dazu war dein Kuss tausendmal angenehmer, obwohl wir uns auch kaum kennen", sagte Eveline und sah zum Himmel hinauf. „Jetzt, wo du hier bist, fühle ich mich viel entspannter. Ich sollte mich dafür bedanken, dass du es gut mit mir meinst."
„Das heutige Ende war auch teilweise meine Schuld. Ich sollte bei der Auswahl potenzieller Partner für dich aufmerksamer sein, Eveline. Bedanke dich also nicht bei mir. Der heutige Tag war verschwendet", murmelte ich unzufrieden.
„Ich sehe das nicht so", sagte Eveline und drehte ihren Kopf zu mir. „Schließlich bist du jetzt hier. Lass uns doch aus Spaß ein Date haben. Nach der Vorstellung des Typen kannst du eigentlich nichts falsch machen", lächelte sie amüsiert.
„Was? Das meinst du nicht ernst? Soll ich jetzt als Ersatz herhalten, oder wie?"
„Nein. Ich möchte dich nur besser kennenlernen und etwas mit dir unternehmen."
Mein Blick senkte sich nachdenklich und ich atmete hörbar aus. „Das hilft uns aber nicht weiter."
„Ja, aber du wirst heute sowieso keine neue Person finden. Dann möchte ich diesen Tag als schöne Erinnerung behalten", entgegnete Eveline überzeugt. „Oder hast du keine Lust?"
„Daran liegt es nicht. Es ist nur, dass ich nicht wirklich der Typ für ein Date bin, verstehst du? Ich halte nicht viel von solchen Dingen. Entweder man fühlt sich zueinander hingezogen oder eben nicht."
„Aber wir kommen doch gut miteinander aus. Ist das nicht genug?" Eveline schaute mich lange erwartungsvoll an. Mit einem Seufzer gab ich schließlich nach. „In Ordnung."
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