4. "Ochahi?"
Ein seltsames Geräusch, das fast schon schmerzhaft laut war, holte Dalisha zurück in die Wirklichkeit.
Der schwarze Nebel in ihrem Kopf begann sich zu verziehen. Ihre Glieder schmerzten, diesmal hatte es keinen stinkenden Busch gegeben, der sie auffing. Als sie vorsichtig die Augen einen Spalt breit öffnete, tanzten weisse Punkte vor ihren Augen.
Das Geräusch war immer noch da; eine Mischung aus Zischen und klackenden Lauten. Wie in Zeitlupe wandte sie ihren dröhnenden Kopf dem Ursprungsort zu.
Und erschrak wieder einmal fürchterlich. Zwei seltsame Wesen, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Menschen hatten -zwei Beine, zwei Arme, ein Gesicht-, unterhielten sich angespannt. Sie waren klein, würden einem Erwachsenen etwa bis zu der Brust kommen, und trugen Kleider mit dem Modestil von Tarzan.
Durch die Geräusche verständigten sie sich scheinbar.
"Zzzz tk, zzz tk tk, tk zzzz tk!" "Tk! Zzzz tk zzzzzzz?"
Das Zischen änderte immer wieder die Dauer, während das Tkjedesmal unterschiedlich stark betont wurde. Und das in so einer raschen Abfolge, dass Dalisha Kopfschmerzen davon bekam.
Einer der beiden -der Kleinere mit einem schwarzen Lockenschopf- deutete immer wieder auf den verrenkten Körper des am Boden liegenden Mädchens. Der Andere zuckte dann mit den Schultern und gestikulierte wild mit seinen Händen.
...An denen sich -so fiel es ihr auf- nur jeweils vier Finger befanden. Dafür waren sie lang und kräftig und hatten ein Fingergelenk mehr.
Sie hatte nun die Augen vollständig geöffnet und musste urplötzlich kichern, als sich der Grössere der Beiden -er hatte blondbraune Haare- die Hand mit den Spinnenfinger an den Kopf schlug und entnervt stöhnte.
Wieder einmal ein Fehler mit Folgen: Sofort stiess der Kleinere einen erschrockenen Kampfschrei aus und richtete die speerähnliche Lanze, die er in seinen Händen gehalten hatte, auf ihren Oberkörper. Der Andere, zuerst verwundert, tat es ihm nach einiger Zeit nach.
Da sie nun ihre Gesichter mit den auffälligen Wangenknochen Dalisha zugewandt hatten, konnte sie diese genauer untersuchen. Die langen Ohren liefen bei Beiden spitz zu, allerdings nicht oben, sondern unten beim Ohrläppchen. Die Nase war sehr markant und erinnerte irgendwie an diejenige von Julius Caesar. An den Mündern konnte sie nichts Spezielles entdecken, ausser dass die Lippen nicht rosa, sondern eher bläulich waren.
Die Augen waren das Besonderste; sie waren im Verhältnis zu Menschenaugen ziemlich gross und ebenfalls mandelförmig. Die Iris funkelte in verschiedensten Farben und schien Funken zu sprühen, während man in der rabenschwarzen Pupille zu versinken drohte. Diese war auch nicht rund, sondern leicht in die Höhe gezogen, wie bei einer Katze. Einer gefährlichen Katze.
Die Bedroher schienen nachzudenken. Nach einem angeregten Gespräch sah es aus, als wären sie sich einig geworden. Sie nahmen die Lanzen weg und der Schwarzhaarige packte Dalisha grob am Arm und zog sie auf ihre Beine. Zuerst knickte sie weg, doch dann stabilisierte sie sich und sah zuerst die Hand, die sie gepackt hatte, und dann dessen Besitzer fragend an.
Er erwiderte den Blick nicht und zog sie stattdessen weiter. Sie sah zum ersten Mal den Hang hinauf, den sie hinunter gestürzt war. Der Stein, auf dem sie sich vom Alkoholbusch erholt hatte, war nirgends zu sehen, also nahm sie an, dass sie ganz hinunter gekullert war, nachdem sie auf dem Boden aufgekommen war und das Bewusstsein verloren hatte.
Und wieder wurde ihr bewusst, wieso ihr dieses Missgeschick widerfahren war.
Ihr Vater.
Verzweifelt wandte sie ihren Blick wieder den Hügel hoch. Der Nebel war immer noch da, er hatte sich nur leicht gelichtet. Sie wusste, dass sie in diesem Moment nicht die kleinste Chance hatte, abzuhauen. Die Speere waren spitz und ihre Benutzer würden sicherlich nicht zögern, sie zu gebrauchen.
Widerwillig liess sie sich mitziehen, fort von der Forschungsstation, hinter den Kreaturen her humpelnd. Wohin werden sie mich bringen? Dalisha versuchte, äusserlich ruhig zu bleiben. Derjenige ihrer Entführer, der sie nicht gepackt hatte, schleifte den Laken-Sack mit den gefundenen Sachen aus der Station hinter sich her. Es schepperte jedesmal, wenn ein Stein in die Quere kam, und die Gefangene machte sich langsam Sorgen um den Apparat, der sich unter den Dingen befand. Vielleicht ging er noch mehr kaputt und war dann nicht mehr zu retten? Wer weiss, was man damit anstellen konnte, wenn er funktionierte.
Also drehte sie ihren Kopf so gut es ging nach hinten und sagte langsam und deutlich: "Behandle meine Sachen bitte sorgfältig, okay?"
Sie hatte zum ersten Mal in Anwesenheit der zwei Bewaffneten gesprochen und wusste selber nicht genau, was sie für eine Reaktion erwartete. Umso erstaunter war sie somit, als der, der sie bis jetzt mitgezogen hatte, sich ruckartig umdrehte und sie anstarrte. Vorsichtig versuchte er mit seinen hellblauen Lippen ein Wort zu formen. "O..oh.."
Die Angestarrte runzelte die Stirn.
"Oh..Och.." Angestrengt versuchte er es weiter. Er schien sich extrem zu konzentrieren, auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Denkfalten. Dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf. "Och... Ochahi? Ochahi?" Der fragende Blick, den er aufsetzte, liess ihn schon fast kindlich erscheinen. Seine Augen glänzten in einem warmen gelb. Dalisha machte ein ratloses Gesicht und zuckte mit den Schultern. Sofort verschwand der Ausdruck auf seinem Gesicht, seine Augen färbten sich dunkelblau, und er wandte sich seinem Kumpel zu.
"Zzzztk, tkzzz 'ochahi', tkzzzzzz."
Dieser nickte ab dem Gesprochenen zustimmend und sagte nur: "Tk. Tkzzzzz."
Und somit setzten sie die geheimnisvolle Wanderung fort.
■
Nach anstrengender und schweisstreibender Zeit des Laufens und Stolperns bemerkte man, dass die noch immer in Nebel getauchte Landschaft langsam begann, sich zu verdunkeln. Der Weg schien durch die Düsternis noch bedrohlicher zu wirken und man bemerkte deutlich, dass das Dreiergespann unruhig wurde. Sie stoppten. Während der Grössere anfing, eine geeignete Stelle zum Verbleiben zu suchen, liess der Lockenschopf das Mädchen vorsichtig los. Dann begann er zu sprechen, allerdings mit den Händen. Durch Zeichensprache versuchte er, ihr etwas mitzuteilen; zuerst deutete er auf sie, dann simulierte er mit zwei Fingern eine Laufbewegung und fuhr sich schliesslich mit dem Zeigefinger über die Kehle. Sie verstand sofort; wenn sie versuchte, wegzulaufen, war sie so gut wie tot. Sie schluckte leer, um ihren ausgetrockneten Rachen zu befeuchten, und nickte. Zufrieden drehte sich ihr Gegenüber um und stampfte zu dem Platz unter einem Baum, der sein Gefährte ausfindig gemacht hatte. Mit einem Wink deutete er ihr, nachzukommen. Zögerlich bewegte sie sich auf den Baum zu.
Er sah seltsam aus, Dalisha musste ihn unwillkürlich mit einem Pilz vergleichen, gekreuzt mit einer Trauerweide. Seine dicken Blätter erinnerten an überdimensionale Tannennadeln uns besassen eine seltsame Farbe, etwas zwischen dunkelblau, mattem hellgrau und lila.
Inzwischen hatten ihre Begleiter zwei Matten ausgebreitet, sie jeweils mit einer fusseligen Decke ausgestattet und sich darauf gesetzt. Etwas hilflos stand sie daneben und starrte auf den moosgepolsterten Boden. Der Grössere, der wahrscheinlich auch das grössere Mitgefühl hatte, bemerkte es und begann in seiner Tasche, die er schon die ganze Zeit mitführte, herumzuwühlen. Kurz danach zog er triumphierend einen dünnen Stoffsack hervor. Er streckte ihn ihr entgegen und sie nahm in dankend, aber auch unsicher an. Er stank nach etwas Undefinierbarem. Sollte sie ihn etwa als Schlafsack benutzen? Allem Anschein nach schon.
Ich werde erfrieren, dachte sie trocken. Als sie jedoch den Blick wieder dem grosszügigen Besitzer des Sackes zuwandte, sah sie, dass er über einem aufgestapelten Haufen Gestrüpp kniete und mit einem metallenen Röhrchen, das er an einer Kette um den Hals trug, darauf zielte. Erstaunt verfolgte sie, wie er einmal hinein pustete und daraufhin ein blauer Funke dem Röhrchen entschlüpfte. Es irrte kurz umher, schien sich seinem Ziel nicht ganz bewusst zu sein, bevor es sich schliesslich auf den Gestrüpphaufen stürzte und sich darin verkroch. Kurz darauf loderten blaue Flammen empor und tauchten die ganze Umgebung in diffuses Licht. Ein zufriedenes Grinsen stahl sich auf die Gesichter, als sich die schleichende Wärme breit machte.
Sie legten sich hin, die zwei Bewaffneten nah beieinander und Dalisha etwas abseits. Sie versuchte sich mit der Situation abzufinden, was gar nicht so leicht war.
Ihr Vater irgendwo im Nirgendwo, diese unbekannte Welt direkt hier, und sie mittendrin, entführt von Kreaturen, die eigentlich nur in der Fantasie existieren.
Die bleierne Müdigkeit übermannte zuerst ihre Beine, die sich gefühlslos und wundgelaufen anfühlten, und schliesslich auch ihren Verstand. Ihre Augenlider schlossen sich automatisch und sie kuschelte sich so fest wie möglich in den übelriechenden Stoffsack, um daraufhin in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen.
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...Und da waren es schon 40!
Im Ernst? Über 40 Votes?
I'm so happy! :D
Und insgesamt sind es jetzt über 100! :O
Thank you ♥
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