✗ 20. | K E N N Y
Wütend knallte ich die Tür zu. Das laute Rumsen hallte durch den Gang. Ein paar der Angestellten alias Arschkriecher schauten verwundert auf und beobachteten mich dabei, wie ich ungehalten zum Ausgang der Zentrale trampelte. Der Besuch bei den Obigen hatte mich noch nie mit einem freudigen Grinsen erfüllt. Dies hatte sich auch nach fünfhundertfünfzig Jahren nicht geändert. Aber jetzt, wo die Situation rasant voranschritt, wurden die da oben nervöser und ich war derjenige, der den Scheiß abbekam. Das war der Preis für mein Leben und für das Leben des Kurzen. Er wusste nicht einmal, wie sehr er eine Marionette des ersten Zirkels war. Ob im letzten Krieg oder jetzt noch. So langsam begriffen die Puppenspieler, dass Unwissenheit den Kurzen nicht länger stillhalten konnte. Das ich nicht länger stillhalten konnte.
Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und schaute auf meine Hand. In Träumerei an meine alte Zeit wünschte ich mir meine alte Kraft zurück. Die Kraft, die seit Generationen in unserer Familie lag. Aber nein, ich hatte sie verloren, um den Kurzen zu retten. Um den Wunsch meiner naiven Schwester nachzukommen. Und wofür? Damit der erste Zirkel doch an die Macht kam, weswegen die Scharade überhaupt aufgebaut wurde! Nun ja, ihr Wunsch war dennoch in Erfüllung gegangen, doch ihren Sohn als Marionette zu sehen, hätte meiner Schwester das Herz gebrochen. So entschied ich mich persönlich der Aufgabe anzunehmen, dem Kurzen falsche Dinge seiner Vergangenheit weiszumachen. Das Umfeld hatte diese Lüge schließlich auch vom ersten Zirkel abgekauft. Es gab nur eine Handvoll Dämonen, die eingeweiht waren. Einer davon kam mir gerade am Ausgang entgegen, als ich im Begriff war, das Gebäude zu verlassen.
Mit einem schelmischen Grinsen blieb Petra vor mir stehen. »Und? Wieder Anschiss bekommen?«, schnalzte sie. »Warum sie dich, Opa, überhaupt noch in ihre Pläne einweihen, werde ich nie verstehen. Setz dich zur Ruhe und überlass deinen Neffen uns! Er kann froh sein, dass er überhaupt so lange frei herumlaufen durfte.«
Ich verdrehte die Augen. Dass ich nun wahrlich kein netter Kerl war, wusste ich selbst, doch diese Petra hatte eine Art an sich, die selbst die Obigen nicht abkonnten. »Süß. Bist du jetzt fertig? Wie es scheint, hast du wohl nichts zu tun! Hast du nicht erst noch vor ein paar Tagen an der Bar mit meinen Neffen und der Brillenschlange gesessen?«
»Und? Ich betreibe gerne Small Talk. Aber dein Neffe ist ja genauso gesprächig wie du. Liegt das bei euch in der Familie? War deine Schwester auch so?«, fragte sie gehässig, ehe sie leise kicherte. »Ach nein. Ich vergaß, deine Schwester Kuchel hat sich ja feige in der Menschenwelt versteckt. Wie erbärmlich. Eure ganze Familie hat doch schon lange nicht mehr den Glanz, den sie früher als Krieger hatte. Geschweige denn irgendeinen Stolz als Succubus oder Incubus. Dein Neffe ist doch das beste Beispiel.«
Ich biss angespannt die Zähne zusammen und trat dichter an Petra heran. »Erzähl mir nichts, was ich schon weiß du Miststück!«, knurrte ich. »Ich habe gehört, du wurdest dafür eingespannt in Erfahrung zu bringen, ob es sich bei dem Weib um die besagte Seele handelt. Dass sie ausgerechnet dich dafür ausgewählt haben, ist mir ein Rätsel.«
Petra zuckte mit den Achseln. »Was blieb ihnen denn auch anderes übrig? Sollten sie etwa weiter darauf vertrauen, dass ein Opa-Incubus, deren Kraft halbiert wurde, seinen Neffen weiter versucht hinzuhalten? Darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, der den Bericht zu spät abgeliefert hat, dass dein Neffe mit einem Weib einen Vertrag abgeschlossen hat? Selbst diese Aufgabe kannst du nicht mal erfüllen!«
Ich presste wütend die Lippen zusammen. Sicher. Als der Kurze noch Aufträge erledigt hatte, die nur um die Erfüllung einer Nacht handelten, hielten die Obigen die Füße still. Auch meine Rolle war weniger anstrengend gewesen, als es jetzt der Fall war. Erst als ihn erlaubt wurde auch andere Aufträge anzunehmen, wurde jeder Vertragspartner skeptisch gemustert. Vor allem, wenn es Frauen waren. Doch nach Jahren war diese Eveline die erste Frau, die einen Vertrag mit dem Kurzen eingegangen war. Noch ehe die da oben reagieren konnten, hatte Levi den Vertrag abgeschlossen.
Diese Holzköpfe waren doch selbst schuld, meinen Neffen die Erlaubnis für andere Aufträge zu geben! Nur damit er nicht noch misstrauischer wurde und weitere Fragen stellte.
»Aber, ein bisschen süß ist das ja schon«, lachte Petra. »Du hältst sie gut hin, damit sie deinen Neffen nicht doch einsperren und in Ketten legen. Ist das zu glauben? Von außen hin bist du der größte Kotzbrocken, aber in Wahrheit erfüllst du immer noch den Wunsch deiner erbärmlichen Schwester und ermöglichst ihrem Bastard ein einigermaßen angenehmes Leben.« Sie hielt sich den Bauch vor Lachen. »Wie herzergreifend, dass dein Neffe nur nichts von deiner Aufopferung weiß.«
Ich schloss die Augen und schluckte meine Wut widerwillig herunter. Ein Streit in der Zentrale, vor den Türen der Obigen, war mehr als unklug. Zudem änderte es nichts an der Situation. Im Gegenteil.
Petra klopfte mir provokant grinsend auf die Schulter. »Dann werde ich mal den Bericht abgeben, dass dieses Weib und dein Neffe bald am Ende des Vertrages angekommen sind und mein eigentlicher Auftrag beginnen kann«, sagte sie und wandte sich von mir ab. Mit geballter Faust schaute ich ihr nach, bevor ich mich mit einem abwertenden Ton umdrehte und die Zentrale verließ.
Scheiße noch eins, Kuchel, warum musstest du gerade ein Kind gebären, was den Seelenanteil des damaligen Fürsten in sich trägt?
Meine Schwester hatte es in Kauf genommen, ihre Kraft von Tag zu Tag mehr zu verlieren, weil sie weiter in der Menschenwelt geblieben war. Dadurch, dass sie ihren Mana Fluss nie in der Dämonenwelt erneuert hatte, war sie zusehends schwächer geworden. Sie nahm ihre Gesundheit und ihr Leben in Kauf, nur um den Kurzen vor unserer Welt zu schützen. Um ihn davor zu bewahren, als Halb-Balg diskriminiert und verachtet zu werden. Um ihn davor zu schützen, anhand des Seelenanteils des Fürsten nicht missbraucht und in Ketten gelegt zu werden. Leider hatte sie es nur geschafft, Levi bis zu seinem Fünfziger* Lebensjahr zu beschützen. Bis heute wunderte, es mich, wie genau sie es geschafft hatte ihre Spuren zu verwischen, bis ihre Kraft so schwach geworden war, dass man sie und den Kurzen aufgespürt hatte.
Scheiße! Noch heute hörte ich ihr klägliches Seufzen im Ohr, als ich ihre Zelle besucht hatte. Wie sie mich angefleht hatte, einmal Herz zu zeigen und ihren Sohn aus den Klauen des ersten Zirkels zu holen. Die damaligen herrschenden Auseinandersetzungen mit den Engeln waren allgegenwärtig. Es verging nie ein Tag, an dem in einem Gebiet Chaos ausbrach. Ob nun irgendeine scheiß, göttliche Fügung oder Schicksal, an dem einen Tag - an dem ich dem Flehen von Kuchel nachgegeben hatte - tobte in der Hauptstadt ein Kampf mit den Seraphim. Das Chaos machte ich mir zunutze. Der Herrscher allein weiß, warum ich es wirklich geschafft hatte, den Kurzen zu befreien. Die Wahrheit war jedoch, dass meiner Schwester nie der Prozess gemacht wurde, denn die Trümmer des Gebäudes hatten sie im Keller begraben. Geschwächt und bewegungsunfähig, wie sie gewesen war, hatte sie nie erfahren, ob ihr Sohn gerettet wurde oder nicht.
In den darauffolgenden Jahren hatte sich der Konflikt zwischen den Dämonen und den Engeln verhärtet und es brach endgültig ein Krieg aus. Hatte das Chaos mir und den Kurzen noch Schutz geboten, endete das Glück des Schicksals als Levi hundertdreiundachtzig** war. Wir gerieten in die Fänge der Generäle, die dem ersten Zirkel dienten und wurden festgenommen. Mir ging damals nur ein Gedanke durch den Kopf: Wir. Waren. Am. Arsch! Richtig am Arsch! Aber gegen jedwede Befürchtung wurden wir nicht des Verrates hingerichtet. Im Austausch für unser Leben wurde uns ein Handel unterbreitet. Besser gesagt mir, denn der Kurze verstand nichts von dem, was der erste Zirkel verlangte. Kuchel hatte ihn nie über den Seelenanteil in ihn aufgeklärt, geschweige denn ich. Dieser Teil in ihm sollte nie erwachen. Er hätte diese Kraft nie in solch jungen Jahren beherrschen können. Der Wunsch meiner Schwester interessierte den ersten Zirkel herzlich wenig. Um den Krieg für sich zu entscheiden war ihnen jedes Mittel recht. Selbst wenn es bedeutete ein Kind mit einer Macht - die Gefahr lief ihn selbst zu vernichten - Amok laufen zu lassen.
Die darauffolgenden Wochen wurde mir unter vorgehaltener Waffe aufgetragen diese Macht im Kurzen zum Vorschein zu bringen. Schließlich genoss ich ein gewisses Maß an seinem Vertrauen. Keine Ahnung, was sich diese Arschlöcher gedacht hatten. Das ich einfach mit ihm redete und der Seelenanteil dann einfach herauskam? Natürlich war dies zum Scheitern verurteilt, und bald reichte ihnen nicht mehr das Zusprechen und Beschwören. Ab dem Grad, an dem ich dem Kurzen Gewalt antun sollte, ergriff mich wohl doch ein Stück von Nächstenliebe. Tja, ich lehnte mich auf, mit dem Ziel eine neue Flucht mit den Kurzen zu starten. Aber das Ende vom Lied war, dass diese Bastarde es geschafft hatten einen Teil meines Mana Flusses, bis heute, zu blockieren und uns erneut umstellten wie die Ratten. Nachdem ich den Fußboden geknutscht hatte und den Sternen in meinen Kopf einen Gruß zu sprach, verließen mich die Erinnerungen. Als ich wieder zu mir kam, war der Krieg bereits auf den Höhepunkt. Zwar wurde mir seltsamerweise leichter in der Brust, als ich Levi am Leben wusste, aber er war nicht mehr der, den ich kannte. Er war zu dem geworden, was meine Schwester nie wollte. Und ich allein hatte es verkackt ...
* 3 Menschenjahre
** 11 Menschenjahre
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