Kapitel 55 - Ein Fingerzeig in die Vergangenheit

Der Moment zog sich bis in die Unendlichkeit, zumindest kam es mir so vor. Viel wahrscheinlicher waren allerdings nur wenige Sekunden verstrichen, bevor die Widerstandskämpfer von ihrer knienden Position aus zu Hux aufblickten. Ich wagte es nicht, erleichtert aufzuatmen. Zu viel konnte noch passieren. 

Armitage streifte mich mit seiner Schulter, als er sich von meiner Seite wegbewegte, um sich bedrohlich und langsam den Rebellen zu nähern. Da er sich dicht vor seinen Gefangenen aufbaute, zwang er diese dazu, den Kopf zurück in den Nacken zu legen um zu dem General aufsehen zu können. Meine Augen ruhten auf Armitages Rücken. Ich registrierte jede Bewegung von ihm. Bemerkte die geballten Fäuste und seine verkrampften Schultermuskeln. 

Dann, ohne Vorwarnung riss Hux seine rechte Hand vor, um sie dem Verräter mit einer Ohrfeige ins Gesicht zu schlagen. Der nachhallende Schlag war im gesamten Hangar zu hören, durchschnitt wie ein Peitschenhieb die uns umgebende Stille. Der junge Mann wirkte mehr überrascht als schmerzerfüllt, dass erkannte ich in seinen Augen, als er voller Unglauben zu seinem ehemaligen General aufsah. 

"Gut gemacht, Phasma", lobte Hux die Anführerin der Sturmtruppen. 

Die Angesprochene nickte stumm, bevor sie sich zur Seite hin umwandte. "Ihr Schiff und Ihre Bezahlung, wie vereinbart", sagte sie zu niemand bestimmtem. 

Mit wem spricht sie? Irritiert blickte ich gerade in dem Moment über meine Schulter zurück, als ein weiterer Mann vortrat. Auch er war in eine dunkle Uniform der Ersten Ordnung gekleidet. Der Blick, mit dem er die Widerstandskämpfer bedachte, war kalkulierend, abschätzend. 

"Du verlogene Ratte!", ließ sich die Frau vernehmen. Sie kämpfte verbissen gegen den unnachgiebigen Griff des hinter ihr postierten Sturmtrupplers an, der sie nach wie vor auf die Knie zwang. Armitage hatte sich zur Seite hin weggedreht, sodass ich sein Gesicht wieder im Profil sehen konnte. Ich sah die abschätzige Amüsiertheit, mit der er die sich windende Frau betrachtete. 

"Wir wurden geschnappt", erwiderte der Mann schräg hinter mir auf ihren Vorwurf. 

Ein Mitläufer? Hat er ihnen geholfen, hier reinzukommen? 

"Ich hab einen D-D-D-Deal gemacht", stotterte er, entschuldigend mit den Schultern zuckend. 

Der Überläufer blickte ihn entsetzt an und sprach direkt die Frage aus, welche mir selbst durch den Kopf schoss. "Warte. Was für ein Deal?" Er wirkte ehrlich schockiert.

Verdammt! Das ist nicht gut. Ich hielt unbewusst den Atem an und verfolgte gebannt den Gesprächsverlauf.

"Sir, wir haben die Informationen dieses Mannes überprüft." Ein kommandierender Unteroffizier war neben Hux getreten. "Der Enttarnungsscan hat ergeben, dass soeben 30 Truppentransporter von dem Kreuzer aus gestartet sind."

Diese Worte schlugen mit einem tonnenschweren Gewicht auf mich ein. Meine Gedanken überschlugen sich geradezu. Die Transporter sind gestartet? Aber wozu? Mit Erschrecken dämmerte mir die nächste Erkenntnis. Bei allen Galaxien, die Transporter wären normalerweise gar nicht auf den Überwachungsmonitoren sichtbar gewesen. Die Rebellen hätten sich ungesehen absetzen können, wenn die Ordnung nicht diese Informationen erhalten hätte. Aber jetzt ... bei allem was heilig ist in dieser Galaxie, die Transporter verfügen über keinerlei Schilde. Sie ... wären einem Beschuss durch die Erste Ordnung hilflos ausgeliefert. 

"Er hat uns die Wahrheit gesagt. Es geschehen noch Zeichen und Wunder." Armitage wirkte tatsächlich überrascht und beeindruckt. Sein Blick streifte mich kurz, bevor er sich wieder an den Offizier wandte. "Unsere Waffen sind einsatzbereit?" 

"Bereit und ausgerichtet, Sir", bestätigte der Mann sofort. 

 Armitage nickte zufrieden. Während er kurz abgelenkt war, tauschte ich einen schnellen Blickwechsel mit den Gefangenen aus. Sie waren genauso fassungslos wie ich auch. Was kann ich tun?

"Feuer nach eigenem Ermessen." Armitage wirkte sehr zufrieden. Der Befehl verließ voller Genugtuung seine Lippen. Der Offizier nickte salutierend und eilte davon, um die ihm übertragene Aufgabe zu erfüllen. 

"Nein warte! Ihr könnt nicht ..." "NEIN!" Beide Gefangene begehrten umgehend gegen die Anweisung auf. Die Frau kämpfte verzweifelt gegen den unerbittlichen Griff an, der sie am Boden hielt. 

Scheiße! Denk nach Ria, denk nach! Wenn dass passiert, dann geht der Widerstand endgültig unter. 

Ohne mir mein weiteres Vorgehen genauer zu überlegen, trat ich schnell an Armitages Seite. Hux registrierte die Bewegung neben sich und sah mich an, siegesgewissheit lag in seinen Augen, kombiniert mit Triumph. "Armitage", flüsterte ich ihm leise zu, "denkst du nicht es wäre taktisch klüger, den Beschuss zurückzuhalten?"

Entgeisterung lag in seinen grünen Augen, dann wandte er sich vollständig zu mir um. "Weswegen?", fragte er wenig begeistert.

"Wer garantiert dir, dass wirklich alle Widerstandskämpfer in diesen Transportern versammelt sind? Richtig, niemand. Woher weißt du, dass die Rebellen mit diesem Schlag vollkommen vernichtet werden? Es ist gut möglich, dass sich noch mehrere Zellen irgendwo verstecken. Wenn du das Feuer jetzt eröffnen lässt, dann kannst du niemanden mehr befragen, sondern vernichtest deine einzige Informationsquelle. Vielleicht wäre es besser, sie irgendwo in die Enge zu treiben? Die Transporter haben wenig Treibstoff, sie müssen also ein Ziel ganz in der Nähe ansteuern."

Armitages Gesicht war während meines Einwurfes nachdenklicher geworden. "Im Prinzip hast du Recht. Aber wir haben diese beiden hier." Sein Kopf deutete auf die Gefangenen. 

Gleichzeitig hörte ich im gedämpftes Wummern im Hintergrund, als die gewaltigen Kanonen am Bug der Supremacy ihren Dienst aufnahmen und den Beschuss eröffneten. Der Befehl des Generals war ausgeführt worden. 

"Es bringt uns jetzt keinen Vorteil, diesen Abschaum fliehen zu lassen. Wir haben alles, was wir brauchen." 

Scheiße, nein! 

Armitage trat näher an mich heran, ergriff meine Hand und legte sie auf seinen Unterarm. Sorgenvoll betrachtete er mich. "Wir gehen gleich zurück, dann kannst du dir wieder etwas Ruhe gönnen. Es gefällt mir nicht, wie blass du gerade aussiehst."

So sehr ich eigentlich seine Aufmerksamkeit und Fürsorge genoß, in diesem Moment wünschte ich mir, er hätte nicht so reagiert. Nicht vor den Augen der Widerstandskämpfer. Ich wagte es nicht den Kopf zu drehen, denn ich hatte Angst davor, was ich in deren Blicken lesen würde. Innerlich fühlte ich mich wie betäubt. Erst die Situation mit Leia und jetzt der offene Beschuss auf die fliehenden Shuttles. Es war zuviel in der kurzen Zeit. Meine Gedanken schlugen einen Looping nach dem anderen, kreisten wirr umher, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Selbst eine Enttäuschung wegen Armitages kaltblütigem Verhalten wollte sich nicht einstellen. Ich fühlte mich geradezu betäubt. 

"Victoria?" Hux trat noch näher zu mir, um mich zu stützen. Scheinbar war er sich gerade nicht sicher, ob mein Kreislauf noch lange durchhalten würde. 

"Es ist okay", antwortete ich schnell. 

Ein Blick hinauf in Hux' Augen offenbarte, dass er mir diese Beteuerung gerade nicht abkaufte. Ich konnte seinem prüfenden Blick im Moment nicht länger standhalten, daher drehte ich den Kopf schnell zur Seite weg. Ganz von selbst blieben meine Augen auf den Widerstandskämpfern hängen. Beide sahen den General voller Hass an, was eine logische und nachvollziehbare Reaktion auf seinen Befehl hin darstellte. Die Frau war mir unbekannt, in meiner Zeit beim Widerstand waren wir uns niemals begegnet, doch der ehemalige Sturmtruppler musste etwas ahnen, oder sogar wissen. Sein undeutbarer Blick ruhte auf Hux und mir. Er registrierte, wie nah wir beieinander standen. Wie Armitage mich abstützte. Ich seufzte innerlich. 

Hoffentlich zieht er jetzt nicht die falschen Schlüsse. Immerhin ist er derjenige gewesen, der Poe vor nicht allzu langer Zeit befreit hat, als dieser von Kylo Ren gefangen genommen worden war. Und jetzt ist er hier, also müssen die Widerständler ihm vertrauen. Es ist durchaus möglich, dass er von meiner Rolle hier weiß. 

In diesem Moment erklang ein leises, metallisches Klirren. Weil die Frau sich so vehement gegen den niederringenden Griff des Sturmtrupplers wehrte, musste ihr ein Amulett aus dem Ärmelaufschlag gerutscht sein. Erschrocken sah sie auf das Schmuckstück hinab.

"Sieh mal einer an", murmelte Armitage neben mir. Seine Augen fixierten das Objekt der Begierde, nach dem die Frau sich gerade versuchte zu bücken, um es wieder verschwinden zu lassen. Hux war schneller. Mit einem großen Schritt war er vorgetreten, der Stiefel landete genau auf dem Anhänger. Erschrocken zuckte die Frau zurück, ihre Finger verharrten nur wenige Zentimeter vor ihrem Ziel in der Luft. 

Armitage bückte sich und hob die Kette auf. Betrachtete sie prüfend. "Das Otomok-System?", sinnierte er, für einen Moment in seine Betrachtung versunken. "Das bringt Erinnerungen zurück." 

Aufmerksam lauschend trat ich einen zaghaften Schritt näher. Armitage hatte mir gegenüber niemals von diesem System gesprochen, oder es auch nur am Rande erwähnt, da war ich mir sicher. Auf einen unmerklichen Befehl des Generals hin entließ der Truppler die Frau aus seinem Griff. Wütend funkelte sie zu ihm auf.

"Ungeziefer wie du schafft es vielleicht hin und wieder, uns ein paar Tropfen Blut mit einem Biss zu stehlen, aber am Ende werdet ihr doch immer zerquetscht!" Hux behandelte sie von oben herab, als wäre sie wirklich nicht mehr in seinen Augen. Nur Ungeziefer. Während er die Frau mit Worten demütigte, legte er die Kette wieder um ihren Hals. Energisch zwang er ihr Kinn mit dem Zeigefinger nach oben, damit sie gezwungen war ihn direkt anzusehen. Die stumme Wut in ihren Augen loderte noch offensichtlicher auf. Armitage dagegen amüsierte sich nur über diesen unverhohlenen Zorn. Aber das Grinsen wurde ihm schlagartig genommen, als die Widerstandskämpferin ihr Kinn mit einem Ruck aus seinem Griff befreite, um dann -wahrscheinlich voller Genugtuung- in Hux' Finger zu beißen. Armitages Reaktion erfolgte umgehend. Mit einem lauten Schrei kombiniert mit hektischem Auf- und Abgehüpfe versuchte er seinen Finger zu befreien.

Passiert das gerade wirklich? 

Entgeistert und mit weit aufgerissenen Augen verfolgte ich die Situation vor mir. Hux war inzwischen immer noch schreiend dazu übergegangen, seinen Finger mit ruckartigen Bewegungen freizukämpfen. Dabei nahm er seine andere Hand zur Hilfe, mit der er den Kopf der Frau von sich wegzudrücken versuchte. Diese dachte aber scheinbar nicht daran, loszulassen und verbiss sich nur noch fester in Hux' Finger. Der Truppler, der für die Bewachung der Frau zuständig war, wirkte völlig überfordert. 

Scheinbar hat sie das Kommentar mit dem Biss etwas zu wörtlich genommen. 

Gegen meinen Willen musste ich kichern. Ich konnte nichts dafür, es brach einfach aus mir heraus. Eine Hand vor dem Mund haltend versuchte ich, meine Erheiterung wenigstens etwas zu verbergen. 

Mit einem letzten Aufschrei hatte Armitage seinen Finger schließlich freibekommen. Sein Schwung ließ ihn unelegant in meine Richtung zurückstolpern, weswegen ich mit einem Schritt zur Seite ausweichen musste, um nicht umgerannt zu werden. 

"Hux?", besorgt blickte ich um ihn herum. 

Seine Haare waren in Unordnung geraten und standen leicht ab, die linke Hand hielt die angebissene rechte umklammert. Seine Atmung ging schwer als Armitage mich aufgebracht ansah. Ich legte meine Hand in einer mitfühlenden Geste kurz auf seinen Unterarm. Uns gegenüber spuckte die Frau demonstrativ aus, als ob ein schlechter Geschmack noch auf ihrer Zunge liegen würde.

"Exekutiert sie beide!", schrie Armitage aufgebracht. 

Phasma folgte dem Befehl des Generals nur zu bereitwillig. Erwartungsvoll trat die große, chromgewandete Gestalt näher. Ich dagegen war in der verzweifelten Bemühung gefangen, meine Gesichtszüge nicht vollends entgleiten zu lassen. Meine Hand um Armitages Unterarm übte einen stärkeren Druck aus. "Hux. Die beiden sind deine einzige Informationsquelle, wenn du den Beschuss weiterhin aufrecht erhältst." 

Wenn er die Gefangenen jetzt gleich hinrichten lässt habe ich keinerlei Möglichkeit mehr, ihnen irgendwie zur Flucht zu verhelfen. 

"Sie haben schon viel zu lange meine kostbare Zeit gestohlen!", rechtfertigte Armitage sich mit nur mühsam beherrschter Stimme. "Komm, Victoria." Bestimmend hakte Armitage sich bei mir ein, um mich praktisch aus dem Hangar zu führen. 

Ich lief stumm neben ihm her. Er hat einfach so ihre Hinrichtung befohlen. Natürlich sind wir Gegner in diesem Konflikt, aber ich habe immer öfter den Eindruck, dass es für Armitage etwas persönliches ist. Das er aus eigenem Antrieb so verbissen und rücksichtslos bei der Auslöschung des Widerstands agiert und alles vorantreibt. 

Aus dem Augenwinkel registrierte ich, wie mein Partner seine verletzte Hand leicht schüttelte, wobei er schmerzverzerrt das Gesicht verzog. Eigentlich widerstrebte es mir in diesem Moment zutiefst, mich besorgt um ihn zu geben. Aber auf der anderen Seite, welche Wahl hatte ich denn? Natürlich würde es Hux auffallen, wenn ich ihn meinem Gemütszustand entsprechend, anrüffeln würde. Denn ich hatte keinen Grund dazu, ihm wegen seinem Befahl unsere "Feinde" betreffend, böse zu sein. Nicht, wenn ich meine Tarnung als Offizierin aufrecht erhalten wollte. Aber exakt in diesem Augenblick fiel es mir wieder so schwer wie schon lange nicht mehr, die beiden unterschiedlichen Seiten in ihm miteinander zu vereinen.

"Lass mich mal sehen." Indem ich stehen blieb zwang ich Hux dazu, es mir gleichzutun. Mit einem schnellen Blick sah ich mich um. Da wir den Hangar inzwischen verlassen hatten, waren hier nur wenige Personen unterwegs.

"Es ist nicht so schlimm", wiegelte er ab. "Du dagegen bist so blass. Komm, wir kümmern uns zuerst um dich." 

Erst befiehlt er den Abschuss von wehrlosen Personen, dann verhält er sich wieder komplett anders, fürsorglich und immer um mein Wohlergehen besorgt. 

"Nein." Nachdrücklich schüttelte ich den Kopf, aber diesmal würde ich nicht nachgeben. "Ich kann mich noch einen Moment auf den Beinen halten, es geht mir gut, Hux. Jetzt lass mich deine Hand sehen." 

Ohne eine Antwort abzuwarten, zog ich ihm den Handschuh von der Rechten. Schon in der Handinnenfläche kam mir das Blut entgegengelaufen. Als ich das steife Leder vorsichtig über die Bisswunde zog, zischte Armitage kurz und heftig auf. 

"Entschuldige." 

Unser beider Blick lag auf seinem Finger. Die Zahnabdrücke zeichneten sich Halbmondförmig ab und hatten auch fast überall die Haut durchdrungen. Blut quoll träge und dunkelrot aus seinem Finger. 

Wow. Sie muss ziemlich heftig zugebissen haben, wenn schon das Leder ihre Zähne nicht von seiner Haut abgehalten hat.

Armitage zog zischend Luft zwischen krampfhaft zusammengebissenen Zähnen hindurch, dann beugte er sich mit dem Oberkörper vor, bis er sich schließlich an mir abstützen konnte. "Mir wird schlecht", erklärte er sein Verhalten. 

"Kannst du dein eigenes Blut nicht sehen?"

Anstatt einer Antwort schüttelte Armitage nur den Kopf, bevor er diesen auch auf meinem anlehnte. Ich angelte ein sauberes Tuch aus meiner Uniformtasche, um es behutsam auf die Verletzung zu drücken. Aus Reflex wollte Hux seine Hand wegziehen, als ich mit der frischen Wunde in Berührung kam. 

"Nicht. Lass mich den Blutfluss stoppen. Dann müssen wir auf die Medizinische Station. Mit Bissverletzungen ist nicht zu spaßen." Armitage nickte stumm. Ich schlang meinen Arm um seine Taille, damit wir uns gegenseitig Halt gaben. 

"Haben Sie etwas vergessen, Miss Deveron?" Die Stationsschwester sah fragend hinter dem Empfangstresen hervor. 

"Nein. Aber General Hux wurde verletzt und muss versorgt werden."

"Natürlich. Folgen Sie mir." Nachdem die Frau uns in ein Behandlungszimmer dirigiert hatte eilte sie mit den Worten, "der Arzt ist gleich bei Ihnen", davon. 

Somit blieb uns beiden ein ungestörter Moment Zeit und diesen wollte ich auf keinen Fall ungenutzt verstreichen lassen. Ich musste einfach wissen, weswegen Armitage so verbissen reagierte, wenn es um den Widerstand ging.

"Hux?", ich legte meine Finger unter sein Kinn, um es sanft anzuheben. Seine wunderschönen grünen Augen hefteten sich auf meine. "Tut es sehr weh?" Es rührte mich zutiefst und beschäftigte meine Gedanken, dass dieser Mann mir gegenüber solche Schwäche zeigte und auch zuließ, wo er doch für alle anderen so unnahbar wirkte. Aufmerksam betrachtete ich ihn genauer. Er war immer noch deutlich blasser als sonst. Ein schneller Blick auf das Stofftuch zeigte mir, dass es schon vollständig mit seinem Blut vollgesogen war und nichts mehr aufnehmen konnte. Rote Tropfen begannen bereits auf seine Hose zu fallen. 

Ich huschte so schnell es mir möglich war zu einem Papiertuchspender und zog ein paar Blatt heraus, um das Gröbste aufzufangen. Diese kleine Beschäftigung half mir dabei, meine Beherrschung zu bewahren. Denn wenn ich nur genauer daran denken würde, was aktuell auf den fliehenden Shuttles des Widerstands los sein musste, oder was gerade mit den Gefangenen passierte, würde meine Zurückhaltung zu bröckeln beginnen. Ich war schon öfter mit Armitages skrupelloser Seite konfrontiert worden, deswegen war das hier nichts neues für mich. Trotzdem wollte ich unbedingt wissen, weswegen er den Widerstand so vehement bekämpfte. 

"Du bist so fürsorglich, Victoria." Hux versuchte meinen Blick einzufangen. Seine linke Hand legte sich warm auf meine Wange und streichelte zart über meine Haut. 

Ich hielt die Augen dennoch auf das Tuch gerichtet, denn ich wusste nicht, ob ich mich würde beherrschen können, wenn ich Armitage direkt ansah. In meinem Inneren herrschte ein zu gewaltiger Aufruhr. "Das sind wir beide füreinander", gab ich schnell zurück. 

"Schau mich an, Ria." Langsam hob ich den Blick, bis ich mich schließlich in Armitages grünen Augen verlor. "Meine Schöne!" Er ließ seine Hand von meiner Wange weiterwandern, bis sie in meinem Nacken zum Liegen kam. Ein kurzer Ruck, dann verbanden sich unsere Lippen. Ich seufzte leise in den Kuss, doch nach einem Moment zog ich mich behutsam von ihm zurück.

"Nicht!", bat Hux. 

"Armitage, was ist im Otomok-System passiert?" Damit überging ich seine Forderung nach mehr Zuneigung zwar, aber ich musste endlich wissen, was dort passiert war. Scheinbar brachte ihn meine Frage aus dem Konzept, wenn man den überraschten Blick bedachte. "Vorhin im Hangar sagtest du, dass damit alte Erinnerungen verbunden sind", präzisierte ich mein Anliegen etwas genauer. 

"Ah das." Hux wirkte nicht begeistert.

"Möchtest du mir davon erzählen?" Ich setzte mich neben ihn auf die Liege, denn inzwischen machte sich mein Knie leider sehr deutlich bemerkbar. Trotzdem übte ich auch weiterhin einen konstanten Druck auf den Verband an seinem Finger aus. 

"Es war ... ich war zu meinen Ausbildungszeiten in der Akademie einmal dort." Armitage musste sich sichtlich sammeln, scheinbar verband er mit diesen Erinnerungen auch nichts positives. 

Ich schlang meinen Arm schnell um seine Schultern. "Wenn es dir zu sehr weh tut, darüber zu reden ..."

"Nein", fiel er mir ins Wort. "Ich möchte es dir erzählen. Wenn nicht dir, wem dann?" Armitage wandte den Kopf um mich direkt anzusehen. Aufrichtige Liebe sprach aus seinen Augen.

Und da ist mein schlechtes Gewissen wieder. Frisch aus dem Off. Genervt von mir selbst schubste ich es wieder zurück in die Ecke, aus der es gekrochen war. 

"Mein Vater war damals noch am Leben. Ich glaube, ich muss 15 gewesen sein, möglicherweise auch 16. Während meiner Ausbildung war es damals noch üblich, Kandidaten die für den Rang eines Generals vorgesehen waren auf einem Planeten zu stationieren, der von Unruhen geprägt ist. Dann überträgt man ihm oder ihr das Kommando und wartet ab, was dabei herauskommt. Ob der Absolvent genug Kalkül beweist und das Durchsetzungsvermögen hat, um so eine Situation zufriedenstellend zu meistern. Damals war ich noch sehr schmächtig. Meine äußere Erscheinung machte nicht viel her." 

Ich streichelte unablässig über seine Schulter und wartete still ab, dass Armitage weitersprechen würde. Hux nahm meine mitfühlende Geste dankbar an, indem er seine Stirn kurz an meine drückte. 

"Es gab auf diesem Planeten ein Versteck von Widerstandskämpfern. Ihnen ist es gelungen, mich von der Truppe zu trennen und gefangen zu nehmen." Armitages Stimme klang immer angespannter, je länger er in diesen vergangenen Erinnerungen verweilte. "Sie ... haben sich über mich lustig gemacht. Mich verspottet und aufgezogen. Neben den ganzen Schlägen, Tritten und anderen Demütigungen natürlich. Ich musste neben der physischen Erniedrigung auch die psychische ertragen."

"Oh Hux!" Ich wusste dass das ein extrem empfindliches Thema für ihn war, da auch sein Vater schon keinerlei Wertschätzung für ihn hatte aufbringen können. Aus einem Impuls heraus zog ich ihn ganz in meine Arme und streichelte über seinen Rücken. 

"Sie haben genau das zu mir gesagt, was auch mein Vater immer sagte", murmelte Armitage gegen meine Schulter. "Das aus mir niemals ein guter General werden würde. Denn dann hätte ich ihren Hinterhalt schon viel eher bemerkt und wäre gar nicht erst in diese Falle getappt. Ich habe mich so erbärmlich gefühlt, Victoria! So schwach!"

"Scht, Hux, rede nicht weiter. Es ist gut." Ich hielt ihn fester an mich gezogen, denn auch seine Arme klammerten inzwischen an mir. Sanft lehnte ich unsere Köpfe aneinander, da seiner noch immer auf meiner Schulter ruhte und streichelte über sein Haar. Doch scheinbar musste endgültig ein Damm in Hux gebrochen sein, denn die Worte sprudelten nur so aus ihm hervor, es gab kein Halten mehr. 

"Ich hatte so eine wahnsinnige Angst vor ihnen. Davor, was sie mir noch alles antun würden. Ich wollte fliehen, aber gleichzeitig hatte ich auch eine panische Angst davor, auf mich alleine gestellt in dieser feindlichen Umgebung herumzuirren." Armitage atmete in krampfhaften Stößen. "Ich hatte Angst davor, herauszufinden, dass mein Trupp mich zurückgelassen hätte. Das ich nicht wichtig genug wäre, um gerettet zu werden. Oder das mein Vater die Gunst der Stunde ausnutzen würde, um sich endgültig von mir zu entledigen."

Ich streichelte ununterbrochen über seinen Rücken, signalisierte ihm stumm meine Anwesenheit und den Rückhalt, den ich ihm dadurch vermitteln wollte. "Es ist alles gut, Armitage." 

Natürlich gab es auch ein paar radikalere Gruppierungen, die sich gegen das Regime der Ersten Ordnung auflehnten. Ich vermutete fast, dass es sich bei Armitages Erzählungen um genau so eine Gruppe gehandelt haben musste. Aber, diese Splittergruppen hatten rein gar nichts mit dem Widerstand zu tun. Trotz allem rückte gerade ein weiteres Puzzlesteinchen bei Armitages Verhalten an seinen richtigen Platz. 

Wegen dieser Erfahrungen hat sich seine Angst, alleine gelassen zu werden nur noch mehr verstärkt. Und das ist auch der Grund, weshalb er andere Personen immer wieder von sich weggestoßen hat. Weswegen er tagein - tagaus die Maske des unnahbaren Generals trägt. Damit ihm niemand so wichtig wird, dass es Hux wieder verletzen kann, wenn diese Person sich doch von ihm abwendet. Er hat sich so lange abgekapselt und distanziert verhalten, bis ich in sein Leben getreten bin. Darum klammert er sich auch in einer beinahe schon verzweifelt anmutenden Heftigkeit an mir fest. Weil ich, eine Widerstandsspionin ihm zum Ersten Mal in seinem Leben das Gefühl gegeben habe, geliebt zu werden. Weil ich ihm gezeigt habe, dass Hux als Person etwas wert ist. 

Demonstrativ riss mein schlechtes Gewissen die Tür auf, hinter der ich es eingesperrt hatte um mir laut entgegenzubrüllen, dass mein Partner ebenfalls maßlos enttäuscht werden würde, sobald er etwas von meinem doppelten Spiel erfuhr. Denn ich hatte genau das getan, worum Hux immer einen Bogen gemacht hatte. Ich war ihm wichtig geworden und letztendlich hatten wir beide uns ineinander verliebt.

Die Macht hat einen verdammt schrägen Sinn für Humor. 

"Armitage, sieh mich an!" Sanft umfasste ich sein Gesicht mit beiden Händen und hob es auf Augenhöhe an. "Denk nicht mehr daran, es ist die Vergangenheit. Du hast das alles überstanden und bist so viel stärker daraus hervorgegangen. Es tut mir leid, dass ich dich danach gefragt habe." Ich empfand Mitgefühl für den Mann mir gegenüber. In seinem ganzen Leben hatte er immer und immer wieder nur eines erfahren; Herabwürdigung und Verachtung. Es grenzte fast an ein Wunder, dass er sich mir überhaupt so sehr anvertrauen konnte. 

"Ich verstehe dich, mein Liebster. Aber ich schätze, dass diese Männer die dir das angetan haben, gar nicht zum Widerstand gehören."

"Wie kommst du darauf, Ria?"

"Ihre Ansichten sind zu radikal. Müsste ich raten so würde ich vermuten, dass diese Gruppierung eher einer Splittergruppe angehört." Armitage bedachte mich gerade mit einem ganz seltsamen Ausdruck in den Augen, weswegen ich mich beeilte weiterzusprechen. "Du fragst dich gerade, woher ich so etwas weiß, habe ich Recht?"

"Volltreffer."

Da ich meinem Partner wohl schlecht aus erster Hand erzählen konnte, woher mein Wissen kam, entschied ich mich für einen kleinen Umweg in Form einer Notlüge. "An der Akademie wurde ein freiwilliger Lehrgang angeboten. Erforschung von Verhaltensmustern feindlicher Individuen und Gruppierungen. Mich hatten die Beweggründe unserer Widersacher interessiert. Warum sie so agieren, wie sie es tun. Warum sie sich so sehr gegen eine geordnete Galaxie auflehnen. Kenne deinen Feind, dann bist du ihm einen Schritt voraus. Solche radikalen Vorgehensweisen passen nicht in die Philosophie und das Dogma des Widerstands."

Hux hing gebannt an meinen Lippen und sog jedes Wort auf, das ich gerade von mir gab. "Du meinst es war gar nicht ..."

Die sich öffnende Schleusentür unterbrach unser Gespräch. Stumm verfluchte ich den Arzt, dass er sich ausgerechnet diesen Augenblick ausgesucht hatte, um nach seinem Patienten zu sehen. Immerhin hatte ich hier gerade einen möglichen Ansatz gefunden, um Hux dezent in die andere Richtung zu lenken. 

Die Macht will mich verarschen, eindeutig. Zumindest ist sie nicht mit mir. 

Der Mediziner reinigte Hux' Bisswunde kommentarlos und überhörte auch sein dezentes Gejammer, als die Verletzung mit einer Desinfektionslösung ausgewaschen wurde. Ich hielt ihn dafür weiterhin im Arm und streichelte in beruhigenden Bahnen über seine Schulter. Die Assistentin des Arztes war da weit weniger feinfühlig und zurückhaltend, da sie bei jedem Schmerzenslaut von Hux schadenfroh grinste. Ihr Verhalten überraschte mich nicht, denn es war genau dieselbe ältere Frau, die mit dem General bereits so unsanft aneinander geraten war. Zu ihrem Glück war Armitage aber so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er ihre Indiskretion nicht bemerkte. Das Donnerwetter welches dann folgen würde, übersprang ich nur zu gerne. 

Ein flexibler Verband und eine Injektion gegen Wundstarrkrampf und mögliche Infektionen durch Bakterien später, war Hux fertig. Mit der Behandlung und den Nerven. Inzwischen zog ihn alles wieder zurück auf die Kommandobrücke. Ich bekam auch meinen Teil ab, da die Schwester mich dazu nötigte, noch ein Medikament gegen die Schmerzen einzunehmen.

Gemeinsam liefen wir durch die Flure. Das dezente Wummern der Bugkanonen ertönte noch immer und wurde stetig lauter, je näher wir der Brücke kamen. Meine Angst verstärkte sich gerade um ein vielfaches. Da mein körperliches Leiden gerade in den Hintergrund gedrängt und vollständig abgeblockt wurde, hatte ich den Kopf frei für meine Sorgen. Fakt war, dass ich keine Ahnung davon hatte, welche Zwischenbilanz mich auf der Brücke erwarten würde. Es graute mir davor, die Verluste des Widerstands reduziert auf bloße Zahlen, vorgetragen von einem emotionslosen Mitarbeiter, zu erfahren.

"Danke, Victoria." 

Überrascht sah ich zu Hux auf. Seine Worte hatten mich wieder einmal aus meinen Gedanken gerissen. "Wofür?"

Armitage stoppte ab und zog mich in seine Arme. "Für alles. Dafür, dass du für mich da bist. Mich nicht verurteilst. Dass du mir Kraft und Rückhalt gibst mit deiner Treue. Danke dafür, dass ich dir etwas bedeute. Und ... dafür, dass du mich liebst. Ich kann es immer noch nicht richtig glauben."

"Ach, Armitage!" Ich umfasste seine Wangen, um sein Gesicht zu mir heranzuziehen. Behutsam verbanden sich unsere Lippen, vereint in einem Tanz und sagten so viel mehr als unendlich viele Worte es jemals gekonnt hätten. Sanft löste ich mich nach kurzer Zeit wieder von ihm. Sah hinauf und blickte direkt in seine Augen. "Glaub es ruhig, denn es ist wahr!", raunte ich ihm leise zu.

Dieser Moment in dem wir beide uns einfach nur ansahen, voller Liebe, Zuneigung und Glück sollte der letzte sein. Ein letzter Augenblick des Friedens, bevor die Welt um uns herum in tosendem Chaos versank. Wir beide hatten keine Ahnung, was uns in den nächsten Minuten und Stunden bevorstand. Wie sehr die Ordnung, wie wir sie jetzt kannten, unwiederbringlich verloren sein würde. Unwissenheit kann manchmal ein Segen sein und ist dennoch nicht in der Lage, die Zeit anzuhalten.

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