✗ 17. | E R W I N

Ein letztes Mal atmete ich durch. Die Atmosphäre um uns herum war drückend und jeder Schritt, mit dem wir uns der Hütte näherte, schien in der Luft zu vibrieren. Mike hatte es geschafft, die Schicksalsgöttin Lasa zu einem Empfang unsererseits zu Überreden. Ihre Dimension glich einem Dschungel aus der Menschenwelt. Jedoch war die Flora komplett anders. Baumkronen erstreckten sich, die weitaus größer waren als jeder Mammutbaum auf Erden. Die Fauna beherbergte Tiere, die die gesamte Umgebung in strahlendes Licht tauchte.

»Bist du dir sicher, dass du das machen willst? Vielleicht kann sie dir auch gar nicht helfen«, sprach Mike besorgt. »Ich konnte ihr nicht einmal sagen, was genau dein Anliegen ist. Nur ihrer Neugier ist es zu verdanken, dass wir jetzt hier sind.«

»Ob sie mir helfen kann oder nicht, weiß ich erst, wenn sie mich angehört hat. Doch keine Schicksalsgöttin ist mit dem Schicksal der Liebe aller Wesen im Universum so vertraut wie Lasa.«

»Sicher. Aber, das hängt auch alles von ihrer Laune ab. Manchmal spricht sie klare Worte und manchmal in kompletten Rätseln, deren Bedeutung nicht einmal Götter entschlüsseln können, wie es heißt.«

Ich erwiderte nichts auf Mikes Bedenken und trat auf die Türschwelle von Lasas Hüte. Zögernd hob ich meine Hand zum Klopfen, doch die Tür öffnete sich bereits langsam und gewährte Einblick in Lasas Wohn- und Arbeitsbereich. Regale mit Flaschen sämtlicher Größen und Formen - deren Inhalt nur erahnt werden konnte - reihten sich die Wände entlang. Von der Decke hingen verschiedene getrocknete Kräuter und Schrumpfköpfe.

Einer von ihnen drehte sein faltiges Gesicht zu uns. »Herein, herein«, begrüßte er uns in einem Singsang.

Sichtlich angewidert erschauderte Mike neben mir. »Heiliger Vater! Ich könnte brechen, was ist das für ein Vieh?«, stieß er hinter vorgehaltener Hand hervor.

»Du solltest auf deine Wortwahl achten, wenn du keine schlechte Laune ihrerseits verursachen willst«, flüsterte ich ihm ernst zu und trat in die Hütte.

»Er ist hier!«, sang der Schrumpfkopf. »Sie sind hier!«

Angespannt stand ich in der Mitte des Raumes und wartete auf Lasas erscheinen. »Es ehrt mich, dass Ihr bereit wart mich zu empfangen, werte Lasa«, erhob ich die Stimme. »Ich danke Euch für Eure kostbare Zeit und Weisheit.«

»Weisheit sagte er. Weisheit«, kicherte ein anderer Schrumpfkopf abfällig. »Zeit sagte er. Zeit.« Ich schluckte kaum merklich. Diese Begegnung würde mir wohl mehr Nerven abverlangen als ich gedacht hatte.

»Was sucht er? Was sucht er?«, sang der Schrumpfkopf, der uns begrüßt hatte. »Was will er? Was will er?«

Mike schaute mich fordernd an und ich wusste, dass er den Platz so schnell wie möglich verlassen wollte. »Nun«, begann ich, »ich wende mich an Euch für das Schicksal eines Menschen. Einer Frau.«

»Mensch sagte er. Mensch.«

»Schicksal einer Menschenfrau.« Die beiden Schrumpfköpfe kicherten schrill in unterschiedlichen Tonlagen. »Was für ein Schicksal will er wissen? Will er wissen?«

»Werte Lasa, ich bitte Euch mir zu offenbaren, welchen Seelenverwandten das Schicksal für diese Frau vorherbestimmt hat.« Plötzliche Stille erfüllte den Raum. Die Schrumpfköpfe bewegten keinen Muskel ihrer fahlen Gesichtszüge. Eine eisige Kälte kroch meinen Nacken hinauf. Ich spürte, wie sich hinter mir eine Aura aufbäumte und mich einzuhüllen schien. Neugierig, befremdlich und ehrfürchtig.

»Noch nie fragte mich ein Wächter solche Torheit. Habt ihr gegenüber den Menschen doch einen Eid.« Lasas tiefe, kühle Stimme halte in meinen Gedanken nieder. »Was interessiert dich die Liebe dieses Weibs? Dir ist bewusst, du bewegst dich Abseits?«

Ich schloss die Augen und sammelte mich. »Mir ist die Dreistheit meiner Bitte wohl bewusst, auch meiner Beschränktheit. Jedoch gilt meine Bitte einzig und allein dem Wohl dieser Frau.«

»Welche Erkenntnis erhoffst du dir vom Wissen des roten Fadens? Glaubst du so abwehren zu können, einen Weg des Schadens?«

»Ich hoffe so der Frau das wahre Glück näherzubringen, werte Lasa. Sie befindet sich in einer gefährlichen Spirale eines Dämons.« Ein eisiger Windhauch durchzog den gesamten Raum und ich spürte, wie sich meine Gedanken für den Bruchteil einer Sekunde in Nebel hüllten.

»Die Namen sind mir nun bekannt, Wächter. Doch deine Gründe sind hohl gegenüber dem Schlächter.«

Ich schob irritiert die Brauen zusammen. Meine Meinung zu diesem Halb-Balg sollte falsch sein? »Was wollt Ihr mir damit sagen?«

»Ein Schleier umhüllt die Frau. Alles kleidet sich in Grau. Ihre Seele ist unvollkommen. Etwas von ihr wurde entnommen. Dieses Stück ist streng verwoben. Wurde es ihr doch im früheren Leben enthoben.«

Nachdenklich senkte ich den Blick und versuchte Lasas Worte zu deuten. »Bedeutet das, ihre Seele ist reinkarniert? Und trägt das Schicksal ihres früheren Lebens in sich?«

»Du solltest begreifen, dass ihr Stück zu seinem passt. Auch wenn du ihn hasst. Ihre Schicksale sind erfüllt von Trauer und müssen abermals überwinden, die Mauer.«

»Von welchen Stücken sprecht Ihr bitte?«

»Die zwei Welten spielen mit ihnen. Der Schlächter muss dienen. Die holde Frau ihrem Selbst verwehrt und sich dennoch abermals nach ihm verzehrt. Schau über den Rand! Und du erkennst ihr unzertrennbares Band.«

»Bei allen Göttern! Ein Dämon und ein Mensch können nicht füreinander bestimmt sein!«, entfloh es mir fassungslos. Erneut durchzog eisiger Wind den Raum.

»Er ist blind. Er ist blind«, begann einer der Schrumpfköpfe zu singen. »Er versteht die Geschichte nicht. Die Geschichte nicht.«

»Wovon spricht dieser ... dieser Kopf?«, brachte Mike argwöhnisch hervor.

»Das Schicksal ist die Ballade. Die Ballade«, brummelte ein anderer Schrumpfkopf. »Er muss es erst begreifen. Begreifen.«

Meine Gedanken versuchten krampfhaft, Lasas Worte zu sortieren. Ich musste sie falsch interpretiert haben!

»Lasa, bei allem Respekt, doch die Volkslegende, die in meiner und der Dämonenwelt bekannt ist, erschließt mir keine Parallelen zu der Frau, die unter meinem Schutz steht und dem Halb-Balg!«, warf ich ernst ein. »Ich -«

Meine Worte stoppten. Eisige Finger legten sich von hinten auf meine Schultern.
»Reize mein Erbarmen nicht aus, schließlich hatte ich dich eingeladen in mein Haus! Meine Worte sind das, was du gesucht hast, zweifelst du sie an, bist du nichts mehr als Ballast!«, hallte Lasas Stimme gereizt durch den Raum.

Ich öffnete den Mund, um die Situation gut zustimmen, doch binnen eines Augenschlages befanden ich und Mike uns vor der Hütte. Vor verschlossener Tür.

»Verstehst du jetzt, was ich gemeint habe?«, murmelte Mike, sichtlich erleichtert draußen zu sein. »All diese Göttinnen sind speziell. Eine verständliche, normale Unterhaltung hängt von ihren Launen ab.«

Keine Antwort kam über meine Lippen, zu sehr war ich mit dem Deuten von Lasas Worten beschäftigt und mir wurde bewusst, dass meine Recherche tief reichender war, als ich es vermutet hatte.

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