✗ 33. | L E V I
Starr blickten ich und Agares auf die massive Holztür und warteten auf die Öffnung. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Diese Weiber stellten meine Geduld jetzt schon auf die Probe. Nach einer unbestimmten Wartezeit bewegte sich die Tür endlich und öffnete sich knarrend. Das Gesicht einer attraktiven Dämonin enthüllte sich dahinter. Ich vermutete, dass dies Namtar sein musste. Ohne ein Wort nickte sie uns zu und wir folgten ihrer Geste des Eintretens. Namtar führte uns durch einen langen, dunklen Flur, der nur von einigen Fackeln beleuchtet wurde. Die Atmosphäre verdichtete sich unverkennbar, umso dichter wir den Raum kamen, ich dem sich vermutlich Hel aufhielt.
»Soll das etwa dieses besagte Halb-Balg sein, von dem man sagt, er sei der Schlachter?«, durchbrach die Dämonin herablassend die Stille und schaute kurz zu Agares herüber.
»Ich besitze durchaus auch einen richtigen Namen«, knurrte ich.
Agares räusperte sich ermahnend, mir gegenüber. »Ja. Sein Name ist Levi. Ich ... wir bedanken uns aufrichtig für euren Einlass. Wir wissen es zu schätzen, dass Hel uns ihre Zeit zur Verfügung stellt.«
»Aber auch nur, weil du und die Meisterin eine gemeinsame Vergangenheit habt. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich dich samt dem Halb-Balg draußen im Feuersturm verenden lassen«, schnalzte Namtar. Ich verdrehte unauffällig die Augen. Dieses Weib war ja ein angenehmer Gesprächspartner. Wenn diese Hel auch so sein würde, konnte ich Agares' Bitte wohl nicht lange einhalten. »Und? Du bist doch bestimmt nicht hierhergekommen, um über alte Zeiten zu plaudern«, fuhr Namtar fort. »Was ist der Grund, dass du mit diesem Halb-Balg hier auftauchst?«
»Dieses Halb-Balg, wie du ihn nennst, ist die Reinkarnation des großen Fürsten. Ich bitte dich, ihm gegenüber einem anderen Ton anzuschlagen, Namtar. Bringe sie zu mir!« Abrupt blieb die Dämonin stehen. Auch ich und Agares taten es ihr gleich. Die Stimme Hels hallte durch den Flur und ließ den Kopf ihrer Gelehrten sinken. In binnen eines Wimpernschlages, löste sich der Flur auf, und wir befanden uns in einem anderen Raum. Der Geruch von Kräutern kam mir entgegen. Die gesamte Einrichtung des Raumes war voll mit Skurrilitäten und die Luft strahlte etwas Unergründliches aus.
»Verzeiht mir Meisterin. Ich habe mich meiner Gefühle hingegeben«, murmelte Namtar wehmütig und verbeugte sich. Mein Blick schweifte in die Mitte des Raumes. Die ehemalige Fürstin Hel saß auf einem Thronartigen Stuhl aus Knochen. Trotz ihres Alters, hatte ihre Figur, in ihrem Gewand, einen eindrucksvollen Ausdruck. Hels blasser Teint bildete einen Kontrast zu ihren eisblauen Augen, die mich und Agares musterten.
»Mein alter Freund, dass ich dich noch einmal treffe. Ich bin hingerissen, zwischen Freude und Wut. Sag mir, Agares, was soll ich empfinden?«, erhob sie das Wort.
Agares' Reittier senkte demütig seinen Körper und brachte ihn dazu, abzusteigen. »Ich würde es begrüßen, wenn du mir Freude und meinem Begleiter Neugier entgegenbringen würdest.«
Hels Augen weiteten sich ungläubig, ehe sie in schallendes Gelächter ausbrach. »Soso, Freude und Neugier also. Du nimmst dir ganz schön viel raus, wenn man bedenkt, dass wir mal leid zusammen geteilt haben.«
Ich atmete scharf ein. »Könntet ihr eure Beziehung, oder was auch immer ihr mal hattet, ein anderes Mal besprechen? Wir sind wegen der Splitter, die mir meine Kraft zurückbringen, hier!«, sagte ich ungehalten. Agares' Miene entglitt erschrocken, anhand meiner forschen Wortwahl. Auch Namtar nahm mir gegenüber Haltung an. »Was erdreistest du dich, du Halb-Balg, so mit der Meisterin zu sprechen?«
Hel hob beruhigend die Rechte und ließ ihre Gelehrte einen Schritt zurücktreten. »Lass gut sein, Namtar. Habe ich dich etwa gelehrt, auf andere herabzublicken?«
»N-Nein ... Meisterin. Verzeiht. Jedoch, finde ich sein Verhalten euch gegenüber respektlos.«
»Sein Verhalten obliegt meiner Interpretation, Namtar. Zügel dich!« Die Gelehrte verstummte und senkte reumütig ihren Blick. »Levi war dein Name, oder? Komm doch bitte näher«, bat Hel tonlos. Skeptisch blickte ich zu Agares herüber, dieser nickte mir zu. Seufzend kam ich ihrer Bitte nach und ging näher zu ihr heran.
»Und? Sagst du uns jetzt, wo diese Splitter sind, oder ni -« Hels Arme schnellten nach oben und ihre Hände umfassten mein Gesicht. Die Kälte ihrer Finger ließ mir einen leichten Schauer über den Rücken fahren.
»Du siehst deiner Mutter wahrlich ähnlich, mein Guter«, säuselte sie und strich mit ihren Daumen meinen Wangenknochen entlang. »Ist es wahr, dass du deine frühen Erinnerungen verloren hast? Wie geht es deinem Onkel? Ich hoffe, der alte Säufer hat dich etwas lehren können.«
»Kenny hat sein Leben gelassen, bei der Befreiung seines Neffen. Barbatos hat -«
»Ich habe schon immer gesagt, dass Barbatos die größte Gefahr in den Reihen der Ars Goetia ist«, unterbrach Hel Agares. »Ihr hättet ihn vernichten sollen, als er noch versiegelt war und nun giert er nach der Macht, die einst nur den Königen vorenthalten war. Sag, Agares, glaubst du Kuchels Junge könnte diese Welt verändern?«
Ich atmete gereizt aus und entzog mich Hels Berührung. »Ich habe nicht vor, irgendwas zu verändern, damit das klar ist! Ich will nur meine Magie zurück, um in die Menschenwelt zu gelangen, damit ich gewissen Leuten in den Arsch treten kann.«
Hels Augenbrauen schoben sich ungläubig zusammen. »Du hast es ihm nicht erzählt? Von dem Verfall des Herrschers?«, fragte sie Agares.
Dieser senkte den Blick. »Nein ... ich wollte ihm nicht zu viel zumuten. Schließlich hat er die Bedeutung seiner eigenen Existenz noch nicht begriffen. Wie könnte er auch? Bitte, Hel, du weißt doch bestimmt, wo sich die letzten Splitter befinden.«
»Agares, sieh dich um. Wir verstecken uns in einem Felsgebirge, und verschleiern unseren Aufenthaltsort. Warum denkst du, tun wir dies? Etwa wegen den letzten drei Fürsten, die in der Welt das Sagen haben? Nein, ganz gewiss nicht. Auch wenn ich Namtar alles gelehrt habe, was ich weiß, hätte auch sie keine Chance gegen Barbatos. Es war vor fünfhundert Jahren, da suchte er mich auf. Doch nicht, um zu plaudern. Vielmehr wollte er mich auf seine Seite ziehen, mir Honig ums Maul schmieren. Weil er genau wusste, dass sich etwas in meinem Besitz befand, was ihn vom Nutzen sein könnte.«
»Du sprichst von dem Amulett, dass die Kraft des Fürsten bändigen kann, nicht wahr?«, hinterfragte Agares.
Hels Blick trübte sich schuldbewusst. »Ja. Als ich mich weigerte, ihn bei seiner Weltübernahme zu unterstützen, manipulierte Barbatos meinen Manafluss und stahl diesen Gegenstand. Innerhalb von hundert Jahren versiegte meine magische Kraft durch die Störung und ich bin nun die Dämonin, die ihr seht.«
»Ich würde ja zu gerne mein Beileid aussprechen, jedoch frage ich mich, warum so ein Gegenstand überhaupt existiert und ob niemand daran gedacht hat, dass er mal in falsche Hände gerät?«, stellte ich fest und schaute zwischen den Anwesenden hin und her. Anscheinend hatte ich einen wunden Punkt getroffen, in dem sich jeder dem leichtfertigen Umgang mit diesem Amulett bewusst war. Die Schuldzuweisung war jetzt eh schon zu spät gewesen.
»Agares hat dir doch sicher erklärt, dass Sucellus einer der ersten Fürsten dieser Welt war, dessen Macht direkt vom damaligen Herrscher stammte. Das Konzept eines Fürsten, einer Rangfolge, die dem Herrscher gleichkam, war noch komplett neu und unbekannt. Alle geistigen Welten, einschließlich der Engel, hatten Angst, dass dieses Konzept schiefgeht. Als sich die Situation zu spitzte und der erste Krieg zwischen Engel und Dämonen ausbrach, beschlossen beide Welten Vorkehrungen zu treffen, damit sich nicht noch einmal eine Macht entwickeln konnte, die dem Herrscher, oder sogar die des Vaters der Engel gleichkam.« Hel setzte eine kurze Pause ein. »Im Verborgenen verbanden die beiden Reichen kurzzeitig und zweckmäßig ihre magischen Kräfte und schmiedeten dieses Amulett, für den Tag, an dem Sucellus' Seele zurückkehren würde und weiter nach Rache dürstet.«
»Schöne Geschichte. Nur hat dieser Scheiß mein bisheriges Leben ruiniert!«, knurrte ich. »Obwohl die Macht dieses komischen Sucellus gefürchtet wurde, konnte man doch nicht im letzten Krieg auf sie verzichten. Mich interessiert nur, die Person zu beschützen, die in den ganzen Scheiß hineingezogen wurde. Also, rückst du jetzt damit raus, weswegen wir eigentlich hergekommen sind?«
»Die sieben Tore«, seufzte Hel schwerfällig. Ich runzelte die Stirn - da ich mal wieder nichts mit dieser Information anfangen konnte - und wandte mich zu Agares. Dessen Augen weiteten sich ungläubig.
»Was soll dieser Mist schon wieder sein?«
»Die sieben Tore, sind der spirituelle und geistige Weg, der die Welt der Dämonen und Engel miteinander verbindet«, begann Agares zu erklären. »Er ist auch als ein Wegweiser zu verstehen, an dem die Seelen der Menschen nach ihrem Tod in Gerecht und Ungerecht, Paradies oder Fegefeuer, eingeteilt werden. Man sagt, die Mitte dieser Tore - das Tor Vilon - sei der Ort, an dem Licht und Dunkelheit aufeinandertreffen und die Urkräfte des Universums ihren Sitz haben.«
»Klingt ja super interessant«, meinte ich sarkastisch. »Ich glaube aber kaum, dass ich, deren Manafluss komplett im Arsch ist, diesen Weg einfach so bestreiten könnte, oder?«
»Nun ja«, mischte sich Hel ein. »Du bist zur Hälfte immer noch ein Mensch. Deine Seele hat somit auch die Essenz der irdischen Welt in sich. Zudem, wurde dir die Kraft der Regeneration zurückgegeben.«
»Und wenn es schiefläuft, kann ich mich darauf freuen, ins Paradies oder ins Fegefeuer zu kommen? Ich kratz' nicht eher ab, bis ich Eveline in Sicherheit -«
»Es ist jedoch die einzige Möglichkeit, die dir bleibt! Selbst Barbatos weiß nichts vom Aufenthaltsort der letzten Splitter. Selbst wenn, wüsste er genau, dass er die Tore als reiner Dämon nicht einfach durchschreiten könnte. Da hilft ihn auch seine Sammlung an alten Zaubern nichts«, unterbrach mich Namtar. Ich schloss angestrengt die Augen und fuhr mir durchs Haar. Dieses garstige Weib hatte recht. Egal, welchen Weg ich wählen würde, ich würde auch sterben, wenn ich mich entscheiden würde, Barbatos und Petra einfach so gegenüberzutreten. Der Gedanke daran, dass selbst dieses Miststück mich in meinem jetzigen Zustand mit Magie fertig machen könnte, kratzte zudem mehr an meinem Ego, als ich es zugeben wollte. »In welchen Toren befinden sich die letzten Splitter?«, fragte ich.
»Im zweiten Tor«, entgegnete Hel. »Diese Reise, ist nicht nur eine Möglichkeit, deine Kräfte wiederzuerlangen, sondern auch eine Reise in dich selbst. Dessen musst du dir bewusst sein. Selbst, wenn du es lebend zu deinem Ziel schaffst, kann es sein, dass du als jemand anderes zurückkehrst. Halte dir vor Augen, dein eigentliches Ziel, und dein Selbst bewahren zu wollen«, fuhr sie ermahnend fort und blickte zu Agares. »Du kannst doch ein Portal zum Weg der Tore erschaffen, oder bist du schon eingerostet?«
»Bitte? Sicher kann ich das«, schnaubte Agares, ehe er sich zu mir wandte. »Jedoch kann ich dich nur, in die Nähe der Tore bringen, der Rest liegt bei dir. So leid es mir tut.« Ich gab nur einen leisen Ton von mir. Agares hatte sich schon genug in Gefahr gebracht. Angesichts der Tatsache, dass Barbatos uns jeden Moment aufspüren konnte, hatte er sein Leben riskiert, um mir zu helfen. Genau genommen, hatte sich selbst Hel dieser Gefahr ausgesetzt. Im Endeffekt hätte sie Namtar auch einfach machen lassen können, um sich aus der Sache rauszuhalten. Ob ich so etwas wie Dankbarkeit gegenüber Agares und Hel empfand, wusste ich nicht. Jedoch hatten sie meine Hochachtung davor, soviel für etwas riskieren, von dem niemand wusste, ob es zum Erfolg führen könnte. Im selben Augenblick fragte ich mich, wie viel Zeit in der irdischen Welt verstrichen war und ob der Zauber, mit dem ich die Kette belegt hatte, Eveline wirklich beschützen konnte. Ich hatte all meine Gefühle, Gedanken und Wünsche in die Magie gelegt, dass ich nicht genau sagen konnte, ob sie den gewünschten Effekt erzielte, oder ob er sich durch diese Emotionen mit etwas anderem vermischt hatte. Mein Wunsch war es, dass sie mich nicht vergaß, meine Gedanken kreisten um ihre Sicherheit und meine Gefühle folgten der tiefen Sehnsucht, dass wir zusammen das Glück fanden.
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