✗ 10. | E V E L I N E
Nach dem grottig schlechten Date war Levis Anwesenheit eine wahre Wohltat. Ich fühlte mich in seiner Nähe unbefangen. Auch wenn er recht hatte - dass er wahrlich nicht der Typ für ein Date war und sich schwer für etwas begeisterte - war die Zeit mit ihm angenehm. Jeder bisherige Tag an seiner Seite machte mich neugieriger. Wie war seine Kindheit? Wie waren seine Eltern? Gingen seine Freunde derselben Tätigkeit nach? In meinem Kopf bildeten sich immer mehr Fragen. Auch wenn ich nach wie vor nicht wusste, ob ich sie stellen durfte. Er wirkte zwar so distanziert und desinteressiert, aber in Wirklichkeit war er aufmerksam und achtete darauf, wie ich mich fühlte. Eigentlich hatte ich mit einer Standpauke gerechnet, weil das Date, und damit Levis Mühe, umsonst gewesen war. Zu meiner Überraschung hatte er es hingenommen und sich sogar noch entschuldigt. Dieser Mann war mir ein Rätsel. So sehr ich es mir nicht eingestehen wollte, aber seine spezielle Art faszinierte mich und zog mich in den Bann.
War das vielleicht die Anziehungskraft eines Incubus? Strahlte Levi etwas aus, auf das ich unterbewusst reagierte? Ich wusste es nicht. Stattdessen wollte ich die Momente genießen. Denn, so oder so, nach zwei Monaten würden wir uns nie wieder sehen und mein Vertragspartner würde nur noch eine Erinnerung bleiben, die anhand des surrealen vielleicht sogar verblasen würde. Dieser Gedanke stimmte mich melancholisch. Warum dachte ich an sowas?
»Eveline?«
Ich schrak aus meinen Gedanken. Verwundert drehte ich mich zu Levi. »Alles in Ordnung? Willst du da rein?« Irritiert blickte ich mich um. Ich war in Gedanken vor dem Kino stehen geblieben.
»Ähm ...« Automatisch schweiften meine Augen über die Plakate der laufenden Filme. »Ich ... glaube, das wäre nichts für dich.«
Levi überflog ausdruckslos die Vorstellungen. »Kann sein. Ich kann es nicht beurteilen. Ich habe so etwas wie ein Kino nie besucht. Filme im eigentlichen Sinne kenne ich nicht. Bei uns gibt es mehr Vorstellungen, die eurem Theater oder Oper gleichkommen.«
»Wirklich? Schon seltsam. Auf der einen Seite kannst du solche Hightech Displays erscheinen lassen und Gefühle manipulieren, aber solche Dinge wie ein Kino oder Umgangssprache ist dir fremd. Möchtest du einen Film sehen?«
»Es war dein Wunsch, den restlichen Tag als schöne Erinnerung zu behalten. Du entscheidest, Eveline«, meinte Levi. »Solange es dich glücklich macht.«
Ich seufzte tief. »Mensch! Kling doch nicht so gleichgültig! Ich sagte dir schon einmal, dass mich deine Meinung interessiert. Du kannst auch entscheiden!«
Levi starrte mich undeutbar an, dann wandte er sich erneut zu der Vorstellungsliste. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er sich dafür interessierte einen Film zu sehen, es aber nicht zugeben wollte. Interessiert trat ich dichter neben ihn.
»Und? Sagt dir ein Titel zu?«, fragte ich amüsiert nach. Levi ließ nur ein Brummen von sich und deutete auf einen Titel. Ich schob die Brauen zusammen. War es makabrer Zufall, oder von ihm gewollt, dass seine Wahl auf einen Horrorfilm fiel?
»Der ... beginnt aber recht spät«, murmelte ich und holte mein Handy heraus. Natürlich, um meine Verkehrsbindung mit dem Ende des Films zu kontrollieren. Doch in erster Linie, um nach dem Film zu suchen. Meine Vermutung bestätigte sich, es war ein Splatter-Film.
»Stimmt etwas nicht? Ist die Uhrzeit ein Problem?«, erkundigte sich Levi.
»Äh ... nein. Also, gibt es bei euch verschiedene Genres? Ich ... finde es seltsam einem Dämon vielleicht zu erklären, was ein Horrorfilm ist. Das ist alles«, stammelte ich.
»Ich verstehe. So ein Film ist also dieser Titel. Ich habe davon gehört, dass solche Filme Dämonen behandeln sollen. Stelle ich mir amüsant vor, eure Vorstellung von uns anzuschauen.«
»Dieser Film behandelt jedoch keine Dämonen«, erklärte ich.
»In diesem Fall interessiert er mich nicht. Und ich wollte dir auch keine Erinnerung an diesen Tag geben, der mit einem Film endet. Wenn man sich etwas anschaut, ist man still. Du sagtest jedoch, du willst mich kennenlernen.«
Ich blinzelte perplex. »Du ... meinst das wirklich ernst, dass ich entscheide, oder?«
»Sicher.«
Ich senkte den Blick. In erster Linie verband mich mit Levi seine Arbeit. Ich war seine Arbeit. Das wusste ich von Anfang an. Ich war nur ein Auftrag.
»Eveline?«
»Äh ... j-ja?«
»Du wolltest gedanklich einen Wunsch äußern, hast deinen Gedanken jedoch abgebrochen. Warum?«
Unbewusst versteifte sich kurz mein Körper. »W-Was? Das wüsste ich! Das ist gruselig! Kannst du etwa Gedanken lesen?«
»Nein, kann ich nicht. Mich erreichen nur Wünsche telepathisch. Vor allem, wenn ich in deiner Nähe bin, dann nehme ich selbst unterbewusste Wünsche wahr.«
»Ich habe mir nichts gewünscht! Wie gesagt, das wüsste ich! Deine komische Telepathie-Magie irrt sich wohl!« Schnaubend wandte ich mich vom Kino ab und ging weiter.
Ich habe mir nichts gewünscht! Oder ... doch? Habe ich mir tief im inneren gewünscht, dass er in mir mehr als nur einen Klienten sieht?
Ich schüttelte meine Gedanken von mir, während Levi zu mir aufschloss. Planlos führten mich meine Beine Richtung Hafen. Spürbar zog der Wind mehr auf und brachte mich kurz zum Frösteln. Ohne zu hinterfragen, was wir an diesem Platz wollten, folgte mir Levi und blickte auf das Wasser und den anliegenden Schiffen. Dieser Anblick hätte wohl jede Künstlerin inspiriert. Wie von der Natur gewollt, umschmeichelte der Wind seine Haare. Bei meiner Frisur wiederum kannte er keine Gnade. Genervt blieb ich stehen und versuchte einzelne Strähnen aus meinem Gesicht zu streichen.
»Bist du sauer?« Ich schaute auf, mit direktem Blickkontakt kam Levi auf mich zu. »Du wirkst aufgebracht. Und ich möchte verstehen, warum«, fuhr er fort und blieb vor mir stehen. »Habe ich etwas Falsches gesagt? Du weißt, ich kann und will nicht zwischen den Zeilen lesen.« Seine rechte Hand hob sich langsam zu meinem Gesicht. Sanft strich sein Finger eine Strähne meines Haares zurück. »Oder gibt es Dinge, über die du nicht mit mir reden kannst?«
Seine Berührung ließ ein kaum spürbares Kribbeln auf meiner Wange zurück. »I-Ich bin nicht sauer. Ich ... bin einfach nur durcheinander«, flüsterte ich.
»Ist beim Date doch mehr vorgefallen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das war nur für 'n Arsch. Nur«, ich tippte Levis Stirn an, »lass dieses - unterbewusste Wünsche - spüren! Das ist unheimlich! Vor allem, wenn dein Gegenüber sich dessen selbst nicht einmal bewusst ist!«
»Es spielt eh keine Rolle mehr. Dein Wunsch ist so oder so erfüllt.«
Ich neigte irritiert den Kopf zur Seite. »Was meinst du? Meinst du den Wunsch, dass ich wollte, dass du bei mir bist? Das weiß ich doch. War auch nicht sonderlich schwer zu erfüllen«, lachte ich leise.
»Ich spreche von dem unterbewussten. Du hast ihn vorhin fortgeführt, Eveline.« Seine Hand kehrte an meiner Wange zurück. Seine Wärme legte sich angenehm auf meine kalte Haut. »Ich sehe dich nicht als bloße Klientin meines Auftrages. Ich sehe die Persönlichkeit und Sehnsüchte von dir. Du bist keine Akte, sondern ein Mensch mit Gefühlen, die ich verstehen möchte.«
Überfordert wich ich Levis Blick aus. Seine Augen empfand ich noch genauso durchdringend, wie an dem Abend als er in mein Leben getreten war. Aufgeregt begann sich mein Puls zu beschleunigen. Ich sog angespannt die Luft ein und spürte weiterhin, wie Levis Blick auf mir ruhte.
»Ich ... verstehe ja nicht einmal selbst, warum ich so durcheinander bin. Wie kann ich dir dann erklären, was in mir vorgeht?«, murmelte ich. »Es scheint alles so leicht zu sein und dennoch ist alles kompliziert. Trotz deiner Bemühungen verläuft alles im Sande und -«
»Dann denke nicht daran. Vergiss es, nur für diesen Tag. Was morgen sein kann, ist nur ein Gerücht. Genieße das Hier und Jetzt. Ist das nicht auch eine Form von Glück?«, unterbrach er mich mit tiefer Stimme.
Zögerlich wandte ich meinen Blick wieder zu Levi. Vielleicht hatte er recht. Ich sollte den restlichen Tag bewusst erleben und mir nicht über gewesenes oder was geschehen könnte Gedanken machen. Mit bebenden Herzen verlor ich mich in Levis Augen, während sich sein Gesicht langsam zu meinem herüberbeugte.
Der kalte Wind, die Menschen am Hafen, alles spielte keine Rolle mehr in unserer Umgebung als sich unsere Lippen aufeinanderlegten.
Ob es nun an Levis Anziehungskraft als Incubus lag, oder nicht, mein Körper sehnte sich nach seiner Wärme. Wie Magneten zogen sich unsere Lippen an und der Wind hinterließ keine Spur mehr auf meiner Haut. Unbewusste Magie hin oder her, es war mir egal! Ich sehnte mich von Minute zu Minute nach mehr. Nach Levis Berührung, nach mehr Küssen, der Vibration seiner Stimme an meiner Haut. Die brennende Sehnsucht danach ließ jegliche Bedenken und Sorgen verschwinden. Ich wollte ihn!
»Willst du, dass ich dir eine deiner Fantasien erfülle, Eveline?«, hauchte Levi mit beherrschter Stimme an meine Lippen, ehe sie sich wieder verbanden und trennten. »Sag es nur und du wirst alles vergessen, was vorher war.« Abermals vereinten sich unsere Lippen leidenschaftlich.
Schwerfällig löste ich mich aus dem Kuss und rang nach Luft, um meinen Puls zu beruhigen. »W-Was ... meinst du?«, keuchte ich.
Ein süffisantes Grinsen legte sich auf seine Züge. »Ich rede von der Öffentlichkeit-Fantasie, meine Liebe. Oder gefällt dir Herrin für diesen Moment besser?«
Ich schluckte schwer.
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