✗ 30. | E R W I N
Evelines Reaktion meiner Bemerkung gegenüber war nur allzu verständlich. Ich hatte mich zu sehr hinreißen lassen, meine Gedanken laut auszusprechen. Doch Lasas Worte hatten mich in der gesamten Zeit nicht losgelassen. Schließlich hatte sie meine eigentliche Intention, Evelines vorherbestimmten Partner zu finden und diese Information dem Halb-Balg mitzuteilen, zerstört. Ich wollte, dass dieser Dämon einmal etwas Nützliches tat und dann aus Evelines Leben verschwand. Doch nach wie vor, schwirrte er unbewusst in ihren Gedanken herum und hatte es sogar gewagt auf die Kette einen Zauber zu wirken, der Eveline vor jeder fremden Beeinflussung beschützen sollte. Jedoch wirkte diese Art von Zauber nur, wenn sie den Schmuck an ihren Körper trug. Ein seltsames Gefühl beschlich mich. Die Kette verströmte mehr als nur die Kraft eines gewirkten Zaubers. Aber es entzog sich meiner Kenntnis ihn einzuordnen.
Eveline starrte einen Moment ins Leere, bis sie sich wieder zu fangen schien und sich zum Beistelltisch herüberbeugen wollte. »Eveline«, unterbrach ich ihr Vorhaben, »es tut mir leid, falls ich dich erschreckt haben sollte. Das war unsensibel von mir. Ich ... habe mehr mit mir selbst gesprochen.«
Eveline schob skeptisch die Brauen zusammen und hielt in ihrer Bewegung inne. »Ihr redet alle so seltsames Zeug«, murmelte sie. »Oder bin ich es, die seltsam ist? Schließlich höre ich schon Stimmen.«
»Stimmen? Was für Stimmen?«, fragte ich misstrauisch, während sie Abstand vom Beistelltisch nahm und sich ratlos durchs Haar fuhr.
»Na ja, es ist vielmehr nur eine Stimme«, erklärte sie mit belegter Stimme. Ihr Blick fiel auf die Kette. »Ich könnte heulen und weiß nicht einmal warum. Solche Stimmungsschwankungen kenne ich nicht von mir. Alles in mir fühlt sich so schwer an. Als wäre jemand gestorben, der mir sehr nahestand.«
Zögerlich erhob ich mich vom Sofa und legte meine Hände tröstend auf Evelines Schulter. »Vielleicht ist es dieser Ort, der dich melancholisch werden lässt«, gab ich meine Vermutung an. »Dir ist dieser Ort wichtig und es ist verständlich, dass du hier Trost, Ruhe und Geborgenheit suchst. Doch, vielleicht erreicht dieser Ort für deine momentane Situation das Gegenteil.«
»Ich habe das Ferienhaus meiner Eltern noch nie mit negativen Erinnerungen verbunden. Warum sollte es jetzt anders sein?«
»Das Unterbewusstsein ist mächtiger, als man glauben mag. Diese Stimme, die du erwähnt hast, spricht sie permanent zu dir? Klingt es so, als sei sie weit weg, oder direkt in deinen Kopf? So, als würde jemand hinter dir stehen?«, erkundigte ich mich. Ich war mir fast sicher, dass diese Stimme mit dem unbekannten Zauber des Halb-Balgs zusammenhing. Dieser Dämon spukte Eveline mit vollkommener Berechnung weiter im Kopf herum. Vergiftete ihre Gedanken und ihr Herz. Seine selbstsüchtigen Intrigen ließen Wut in mir aufsteigen. Während Eveline über eine Antwort nachzudenken schien, wanderte mein Blick unauffällig zu ihrer rechten Hand. Kaum erkennbar funkelte für den Bruchteil einer Sekunde an ihrem kleinen Finger ein dünner, roter Faden auf, bis er mit der Umgebung verschmolz und seine Existenz verbarg. Ich verengte die Augen. Das Band des Schicksals ... ich musste es zerstören und neu knüpfen. Nur so konnte ich meiner Aufgabe als Wächter gerecht werden.
»Sie ist weit entfernt und klingt ... irgendwie vertraut«, unterbrach Eveline meine Gedanken. Ihr Blick ruhte auf der Kette. »Ich ... habe das Gefühl, dass diese Kette wichtig für mich ist. Dabei habe ich sie gekauft. Sie ist kein Erbstück. Oder?«, fragte sie sich und streckte langsam ihre Hand nach dem Schmuck aus.
»Nein, du darfst die Kette nicht berühren!«, erhob ich unabsichtlich meine Stimme und drehte Eveline vom Beistelltisch weg. Überrumpelt und verwirrt blickte sie mich an und stieß sich von mir ab.
»W-Was ist in dich gefahren?«, presste sie geschockt hervor. »Bist du verrückt geworden?« Ich sog scharf die Luft ein. Meine verlorene Beherrschung erreichte das Gegenteil von dem, was ich wollte. Verdammt! Ich wollte Eveline nicht ängstigen, aber sie war mir als Schützling viel zu wichtig, als dass ich weiterhin auf Höflichkeit bestehen konnte.
»Egal was mit dieser Kette ist, mir scheint, dass sie negative Gedanken und Gefühle in dir auslöst. Du ... solltest sie für einige Zeit nicht beachten«, versuchte ich die Situation zu beruhigen. Ich presste verzweifelt die Lippen zusammen. Mir war es nicht möglich, die Kette zu berühren. Welcher Zauber lag noch auf dem Schmuck? Wie konnte ein Halb-Balg nur so mächtige Magie wirken?
»Blödsinn!«, protestierte Eveline. »Du redest so, als sei die Kette verflucht, oder so etwas.« Mit schweren Schritten schob sie sich an mir vorbei, zum Beistelltisch. »Ich glaube nicht an Flüche, oder Hexerei«, fuhr sie fort und streckte ihre Hand nach der Kette aus.
Mit schnellen Schritten hechtete ich zu ihr. »Eveline, ich mache mir wirklich Sorgen um ...« Hinter Eveline hielt ich in meiner Bewegung inne. Gleichzeitig schauten wir zur Tür, an der es energisch klopfte.
»Erwartest du ... noch Besuch?«, fragte ich irritiert und atmete auf, als sich Eveline von der Kette entfernte.
»Natürlich nicht«, gab sie skeptisch an, während sie sich von mir abwandte. Mit angespannten Muskeln beobachtete ich, wie Eveline vorsichtig die Haustür für eine Frau öffnete. Mit keuchendem Atem stolperte sie in den Flur. Eveline zuckte erschrocken zurück. Angestrengt stützte sich die Frau vom Boden ab. Ihr braunes Haar, das sie zu einem Zopf hochgebunden hatte, war wirr und eines ihrer Brillengläser hatte einen Sprung.
»B-Bitte, Sie müssen uns helfen!«, keuchte sie und rappelte sich wankend auf die Beine. Instinktiv hechtete ich zu Eveline und stellte mich vor sie. »Meine Freundin ... meine Freundin liegt im Wald ... irgendein Spinner hat sie angeschossen!« Die Stimme der Frau überschlug sich schrill. Ihre Kleidung ließ Spuren eines Kampfes vermuten.
»Beruhigen Sie sich«, bat Eveline nervös. »Was ist passiert?«
»Wir ... wir sind hier im nahen Wald auf einer Fahrradtour gewesen und plötzlich ... meine Freundin ist gestürzt und blutet ... Schüsse ... jemand hat geschossen ...«
Ich verengte die Augen und achtete darauf, Abstand zwischen der Frau und Eveline zu halten. Diese hatte bereits ihr Handy aus der Hosentasche geholt. »Ich werde Hilfe verständigen. Sie müssen sich beruhigen und uns sagen, wo Ihre Freundin ist. Hat sie noch geatmet?«
Die Frau schlug aufgebracht die Hände über den Kopf zusammen und begann zu schluchzen. »Ich ... ich glaube schon ... dieser Typ ... er kam einfach aus dem Dickicht und wollte mich wegschleifen ... ich ... ich konnte mich irgendwie befreien und bin weggerannt ... nur gerannt ...«
Eveline wählte den Notruf. »Alles wird gut. Wir helfen Ihnen. Wie ist Ihr Name?«
Die Frau blinzelte über den Rand ihrer Brille zu mir herüber. »Ich ... heiße Hange ...« Meine Muskeln spannten sich an, als ich ein flüchtiges Grinsen auf ihrem Gesicht erkannte. Unbewusst drängte ich Eveline zurück.
»Wie schade. Ich bin wohl doch aufgeflogen«, seufzte Hange und ließ ihre linke Schulter knacken. »Dabei bin ich so gut in Schauspielern.« Sie schnippte mit den Fingern und ein unbeschreiblicher Druck breitete sich in der Luft aus. Reflexartig blickte ich zu Eveline. Diese war in ihrer Bewegung - den Hörer ans Ohr zu halten - eingefroren. »Jetzt mach nicht so ein Gesicht«, meinte Hange amüsiert, während ihre Stimme mit jeder Silbe an Weiblichkeit verlor und tiefer wurde. »Ihr Wächter wisst doch ganz genau, dass ihr schwach seid. Einem hochrangigen Dämon könnt ihr nichts entgegensetzen.« Vor meinen Augen verwandelten sich die braunen Haare der Frau, zu kurzen schwarzen. Ihre Mimik verzog sich zu kantigen Gesichtszügen und ihre Statur formte die Kleidung straff an den Bau eines Mannes. »Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Barbatos.«
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