✗ 28. | L E V I

Mit einem harten Knall landete ich aus dem Portal auf den Boden. Der Staub wirbelte auf und legte mein Sichtfeld für die ersten Sekunden in Nebel. Mein gesamter Körper wurde von brennenden Schmerzen durchfahren. Schwerfällig rollte ich mich zur Seite und ergriff das Messer, das mir mein Scheiß-Onkel in den Arm gerammt hatte. Zischend sog ich die Luft ein und warf die Klinge von mir.

»E-Es hat funktioniert!« Mein Kopf wirbelte hektisch herum. Langsam lichtete sich der Nebel aus Staub und ich erkannte Agares. »Moment ...! Wo ist Kenny? Ist er nicht mit dir durch das Port -«

»Dieser Scheißkerl wollte mich zum Abschied abstechen! Das ist passiert!«, unterbrach ich ihn mit belegter Stimme und deutete beiläufig auf das Messer im Sand.

Agares' Augen weiteten sich ungläubig. »Wie ... wie lange war die Klinge in dir? Also, ich meine ... hat er noch etwas zu dir gesagt?« Apathisch senkte Agares den Blick. »Das ... kann nicht wahr sein. Er hat sich geopfert ...«, murmelte er fassungslos.

Ich schluckte schwer und stützte mich vom Boden ab. »Mir geht es gut, danke der Nachfrage!«, sagte ich zynisch und setzte mich erschöpft. »Ich ... will Antworten! Sofort!«

Agares verzog nachdenklich die Mundwinkel, während sein Reittier ihn zum Messer trug. »Dieses Messer ist ein besonderes Ritualmesser. Die Sigillen im Griff sind ... von deiner Mutter ausgearbeitet worden«, erklärte er und hob die Klinge auf.

»Was?«

»Es sollte immer ein Geheimnis bleiben, dass du die Reinkarnation des Fürsten bist«, fuhr Agares nachdenklich fort. »Du warst zudem noch zu jung, um es dir zu erklären. Bis heute sollte sich so ein Vorfall, wie im letzten Krieg, nicht noch einmal wiederholen. Dies war der hauptsächliche Grund, warum Kenny dir immer wieder auswich.«

Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und hielt mir den Arm. Doch seltsamerweise trat kein Blut aus der Stichwunde. Die Verletzung tat nicht einmal weh. Wie konnte das sein? Kenny hatte die Klinge doch bis zum Griff in mein Fleisch gerammt. Schwerfällig atmete ich durch und merkte, dass sich mein gesamter Körper erholter, frischer anfühlte. Ich spürte nur noch leicht die Nachwirkungen der Folter, die dieses Arschloch Barbatos mir angetan hatte.

Irritiert schaute ich zu Agares. Dessen Miene machte den Anschein, als würde er verstehen, was mit meinem Körper passierte. »Deine Mutter hat den Teil der Seele des Fürsten in dieser Klinge versiegelt, der enorme Regenerationskräfte besitzt. Für den Fall, dass dein Leben in Gefahr sein sollte.«

Zögerlich kam ich auf die Beine und fuhr mir durchs Haar. Ich hatte keinerlei Erinnerungen an meine Mutter, oder von diesem Krieg, der mir diesen Spitznamen eingebrockt hatte. Das Letzte, was sich davon in mein Gedächtnis gebrannt hatte, waren die toten Engel und Dämonen auf dem Schlachtfeld, neben mir Kenny und Barbatos, ehe ich ohnmächtig geworden war. Doch ich konnte mich vage an einen Zeitpunkt erinnern, an dem ich und der Alte nie lange an einem Ort geblieben waren und dass wir eines Tages von Dämonen in ein großes Gebäude geführt wurden. Stückchenweise glaubte ich mich daran zu erinnern, dass Kenny danach oft mit mir über irgendetwas gesprochen hatte. Auch die Dämonen, die immer bei uns gewesen waren, verlangten etwas von mir, das ich nie verstand. »Von ... was für einen komischen Fürsten sprecht ihr alle?«, richtete ich meine Gedanken an Agares.

»Nun ja« Agares schaute sich um, bevor er seinem Krokodil über den Kopf streichelte. Anhand seines Reittieres konnte er abschätzen, ob der Ort sicher war, oder nicht. »Du bist ja nicht mit der Legende des göttlichen Dämons aufgewachsen. Mit dem Fürsten ist der mächtige Dämon Sucellus gemeint. Er war einst ein Herrscher über viele Legionen von Dämonen. Er hat unter anderem mich und meine Brüder der Ars Goetia aus einer Versiegelung befreit. Bis heute stehen wir in seiner Schuld. Barbatos ist da leider die Ausnahme.«

»Die Ars Goetia?«, hinterfragte ich und runzelte die Stirn. »Du gehörst zu den besagten zweiundsiebzig Dämonen?! So ein Schwachsinn! Seit ich dich und Barbatos kenne, wart ihr immer in den Diensten der -« Ich unterbrach meinen Satz, als ich realisierte, dass alles, was ich bisher geglaubt hatte über die Struktur meiner Welt, oder über mich selbst, eine Lüge gewesen war. Trotz der Tatsache, dass ich gerade meine ganze Existenz und die Welt, in der ich vermeintlich aufgewachsen war, infrage stellte, gab es für mich eine Sache, die wesentlich wichtiger war: Eveline! Ich hob meine Rechte und schnippte mit den Fingern. Stirnrunzelnd stellte ich fest, dass sich kein Portal zur Menschenwelt öffnete.

»Dein Manafluss ist weiterhin blockiert, wie es scheint«, kommentierte Agares meine Versuche doch noch eine Verbindung herzustellen. Vielsagend schaute ich den langjährigen Freund meines Onkels an. »Wie du weißt, sind mir die Hände gebunden. Ich kann nur Portale innerhalb der Dämonenwelt öffnen«, fuhr er entmutigt fort.

»Barbatos hatte ein komisches Amulett bei sich. Dieses Ding hatte irgendeinen Einfluss auf mich. Wie lange soll diese Wirkung denn bitte anhalten? Ich habe keine Zeit!«, zischte ich aufgebracht. Sicher, dass ich mich nun allen Anschein nach schneller von Verletzungen erholte, war hilfreich, aber es brachte mir nichts, wenn ich keine Magie wirken konnte.

»Dieses Amulett ist die einzige Quelle einer vergessenen Magie, die deiner Kraft, die des Fürsten Einhalt gebieten kann. Die Obigen müssen es Barbatos gegeben haben. Keiner ist so begabt von uns, wenn es darum geht, verlorene Zauber wirken zu können«, merkte Agares an.

»Du wirkst kein Stück überrascht. Sagtest du nicht, dass ihr Brüder seid und die Ars Goetia in der Schuld dieses Fürsten steht? Warum spielt Barbatos also das Arschloch?«

»Macht. Ob nun der Herrscher oder der Fürst der damaligen Zeit, Barbatos würde alles tun, um an ihrer Stelle zu stehen.«

»Ich kann seinen Egotrip aber nicht gebrauchen! Ich muss in die Menschenwelt! Wer weiß, was diese Petra sonst noch mit ihr anstellt?« Ratlos fuhr ich mir durchs Haar. »Wenn ich meine Kraft nicht zurückbekomme, dann muss ich sie mir wieder zurückholen!«

»Wie soll das gehen? Deine einzige magische Fähigkeit ist die Regenerationsfähigkeit, die du durch den wiedererlangten Seelenanteil des Fürsten bekommen hast. Das Amulett würde dich wieder in die Knie zwingen und Kenny hätte dich umsonst befreit. Nein. Wir müssen die letzten Seelenteile des Fürsten finden.«

»Würdest du bitte so sprechen, dass ich dir folgen kann?! Was für verfickte Seelenteile?«, knurrte ich ungehalten. Agares verzog die Mundwinkel und strich erneut über den Kopf seines Reittieres, ehe er endlich begann mich aufzuklären. Gegen den, was man mir erzählt hatte, wurde meine Mutter nie ein Prozess gemacht. Dass ich meine ersten Lebensjahre in der Menschenwelt verbracht haben soll, erschien mir wie eine Erfindung. Doch, anhand Agares' Erzählung und den Bruchstücken meiner Erinnerungen, konnte nichts mehr unwirklich oder surreal erscheinen. Der Mythos - dass die Seele des Fürsten Sucellus eines Tages wiedergeboren werden würde - war in der Dämonenwelt seit mehreren Jahrhunderten zu einer festen Überzeugung geworden. Vor allem die Dämonen, die in der Hierarchie oben standen, fürchteten ihre Position, falls dieser Tag tatsächlich eintreten sollte.

»Und? Die da oben sind doch nicht umsonst im ersten Zirkel. Sie sind dem Herrscher am nächsten. Warum ziehen die vor einem einzigen Dämon den Schwanz ein?«, unterbrach ich Agares' Erzählung.

»Sucellus gehörte zu den mächtigsten Dämonen unserer Welt. Er war der erste Fürst, der vom Herrscher ernannt wurde. Er gehörte zu der alten Zeit, als unsere Welt noch in den Kinderschuhen steckte«, entgegnete mir Agares. »Zwar hatte ich damals nicht lange die Ehre, an seiner Seite sein zu dürfen. Doch seine Aura und seine bloße Anwesenheit waren Grund genug, dass ganze Armeen aufgaben, die sich gegen uns stellten. Es heißt, dass sogar der Herrscher selbst mit der Zeit fürchtete, Sucellus nichts entgegenbringen zu können, sollte er sich gegen ihn stellen.«

»War es denn so? Hat sich Sucellus jemals gegen den Herrscher gestellt?«

»Nach dieser einen Sache, hat sich Sucellus gegen jeden gestellt. Egal wie mächtig, egal aus welcher Welt. Es war zur Zeit des ersten Krieges zwischen Engel und Dämonen. Der Fürst geriet in einen Rausch. Sein Verstand und sein Blick waren nur von blankem Hass und der Trauer im Herzen getrübt.«

Ich verengte ungläubig die Augen. »Dieser Typ war doch erfahren und hat sonst wie viele Schlachten geschlagen, nehme ich an. Was hat ihn aus der Fa -«

Agares bedachte mich mit einem eindringlichen Blick. »Der gleiche Grund, weswegen du in die Menschenwelt willst.«

»W-Was?«

»Es gab jemanden, der es geschafft hatte, das Herz des Fürsten zu berühren. Als ihm diese Person auf grausame Weise entrissen wurde, gab es für ihn keinen Sinn mehr im Leben. Ihm war es egal, wer sich gegen ihn stellte, oder wie viele. Er wollte alle Welten brennen sehen. Am Ende seiner Schneise der Verwüstung wählte er selbst den Hungertod neben dem kalten Körper seiner Liebsten«, fügte Agares betrübt hinzu.

»Was für eine rührende Geschichte«, schnalzte ich sarkastisch. »Würdest du bitte an den Punkt kommen, der erklärt, was genau im letzten Krieg passiert ist, oder was dieser ganze Scheiß genau mit mir zu tun hat?«

»Für die Obigen bist du im letzten Krieg nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Sie wollten unbedingt den Sieg davontragen. Du erinnerst dich doch noch an den Tag, an dem du und Kenny festgenommen wurdet, oder?«

»Schwammig. Jedenfalls weiß ich noch, wie jeder mich wegen irgendetwas voll gequatscht hatte. Zuerst der Alte, und dann Soldaten des ersten Zirkels. Mehr nicht«, gab ich an.

Agares seufzte schwermütig. »Wahrscheinlich ein Schutzmechanismus deines Körpers. Schließlich hat der erste Zirkel durch Folter die Kraft des Fürsten in dir geweckt.«

»Was ...?!« Ich senkte nachdenklich den Blick. Dies würde meine Narbe am Schulterblatt, neben den anderen an meinem Rücken erklären.

»Doch leider warst du noch zu jung. Du konntest diese Kraft nicht kontrollieren. Wie auch? Die Kraft des Fürsten vernebelte deinen Verstand und setzte das fort, was er zu Lebzeiten getan hatte. Alles und jeden vernichten. Aufseiten der Dämonen gab es fast genauso viele Verluste wie auf der Seite der Engel. Der erste Zirkel hatte es unterschätzt, die Kraft in dir zu wecken und deine Mutter war nicht mehr da. Sie hatte es dank Sigillen geschafft, die verborgene Kraft in dir im Zaun zu halten.«

Ich atmete hörbar aus. Also war ich im Krieg Amok gelaufen ...

»Wie wurde ich aufgehalten?«, hinterfragte ich mit belegter Stimme.

»Dank einer uralten Magie. Das Amulett, dass du bei Barbatos gesehen hast, ist jenes, dass dich damals für kurze Zeit in Ketten legen konnte, während die Teile deiner Seele gespalten wurden, die die Macht des Fürsten in sich trägt. Insgesamt wurde sie in zwei Teile gespalten, es sind die Teile, die am gefährlichsten und mächtigsten sind. Doch wo sie sich befinden, wusste nicht einmal Kenny. Ich weiß auch nicht, ob Barbatos es wissen könnte.«

Ich schnaubte frustriert auf. »Das ist doch ein Witz! Ich muss in die Menschenwelt und habe keine Zeit, die Nadel im Heuhaufen zu suchen!«, knirschte ich. »Diese Arschlöcher werden mich doch suchen! Ich kann also nicht einmal zu jemanden, der mir ein Portal öffnet!« Aufgebracht ging ich hin und her. Meine Gedanken waren durcheinander. Wie sollte ich Eveline vor Petra beschützen, wenn ich nicht zu ihr konnte? Ohne Magie konnte ich nicht einmal Barbatos in die Fresse schlagen.

»Kenny und ich haben lange nach den restlichen Teilen gesucht. Leider führte unsere Spur nur zu Hel. Einer uralten ehemaligen Fürstin der Dämonenwelt. Sie ist aber recht senil und eigensinnig. Zudem ist ihre magische Kraft lange versiegt.«

»Und die könnte wissen, wo eins dieser Teile ist? Kann ich dann wieder Magie wirken?«, fragte ich hektisch.

Agares presste unsicher die Lippen zusammen. »Magie könntest du dann wirken, jedoch, könnte sich auch deine Persönlichkeit rapide verändern, dessen musst du dir bewusst sein.«

»Tcch! Diese Welt ist sowieso im Arsch, wie mir scheint. Ich will nur in die Menschenwelt!«

»Das habe ich verstanden«, seufzte Agares. »Doch bevor wir zu Hel können, müssen wir Vorbereitungen treffen und unsere Spuren verwischen. Das Opfer deines Onkels soll nicht umsonst gewesen sein.«

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