Kapitel 51 - Ein Ansatz zur Wahrheit
Beschissen. Es ging mir absolut beschissen. Körperlich, wie auch emotional und vor allem psychisch. Die Flucht von Arkania aus hatte ich nur vage wahrgenommen, der Flug im Shuttle hingegen fehlte vollkommen in meiner Erinnerung. Meine Wahrnehmung setzte erst wieder bei der Medizinischen Station ein, allerdings auch nur bruchstückhaft.
Dominiert und beherrscht wurde mein ganzes Sein von starken Schmerzen. In Rücken und Hintern tobte ein unbarmherziges Feuer. Ergänzt von zahllosen anderen Verletzungen, ergab sich ein wirklich beschissenes Gesamtbild. Nett formuliert.
Inzwischen war ich endlich wieder vollständig zu Bewusstsein gekommen und, zu meiner grenzenlosen Erleichterung auch tatsächlich aus Bales Zugriff gerettet. In meinem Unterbewusstsein hatte sich die nagende Angst festgesetzt, dass das alles nur ein Traum gewesen sein könnte. Das ich demnächst wieder aufwachen und feststellen würde, immer noch seine Gefangene zu sein.
Nur langsam konnte ich meine Augen auf das über mir schwebende Gesicht fokussieren. Die Stimme, wie auch die Gesten kamen mir seltsam vertraut vor. Zart streichelnde Finger auf meinen Wangen und geflüsterte Zusicherungen, dass ich endlich in Sicherheit wäre.
"Victoria! Sieh mich an! Sieh mich an! Scht, ganz ruhig."
"Hux?" Oh bei der Macht bitte, lass es wahr sein!
"Ja. Ich bin bei dir. Es ist alles wieder gut", versicherte er mir sofort.
"Hux!"
So wie ich sicher war, bei meinen Partner zu sein, brachen alle Dämme. Endgültig. Das verzweifelte Schluchzen ließ sich nicht länger zurückhalten. Sofort umschlossen mich Armitages Arme in einer beschützenden Geste, hielten mich sanft an seinem Körper geborgen. Ich vergrub meine Finger in dem dunklen Stoff seiner Uniform und atmete seinen mir mittlerweile vertrauten Duft nach Zedernholz kombiniert mit Vanille in tiefen Atemzügen ein. Endlich!
Für eine lange Zeit war ich zu keinem vernünftigen Gedanken mehr fähig. Einzig und allein Armitages Nähe und Anwesenheit gaben mir alles, was ich in diesem Moment so dringend benötigte. Das Gefühl von Nähe, Schutz, Geborgenheit und was am wichtigsten war, bedingungsloser Liebe.
Armitage wurde nicht müde darin, mich sanft in seinen Armen zu halten und unzählige Küsse überall auf meinem Kopf zu platzieren. Vermutlich in dem Bemühen, mich für alle überstandenen Qualen bei Bale zu entschädigen und darüber hinwegzutrösten. Inzwischen klammerte ich mich auch nicht mehr krampfhaft an ihm fest, sondern lag angenehm eingekuschelt an seine Brust gelehnt.
"Hast du noch starke Schmerzen, mein Schatz?" Armitages Finger streichelten in sanften Kreisen über meine Schultern.
Ich horchte für einen Augenblick in mich hinein. "Es hält sich in Grenzen. Das Schmerzmittel scheint zu wirken." Demonstrativ hob ich den Handrücken an, in dem die Infusionsnadel steckte. Ich hasse Nadeln!
"Brauchst du sonst noch etwas, Victoria?"
"Nur dich. Kannst du mich noch einen Moment im Arm halten?"
Hux kam meiner Bitte umgehend nach, wobei ein kleines zufriedenes Lächeln seinen Mundwinkel nach oben zupfte. "Es tut unglaublich gut, dich endlich wieder in meinen Armen halten zu können, meine Schöne." Armitage strich mit den Daumen die letzten Tränenspuren von meinen Wangen. Dabei unterzog er mein Gesicht einer eingehenden Musterung. Ich nickte stumm, suchte aber gleich darauf wieder Schutz an seiner Halsbeuge.
Meine Arme legten sich automatisch wieder fester um seine Mitte, bevor ich zu einer Antwort ansetzte. "Ich bin erleichtert, das Ren mich hat retten können." Meine Worte waren unbewusst gewählt, das wurde mir exakt in dem Moment klar, als sich Hux' ganzer Körper versteifte. Ich hatte ihm ungewollt die Tatsache vor Augen geführt, dass nicht er derjenige war dem ich meine Rettung zu verdanken hatte, sondern Kylo Ren.
"Oh Armitage, tut mir leid!" Ich lehnte mich leicht aus der Umarmung heraus, damit ich ihn ansehen konnte. "Ich wollte dich nicht verletzen. Und mir ist bewusst, das du einzig und allein aus dem Grund nicht derjenige warst der mich befreit hat, weil Snoke dich nicht gelassen hat." Meine Hände legten sich auf seine Schultern. "Ich weiß, wie schwer es dir gefallen sein muss hier zu warten. In der Ungewissheit, was gerade passiert."
Hux nickte nur, bevor er seinen Blick hob und in meinem versank. Die geringe Distanz zwischen uns war schnell überwunden, dann lagen seine Lippen warm um weich auf meinen.
Bei allen Galaxien, wie sehr habe ich das vermisst! Ich genoss das Gefühl, dass seine Lippen auf meinen auslösten in vollen Zügen. Ließ mich vollkommen in die Zärtlichkeit fallen und verdrängte bewusst alle bösen Erinnerungen an die Zeit bei Kisal. Nur Armitage war jetzt wichtig.
"Ich war so kurz davor, die Befehle von Snoke einfach zu ignorieren und selbst nach dir zu sehen, anstatt Kylo Ren deinen Standort zu übermitteln", erklärte er mir in einer Atempause. "Als Bale diese schreckliche Nachricht von deinem Datenpad geschickt hatte, da wurden meine schlimmsten Befürchtungen zu beängstigender Realität. Ich hatte eine so wahnsinnige Angst davor, dich verloren zu haben. Und das endgültig und unwiederbringlich. Ich hätte es nicht ertragen, wenn Bale seine Drohung wahr gemacht und dich gegen deinen Willen zu seiner Frau genommen hätte. Du bist mein Ein und Alles, Victoria." Seine Hände fuhren in einer fast schon verzweifelten Intensität abwechselnd über meine Wangen und Haare. "Ich habe die Verletzungen gesehen, die er dir zugefügt hat! Bei allem was heilig ist in dieser Galaxie, dafür bringe ich ihn um! Du solltest so etwas nicht durchmachen müssen, mein Schatz! Ich wollte dich beschützen, habe es dir sogar versprochen. Und was ist stattdessen passiert? Victoria, bitte verzeih mir! Ich habe versagt!" Hux Stimme war immer schneller und flehentlicher geworden. "Schon allein bei der Vorstellung daran, was du hast ertragen müssen. Wie es zu deinen Verwundungen kam. Die Angst, die du hast durchleben müssen. Ich ... bin so ein jämmerlicher Versager ...", Armitage brach mit einem unterdrückten Schluchzen ab.
"Hux, nein!" Ich legte meine Hände wieder auf seine Wangen und drehte seinen Kopf zurück zu mir, den er vor Verzweiflung zur Seite hin abgewandt hatte. "Das bist du nicht! Mach dir keine Vorwürfe, du hättest in dieser Situation nicht mehr für mich tun können. Weder das, noch Snokes Plan durchschauen. Wir beide konnten nicht mit so etwas rechnen. Im Gegenteil hast du dich bewusst gegen Snokes Anordnung aufgelehnt und nach der einzigen Möglichkeit gegriffen, die es in diesem Moment gab." Ich zog ihn wieder in meine Arme.
Ironischerweise war jetzt ich diejenige die Trost spendete und nicht umgekehrt. Obwohl, genau betrachtet ziehen wir beide gerade Trost aus der gegenseitigen Nähe zueinander.
"Ohne dich hätte ich nicht mehr weitermachen können!", murmelte Hux gegen meine Schulter. "Ohne dich hätte mein Leben keinen Sinn mehr gehabt."
Seine Worte ließen erneut Tränen der Rührung in meine Augen schießen. "Einzig und allein der Gedanke daran, dass ich deine Frau werde wenn ich das überstehe, hat mich weiterkämpfen lassen. Hat mir die nötige Kraft gegeben, alles durchzustehen." In mir schlug das schlechte Gewissen gerade meterhohe Wellen. Es gab immer noch ein gigantisches Geheimnis, das zwischen Hux und mir stand. Was ich gesagt hatte stimmte, denn ohne die Gewissheit zu ihm zurückkehren zu können, wäre es mir wesentlich schwerer gefallen, meine Hoffnung zu bewahren.
Trotzdem habe ich mir geschworen, ihm alles zu erzählen, sobald ich wieder bei ihm bin. Somit wäre der Zeitpunkt der Wahrheit also gekommen.
"Meine Ria!", brachte Armitage noch gepresst heraus, bevor er wieder an meinen Lippen klebte. Stürmischer diesmal.
Ich erwiderte seine Zuneigung, da auch ich mich nach der darin entstehenden Geborgenheit sehnte. Dann drückte ich Hux sanft ein Stück von mir weg, was er mit einem irritierten Blick honorierte. "Armitage ich ... ich muss dir etwas sagen."
Tief durchatmen Ria. Mein Herz hämmerte in einem hektischen Wirbel hinter meinen Rippen. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nervös nestelte ich am Krangen des Kittels herum, den ich trug. Bei allen Galaxien, ich bin darauf und daran einem General der Ersten Ordnung zu sagen, dass ich eigentlich eine Widerstandsspionin bin. Wie wird Armitage reagieren? Wird er mich von sich stoßen? Mich einsperren lassen? Sich womöglich sogar von mir abwenden?
Unbändige Angst wallte in mir auf, denn ich wollte meinen Partner unter keinen Umständen verlieren. "Armitage ich ..."
Hux spürte meine sich steigernde Nervosität sofort. "Was hast du denn, Liebes?" Seine Augen huschten von meinem Gesicht hinab auf meine Hand, die immer noch am Kragen des Kittels herumzupfte. "Victoria, wo ist dein Ring? Der, den ich dir zu unserer Verlobung geschenkt habe?"
Mit so einem Zwischeneinwurf hatte ich nicht gerechnet. "Ähm ... ähm ... was?" Perplex blinzelte ich meinen Partner an.
Hux deutete erklärend auf meine Hand und griff umgehend nach dem Schmuckstück. Wut zog seine Augenbrauen zusammen, als er den Ring von meinem Finger zupfte und ihn in einer impulsiven Geste von sich wegschleuderte. "Verschissener Bastard!", fluchte er aufgebracht.
"Oh verdammt, das habe ich total vergessen. Ich wollte das Risiko nicht eingehen das Bale deinen Ring sieht und ihn mir wegnimmt. Ich habe ihn in die Tasche an meiner Uniform gepackt. Die muss wohl noch in Rens Shuttle sein." Innerlich schalt ich mich eine Idiotin. Ich hätte mir Bales Ring bei der erstbesten Gelegenheit vom Finger reißen müssen.
Armitage dagegen sprang hektisch auf und lief zu einem Stuhl, über dessen Lehne eine Uniformjacke hing. Mein Blick folgte ihm. Kann das meine sein?
Nach einem Augenblick hektischen herumsuchens, kam Hux freudestrahlend mit meinem richtigen Verlobungsring zurück. Das Bett senkte sich ein kleines Stück ab, als Hux wieder neben mir Platz nahm. Behutsam seine Hand nach meiner ausstreckte. "Der gehört dir meine Geliebte. Darf ich?" Armitage machte Anstalten, mir den Ring an den für ihn vorgesehenen Platz zu stecken.
Doch bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, entzog ich ihm meine Hand. Geschockt zuckten seine grünen Augen hoch und nagelten mich mit einem entsetzten Blick fest. "Victoria ... was?"
Es tat mir unendlich weh, Armitage dermaßen vor den Kopf zu stoßen. Aber dennoch konnte ich ihn nicht einfach gewähren lassen. Nicht, bevor er nicht endlich die gesamte Wahrheit über mich wusste. Ich schluckte schwer.
"Ria?", purer Unglauben sprach aus Hux' Stimme. "Willst du den Ring nicht mehr?"
"Doch Armitage, nichts lieber als das. Aber ...", seufzend brach ich ab, um über seine Wange zu streicheln. "Du solltest zuerst etwas über mich wissen. Ich ... ich bin ...", der Satz hing unvollendet zwischen uns.
Was tue ich hier eigentlich? Kann ich es wirklich verantworten, meine wahre Identität zu offenbaren?
"Hux ... ich bin ..."
Das Zischen der Tür die sich gerade entriegelte, unterbrach mich erneut. Stumm verfluchte ich die Macht für diesen denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Entgeistert starrten Armitage und ich den ungebetenen Besucher in Form von Kapitän Peavey an.
"Verzeihung General Hux", kam Peavey schnell jeglichem Einwurf zuvor, "aber ich fürchte, Ihre Anwesenheit auf der Brücke kann nicht länger aufgeschoben werden. Es gab einen Zwischenfall, der Ihrer unverzüglichen Aufmerksamkeit bedarf. In Hangar 47b ist ein Feuer ausgebrochen und der Oberste Anführer ist ziemlich erbost über die Umstände, wie es zu dem Brand kam. Seine Projektion wettert oben auf der Hauptbrücke herum und er ist zudem extrem ungehalten über die Tatsache, dass Sie, General, nicht auf der Kommandobrücke anzutreffen waren."
"Verdammt. Welche Erklärung haben Sie dem Anführer gegeben?"
Ich sah Armitage an, wie ungelegen ihm diese Störung gerade war.
"Das Sie bereits informiert wurden und auf dem Weg dorthin sind, um sich die Situation vor Ort anzuschauen."
"Gut", Armitage atmete erleichtert durch. Ihm war deutlich anzusehen, dass er Peavey dankbar war und dennoch kein Wort des Dankes aussprach.
Weswegen fällt es ihm so schwer diese Form des Zugeständnisses zu machen?
Kurzentschlossen ergriff ich die Initiative. "Danke Kapitän Peavey. Das war sehr umsichtig von Ihnen." Ich lächelte den älteren Mann freundlich an, was dieser mit gleicher Geste quittierte. "Wie geht es Ihnen, Miss Deveron?"
Hux' Kopf ruckte von Peavey zu mir und wieder zurück, bedachte uns beide mit einem überraschten Blick.
"Den Umständen entsprechend. Die Wunden brauchen Zeit um zu heilen, aber ich werde hier gut versorgt. Ich hoffe, den General schon bald wieder als Assistentin unterstützen zu können." Meine Finger wanderten über die Bettdecke, um sich auf Armitages Hand zu legen. "Kommst du wieder, wenn sich die Situation geklärt hat?"
"Ich warte draußen auf Sie, General Hux", klinkte sich der ältere Kapitän noch einmal schnell ein. "Miss Deveron, Ihnen wünsche ich eine gute Genesung." Mit einem Nicken wandte er sich ab um vor dem Krankenzimmer auf seinen Vorgesetzten zu warten.
Sobald wir wieder unter uns waren, richtete sich Armitages Aufmerksamkeit sofort wieder auf mich. "Was wolltest du mir sagen, Victoria?"
Ich drückte seine Finger etwas fester und verbannte die Unsicherheit aus meinem Blick. "Darüber können wir reden, sobald du mehr Zeit hast. Jetzt solltest du den Obersten Anführer nicht länger als ohnehin schon warten lassen. Wir wissen beide, wie ungehalten er werden kann."
"Aber ..."
"Kein aber Hux. Wir reden später darüber, versprochen. Und jetzt geh."
"Ich komme so schnell es mir möglich ist wieder zurück zu dir." Schwungvoll stand er auf, beugte sich allerdings noch einmal zu mir herunter um mein Gesicht mit beiden Händen umfassen zu können. Küsste sanft zuerst meine verletzten Wangen, bevor sich sein Mund auf meinen senkte. Der zärtliche Tanz unserer Lippen währte leider viel zu kurz, bevor Hux sich widerstrebend von mir lösen musste. Sein Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter entfernt von meinem.
"Ich liebe dich, mein Huxi!"
"Ich dich auch, mein Engel." Ergriffenheit schwang in seiner Stimme mit. "Hier Victoria", schnell hatte er wieder nach meiner Hand gegriffen und den Verlobungsring doch an seinen Platz gesteckt. "Pass für mich solange drauf auf, bis ich wiederkomme."
Hux nahm die Wärme seiner Hände auf meiner Haut mit sich fort, als er mit wehendem Mantel aus dem Zimmer eilte. Meine Augen lagen solange auf seiner hochgewachsenen Gestalt, bis sich die Schleuse hinter ihm zwischend verriegelte.
Zum Ersten Mal seit meinem Erwachen war ich wieder allein. Allein mit den Gedanken, Ängsten und Erinnerungen an die Tortur bei Bale. Zitternd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper. Denk nicht mehr daran, was Bale dir angetan hat, ermahnte ich mich selbst. Er ist tot. Er kann nie wieder irgend jemandem Schaden zufügen. Es gibt im Moment viel dringlichere Angelegenheiten, um die ich mich kümmern müsste. Mit Erschrecken war mir klar geworden, wie lange ich eigentlich schon von Informationen den Widerstand betreffend, abgeschnitten war.
Ich muss dringend herausfinden, wie es Leia und den anderen geht. Ob sie wohl fliehen konnten? Hat meine Warnung sie überhaupt noch rechtzeitig erreichen können? Ich muss Hux so schnell wie möglich nach dem aktuellen Verlauf fragen, sobald ich ihn wieder sehe. Was mich natürlich auch gleich zum Nächsten Problem bringt. Ich war kurz davor gewesen ihm zu verraten, wer ich in Wahrheit bin. Eine Spionin vom Widerstand. Himmel, ich kann mir seinen Schock jetzt schon bildhaft ausmalen.
Mein Blick verweilte auf dem Ring an meinem Finger. Ich verdrängte den Gedanken, dass ich mit meiner Offenbarung das gemeinsame Glück von Armitage und mir in Sekundenschnelle in einen gigantischen Scherbenhaufen verwandeln konnte. Was sogar sehr wahrscheinlich war. Ich hatte einfach noch keinen geeigneten Ansatz gefunden um ihn davon zu überzeugen, dass er auf der falschen Seite stand.
Und ... wenn ich ehrlich bin, weiß ich auch jetzt noch nicht, wie genau ich das anstellen soll. Ich gehe damit ein verdammt hohes Risiko ein. Möglicherweise jage ich Armitage dann auch endgültig von meiner Seite. Tränen setzten meine Augen unter Wasser, aber ich kämpfte dagegen an, ihnen freien Lauf zu lassen. Nein. Ich weigere mich daran zu glauben, dass damit das Ende unserer Zeit erreicht ist. Es muss einen Weg geben, es muss einfach. Ich habe das Gute in ihm gesehen. Ich ...
Das Zischen der Tür drang an mein Ohr. Ich sah auf wobei ich hektisch die Tränen aus dem Augenwinkel wischte und gleichzeitig versuchte, einen wenigstens halbwegs normalen Gesichtsausdruck zustande zu bringen. Überraschenderweise war nicht Hux der Besucher, sondern Kylo Ren. Einen kurzen Moment blieb er ganz knapp hinter der Tür stehen. Er wirkte unsicher und erweckte somit fast den Anschein zu überlegen, ob der Grund der ihn hierhergeführt hatte, ausreichend war um seine Anwesenheit zu rechtfertigen.
"Hallo Ren", begrüßte ich ihn.
"Geht es dir besser, Ria?" Kylo Ren wirkte leicht verlegen bei der Frage. Als hätte er Schuldgefühle, wobei ich mir nicht erklären konnte, weshalb.
"Soweit ja."
"General Hux hat mir deine Entführung vorgeworfen. Das es meine Schuld gewesen wäre."
Ich seufzte leicht genervt. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass die Rivalität der beiden mittlerweile ein anderes Level erreicht hatte.
"Im Ernst? Oh Mann." Kopfschüttelnd brach ich ab. Zumindest ist mir jetzt der Ursprung seiner Schuldgefühle klar. "Setz dich doch." Demonstrativ klopfte ich auf die Bettdecke neben mir. "Ich habe mich noch gar nicht richtig bei dir bedankt, Kylo."
"Musst du auch nicht." Schwer sackte sein großer Körper neben mir auf die Bettkante. Wie er mir so nahe war konnte ich zudem feststellen, wie abgespannt Kylo eigentlich aussah.
"Ich möchte dir aber danken. Wirklich. Du hast mich da aus einer ganz schlimmen Lage gerettet, aus der ich ohne dein Eingreifen nicht mehr herausgekommen wäre. Zumindest nicht aus eigener Kraft. Deswegen möchte ich Danke sagen. Und, es war nicht deine Schuld. Hux hat das nur gesagt, weil er selbst am Rande der Verzweiflung war."
Seine braunen Augen senkten nicht für den Bruchteil einer Sekunde den Blick. In ihm sah ich ... Schmerz? Wut? Enttäuschung?
"Warum verteidigst du ihn immer wieder?"
"Du weißt warum. Kylo was hast du?" Ich zischte kurz vor Schmerz auf, als mein verletzter Rücken mit dem Kissen hinter mir in Berührung kam. Eigentlich hatte ich mich nur bequem zurücklehnen wollen. Das Schmerzmittel in meinem Blutkreislauf verursachte langsam aber sicher eine Müdigkeit, gegen die nur schwer anzukämpfen war.
"Ich ... würde sehr gerne etwas mit dir besprechen. Wenn du Zeit hast." Sogar seine Stimme klang aufgeschmissen, anders konnte ich es nicht ausdrücken.
"Natürlich. Ich höre dir zu. Was bedrückt dich?"
Kylo Ren leckte sich nervös über die Lippen, dann wanderte seine Hand weiter vor, bis er meine Finger fassen konnte. Nur stockend begannen die Worte zu fließen. "Ich möchte das du weißt, dass ich dich auch ohne den Hinweis von Hux gerettet hätte. Aber dadurch war es wesentlich leichter für mich, dich zu finden."
"Ich weiß Ren."
"Außerdem habe ich mir den Zorn von Snoke zugezogen. Weil ich gegen seine ausdrückliche Anweisung gehandelt habe, dich zurückzulassen."
"Auch das weiß ich." Ich konnte den in mir aufwallenden Ärger wegen dieser Situation nur schwer bezähmen.
"Woher?" Ren wirkte ehrlich verblüfft.
"Du erinnerst dich an mein Gefluche im Shuttle? Schuld war Snokes Hinweis, wie ich mich Kisal gegenüber besser zu verhalten habe. Die restlichen Puzzleteile haben sich mit Bales Äußerungen und den Erklärungen von Hux an den passenden Platz begeben."
Kylo Ren hörte schweigend zu, seine Hand lag noch immer warm und schwer auf meinen Fingern. Bevor er noch weiter mit diesem Thema in mich dringen konnte, wo ich meine Gedanken doch mit aller Macht genau davon zu distanzieren versuchte, änderte ich von mir aus schnell die Richtung des Gesprächs.
"Hat Snoke dich schlimm bestraft?", tastete ich mich langsam vor.
Kylos Kiefermuskulatur verkrampfte sich, so fest biss er bei dem Gedanken an seinen Meister die Zähne aufeinander. Dann nickte er knapp als Bestätigung.
"Was ist passiert?"
"Das übliche. Du selbst hast seinem Zorn bereits persönlich gegenübergestanden. Allerdings ... habe ich danach etwas ... absolut dummes getan."
"Hast du etwas mit dem Feuer im Hangar zu tun?" Mich beschlich die vage Vermutung, dass das Feuer möglicherweise Kylos impulsivität geschuldet sein könnte.
"Ja. Aber das habe ich erst verursacht, als ich wieder zurückgekommen bin."
Na wusst ich's doch. "Zurück von wo?"
Ren schluckte schwer und senkte den Blick auf unsere Hände. "Ich habe dir von meiner Vergangenheit erzählt, erinnerst du dich?"
Ich nickte mitfühlend. "Ja natürlich." Schon bei unserem ersten Gespräch war es ihm unglaublich schwer gefallen, darüber zu sprechen. Diesmal war es nicht anders, daher blieb ich still und gab Kylo damit die Zeit die er scheinbar brauchte, um sich zu sammeln.
"Ich habe einen Angriff gegen die fliehende Widerstandsflotte geflogen, zusammen mit zwei weiteren Jägern."
Die bleierne Müdigkeit die meinen Geist umnebelte verschwand schlagartig. Oh nein! Was ist passiert? Gleich sagt er etwas schlimmes. Scheiße!
"Seit die Verfolgung angefangen hat, ist die Flotte des Widerstands merklich dezimiert worden. Einem Schiff nach dem anderen ging der Treibstoff aus. Inzwischen ist nur noch das Flaggschiff übrig, der große Mon-Calamari-Kreuzer."
Die Raddus. Beim schwarzen Loch, was ist mit der Besatzung der restlichen Schiffe? Konnten sie sich auf das Kommandoschiff retten, bevor die Erste Ordnung das Feuer auf sie eröffnet hat?
Ich zwang die Panik in meinem Inneren zurück. "Was ist dann passiert?"
"Wir umkreisten das träge Flaggschiff, immer und immer wieder. Feuerten von allen Seiten auf sie. Und dann ... spürte ich eine Verbindung durch die Macht. Zu ... meiner Mutter."
Generalin Organa! Eine ganz böse Vorahnung schlug ihre eiskalten Klauen erbarmungslos in mich. Atemlos hing ich an Kylos Lippen und wartete verzweifelt darauf, dass er endlich weitersprach.
"Die Jäger und ich flogen in einem frontalen Kurs direkt auf die Kommandobrücke zu. Ich hatte den Finger schon am Abzug."
Mit Erschrecken stellte ich fest, dass sich meine Hand unbemerkt auf meinen Mund gelegt hatte. Sag es nicht. Sag ... es ... nicht!
"Aber ...", Kylo rang stark um die folgenden Worte, "ich habe nicht geschossen. Ich konnte nicht. Die Verbindung zu meiner Mutter war so stark, so ausgeprägt, dass sie auch direkt vor mir hätte stehen können. Als müsste ich bloß meine Hand ausstrecken, um sie zu berühren." Seine Finger drückten meine fester, als Echo seiner Worte. Weil er es bei seiner Mutter nicht konnte.
"Was ist passiert?", flüsterte ich.
Kylo sah mir tief in die Augen. "Meine Begleitjäger haben das Feuer nicht zurückgehalten. Ihre Geschosse schlugen direkt in die Hauptbrücke ein."
NEIN! Nein! Bitte nicht! Oh bitte nicht!
"Ich konnte spüren, wie die Verbindung zu meiner Mutter mit einem Schlag abgerissen ist. Ausgelöscht." Kylo atmete schwer.
Völlig fassungslos sackte ich gegen das Kissen in meinem Rücken. Ich spürte keinen körperlichen Schmerz, denn das emotionale Leid in meinem Inneren war tausendmal stärker. Das kann nicht sein! Unmöglich! Leia würde nie so einfach sterben können. Oder? Bei allen Galaxien! Wer war noch bei ihr auf der Brücke? Wer hat noch sein Leben verloren?
Schlagartig blitzten die Gesichter der Leute die ich kennen und lieben gelernt hatte, vor meinem inneren Auge auf. Leia. Poe. Lieutenant Connix. Commander D'acy, immer ein Schatten von Leia. Unzählige andere. Ein hilfloser, schluchzender Laut entrang sich mir. Überrascht sah Kylo mich genauer an. Fuck denk nach Ria! Reiß dich zusammen, solange Ren neben dir sitzt.
"Oh Kylo. Es ... es tut mir so leid! Erst dein Vater und jetzt ...", kopfschüttelnd ließ ich die Worte zwischen uns verklingen. Drückte seine Finger noch fester. "Schmerzt dich der Verlust?"
Der große Mann nickte stumm. "Ich wollte mit meiner Vergangenheit abschließen. Sie sterben lassen, falls nötig. Das habe ich mir immer und immer wieder eingeredet. Es sollte mich nicht so schwer verletzen. Aber das tut es."
"Und das ist in Ordnung. Du bist ein Mensch und darfst um diesen Verlust trauern. Immerhin waren sie deine Eltern!"
Stille senkte sich über uns. In den Ohren hörte ich meinen eigenen Herzschlag pulsieren, so aufgewühlt war ich. Kylo Ren blickte mich unverwandt an, ganz so, als würde er etwas in meinem Gesicht suchen. Einen Hinweis, weshalb mich das Gehörte so sehr entsetzte. Möglicherweise auch etwas ganz anderes.
Ren seufzte schwer. "Meine Gefühle sind ein einziges Chaos."
"Verständlich", antwortete ich matt.
Die ganze Aufregung der letzten Tage machte sich gerade wieder mit aller Gewalt bemerkbar. Erinnerte mich daran, in welchem Zustand mein Körper war und das er eigentlich etwas Ruhe brauchte, um wieder heilen zu können.
Ren erhob sich von der Bettkante, blieb aber neben mir stehen. Sah mit einem merkwürdigen Blick aus braunen Augen auf mich herab. "Ich sollte besser gehen", erklärte er sich. "Nicht, das dein General zurückkommt und mich bei dir sieht."
Die Worte "dein General" sprach er voller Verbitterung aus, das bildete ich mir nicht nur ein. Es war so.
"Werd schnell wieder gesund Victoria. Es ... gibt noch etwas, das ich gerne mit dir besprechen würde. Aber nicht heute. Nicht hier."
"Danke. Wir können gerne ein anderes Mal weiterreden. Aber im Moment wäre ich gerne alleine und hätte etwas Ruhe."
Ich hörte aus seinen Worten heraus, das sein Bedarf an tiefgehenden Gesprächen noch lange nicht abgedeckt war. Aber im Moment fand ich keine Kraft mehr dazu. Der Schock über Leias Tod saß einfach zu tief.
"In Ordnung. Wir sehen uns Ria."
Nachdem Kylo Ren mich sitzen gelassen hatte -wortwörtlich- überrollte mich die Müdigkeit erneut mit all ihrer Kraft. Einen Augenblick lang kämpfte ich noch verbissen dagegen an, weil in meinen Gedanken ein einziges Chaos herrschte, das ich zuerst einmal sortieren wollte. Zudem verpasste mir der Verlust von Leia noch einmal einen saftigen Arschtritt. Sie war diejenige gewesen, die mich vor drei Jahren beim Widerstand aufgenommen hatte. Die mir eine Chance gegeben und an mich geglaubt hatte. Diesmal hielt ich meine Trauer und Verzweiflung nicht mehr zurück. Es tat gut, sich den Schmerz einzugestehen, den Leias Tod verursachte. Es überraschte mich, dass meine Augen überhaupt noch dazu in der Lage waren Tränen hervorzubringen. Vor allem, da sie in den letzten Tagen gefühlt nichts anderes vollbracht hatten. Doch das sanfte kribbeln, dass über meine Wangen strömte war eindeutig.
Schniefend sank ich noch ein Stück tiefer in die Kissen, bevor ich mich auf einer Seite einrollte. Zumindest soweit es mir möglich war. Der starre Verband um mein Knie verhinderte, dass ich diese enger an meinen Körper ziehen konnte. Wie betäubt lag ich in meinem Krankenbett. Spürte, wie mein Körper sich immer schwerer anfühlte. Wie sich die Müdigkeit einem sanften Windhauch gleich über mich legte. Es war keine Bewusstlosigkeit, sondern nur ein tiefer erholsamer Schlaf der mich davontrug.
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