1.1-Samuel
Schwer atmend trat Samuel vor die Türen der Synagoge. Du musst gar nicht weinen. Das ist nur eine körperliche Reaktion auf die Enttäuschung. Du bist enttäuscht, weil du nicht wie erhofft Trauzeuge bist. Das hätte dir klar sein müssen, aber es ist so, wie es ist. Da wären viele enttäuscht, aber es ändert nichts an der Situation. Du überstehst diesen Tag, bringst ihn hinter dich und bald bist du weg und musst Sarah nur noch zu Familienfeiern sehen. Bald bist du Schauspieler und in Wien, da zählt das alles nicht mehr ...
Seine Gedanken wurden vom Quietschen der Türangel unterbrochen. Samuel wandte den Kopf und musste trotz der beschissenen Situation lächeln. Hans kam mit seinem Rollator auf ihn zu. Sein Rücken war gebeugt und sein Gesicht vom Alter gezeichnet, aber Hans' Augen blitzten mit jugendlichem Esprit. Und nun einer Note Mitgefühl, als er sich neben ihm auf eine Bank neben der Straße setzte. Samuel stützte seine Ellenbogen auf seinen Knien ab und ließ den Kopf hängen.
„I hob vasuacht, sie zu üwaredn. Owa sie hot ned auf mi gheat."
„Danke, aber ich hätte es besser wissen müssen und mir nichts erhoffen dürfen. Sarah ist ..."
„Konsawativ?" Samuel schnaubte. Das war sehr nett ausgedrückt. Ihm fiel eine Reihe passenderer Bezeichnungen ein (transphob, diskriminierend, ...) aber er schluckte sie hinunter. Sie war auch immer noch Hans' Enkelin.
„Ich will nur, dass sie mich als den sehen, der ich wirklich bin."
Hans lehnte sich zurück. Sein Rücken knackte und er stöhnte. Samuel richtete sich auf und betrachtete seinen Großvater. Er kaute auf seiner Unterlippe. Das klang besorgniserregend. Er vergaß immer, wie alt Hans war.
„I bian oid, stiab owa ned glei, nua wei was ned geölt lauft. Oiso schau mi ned so au", schimpfte Hans und Samuel wandte den Blick ab.
„Woaßt", setzte Hans neu an, „Sie wiad jetzt in näxter Zeit eh vü zu tun hobn. Erst Essenseinladungen, Flittawochn und daun Hausbau. Da wirst dei Ruah hobn und danauch verlasst mi, um noch Wian zu gehen."
Samuel brummte zustimmend. Der Stein in seinem Magen war immer noch da, aber kaum noch spürbar, weil er ihn rational erklären konnte und weil sein Großvater bei ihm war. Hans kannte ihn, er wusste, Plattitüden, die ihm falschen Trost spenden sollten, halfen nichts. Nur die Erinnerung, dass er all das bald hinter sich lassen konnte, machte die Sache erträglicher.
„Ich besuche dich, wenn ich kann und wir telefonieren. Jetzt weißt du ja, wie Facetime funktioniert."
Über das gluckste Hans: „Jau, jetzt bin i a so heitech wia ihr Jungan."
Samuel rollte die Augen, lehnte sich aber zurück, um seinem Großvater in die Augen zu schauen. „Ohne dich wird es nur halb so cool."
Gespielt geschockt legte Hans sich eine Hand übers Herz. „Du wiast do jetzt ned sentimental, mei Junge."
Mein Junge. Das vibrierte durch seinen Körper und verbreitete ein wohlig kribbelndes Echo bis in die Fingerspitzen. Im nächsten Moment wurde Hans wieder ernst. „I wead di a vamissn."
Samuel schluckte. Einerseits konnte er es nicht erwarten aus dem Kaff zu entkommen, andererseits fürchtete er den Moment, in dem er der Welt ohne seinen Großvater allein entgegentreten musste. Er ist noch nicht tot, Dummkopf. Nur lebt er nicht mehr nebenan. Du wirst wirklich noch sentimental.
Ein Sonnenstrahl brach sich durch das Blätterdach und wärmte Samuels Nasenspitze. Er schloss die Augen und genoss es, hier mit seinem Opa zu sitzen. Die Geschehnisse der Hochzeit schienen meilenweit entfernt.
„Vial zu scheen, um glei wiada reinzugehn, oda?", fragte Hans und Samuel nickte nur. Also blieben sie sitzen.
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Damit ist das erste Kapitel nun endgültig abgeschlossen. Ich hoffe, der Dialekt ist noch verständlich für all jene, die nicht aus Österreich stammen ^^' Sonst könnt ihr jederzeit nach einer Übersetzung fragen, aber ich habe versucht, aus der Erinnerung so nah am burgenländischen Dialekt zu bleiben wie möglich. Falls sich auch jemand aus dem Burgenland (oder jemand, der das Hianzische studiert und untersucht) hierher verirrt, ist es mir gelungen?
Schöne Nacht noch!
eure drachenelfe
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