Kapitel 6
In Eile zog ich meine Schuhe an und hoffte, ich vergaß nichts. Ich schnappte mir meinen Rucksack und wollte gerade gehen, als ich durch die offene Tür in die Küche sah. Mein Vater stand vor dem Kalender und rührte sich nicht. Selbst von hier, ohne es genauer zu sehen, wusste ich, dass er auf das Kästchen starrte in welchem fett und groß 26 stand. Der 26. Oktober, der Todestag seines Bruders. Auf einmal hörte ich wie er die Nase hochzog. Er weinte. Einen kurzen Moment überlegte ich wirklich meine Sachen wieder abzulegen und bei ihm zu bleiben. Doch dann hob er seinen Arm und trank etwas. Jetzt fiel mir auch die fast leere Glasflasche auf dem Tisch auf. Verachtend schnaubte ich und bevor er sich überhaupt zu mir umdrehen konnte, verließ ich das Haus mit einem Türknallen.
Ich verstand ihn einfach nicht. Erst hatte er jahrelang kaum Kontakt zu ihm und sah ihn nur an Festtagen. Dann wurde er... so nach seinem Tod. Wenn ihm sein Bruder so wichtig war, weshalb ließ er es dann immer so aussehen, als könne er ihn nicht leiden? Es ergab keinen Sinn. Vielleicht war es auch eigentlich die Schuld seines Bruders, dass sie keinen Kontakt hatten. Vielleicht war er der jenige, der keinen wollte. Oder der Grund war eigentlich nur ein dummer Streit, aber beide waren zu stolz und stur, um sich wieder zu vertragen. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Meine Eltern erzählten nie was zu Onkel Rouven, aber ehrlich gesagt wüsste ich gerne mehr, was passierte und wann. Ich wüsste ehrlich gesagt allgemein gerne mehr über meine Familie.
Ich schüttelte den Kopf, wie um die Gedanken abzuschütteln. Kurz blickte ich auf meine Armbanduhr. Zehn nach acht. Ich lief etwas langsamer. Ob fünf Minuten mehr oder weniger machte keinen Unterschied.
Als ich dann endlich im Klassenzimmer auf meinem Platz neben Kalea saß, tippte mich diese auch sofort an. "Alles gut? Wo warst du?", fragte sie leise. Doch da Herr Selret mich nach meinem zu spät Kommen besonders im Auge zu behalten schien, kritzelte ich auf den Rand ihres Heftes nur schnell 'Später', bevor ich meine Sachen herausholte.
Nachdem wir die Stunde überstanden und zusammen packten, hörte ich jemand meinen Namen sagen. Ich blickte auf, ins Gesicht unseres Deutschlehrers. "Könntest du noch einen Moment da bleiben?" Ich nickte und schickte Kalea einfach schon mal vor, bevor ich zum Pult nach vorne ging. Er wartete bis alle den Raum verließen. Meine Hände schwitzten und mein Herz schlug etwas schneller. Ich wusste gar nicht warum ich so nervös war, ich war es einfach. War denke ich normal, wenn der Lehrer einen länger dabehalten wollte.
Sobald auch der letzte weg war, blieb es einen Moment still. Er musterte mich. Auch wenn ich zu Boden schaute, wusste ich es. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, wie er mich skeptisch betrachtete. "Darian?", fragte er. Ungewollte zuckte ich zusammen und sah ihn an. "Ist bei dir alles in Ordnung?" Ich nickte etwas verwirrt. "Ich meine nicht nur jetzt oder allgemein in der Schule. Auch zu Hause?" Fragend und doch ernst sah er mich an. Statt zu antworten, stellte ich eine Gegenfrage: "Wie kommen sie auf die Idee, es würde etwas nicht stimmen?" Mit einem Seufzen setzte er sich aufs Pult. "Darian, du machst keine Hausaufgaben, kommst zu spät und scheinst auch nicht viel zu schlafen. Das alles, nicht gerade selten. Außerdem haben deine Eltern nicht einmal auf irgendwelche Briefe reagiert. Sie waren nie bei Elternsprechtagen und auch auf Schulfesten oder sonstigen Veranstaltungen, habe ich sie bisher noch nie gesehen. Du bist so in dich zurückgezogen, wäre Kalea nicht, würde wahrscheinlich keiner bemerken, dass du überhaupt da bist. Mal abgesehen davon, wirkst du immer so zerknirscht und als würde dich etwas beschäftigen. Also frage ich nochmal: Ist bei dir alles in Ordnung?" Etwas geschockt starrte ich ihn an. Ihm fiel all das auf und ich wusste selbst nicht, dass ich so wirkte. Ich fing mich schnell wieder. Auffordernd sah er mich an. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, die Wahrheit zu sagen, doch verwarf ich diesen schnell wieder und nickte einfach. Mit einem schwer zu Stande gebrachten Lächeln meinte ich noch : "Keine Sorge, mir geht es gut. Und meine Eltern sind einfach nur sehr beschäftigt." Es gongte und für mich war das wirklich das beste, was passieren konnte. "Ich muss dann, Frau Schöter macht mir sonst die Hölle heiß.", erklärte ich und war schon auf dem weg nach draußen. "Auf Wiedersehen!", rief ich noch und war schon auf dem Gang. Mit schnellen Schritten lief ich zum Klassenzimmer am Ende des Ganges, in welchem wir jetzt Mathe beim Drachen hatten.
Irgendwie schaffte ich es durch den Tag und da ich es nicht weiter aufschieben konnte, musste ich Kalea jetzt erzählen, was Herr Selret wollte.
"Wirke ich wirklich so?", fragte ich, als ich fertig war. Sie lachte leicht. "Vielleicht ein bisschen. Manchmal. Oft manchmal." "Du hast das noch nie gesagt!", warf ich ihr vor. Daraufhin entgegnete sie: "Du hast ja auch nie gefragt." "Aber du hättest es trotzdem erwähnen können. Würdest du nur mit mir reden, wenn ich was frage oder sage, würden wir uns den ganzen Tag nur anschweigen." "Und selbst das fände ich nicht schlimm.", meinte sie und legte einen Arm um mich. Mit einem Lächeln verdrehte ich die Augen, nahm ihren Arm von meiner Schulter und ließ ihn einfach fallen. "Hey!", empörte sie sich. "Du musst jetzt sowieso gehen.", erklärte ich und zeigte auf das pink-rot angestrichene Haus. Es war eine hässliche Farbe, das Haus war aber trotzdem schön. Die Rothaarige umarmte mich kurz und mit einem: "Tschau.", verschwand sie im Haus. Ich lief weiter die Straße runter, bis ich an einem hellgelben Haus ankam.
Als ich die Tür wieder ins Schloss fallen ließ, konnte ich schon meinen Vater aus dem Wohnzimmer hören. Jedoch war er nicht am schreien, sondern schluchzte laut. Leise legte ich meinen Rucksack neben die Treppe und betrat mit bedächtigen Schritten das Zimmer. Er saß auf der Couch, seine Haare waren zerzaust und einige Tränen liefen ihm übers Gesicht, wurden aber von seinem Bart aufgefangen. Vor ihm lagen Fotos auf dem Tisch und ein Ordner voll mit Blättern.
Plötzlich schmiss er alles zu Boden und schrie laut: "Scheiße!" Automatisch machte ich einen Schritt zurück. Der Ordner ging auf und einige Blätter flogen heraus. Es waren Zeichnungen, ein See, ein Wald, eine Weide. Sie sahen aus wie meine, nur noch ein Stück besser. Ich sah wieder auf und merkte, dass mein Vater mich betrachtete. "Du bist ihm so ähnlich.", meinte er, "Du kannst was er kann." Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte. "Ach vergiss es.", murmelte er. Ich nickte und ging in die Hocke, um alles aufzusammeln. Als ich die ganzen Zeichnungen in den Ordner zurücklegte, blätterte ich alles nochmal durch. Und plötzlich ging mir ein Licht auf. Geschockt sah ich zu meinem Vater. Das konnte nicht sein. Wollte er mir gerade damit sagen, dass mein Onkel auch in seine Zeichnungen eintauchen konnte? Und wenn das stimmen sollte, wieso erzählte mir nie jemand was davon? Was wusste mein Vater noch? Und vor allem, wer außer meinem Vater wusste noch davon Bescheid? Das war zu viel auf einmal. Mit einem Türknall wurde ich wieder in die Gegenwart gerissen. Mein Vater verließ das Wohnzimmer, um sich einen anderen Ort zum trinken zu suchen. War vielleicht auch besser so. Sofort rannte ich die schmalen Stufen hoch in Zimmer, schloss die Tür ab und setzte mich direkt an meinen Schreibtisch. Da ich es ziemlich eilig hatte, kreierte ich nur schnell einen gemütlichen Park, mit ein paar Sitzbänken. Ich holte tief Luft bevor ich mich auf die Reise begab. Luc saß auf einer der Bänke, etwas weiter entfernt von mir. Ich rannte so schnell ich konnte zu ihm und blieb, außer Atem, vor ihm stehen. "Ich bin nicht der einzige.", brachte ich keuchend zu Stande.
Hellouuu
Das Kapitel ist wieder etwas länger geraten und doch großteils sehr ereignislos. Ist eher so ein Zwischenkapitel 😅
Aber jetzt geht es erst richtig los und ich freue mich so sehr darauf weiter zu schreiben 😆
Vielleicht schreibe ich das siebte Kapitel ja heute Nacht, vielleicht schreibt es aber auch Annarim die nächsten Tage, mal schauen. 😊
Jetzt erstmal tschiii 👋
-Arian
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top