Fünftes Kapitel

Der Thronsaal war still, und die Luft war von einer dichten, unheilvollen Atmosphäre durchzogen. Das gigantische Feuer in der Mitte des Saals flackerte und tauchte den Raum in gespenstisches, flimmerndes Licht. Alles um uns herum schien irgendwie falsch. Der Palast war wieder aufgebaut, fast so, als ob er nie zerstört worden wäre. Doch die Schatten, die die Wände verfinsterten, erzählten eine andere Geschichte.

Ich kniete vor dem Wasserbecken, in dem der Ophiotaurus – das geheimnisvolle, mythische Wesen, dessen Opfer die Macht verleihen sollte, die Götter zu vernichten – regungslos trieb. Der riesige Körper war leblos, doch der Glanz seiner Schuppen und die riesigen, schimmernden Augen ließen das Tier unheimlich lebendig erscheinen. Doch der Ophiotaurus war tot. Seine Macht, sein Geschenk... sie gehörten jetzt mir.

Ich spürte Lukes Blick auf mir, aber es war nicht die Frage in seinen Augen, die mich beschäftigte. Es war der ständige Zwang, der sich wie ein unsichtbares Band um mein Herz legte. Was hatte ich getan? Und warum tat ich es? War es wirklich das, was ich wollte?

„Thalia", sagte Luke leise, seine Stimme zögerlich. „Bist du sicher?"

Ich sah ihn nicht an. „Ich muss es tun", antwortete ich nur, die Worte flossen wie ein Mantra über meine Lippen. Ich konnte es nicht zurücknehmen, nicht jetzt.

„Das ist der einzige Weg", murmelte er, fast wie zur Bestätigung. „Du weißt, was es bedeutet."

Ich wusste es nicht. Aber ich konnte es nicht mehr rückgängig machen. Ich hatte mich entschieden.

Mit einem Ruck griff ich nach dem Ophiotaurus, der immer noch regungslos im Wasser lag. Das kalte, schleimige Wasser tropfte von seinem massiven Körper, als ich ihn aus dem Becken zog. Er war überraschend schwer, doch ich hielt ihn fest, als würde er zu mir gehören. Die unnatürliche Kälte des Tieres fühlte sich fast lebendig an, als ich es in meinen Armen hielt.

„Was wirst du tun?" Luke fragte erneut, diesmal etwas verzweifelter.

Ich antwortete nicht. Was wusste ich schon? Ich hatte keine Ahnung, was als nächstes passieren würde. Niemand hatte mir gesagt, was es bedeutete, den Ophiotaurus zu opfern. Niemand wusste, was genau geschehen würde, wenn ich ihn in das magische Feuer warf. Es war schließlich noch nie zuvor passiert.

Langsam ging ich mit der Leiche des Ophiotaurus auf den Altar zu. Der Raum schien um mich herum immer stiller zu werden, als die Flammen in der Feuerschale an Intensität zunahmen, als ob sie auf das kommende Opfer warteten. Das Feuer war riesig, ein ewiges, schier unaufhörlich brennendes Inferno, das seine Flammen hoch in die Luft spie.

Ich hielt an. Das Feuer flackerte vor mir, und ich zögerte. Was passierte, wenn ich diesen Schritt tat? Was, wenn ich etwas anrichte, das nicht rückgängig zu machen war?

„Thalia, du musst es tun", sagte Luke hinter mir, seine Stimme ruhig, doch ein Hauch von Sorge lag darin. „Du weißt, dass es keinen anderen Weg gibt."

Ich nickte, obwohl ich es nicht wusste. Was wusste ich schon? Doch der Entschluss war längst gefasst.

Ich hob den Körper des Ophiotaurus über das Feuer und ließ ihn in die Flammen fallen. Der Moment, in dem er in das Feuer stürzte, war gleichzeitig unwirklich und übermäßig real. Das Zischen und Knistern des Feuers, als es den Körper des Ophiotaurus verbrannte, ließ den Raum erbeben.

Ich stand da, starrte auf die Flammen, als sie sich um den Körper des Tieres schlossen. Der Ophiotaurus war tot, aber was hatte ich getan? Was passierte jetzt?

Die Hitze des Feuers war plötzlich greifbar, umhüllte mich wie ein Feuersturm. Meine Haut brannte, und doch fühlte sich der Schmerz nicht so an, wie er sollte. Ich versuchte zu schreien, aber es kam kein Laut über meine Lippen. Die Flammen schienen mich zu durchdringen, als würden sie mich in sich aufnehmen.

Ein stechender Schmerz durchzuckte mich, doch er war anders als alles, was ich je gefühlt hatte. Ich spürte es, als ob sich etwas in mir veränderte, etwas, das sich von mir selbst trennte und doch immer ein Teil von mir war. Etwas, das mich stärker machte.

Ich fiel zu Boden, konnte kaum atmen. Meine Hände waren brennend heiß, als ob das Feuer durch meine Adern zog. Und dann, plötzlich – der Schmerz verschwand.

Ich richtete mich langsam auf. Das Feuer loderte weiter, doch in mir war alles still. Ich war... anders. Etwas war verändert. Etwas, das nicht rückgängig gemacht werden konnte. Der Ophiotaurus war verbrannt, seine Leiche war nur noch Asche, doch in mir brannte jetzt etwas anderes – eine Macht, die ich nie erwartet hatte.

Langsam drehte ich mich zu Luke. Er sah mich mit offenem Mund an, als wüsste er nicht, was er denken sollte.

„Was ist mit mir passiert?", fragte ich leise. Meine Stimme war fast fremd in meinen eigenen Ohren.

„Du... du bist...", stammelte Luke. „Thalia, du bist..."

Ich fühlte es in meinem Inneren. Diese Unendlichkeit. Diese Veränderung, die mich über das Menschliche hinausgehoben hatte. Ich war nicht mehr wie die anderen. Etwas war in mir erwacht, das mich von allem trennt, was ich einmal gewesen war. Etwas, das mich jetzt mehr als je zuvor zu einer anderen Macht machte.

„Ich habe es getan", flüsterte ich, und die Worte hallten in meinen Gedanken. „Ich bin... unsterblich."

Die Erkenntnis kam langsam, doch als sie sich festsetzte, fühlte ich mich für einen Moment wie ein Götterkind, das die Grenzen des Sterblichen überschritt. Und dann, als ich Luke ansah, wusste ich, dass dies erst der Anfang war.

„Und jetzt?", fragte er zögerlich. „Was wirst du tun?"

Ich sah auf die lodernden Flammen vor mir und spürte die Macht in meinem Inneren pulsieren. Die Antwort war einfach, doch sie war zugleich so schwer, dass ich sie noch nicht in Worte fassen konnte.

„Ich werde mein Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen können.", sagte ich, ging auf ihn zu und küsste ihn.

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