✗ 18. | E V E L I N E

Eigentlich hatte ich diesen Ort stets mit schönen Erinnerungen verbunden, doch jetzt bot er mir Zuflucht. Zuflucht vor etwas, was ich verdrängen wollte. Das Ferienhäuschen meiner Eltern. Alles war noch genauso möbliert und ich schützte es vor dem Verfall. Es hatte mir bisher immer einen schönen Urlaubsaufenthalt geboten. Umgeben von Feldern und etwas Abseits eines Dorfes. Auch wenn ich mir bewusst war, dass ich es nicht für immer bewirtschaften konnte, wollte ich es nicht aufgeben oder in fremde Hände legen. Ich hatte viele Tage meiner Kindheit hier verbracht, hatte den Geschichten meiner Mutter am Kamin gelauscht, oder meinem Vater in der Werkstatt bei seinen Arbeiten mit Ton geholfen. Und obwohl dies ein Ort war, an dem ich mich entspannen konnte, verkroch ich mich insgeheim. Verkroch mich vor den Gefühlen, die in mir aufgekommen waren. Verkroch mich vor Levi. Es war untypisch für ihn, seit knapp zwei Tagen nicht bei mir zu sein. Nein. Das war es nicht. Vielmehr hatte ich mich so sehr daran gewöhnt, ihn bei mir zu wissen. Und bald würde jeder Tag so sein. Ohne ihn. Der Gedanke daran zerriss mir die Brust. Er hatte mir meinen Wunsch erfüllt, ohne es zu wissen.

Ich fragte mich, ob er inzwischen in meine Wohnung zurückgekehrt war, in der ich mich nicht befand. Während ich mich versuchte, mit dem Formen des Tons auf andere Gedanken zu bringen, spürte ich dennoch, dass meine Konzentration nicht auf die Form lag, die ich versuchte zu erschaffen. Ich hatte leider nicht das Talent, wie mein Vater, Figuren zu formen. Mit Glück bekam ich gerade mal eine schiefe Vase oder einen Stiftbecher hin. Seufzend stellte ich die Tonmaschine aus und tauchte die Hände in Wasser, ehe ich sie an der Schürze abstreifte und aufstand.

Trübselig verließ ich die kleine Werkstatt und ging in die Küche, um mir einen Tee zu machen. Mein Puls begann plötzlich zu rasen und mein Kopf wandte sich wie gesteuert zum Zweisitzer. Die Luft schien zu vibrieren und dunkler Nebel bildete sich zentriert an einem Punkt im Raum. Ein elektrisierendes Knistern ließ mich kurz die Augen schließen. Als es still wurde, öffnete ich sie wieder und begriff, warum mein Herz vor Aufregung begonnen hatte, so schnell zu schlagen. Der Grund dafür war gerade erschienen. Der Dämon, in den ich mich verliebt hatte.

Verwundert über den Ort, an dem ihn das Portal gebracht hatte, schaute er sich um. Ein reflexartiges Lächeln huschte über meine Lippen als Levi seinen Blick zu mir richtete.

»Eine gedankliche Nachricht, wäre schön gewesen«, schimpfte er. »Ich tauch' in deiner Wohnung auf und niemand ist da! Und dann stelle ich fest, dass du dich nicht mal in der Stadt befunden hast. Wie bist du in dieses Kaff gekommen und warum?«

Seine Stimme zu hören, erfüllte meine Brust mit Wärme. Die traurige Gewissheit unserer baldigen Trennung verschwand in die hinterste Ecke meiner Gedanken. »Ich bin mit dem Taxi hierhergekommen. Dieses Häuschen gehörte einmal meinen Eltern. Ich mag das Kaff hier«, erklärte ich leise und drehte mich zum Wasserkocher. »Möchtest du auch einen Tee?«

Levi neigte seinen Kopf zur Seite, derweil begann das Wasser zu kochen. »Ist das nicht der Moment, in dem du mich fragst, woher ich wusste, dass du hier bist? Ich habe dieses Mal keinen Wunsch von dir bekommen.«

»Du bist jetzt hier. Reicht das nicht? Außerdem denke ich mal, dass es mit unserem Vertrag zu tun hat, oder?»

»Ja. Sicher.« Seine Augen verengten sich skeptisch. »Ist alles in Ordnung? Bisher hast du immer einen Schreck bekommen, wenn ich einfach aufgetaucht bin.«

»Wahrscheinlich habe ich mich daran gewöhnt. Ich ... habe gespürt, dass du kommst. Verrückt, oder?«, lachte ich amüsiert und bereitete die Tassen mit dem Tee vor.

»Du sprichst mit einem Dämon und fragst, ob Gespür verrückt ist?», merkte Levi mit Unterton an. »Gibt es einen speziellen Grund, dass du hier bist?« Erneut schaute er sich interessiert um. »Es wirkt ... als wolltest du deine Ruhe. Ist etwas in der Zeit, in der ich nicht da war, vorgefallen? Auf der Arbeit, mit diesem Erwin?«

Ich presste die Lippen zusammen. Dass gerade das Gespräch mit Erwin, mich dazu bewegt hatte, bestimmte Gefühle zu realisieren, behielt ich für mich. »Ich ... habe mir nur eine Art Tapetenwechsel übers Wochenende gegeben. Das ist alles.« Der Wasserkocher war fertig und ich goss den Tee auf. »Ich nehme an, du hattest einiges zu tun die letzten Tage.«

Levi wandte seinen Kopf nachdenklich zur Seite. »Es ... sind nur formelle Angelegenheiten, die es leider auch in meiner Welt gibt. Ich -«

»Es ist in Ordnung. Du musst dich nicht rechtfertigen. Schließlich hast du auch ein Leben außerhalb unseres Vertrages und gehst Interessen nach. Du kannst nicht vierundzwanzig sieben bei mir sein. Das verstehe ich. Es ist ein Wunder, dass du vorher so viele Stunden am Tag bei mir warst«, brachte ich mit melancholischer Stimme hervor und reichte Levi seine Tasse. »Wollen wir über die nächsten Schritte sprechen, was die Erfüllung des Wunsches angeht?«

Levis Blick folgte mir, wie ich von der Küche hinüber zum Zweisitzer ging und mich mit meiner Tasse setzte. »Irgendwas ... stimmt nicht«, murmelte er ernst und kam langsam zu mir. »Möchtest du nicht darüber reden? Du wirkst heute so anders, Eveline. Als ob dich etwas belastet.«

Ich schluckte kaum merklich und legte ein Lächeln auf. »Quatsch! Es ist nichts. Auf Arbeit ist auch alles wie immer. Stell dir vor, ich habe endlich mal meine neue Abteilungsleiterin getroffen und Erwin ist auch wieder da.«

»Mich interessieren die anderen Leute nicht. Ich möchte wissen, ob es dir gut geht, Eveline«, entgegnete Levi mit beherrschter Stimme und setzte sich zu mir.

»Mir geht es gut!«, beteuerte ich und nippte an meinen Tee. Genau genommen waren alle trüben, traurigen Gedanken verschwunden, seitdem Levi wieder an meiner Seite war. In meiner Brust hatte sich ein Wohlgefühl ausgebreitet, das jedwede Bedenken über Bord geworfen hatte. Doch ich wusste, sie waren nicht verschwunden. Im Gegenteil, mit jedem Tag, der sich der Frist von zwei Monaten näherte, wurden sie stärker, egal wie sehr ich versuchte sie zu verdrängen.

Levi musterte mich für eine ganze Weile eindringlich, ehe sein Gesicht einen Ausdruck annahm, der so schien, als wusste, er, dass ich absichtlich nicht sagte, was mich beschäftigte. Anstatt weiter nachzubohren, lehnte er sich im Zweisitzer zurück und legte einen Arm über die Lehne. »Das Haus ist schön. Zwar klein, aber dennoch gemütlich«, merkte er an und nahm einen Schluck von seinem Tee. Unzufrieden verzog er die Mundwinkel. »Das Teekochen solltest du mir das nächste Mal überlassen!«

Ein unbeschwertes Kichern entkam mir. »Entschuldige, ich bin noch nicht dazu gekommen in den Dorfladen mit dem Fahrrad zu fahren. Ich werde später Tee besorgen, der deinen Bedürfnissen gerecht wird.«

Levi hob eine Braue. »Dass Tee schmecken soll, ist nicht mein Bedürfnis, sondern sollte ein Grundbedürfnis sein!«, murmelte er tonlos und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. »Deinen Worten von vorhin, entnehme ich, dass du nicht unbedingt vorhast, mit mir über einen neuen potenziellen Partner zu sprechen.«

Ungläubig schaute ich auf. »Was? Doch!«, presste ich überzeugend hervor. Wobei ein Unterton mitschwang, den ich eigentlich vermeiden wollte. »Ich habe doch gefragt, ob wir die nächsten Schritte besp -«

»Du bist hier, weil du den Kopf frei bekommen möchtest, Eveline. Da erscheint es mir mehr als unpassend, jetzt verkrampft weitere Schritte bezüglich eines Kandidaten zu besprechen! Ich akzeptiere deine Entscheidung, dass du für dich sein möchtest. Du brauchst nur ein Wort zu sagen, und ich lasse dich das Wochenende allei -«

»Nein!«, unterbrach ich ihn aufgeregt. »Ich will nicht, dass du gehst!«

»Eveline ...«

»Vielleicht hast du recht ... es ... in Wahrheit möchte ich gar nicht darüber reden, wie es mit der Erfüllung meines Wunsches weiter geht. Also ... wenigstens nicht dieses Wochenende ... nicht diese Tage. Ich möchte vergessen, dass unser Vertrag bald endet ...« Meine Stimme wurde immer leiser, bis sie gänzlich unter dem Druck in meiner Kehle erstickte.

Levi schloss die Augen. Sichtlich spannte sich sein Kiefer an und er atmete angestrengt aus. »Gut«, sagte er mit belegter Stimme und öffnete die Augen. »Dann nutze das Wochenende für die Dinge, die dich glücklich machen. Für das, was dir guttut.«

»M-Mit dir ...«, flüsterte ich zögernd. »Ich möchte diese Dinge mit dir zusammentun.« Vorsichtig hob ich meine Hand und legte sie auf Levis. »W-Würdest du mir diesen Wunsch erfüllen?«

Levi schluckte, bevor er seinen Kopf zu mir wandte und mir direkt in die Augen blickte. »Auch ohne einen Wunsch würde ich das tun, Eveline.«

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