✗ 35. | E V E L I N E
Irritiert starrte ich die Rothaarige an. Ich hatte absolut keine Ahnung, wovon sie da sprach. »Gesetz in dieser Welt? S-Seid ihr etwa von der Regierung, oder so etwas? Ich ... ich möchte einfach nur nach Hause.«
Skuld legte behutsam ihre Hand auf meine Schulter. »Hör nicht auf die beiden. Sie waren noch nie gut darin, Informationen zu übergeben. Ihre Devise ist eher der Brechhammer«, meinte sie ruhig und schob mich leicht Richtung Nebenzimmer. »Ich werde dir all deine Fragen beantworten. Zieh dir erst einmal etwas an.«
»Skuld!«, begann Urd bestimmend. »Ich und Verdandi distanzieren uns von dieser Sache, sei dir dessen bewusst. Es liegt in deiner Verantwortung, wenn die anderen Welten uns in irgendeiner Form deswegen anklagen wollen.«
Die Blonde seufzte nur und führte mich in den Nebenraum, der sich als Küche herausstellte, an deren Ende ein weiterer Flur entlangführte. »Auch wenn ich verstehe, dass du durcheinander bist, muss ich dir dennoch sagen, dass dies hier kein Ort ist, den du mit deiner Erde vergleichen kannst, Eveline«, sagte sie, während wir in ein Badezimmer traten. »Du wurdest von deinem Wächter hierhergebracht, um dich zu schützen.«
Ich schluckte aufgeregt und ließ meinen Blick beiläufig durch den Raum wandern. »Von wem wurde ich hierhergebracht? Wurde ich entführt? Ist das der Name einer kriminellen Organisation? Ich verstehe absolut nicht, was hier passiert!«, wurde ich unabsichtlich lauter. »Ich will einfach nur nach Hause!«
Skuld musterte mich bemitleidend. »Das verstehe ich. Aber ich möchte dich auch nicht in falsche Hoffnung wiegen, wenn ich sage, dass du bestimmt in deine Welt zurückkehren kannst.«
Überfordert glitt mir die Kleidung aus den Händen. »Was soll das alles? Wo zum Teufel bin ich?« Ein stechender Schmerz durchzog für einen kurzen Moment meine Schläfe.
Welt ...
Meine Welt.
Eine andere Welt.
Ich hatte das Gefühl, so etwas Ähnliches schon einmal gehört zu haben. Doch warum? Es war nicht aus einem Film oder Buch. Solche Worte hatte jemand zu mir gesagt. Aber wer?
»Deine Erinnerungen sind weiterhin vernebelt, wie mir scheint. Im Normalfall wird jede Magie gebrochen, die auf ein Wesen liegt, sobald sie in unsere Welt gelangt«, unterbrach Skuld meine Gedanken.
Ich schaute sie verwirrt an, ehe ich die Kleidung aufhob. »Ich ... bin schon seit Stunden komplett durcheinander«, murmelte ich zu mir selbst. »Nichts ergibt einen Sinn. Und ich werde mit Dingen konfrontiert, die ich kein Stück einordnen kann. Außerdem frage ich mich, was mit Erwin ist. Ist er auch hier? Ist ihm etwas passiert, als ich entführt wurde? Ich weiß nicht einmal, wie viele Stunden, oder ob Tage vergangen sind.«
Skuld erwidert nichts, sondern deutete auf die Kleidung. »Ich warte draußen auf dich. Du kannst dich etwas frisch machen. Danach wartet ein Tee und etwas zu Essen auf dich. Glaube mir, das wird deinen Körper, so wie deinen Geist beruhigen«, sagte sie ruhig und verließ kurz darauf das Badezimmer. Für einige Minuten starrte ich nur ins Leere, ehe ich begann mich etwas frisch zu machen und die geliehene Kleidung anzuziehen. Sie wirkte zwar plump und mehr als altmodisch - mit den verschiedenen Flicken - aber es war besser als nichts. Zudem war ich dankbar, überhaupt aufgelesen worden zu sein. Auch wenn mich die gesamte Situation überforderte. Mit gemischten Gefühlen verließ ich das Badezimmer und Skuld führte mich zurück in den Wohn - und Essbereich. Während Urd vor dem Karmin Kräutersträucher zu sortieren schien, war die andere Schwester Verdandi nirgends zu sehen. Was ihrer Aussage, mich nicht hier haben zu wollen, merklich untermauerte.
Skuld wies mich freundlich an den Tisch und bereitete den Tee vor.
Zögernd begann ich meine Frage von vorhin erneut aufzugreifen. »In ... in was für einer Welt bin ich?« Fürs Erste spielte ich erst einmal mit, dass ich mich angeblich außerhalb der Erde befand. Ich wollte niemanden verärgern. Schließlich wusste ich nicht, ob ich den Schwestern wirklich trauen konnte. Akribisch beobachtete ich Skuld bei jeder Bewegungen ihrer Gastfreundschaft.
»In der Welt der Schicksalsgöttinnen. Dragsa«, nahm Urd Skuld die Möglichkeit zur Antwort.
Unbewusst zog ich die Brauen hoch. Bitte? War das hier das Versteck einer Sekte? Das konnte nicht ernst gemeint sein. Unsicher schluckte ich. »Tut mir leid«, entgegnete ich vorsichtig. »Ich kenne mich mit so etwas nicht aus. Skuld hatte etwas von einem Wächter erwähnt. Ist ... ist das eurer Gott, euer Erlöser, oder so etwas?«
»Hast du wirklich gesehen, dass sie so begriffsstutzig und weltfremd ist, Skuld?«, hinterfragte Urd mürrisch und klopfte auf ihre angespannte Schulter, während ihre Schwester mit der Teekanne und Tassen an den Esstisch kam.
Meine Falten auf der Stirn, wurden durch den fragenden Blick, den ich Skuld entgegenbrachte, tiefer. »Gesehen ...?«
»Im Gegensatz zu meinen Schwestern, finde ich die Unwissenheit der Menschen niedlich. Und es sollte eigentlich an uns Göttern liegen, sie zu leiten und in eine wohlige Zukunft zu schicken. Denn genau das bin ich, die Schicksalsgöttin der Zukunft.«
Ungläubig blinzelte ich. »W-Was ...? Entschuldigung, aber das ist ein Scherz, oder?« Ein überfordertes Lächeln legte sich auf meine Züge. »Ich respektiere eure Religion, aber so etwas wie Götter sind nichts weiter als Fantasie. Sie werden mir nicht helfen, wieder nach Hause zu kommen! Ich brauche Hilfe!«
»Kindchen, pass auf deinen Ton auf!«, erhob Urd ihre Stimme. »Du hast uns gerade beleidigt! Ich hätte dich auch da draußen lassen können. Aber wahrscheinlich hätte Skuld dich dann persönlich gesucht ...«
Die Erwähnte hob beschwichtigend die Hände. »Beruhigt euch bitte. Auch wenn ich deine Angst und dein Misstrauen verstehen kann, Eveline, bitte ich dich mir zuzuhören. Wir wollen dir nichts Böses.« Ich verengte die Augen. Seit Stunden hatte ich das Gefühl, in einem Traum zu sein. Nichts ergab Sinn. Meine Erinnerungen waren vernebelt. Ich war nur wütend und verzweifelt.
»Ich glaube der Zauber fängt ganz langsam an zu bröckeln, wie mir scheint«, warf Urd ein. »Muss aber recht stark sein, wenn er jetzt erst auf das Mana reagiert, die diese Welt erfüllt. Du weißt doch sicher, was mit ihr geschehen wird, oder Skuld?«
Die Blonde schüttelte den Kopf. »Seltsamerweise, sehe ich bei ihr nicht ihre Zukunft. Die Vision zeigte mir nur, dass sie hier durch die Kraft ihres Wächters landen wird und Eveline gerufen wird.«
Urds Gesichtszüge verzogen sich. »Und das sagst du mir so frech ins Gesicht? Wenn wir nicht fähig sind etwas bei einem Menschen lesen, oder deuten zu können heißt das nie Gutes! Verdandi hatte recht, wir hätten eingreifen sollen, als wir es noch konnten. Das alles bringt nur Ärger!«
»Aber wir sind da, um den Menschen zu helfen!«
»Diese Zeiten liegen hinter uns! Alle haben uns verraten und ausgenutzt. Wie lange willst du das noch verdrängen? Jede Göttin in dieser Welt lebt nun friedlicher, Skuld. Wir können diese Ruhe nicht wegen einer einzigen Menschenfrau aufs Spiel setzen!«
»Diese Ruhe hat die meisten von uns zu leeren Hüllen werden lassen, Urd. Wann hast du oder Verdandi das letzte Mal eure Kräfte genutzt? Die meisten von uns sind so leer geworden, dass ihre Kräfte sie verlassen haben. Und ich denke, bei euch ist es -«
»Was erlaubst du dir, als jüngste von uns?«, unterbrach die Ältere ihre Schwester aufgebracht. »Du bist nicht in der Position, meine Kraft anzuzweifeln, du Früchtchen!«
Ich presste die Lippen zusammen und verstand kein Wort von dem, was um mich herum gesagt wurde. »Ich ... ich will doch einfach nur ... nach Hause ...«, kam es mit zittriger Stimme über meine Lippen. Voller Verzweiflung sammelten sich Tränen in meinen Augen, ehe ich ruckartig aufstand. »Keiner kann mir helfen! Alle sprechen in Rätsel! Ich weiß nicht einmal, ob es meinen Kollegen gut geht!«, sprudelte es aus mir heraus. »Was für eine kranke scheiße ist da-« Ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kopf und meine Sicht trübte sich, wodurch ich ins Wanken geriet. Hektisch sprintete Skuld zu mir herüber, um einen Fall zu verhindert. Beherzt griff sie mir unter den Arm und richtete mich auf.
»Alles wird gut. Vielleicht ist es besser, du legst dich etwas hi-«
»Ich will Hilfe und nach Hause, verdammt nochmal!«, unterbrach ich die Blonde wütend. »Was soll dieses ganze Geschwafel von Göttern, Welten und Schicksal? Lasst mich endlich telefonieren und irgendeine Behörde verständigen!« Erneut trübte sich meine Sicht und ich hatte das Gefühl, mein Kopf würde zerspringen.
»Die verzögerte Reaktion hat nun begonnen. Der Zauber aus der Dämonenwelt löst sich allmählich von ihr.« Hörte ich etwas entfernt die Stimme von der Schwester Verdandi. Verschwommen nahm ich ihre Umrisse wahr, wie sie aus dem Nebenflur in den Wohnbereich trat.
»Aus der Dämonenwelt?«, wiederholte Skuld irritiert. »Dann ist es also wahr, dass die Dämonen weiterhin Verträge mit Menschen schließen?«
»Sicher. Warum sollte sich das auch ändern? Sie belegen die Menschen mit einem Lösch-Zauber, nachdem der Vertrag endet. Diese Frau hatte einen Vertrag mit einem Dämon. Und glaubst du immer noch, dass es so gut ist, sie aufgenommen zu haben, Skuld?«, fragte Verdandi bissig. »Wenn herauskommt, dass ein Mensch, sich wieder an alles außer weltliche erinnern kann, dank unserer Welt, wird das die Dämonen sicher freuen. Sie werden das Weib töten und uns des Verrates beschuldigen, sich in ihr System eingemischt zu haben.«
»W-Was ...? Nein! Ihr Wächter hat sie hierhergeschickt, wenn dann haben die Engel sich ... Moment.« Skuld machte eine kurze Pause. »Woher ...? Hast du etwa nach zweitausend Jahren wieder deine Kraft genutzt, die Gegenwart von Eveline zu sehen?«
»Ihr Wächter hat seine Aufgabe erfüllt und ist erloschen. Wir müssen diese Frau loswerden, egal wie! Sie bedroht unseren Frieden!«
»Halt!«, mischte sich Urd ein. »Auch wenn ich mit der Anwesenheit des Menschen nicht einverstanden bin, finde selbst ich es verwerflich, sie mit Gewalt von hier wegzubringen, Verdandi! Sie ist ein Mensch, eine Portalreise, wie ihr Wächter es konnte, gibt es hier nicht und das würde sie nicht überleben.«
»Wir haben uns den anderen Welten nicht ohne Grund losgesagt«, entgegnete die Rothaarige bestimmend. »Die Engel und Dämonen sind kein Deut besser als die Menschen. Auch sie haben uns Jahrtausende für ihre Kriege und Machtspielchen ausgenutzt. In ihren Augen waren wir den Begriff Göttinnen nicht wert. So leid es mir tut, aber ich stelle unsere hart erarbeitete Unabhängigkeit und den Frieden unserer Welt über das Leben dieser Frau!«
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