Kapitel 4

Shane:

Der Zwerg war mir aufgefallen, als ich Anfang dieses Schuljahres das erste Mal in die Cafeteria geschlendert war.

Es war das erste Mal, dass wir nicht die jüngsten waren.

Die Freshmen, aus dem ersten Highschooljahr waren ebenfalls in der Mensa und es war ein wunderbares Gefühl gewesen, endlich nicht mehr die Kleinsten zu sein und von den älteren übersehen zu werden.

Denn das war ja nun unser Job.

Flashback:

"Das ist perfekt" schwärmte Reyna, als sie sich in einer Ecke der Mensa an einen der leeren Tische setzte und ungläubig mit den Fingern über die Bank strich.

"Wir haben einen echten Tisch!"

Begeistert setzte ich mich neben meine beste Freundin und genoss das Gefühl, nicht wie letztes Jahr wieder harten, dreckigen Boden unter sich zu haben.

In der Theorie war in der Mensa für alle Schüler Platz, in der Realität füllte aber kein Schwein seinen Tisch auf, bis so viele Schüler wie möglich dort sitzen konnten.

Jede Clique hatte einen Tisch, ein paar Außenseiter teilte sich den Rest, und die verschwendeten PLätze für die Jüngsten wurden mit Taschen, liegenden Körper oder Essen gefüllt.

Daher kam es, dass die Freshmen jedes Jahr am Boden oder jedenfalls an keinem Mensatisch hocken durften.

Jedenfalls, bis sie da waren, wo wir jetzt waren.

"Zweites Jahr Highschool" verkündete Joe dramatisch, als er sich neben uns fallen ließ.

"Noch dieses Jahr und wir haben die Hälfte unserer Zeit in dieser Irrenanstalt hinter uns"

"Na darauf gebe ich doch gleich einen aus" krächzte ich mit Opa-Stimme und gleich darauf stießen wir mit unseren Milchpackungen auf unseren neuen Tisch an.

Während Reyna und Joe sich wie sooft während des Essens wieder stritten, diesmal über die Bewertung unseres diesjährigen Chemielehrers, ließ ich meinen Blick über die anderen Schüler hier schweifen.

Natürlich kannte ich beinahe alle aus meiner Klassenstufe, aber als Frischlinge hast du nicht sonderlich viel Kontakt zu den anderen Stufen. Wenn man nicht hier, mit allen anderen, beim Essen hockt.

Die meisten der älteren Schüler kannte ich vom Sehen, doch ein junge sprang mir besonders ins Auge. Seine fluffig aussehenden, türkis gefärbten Haare hingen ihm in die Augen.

Er saß still mit drei anderen Juniors zusammen, beteiligte sich aber nur hin und wieder am Gespräch, wirkte jedoch meistens abwesend.

Er trug kleine, silberne Ohrringe, die leichtb hin und her schwangen, wenn er den Kopf neigte.

Er mampfte seelenruhig seinen Brötchen, was es zur Suppe dazu gab.

Seine Klamotten waren ihm viel zu groß, er ertrank beinahe in seinem weißen Hoodie.

Er sah süß aus, beinahe wie ausgewachsener, farbiger Teddybär. Kuschelig eben.

Ich beschloss, ihn in Gedanken "Teddy" zu taufen.

Flashback Ende

Seit dieser Mittagspause war mir "Teddy" immer öfter ins Auge gesprungen. Wenn er über den Schulhof ging, wenn ich ihm auf dem Gang begegnete oder wenn ich ihn irgendwo auf einer Schulaufführung sah, fiel er mir direkt auf.

Ich hatte durch mein langzeitiges Rumgestalke herausgefunden, dass er meistens mit einem gleichaltrigen Mädchen herumhing, was vermutlich seine Reyna war.

Die anderen Teenager waren vermutlich die Freunde des Mädchens, mit denen er nur in Kontakt kam, weil er nicht von der Seite des Mädchens wich.

Aber da war ich mir nicht so sicher. Außerdem wusste ich, dass er zwei silberne Ringe an der linken Hand und eine hübsch verschlungene Silberkette mit kreisrundem Anhänger um den Hals trug. Und, dass er mich ins Schwitzen brachte.

An Weihnachten hatte ich ihn auf der Bühne gesehen. Er war (freiwillig?) in Miss Delayns Chor eingetreten und hatte auf der Bühne Weihnachtslieder gesungen.

Er war dabei knallrot geworden, wohl auch, weil er als einziger Junge der mit den Mädchen die feinen, höheren Töne sang, entsprechend Aufmerksamkeit bekommen hatte. Dann hatte es bei mir klick gemacht.

Seine vollen Lippen, die sich öffneten und schlossen, seine überraschend hohe Stimme, die die verstaubten Weihnachtslieder aus den noch verstaubteren Schulbüchern sangen und sie wie neuste Musik klingen ließen.

Seine schlanken Hüften, die sich leicht zur Musik bewegt hatten.

Und seine wahnsinnig schönen Beine, die leicht im Takt gewippt hatten.

Und ich hatte mir fast vorstellen können, wie sich seine Zehen in seinen Rentiersocken in seinen Schuhen vor Scham vor den vielen Leuten verkrampften.

Das war der erste Moment gewesen, als ich realisiert hatte, dass mein Herz angefangen hatte, schneller zu schlagen, wenn ich ihn auf der Bühne sah.

Und nun? Pumpte mein Herz immer noch.

Teddy stand ein wenig abseits von seinen Klassenkameraden und besprach etwas mit Mr Clark, einem der Mathelehrer unserer Schule.

Besonders glücklich sah er dabei nicht aus, nickte aber irgendwann ergeben und über Clarks Gesicht huschte ein zufriedener Ausdruck.


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