Kapitel 26 - Erwachen
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon weinend und schreiend auf dem Boden lag. Ich machte einfach so lange weiter, wie ich die Kraft dazu hatte. Und dann noch darüber hinaus, bis ich mich emotional total ausgelaugt fühlte.
Innerlich schalt ich mich immer wieder selbst eine Närrin. Wenn ich nur etwas genauer nachgeforscht hätte, dann wäre das heute mit Sicherheit nicht passiert. Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Wir hatten genug Vorlaufzeit, um eine groß angelegte Evakuierung zu starten. Stattdessen hatte ich mich ganz und gar meiner Liebe zu Hux hingegeben und hatte unsere gemeinsame Zeit genossen. Doch was hatte das letzten Endes gebracht?
Meinetwegen, wegen meiner Verliebtheit, meiner maßlosen Blindheit, haben Millionen von Unschuldigen mit ihrem Leben dafür bezahlt.
Wieder liefen Tränen über mein Gesicht. Schniefend versuchte ich, irgendwie wieder auf die Beine zu kommen, obwohl meine Schuldgefühle tonnenschwer auf mir lasteten und drohten, mich erneut zu Boden zu zwingen.
Ich musste Kontakt zu Leia aufnehmen. Mit Sicherheit wusste die Anführerin des Widerstands über diese Katastrophe schon bescheid. Solche Nachrichten würden im Holo-Netzwerk rauf und runterlaufen. Zur Sicherheit huschte ich ins angrenzende Schlafzimmer und richtete mich auf dem Bett ein. An das, was Armitage und ich an diesem Morgen noch hier geteilt hatten, versuchte ich krampfhaft keinen Gedanken zu verschwenden. Es war vorbei zwischen uns. Bei Gelegenheit musste ich zusehen, dass ich ein anderes Quartier und eine andere Arbeit zugeteilt bekam. Aber zuerst einmal das wichtigere, Leia kontaktieren.
Offenbar ging Kimura gerade dieselbe Idee durch den Kopf, da mein Datenpad mir eine neue, ungelesene Nachricht von ihm anzeigte.
"Ria, was um alles in der Galaxis ist hier Bitteschön schief gelaufen? Kannst du mir das erklären? Wieso haben wir Millionen Todesopfer, wo wir doch alles nötige darangesetzt haben, die Ziele dieser verfluchten Basis herauszufinden!"
"Glaub mir Kimura, ich bin genauso fassungslos wie du. General Hux hat mir diesen unbedeutenden Eisplaneten Sinta als Ziel genannt, das schwöre ich dir! Verdammte Scheiße, ich hätte gründlicher nachforschen sollen."
"Für diese Einsicht ist es jetzt leider ein bisschen zu spät, findest du nicht auch? Ganz nebenbei muss ich wohl nicht unbedingt erwähnen, wie ungehalten General Organa ist."
Fuck, auch das noch.
"Kann ich mir vorstellen. Kimura, weißt du eigentlich, wie viele Selbstvorwürfe ich mir mache?"
"Zu Recht!"
"Was? Kimura, was soll das heißen?"
"Du willst Klartext? Bekommst du! Ich denke, dass du eher damit beschäftigt warst, dich mit deinem General zu vergnügen als dich um deine Mission zu kümmern. Und da es einfacher war, das angebliche Ziel zu akzeptieren als selbst Nachforschungen anzustellen, hast du seine Erklärung einfach als gegeben hingenommen. Du kannst dir also sicher vorstellen, das Zweifel an deiner Person aufkommen."
Okay, das saß. Völlig geschockt starrte ich auf den hell erleuchteten Display meines Datenpads.
"Willst du etwa damit andeuten, das ich den Widerstand verraten habe?", tippte ich mit zitternden Fingern in das Gerät.
"Ich weiß selbst noch nicht, welche Position ich beziehen soll. Aber stell dich schon mal darauf ein, genau solche Vorwürfe zu hören zu bekommen."
Wieder rollen Tränen über mein Gesicht, es ließ sich einfach nicht aufhalten. Aber eigentlich hätte es mir irgendwo klar sein müssen, dass nach so einem Desaster Zweifel an meiner Loyalität auftauchen würden. Es tat trotzdem verdammt weh!
Ich war so sehr abgelenkt von diesen Gedanken, dass ich gar nicht registriere, wie sich mir jemand näherte. Erst als sich eine Hand behutsam mit dem Wort, "Victoria", auf meine Schulter legte bemerkte ich, dass Armitage genau hinter mir stand.
Mein Körper verkrampfte sich merklich, während ich mich weigerte ihn anzusehen. Stumm fixierte ich die glitzernden weißen Schneefelder von Ilum, während meine Finger behutsam über das Datenpad strichen und es somit deaktivierten. Dort war nämlich noch immer der verfängliche Nachrichtenverlauf mit Kimura aufgerufen gewesen. Zu meinem Glück lag Armitages Aufmerksamkeit aber nur auf mir, da er meinen Verschleierungsversuch nicht bemerkte.
Scheiße, war das knapp!
Das Bett senkte sich hinter mir ab, Hux hatte sich offenbar dicht bei mir niedergelassen. Seine Hand ruhte noch immer auf meiner Schulter, streichelte mich behutsam. Ich merkte, wie mir innerlich der Widerwille hochkam, ihn so dicht bei mir zu haben.
"Victoria", begann Hux, "mein Liebling. Ich wollte nicht das so etwas passiert, wirklich. Ich hatte keine Ahnung davon, dass deine Familie auf Hosnial Prime lebt, denn sonst hätte ich sie vorher evakuieren lassen, das schwöre ich dir. Ich wollte dir niemals solche Schmerzen zufügen, indem ich deine Angehörigen auslösche."
Seine zweite Hand legte sich auf meine andere Schulter, damit er den Versuch starten konnte mich erneut in seine Arme zu ziehen. "Lass mich dich halten Victoria, bitte", mein Rücken lag an seiner Brust, seine Arme hielten mich behutsam umfangen, "ich liebe dich doch. Bitte verlass mich nicht! Es war keine Absicht, ich würde dir niemals willentlich so etwas antun." Hux Wange schmiegte sich in meine Haare, er kuschelte sich immer dichter an mich.
Gleich wird es mir zuviel!
"Victoria, bitte sag etwas!" Hux' Stimme war schon wieder am Verzweifeln, da ich steif wie ein Stück lebloses Material in seiner Umarmung hing.
"Lass mich los!" Das war bestimmt nichts, was Armitage jetzt hören wollte. "Sofort!", schob ich zur Verdeutlichung noch energisch hinterher. Da sich auf meine Forderung hin aber immer noch nichts tat, kam plötzlich Leben in mich. Unsanft, fast schon grob, wischte ich seine Arme von mir weg, damit ich von ihm wegkrabbeln konnte. So wie eine akzeptable Distanz zwischen uns lag, wandte ich mich zu ihm um. Sah die Verletzlichkeit in seinem Blick und die unvergossenen Tränen, welche wieder in seinen Augen schimmerten.
"Es war keine Absicht?", meine Stimme klirrte vor Kälte. "Trotzdem hast du es getan. Du hast keine einzige, verdammte Sekunde lang gezögert. Du hattest deine Chance, mir die geänderten Einsatzziele mitzuteilen und hast es dennoch nicht getan? Wieso?"
Armitage senkte den Blick auf die Bettlaken, schluckte ein paarmal schwer, sichtlich darum bemüht mir eine zufriedenstellende Antwort zu liefern. Vermutlich eine, die mich wieder versöhnlicher stimmen sollte.
Das kann er sich abschminken.
"SAG ES MIR! WIESO?", explodierte ich.
Es war zuviel, es war alles zuviel! Die Tragik der Situation, die unschuldigen Toten deren Blut an Armitages Händen klebte und die Tatsache, dass jetzt auch noch Zweifel an meiner Loyalität zum Widerstand im Raum standen. Es war zuviel!
Hux zuckte sichtlich zusammen als ich ihn so grob anfuhr. Sein Blick huschte fast schon zögerlich nach oben, blieb an meinen Augen hängen. "Ich ...", setzte er an, "ich habe es vergessen. Meine Gedanken an so etwas banales waren wie weggefegt, als ich dir meinen Plan offenbart habe, mich selbst zum Obersten Anführer aufschwingen zu wollen. Ich habe einfach nicht mehr daran gedacht, dass du Familienangehörige dort haben könntest." Er fühlte sich sichtlich unwohl dabei, mir dieses Eingeständnis zu machen.
Ich starrte ihn aufgrund seiner vorgebrachten Erklärung gerade fassungslos an. "Das ist jetzt nicht dein Ernst", kam es gefährlich ruhig aus mir heraus. Zu ruhig. Es war die Ruhe vor dem sprichwörtlichen Sturm. "Armitage, du besitzt wirklich die Dreistigkeit, dich vor mich zu stellen und mir zu sagen, dass du so etwas BANALES vergessen hast?"
Der Mann mir gegenüber erbleichte merklich bei meinen unnachgiebig ausgesprochenen Worten, schüttelte hektisch den Kopf hin und her. Seine Hände erhoben sich wie von selbst, in beschwichtigender Geste in meine Richtung gestreckt. Doch bevor er zum Sprechen ansetzen konnte, entlud ich meine komplette Wut, meinen neu entfachten Zorn an ihm.
"Sei still! Ich werde mir keinen einzigen deiner erbärmlichen Erklärungsversuche mehr anhören! Ich soll dir also ernsthaft glauben, das du, der große General Hux, ganz einfach vergessen hat, an so etwas zu denken? Willst du mich eigentlich VERARSCHEN? Selbst wenn du dich noch so oft bei mir entschuldigen würdest, wäre die Situation dennoch nicht wieder rückgängig zu machen. Weil sie tot sind! WEIL DU SIE UMGEBRACHT HAST!"
Ein Zittern ergriff meinen Körper, so aufgebracht war ich. Merklich gemäßigter fügte ich noch den letzten, finalen Stoß hinzu, von welchem ich wusste, das er Armitage verletzen würde. "Du kannst dich außerdem schonmal darauf einstellen, dich nach einer neuen Assistentin umzusehen. Meine Anwesenheit hier war sowieso nur bis zum Abschluss der Demonstration geduldet. Ich werde mich bei Gelegenheit erkundigen, wann ein Shuttle wieder zurück zur Finalizer fliegt. Ich werde NICHT länger so eng mit dir zusammenarbeiten."
Hux entgleisten gerade sämtliche Gesichtszüge. "Das kannst du nicht machen, Victoria. Du gehörst zu mir! Ich habe mich dir völlig anvertraut, habe dir Sachen erzählt, die sonst kein Mensch über mich weiß!"
"Das macht dein Verhalten aber nicht besser, im Gegenteil. Finde dich damit ab, dass unsere gemeinsame Zeit ein Ende gefunden hat!" Ich erhob mich um ans Sichtfenster zu treten. Wandte Armitage demonstrativ den Rücken zu.
Hinter mir begann es leise und unterdrückt zu wimmern, begleitet von einem Schniefen. Auch mir rollten stumme Tränen über die Wangen. Ich konnte immer noch nicht richtig realisieren, dass ich mich so extrem in Armitage getäuscht haben sollte. Ich hatte keine Ahnung wie lange die Stille in unserem Quartier andauerte, jeder war gefangen in seinem eigenen Schmerz. Es fiel kein Wort mehr zwischen uns, zumindest so lange, bis die Stille von einem piependen Datenpad durchbrochen wurde.
Mist. Ist das mein Gerät oder Armitages?
Gezwungenermaßen wandte ich mich um. Hux hielt sein Datenpad schon in der einen Hand, mit der anderen wischte er sich verstohlen über die Augen. Ohne etwas zu sagen näherte ich mich dem Bett, um mein eigenes Gerät ebenfalls wieder an mich zu nehmen. In der ganzen Aufregung hatte ich es schlichtweg dort liegen lassen, wo ich vorhin saß.
Armitage blickte mit geröteten Augen zu mir auf, verfolgte jede meiner Bewegungen ganz genau. "Wir müssen los, Victoria."
"Es gibt kein wir", entgegnete ich kühl.
Hux nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug bevor er weitersprechen konnte. "Trotzdem müssen wir jetzt los. Wir haben eine Nachbesprechung mit dem Obersten Anführer. Deine Anwesenheit wird ebenfalls verlangt."
Er erhob sich, glättete seine Uniform noch ein wenig und wandte sich zur Tür um. Nach ein paar Schritten blieb Armitage noch einmal stehen um zu überprüfen, ob ich ihm folgte. Gezwungenermaßen, da mir nichts anderes übrig blieb, heftete ich mich an seine Fersen.
Ich registrierte wie Hux mir immer wieder schnelle Blicke zuwarf, während wir gemeinsam nebeneinander durch die Flure eilten. Es war ihm förmlich an der Nasenspitze anzusehen, dass er etwas zu mir sagen wollte, doch ich ignorierte ihn weiterhin geflissentlich. Es überraschte mich daher völlig, als Armitage plötzlich seine Hand um meine legte, unsere Finger miteinander verschränkte.
"Was wird das, wenn du hier fertig bist?", giftete ich ihn direkt an.
"Ich möchte deine Hand halten. Wenn ich darf?"
"Darfst du nicht!", überdeutlich entfernen sich meine Finger aus seinem Griff.
Die erneute Zurückweisung traf Armitage ziemlich schwer, das konnte ich ganz deutlich an seinem verletzten Gesichtsausdruck erkennen. Ruckartig wandte er sich von mir ab, um mit großen Schritten vorauszueilen. Ich meinte noch, ihn hektisch in seinem Gesicht herumwischen zu sehen, war mir aufgrund seiner folgenden Aussage allerdings nicht ganz sicher.
"Meinetwegen. Los komm jetzt, ich möchte nicht ewig auf dich warten." Sein Tonfall hatte sich gerade schlagartig gewandelt. Diese Worte waren genau in der kühlen, unnahbaren Tonlage gesprochen worden, die Hux sonst seinen Untergebenen gegenüber pflegte. Mir sollte es recht sein. Ich hatte mich schon einmal von ihm und seiner fürsorglichen Art um den Finger wickeln lassen, mit verheerenden Folgen. Kopfschüttelnd folgte ich ihm dennoch.
Ich frage mich, ob Snoke etwas von unserer Gefühlslage erahnen kann?
Nun, auf die eine oder andere Weise würde ich es schon sehr bald herausfinden, da vor uns schon die große Tür lag, hinter der sich der Holovid-Konferenzraum befand. Schon auf unserem Weg nach vorne auf das erhöhte Podest zu, erwachten die Projektoren zum Leben, erschufen somit ein überlebensgroßes Bild von Snoke direkt vor uns. Ehrerbietig verneigten wir uns vor unserem Anführer.
Armitage stand einen Schritt vor mir, als er das Wort an Snoke richtete, um seinen Rapport abzulegen. "Oberster Anführer, der Einsatz von Starkiller-Basis war ein voller Erfolg. Die Neue Republik ist der völligen Zerstörung überantwortet worden. Die Berichte unseres Erfolges laufen permanent auf allen Kanälen des Holo-Netzwerkes, tragen unseren Triumph hinaus in die Weiten der Galaxis."
Snoke nickte bedächtig, während er den Worten seines Generals lauschte. "Ich habe ein Beben in der Macht gespürt, wohl wahr. Ausgelöst durch die Auslöschung unzähliger Leben. Ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Leistung, General Hux. Gut gemacht!"
Hinter Armitages Rücken konnte ich mir nur mit Mühe ein Augenrollen verkneifen.
Du meine Güte. Spricht er mit seinem General, oder mit einem Hündchen, dass gerade gelernt hat auf sein Kommando hin "Sitz" zu machen?
Hux hingegen nahm das Lob gerne an. "Danke, Oberster Anführer. Ich möchte noch einmal auf die Situation mit Miss Deveron zu sprechen kommen."
Ich verkrampfte mich aufgrund von Hux' Worten merklich. Sofort fühlte ich, wie sich die ungeteilte Aufmerksamkeit von Snoke auf mich legte. Ein Schauer lief über meinen Rücken hinab, während ich krampfhaft versuchte, an nichts verfängliches zu denken.
"Sie möchten Miss Deveron weiterhin als Ihre persönliche Assistentin behalten, nehme ich an?", grollte Snokes Stimme durch den Saal.
"Ja, Oberster Anführer, das will ich."
Ich musste gerade mit aller Macht darum kämpfen, dass meine Gesichtszüge mich nicht verrieten.
Armitage will mich allen Ernstes immer noch bei sich behalten? Hoffentlich sagt Snoke nein, denn wenn er Hux' Anfrage offiziell genehmigt ist es vorbei mit meinem Plan, mich von ihm loszusagen und wieder auf die Finalizer zurückzukehren.
"Ich genehmige Ihnen Ihren Wunsch, General. Sie haben bewiesen, wie effektiv alles organisiert und durchgeplant wurde."
Fuck, fuck, fuck!!!
Armitage wandte sich kurz zu mir um, sah mir direkt in die Augen. Sein anfängliches, freudiges Lächeln verlor sich recht schnell, als er meinen missmutigen Gesichtsausdruck bemerkte. Stattdessen konnte ich eindeutig seinen Triumpf erkennen. Hux hatte mir einen gründlichen Strich durch die Rechnung gezogen, meine Drohung wahrzumachen und ihn zu verlassen. Offenbar wollte er mich bei sich behalten, egal wie.
Das wird dir noch Leid tun, verlass dich darauf! Ich werde jeden deiner Annäherungsversuche dermaßen auflaufen lassen, dass du dir wünschen wirst mich lieber gehen gelassen zu haben.
"Vielen Dank, Oberster Anführer."
Ohne weitere Befehle verlauten zu lassen, erlosch die Projektion vor uns. Wir waren offiziell entlassen. Armitage wandte sich mit einem, "Komm, Victoria. Wir haben noch einiges zu erledigen", von mir ab.
Ich schoss mit den Augen Laserstrahlen auf seinen Rücken. Wenn Blicke hätten töten können, dann hätte die Erste Ordnung jetzt einen General weniger. Hux schlug zielstrebig die Richtung unseres Büros ein. Unterwegs lief uns, sehr zu meiner Freude, Generalin Parnadee über den Weg.
"General Hux. Victoria", begrüßte sie uns zuerst, bevor sie sich direkt an mich wandte. "Da bist du ja wieder, Liebes! Wie geht es dir? General Hux sagte, du würdest dich nicht ganz wohl fühlen."
Ich warf einen schnellen Blick zu Hux hinüber. Er stand mit einem deutlich missmutigen Ausdruck im Gesicht direkt neben uns. Doch dann besaß er allen Ernstes die Dreistigkeit, für mich antworten zu wollen. "Victoria geht es soweit gut. Wir haben auch noch einiges zu erledigen und müssen daher umgehend weiterarbeiten." Seine Hand schloss sich besitzergreifend um meinen Oberarm, um mich in seine Richtung zu ziehen. Schlagartig kochte meine Wut von neuem hoch.
Was erlaubt er sich hier eigentlich?
"Ich denke, ich kann für mich selbst antworten." Nachdrücklich entfernte ich seine Hand von meinem Arm. Bellava stand mit großen Augen neben uns, beobachtete stumm das Geschehen vor ihr. Ihre Blicke huschten zwischen Armitage und mir hin und her. "Außerdem", fügte ich mit lieblicher Stimme hinzu, "habe ich jetzt sowieso Pause. Möchten Sie mit mir einen Kaffee trinken, Generalin Parnadee?"
Ich treib es gerade extrem auf die Spitze, das war mir bewusst. Mit Genugtuung registrierte ich, wie sich Armitages Gesichtszüge verhärteten. "In Ordnung, Victoria. Ich erwarte dich in einer Stunde wieder in unserem Büro", rang er sich mit mühsam unterdrücktem Zorn dieses Eingeständnis ab. Dann wandte er sich ab, um mit großen Schritten davonzustürmen.
Bellava sah ihm mit skeptisch hochgezogener Augenbraue nach, bevor ihr kritischer Blick mich musterte. Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern, doch damit war es für die Frau mir gegenüber offensichtlich nicht getan. Sie hakte sich an meinem Arm unter, damit wir gemeinsam den Flur entlangschlendern konnten. "Ist zwischen dir und Hux alles in Ordnung?", fragte sie mit gesenkter Stimme.
"Sieht es denn danach aus?", gab ich genauso leise zurück.
Bellava warf mir noch einen unergründlichen Blick zu, bevor sie mich zu einer angrenzenden Tür dirigierte. Nachdem wir eingetreten waren gestikulierte sie mir, auf ihrem Sofa Platz zu nehmen, während sie uns über ihr Datenpad Kaffee bestellte. Dann kam sie zu mir, setzte sich direkt neben mich. Ihre Hand umfasste meine Finger, signalisierte mir ihr Mitgefühl. "Möchtest du darüber reden? Ich höre dir zu." Mein Hals wurde merklich enger, als ich mich krampfhaft bemühte die Tränen zurückzuhalten.
Sie ist so aufmerksam und mitfühlend. Was tut eine so liebe, fürsorgliche Frau in der Ersten Ordnung? Die Frage ist nur, wieviel kann ich ihr verraten? Ich kann ihr ja wohl schlecht anvertrauen, das ich vom Widerstand bin und der Tod von Millionen Lebewesen mich dermaßen aus der Bahn wirft. Das meine Mission eigentlich darauf abgezielt hat, genau so etwas zu verhindern. Nein, dann bleibe ich lieber bei der Version mit meiner erfundenen Familie.
So wie ich erneut über die Situation nachdachte, entrang sich meinen Lippen ein Aufschluchzen. Bellavas Augen wurden groß, bevor sie mich kurzerhand einfach in die Arme nahm.
"Ach Süße! Was hat er denn gemacht?" Wohltuende Streicheleinheiten auf meinem Rücken begleiteten ihre Worte. Ich klammerte mich krampfhaft an ihr fest, darum bemüht einen so extremen Zusammenbruch wie vorhin zu vermeiden. Dennoch fingen die Tränen wieder an zu fließen. "Ist ja gut. Liebes, beruhige dich. Was ist denn passiert?"
"Er hat sie ... umgebracht!", zwang ich mir irgendwie heraus.
Bellava ging ein wenig auf Abstand, damit sie mir ins Gesicht sehen konnte. "Wen hat er umgebracht?" Ihre Stimme spiegelte eindeutig Fassungslosigkeit wieder.
Ich wischte mir fahrig über die Wangen, versuchte der Tränen wieder Herr zu werden. "Meine Familie auf Hosnian Prime."
Bellava sog scharf die Luft ein. Ihr dämmerte bereits, was ich als nächstes sagen würde. "Armitage hat mir zuerst den Eisplaneten Sinta als Ziel für den Testlauf genannt. Aber etwas muss sich geändert haben. Er hat es mir nicht gesagt! Er hat mir nicht gesagt, das die Neue Republik das Ziel ist. Bellava, ich hätte meine Familie retten können, wenn ich etwas davon gewusst hätte. Sie hätten evakuiert werden können! Sie könnten jetzt noch leben ... sie ... sie sind tot."
"Scheiße!", war das einzige, was die Frau mir gegenüber herausbrachte, bevor sie mich erneut Trost spendend in ihre Arme nahm. Ich ließ mich in die Umarmung fallen.
Irgendwann wurde unser Kaffee von einem Servicedroiden vorbeigebracht. Bellava hielt mich so lange in ihren Armen wie ich es brauchte, spendete mir so lange Trost wie ich ihn annehmen wollte. Ich konnte nicht genau abschätzen, wie viel Zeit vergangen war seit ich mich in diese tröstliche Umarmung geworfen hatte. Irgendwann lehnte ich mich zurück, um Parnadee vor mir anzusehen. "Danke", brachte ich mit rauer Stimme hervor.
Bellava angelte auf dem Tisch nach den Kaffeetassen, um mir eine davon in die Hand zu drücken. "Nicht dafür. Du armes Ding, das ist schrecklich. Ich verstehe nicht, wieso Hux dir gegenüber nichts davon erwähnt hat."
"Das ist mir allerdings auch ein Rätsel."
Bellava nickte zustimmend. "Obwohl die ganze Sache an für sich schon schlimm genug ist", führte sie weiter aus.
Fragend sah ich sie an, gespannt darauf, was sie wohl als nächstes sagen würde. Ich hatte schon eine vage Vorstellung davon, welche Richtung dieses Gespräch jetzt einschlagen würde, dennoch wollte ich es von Bellava ausgesprochen hören.
"Kann ich aufrichtig zu dir sprechen, Victoria? Das Gesprochene bleibt unter uns?"
Stumm nickend signalisierte ich ihr mein Eingeständnis, dabei einen großen Schluck von meinem Kaffee trinkend.
Bitte sprich aus, was ich denke!
"Ich gehöre zwar der Ersten Ordnung an, dennoch heiße ich gewisse Methoden und Vorgehensweisen nicht gut. Die Demonstration von Starkiller-Basis heute ist eine davon. Ich finde es absolut schrecklich, alleine zu Machtzwecken so viele unschuldige Leben zu opfern. Und wofür das alles? Nur um dem Widerstand seine Sympathisanten zu entziehen? Nein, da hätte es eine andere Vorgehensweise auch getan."
Ich will verdammt sein, aber genau diese Worte habe ich mir von ihr erhofft.
"Darf ich fragen, ob du freiwillig in der Ersten Ordnung bist?", wagte ich mich weiter voran.
Während ich auf eine Antwort wartete, vermeldete mein Datenpad eine eingegangene Nachricht. Mit Aktivierung des Displays öffnete sich die Botschaft von Hux automatisch. "Victoria, deine Pausenzeit ist vorbei. Melde dich umgehend in meinem Büro!"
Du kannst mich mal!
"Wartet der General auf dich?"
"Ja, aber von mir aus kann er ruhig noch ein wenig länger warten. Du wolltest mir noch etwas erzählen?", hakte ich mich wieder in das vorangegangene Gespräch ein.
"Meinst du nicht, dass du Ärger bekommst, Victoria?"
Ich zuckte nachlässig mit den Schultern. Das würde mit Sicherheit passieren, aber damit würde ich mich später auseinandersetzen. "Und wenn schon."
"Ich bin nicht unfreiwillig in die Erste Ordnung eingetreten. Aber inzwischen haben sich die Methoden sehr stark verändert. Die Erste Ordnung wird immer rücksichtsloser, tritt immer skrupelloser auf den Plan. Nehmen wir alleine mal die vielen Kindesentführungen in der gesamten Galaxis. Es werden haufenweise Kinder aus ihren Familien gerissen, um als Sturmtruppler ausgebildet zu werden. Keiner unternimmt etwas dagegen."
"Weil im Moment noch niemand die Macht dazu hat, sich gegen die Erste Ordnung zu stellen", antwortete ich ihr.
Zumindest noch nicht. Aber wir arbeiten daran, dieses unausgeglichene Kräfteverhältnis anzupassen.
Bellava warf mir über den Rand ihrer Kaffeetasse einen forschenden Blick zu. "Bist du freiwillig in der Ersten Ordnung, Victoria?"
"Ja schon. Aber das was heute passiert ist ... es ist ...", kopfschüttelnd brach ich ab.
"Ich weiß was du damit ausdrücken willst." Erneut griff Bellava nach meiner Hand.
Wieder meldete mein Datenpad eine Nachricht. Offenbar ging Armitage die Geduld aus. Seufzend stellte ich meine leere Tasse auf den Tisch vor mir und erhob mich. "Meine Anwesenheit wird verlangt. Aber ich danke dir, Bellava. Fürs zuhören."
"Das kann ich genauso zurückgeben. Was ich eben mit dir besprochen habe, konnte ich sonst niemandem anvertrauen", offenbarte Bellava.
Das Vertrauen welches sie in mich setzte, rührte mich. Sehr sogar. Spontan überkam mich der Gedanke, in Bellava Parnadee möglicherweise eine enge Verbündete gewonnen zu haben. Sie war nicht so skrupellos und ohne Erbarmen wie andere hochrangige Führungspersonen in der Ersten Ordnung.
Eines Tages werde ich ihr die Wahrheit sagen. Über meine wahre Gesinnung. Aber jetzt noch nicht. Ich muss erst sehen, wie sich die ganze Situation hier entwickelt.
Bevor ich endgültig zu Armitage zurückkehrte, war es mir noch einmal ein wichtiges Anliegen, Bellava meine Verschwiegenheit zu versprechen. "Was wir heute besprochen haben, wird meine Lippen nicht verlassen. Ich werde mit niemandem darüber reden, du hast mein Wort."
"Ich danke dir, Victoria." Bellava erhob sich ebenfalls, um mich noch einmal in ihre Arme zu schließen. Ich erwiderte die Umarmung gerne. "Wenn irgendetwas ist, wenn du jemanden zum Reden brauchst, meine Tür steht dir immer offen", fügte sie noch an. "Zumindest solange, wie ich noch hier bin."
"Wann musst du denn wieder zurück auf die Steadfast?" Ich erinnerte mich vage daran, dass sie mir diese Info einmal mitgeteilt hatte.
"General Pryde, Quinn und ich fliegen morgen früh los."
So bald schon?
Meine Gedanken mussten wohl wieder ein offenes Buch sein, denn Bellava erklärte schnell weiter. "Ich gebe dir meine Kontaktdaten. Dann können wir uns wenigstens immer auf dem Laufenden halten."
Nachdem wir unsere Kontakte ausgetauscht hatten, verabschiedete ich mich von ihr, um zügig in das Büro von Armitage und mir zurückzugehen. Ich war mir relativ sicher, einen Rüffel zu kassieren. Wegen meiner Verzögerung, aber auch wegen der Offensichtlichen Zurückweisung vor den Augen von jemand anderem.
Und ich sollte Recht behalten.
Schon wie ich in unser Büro trat, sah Armitage mich an. Doch in seinem Blick lag keinerlei Wärme mehr, keine stumme Bitte, ihn wieder an mich heranzulassen. In seinen grünen Augen blitzte es zornig, als er sich erhob um bedrohlich auf mich zuzukommen, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Das Klacken seiner Stiefelabsätze war als einziges zu hören.
Ich hasse es, wenn ich Recht behalte.
Dicht vor mir blieb Hux stehen, blickte auf mich hinab. Seine ganze Haltung, die Mimik, seine Kiefermuskulatur, alles war verkrampft. Angespannt. Ich sah hinauf in sein Gesicht, darauf wartend, was als nächstes passieren würde.
Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht mit dem, was Armitage als nächstes sagte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top