✗ 3. | e v e l i n e

Erschöpft setzte ich mich an meinen Schreibtisch, beinahe war ich zu spät zur Arbeit gekommen. Gehetzt hatte ich mich durch Menschenmassen gekämpft, um Bus und Bahn rechtzeitig zu erwischen. Schwer atmend und den Kopf schüttelnd überlegte ich, warum ich überhaupt unter der Woche Alkohol getrunken hatte - es war eine der dümmeren Ideen in letzter Zeit. Immerhin hatte ich dadurch einen interessanten Traum gehabt, in dem meine Fantasie einen Mann kreiert hatte, der mich allerdings eher deprimierte als aufheiterte, da es so einen Typen in Wirklichkeit nicht gab. Schmunzelnd dachte ich an den gutaussehenden Dämon aus meinem Traum, der mir Wünsche erfüllen sollte, und versuchte mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren.

Während der Pausen zogen mich die Kommentare meiner Kollegen allerdings wieder herunter und erinnerten mich daran, wie einsam ich mich fühlte. Im Vergleich zu den Kolleginnen mit ihren langen Haaren, perfektem Make-up und der Fähigkeit, auf Highheels zu laufen, fühlte ich mich wie ein hässliches Entlein. Meine braunen Haare waren einfach gestuft und reichten nur bis zum Kinn. Nachdem ich einige Beauty-Apps ausprobiert hatte, musste ich zugeben, dass lange Haare meinem Gesicht nicht schmeichelhaft wirkten. Mein Talent für Make-up beschränkte sich auf Foundation - hauptsächlich, um meine Augenringe in den Griff zu bekommen - und Mascara. Außerdem fehlte mir die Geduld, stundenlang an meinem Make-up zu arbeiten, das sowieso nichts werden würde und eher, wie eine zehnschichtige Maske aussah. Vielleicht sollte ich mich dazu überwinden, im Büro mal einen Rock zu tragen, anstatt immer in einer langweiligen Bluse und einer schwarzen Anzughose aufzutreten.

Mit einem niedergeschlagenen Gefühl schaltete ich zum Feierabend meinen Computer aus und wollte einfach nur nach Hause. Ich nahm meine Tasche und schob den Stuhl an den Schreibtisch, als es an der Tür zu meiner Abteilung klopfte. Verwundert blickte ich auf. Im Türrahmen stand mein ehemaliger Kollege Erwin Smith. Ein Lächeln erschien auf meinem Gesicht. Der einzige Mann, der mich je wahrgenommen hatte, war von seinem Lehrgang zurück.

„Was machst du denn hier?", fragte ich grinsend und ging auf ihn zu. „Das ist doch gar nicht mehr deine Abteilung."

Erwin schmunzelte auf meinen Kommentar. „Ich wollte nach dir schauen. Du hattest gestern schließlich Geburtstag." Er reichte mir eine Tüte. „Alles Gute nachträglich, Eveline."

Zögerlich nahm ich die Tüte entgegen und spähte hinein. „Sag mir bitte, dass da kein Spielzeug drin ist", murmelte ich.

Erwin zog die Augenbrauen zusammen. „Spielzeug? Bist du 3 geworden, statt 30?"

Ich schüttelte den Kopf. „Schon gut. Nicht wichtig. Ich freue mich darüber. Danke schön", lächelte ich und wir verließen die Abteilung in Richtung Fahrstuhl.

„Gestern zu doll gefeiert? Du siehst so fertig aus", neckte er mich mit einem Zwinkern.

Ich verzog die Mundwinkel. „Ähm ... ja. War etwas zu viel. Leider." Wir stiegen in den Fahrstuhl. „Na ja, wenn du einen lustigen Abend hattest, lässt sich der Kater verschmerzen." Ich antwortete nicht auf Erwins Kommentar. Das Einzige, was halbwegs spaßig gewesen war, war mein Traum. Der enttäuschenderweise nicht bis zum Höhepunkt gekommen war. Ich seufzte. Nicht mal im Traum kam ich in den Genuss, mich wieder geliebt zu fühlen. Mein Blick schweifte zu Erwin. Zu dem Mann, dem ich letztes Jahr näherkommen wollte. Manchmal war es doch besser, Freunde oder Kollegen zu bleiben. Ich war froh, dass es wenigstens einen in der Firma gab, der sich mit mir mit einem ehrlichen Lächeln unterhielt. Als wir mit dem Aufzug die Stockwerke hinter uns ließen, berichtete Erwin mir von seinem Kurs und wie bedeutungslos dieser im Grunde genommen war. In wenigen Minuten erreichten wir das Erdgeschoss und verließen das Gebäude durch den Haupteingang. Hier verabschiedeten wir uns normalerweise, aber dieses Mal zog etwas am Raucherbereich unsere Aufmerksamkeit auf sich. Zwei Kolleginnen aus meiner Abteilung schienen in ein Gespräch vertieft zu sein und kicherten wie Hühner. Amüsiert schüttelte ich den Kopf. Obwohl sie sich immer arrogant und piekfein verhielten, benahmen sie sich jetzt wie Teenager.

Erwin wirkte ebenfalls verwundert. „Wann haben die beiden angefangen zu rauchen?"

Mit den Schultern zuckend antwortete ich: „Keine Ahnung. Sollen sie doch..." Mein Satz brach ab, als ich ihren Gesprächspartner erkannte. Ich blinzelte. Entweder neigte ich zu Halluzinationen oder dort stand wirklich der Mann aus meinem Traum.

„Eveline, ist alles okay?" Auf Erwins besorgte Frage reagierte ich nicht und starrte den Mann an. Er warf seine Zigarette in den Aschenbecher und blickte in meine Richtung. Nervös schluckte ich. Ohne die beiden kichernden Frauen weiter zu beachten, ging er an ihnen vorbei und auf mich zu. Mit einer Hand in der Hosentasche und ausdruckslosem Gesicht blieb er vor mir stehen.

„Ich dachte, ich hole dich ab, mein Schatz", sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. Überfordert wanderten meine Augen hin und her. Meine Kolleginnen schauten entgeistert zu mir rüber und begannen zu tuscheln. Auch Erwin zeigte sich überrascht. „Eveline, kennst du diesen Mann?"

Meine Lippen wurden zu einer dünnen Linie. Ich starrte Levi, den Dämon meines Traumes an und versuchte, meine Gedanken zu sortieren, als er seinen Arm um mich legte. „Sie müssen Evelines Kollege sein. Wie es aussieht, hat sie nichts von unserer Partnerschaft erwähnt", erklärte er. Die Augen meiner Kolleginnen hüpften fast aus ihren Köpfen.

Erwin schien mitten aus seinen Gedanken gerissen zu werden. „Partnerschaft?", wiederholte er und sah mich kurz an. „Nein. Sie hat nichts erwähnt. Anscheinend hat sich einiges in letzter Zeit getan."

Mühsam kämpfte ich um Worte. „Ähm ... Erwin. Das ..."

„Alles gut Eveline. Du musst dich nicht erklären. Es freut mich, dass du jemanden gefunden hast. Wir sehen uns morgen", sagte er und dreht uns den Rücken zu, während er Richtung Parkplatz ging. Ich konnte seinen Blick Levi gegenüber nicht einordnen.

„Na, wieder nüchtern?", fragte der Dämon dunkel amüsiert.

„Was? Ja! Aber was geht hier vor? Woher weißt du, wo ich arbeite?", zischte ich ihm zu. „Träume ich wieder?" Ich kniff mir in den Arm. „Aua!"

„Ich erlebe diese Reaktion nicht zum ersten Mal. Also, was ist? Hast du begriffen, dass es kein Traum ist?"

„Lass uns hier schnellstmöglich verschwinden!", schlug ich vor, da ich keine Lust mehr hatte, dass die Hühner uns weiter anstarrten.

Levi erhob skeptisch seine Augenbraue. „Aber, du wolltest doch, dass deine Kollegen... "

„Ja, ich weiß!", unterbrach ich ihn, als es mir wieder einfiel. „Trotzdem, ist mir das Ganze zu viel."

Levi zuckte mit den Schultern. „Dann gehen wir eben zu dir nach Hause."

„Kannst du mir vorher meine Frage beantworten?", wollte ich wissen und lief zügig hinter Levi her zur Bushaltestelle. „Ich erinnere mich nicht, dir gesagt zu haben, wo mein Arbeitsplatz ist."

„Ich bin dein Vertragspartner", erklärte er selbstverständlich, sodass es mir eiskalt über den Rücken lief. „Natürlich habe ich Zugang zu gewissen Akten. Aber mach dir keine Sorgen, ich habe nur das Wesentliche überprüft - deinen Arbeitsplatz, deine Freunde und Kollegen. Doch dieser Erwin ist mir unbekannt."

„Lass solchen Stalker-Scheiß", konterte ich und schüttelte angewidert den Kopf. „Das ist gruselig."

„Ich habe nur einen Teil deines ersten Wunsches erfüllt. Ich habe dir geraten, solche Lügen zulassen", brummte Levi und verschränkte die Arme vor der Brust, während wir auf den Bus warteten.

„Stell dich bitte nicht meinen Freunden vor", seufzte ich. „Betrunken habe ich nicht bedacht, wie unangenehm das ist."

„Du warst auch nicht aufnahmefähig. Diesbezüglich habe ich dir nicht erklärt, dass es ein Zeitfenster von achtundvierzig Stunden gibt, um einen Wunsch zu ermöglichen."

„Passiert denn was Schlimmes, wenn diese Stunden vorbei sind?"

„Fünf fehlgeschlagene Wünsche und ich kann dir deinen eigentlichen Wunsch nicht mehr erfüllen. Unser Vertrag würde sich aufheben. Ganz einfach", erklärte Levi.

„Zählt dieser Wunsch mit rein?"

Ausdruckslos tippte Levi mit seinem Zeigefinger in die Luft und ich erinnerte mich an das Display. „Da ein Teil des Wunsches innerhalb der achtundvierzig Stunden erfüllt wurde, gilt das nicht als Fehlschlag. Jedenfalls ist nichts protokolliert."

„Würdest du diese Geste bitte in der Öffentlichkeit lassen? Die Leute gucken schon!"

„Dafür haben sie ja Augen«, murmelte er unbeeindruckt. ,,Soll ich das Display sichtbar..."

„Nein! Ich möchte nach Hause. Da kannst du mir alles erklären."

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