Teil 46
*Liljas Sicht*
So zogen die nächsten Tage an mir vorbei. Immer das gleiche. Putzen, kochen, waschen und jede Menge fiese, dämliche Sprüche. Doch sie fassten mich nicht mehr an. Was mir nur recht war. Nie wusste ich, wann Tag oder Nacht war. Wusste nicht, wie lange ich schon wieder hier war. Zwei Wochen? Drei Wochen? Noch länger? Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit, die mein besiegeltes Schicksal täglich neu wieder spiegelt. Meine Hoffnung schwindet von Minute zu Minute, das sie mich finden. Das sie mich überhaupt suchten. Vielleicht waren sie ja doch nicht mehr am leben? Nein, sie mussten am Leben sein. Was anderes wollte und konnte ich nicht glauben. Egal, ob sie mich suchten oder nicht. Hauptsache, es geht ihnen gut. Wie sehr ich sie doch vermisste. Ihre beruhigende Art. Ihre sanften Stimmen. Ihr ehrliches Lachen. Ihre Zuneigung, die aus ihren Augen spricht. Mein Herz zog sich schmerzlich zusammen und ich zog Rafas Pulli enger um mich. Er roch schon lange nicht mehr nach ihm und doch beruhigte mich dieses Kleidungsstück etwas. Als ob er jeden Moment um die Ecke kommt, mich auf seinen Arm nimmt und mich raus trägt. Raus in die Freiheit. In die Natur. An die frische Luft, wo keine kahlen, kalten Wände sind. Wände, die so bedrohlich ausschauen, als ob sie ständig näher kommen. Mir täglich mehr die Luft zum atmen raubten. Wo keine Männer sind, die mich wie ein Stück Dreck behandeln. So tun, als wäre ich ihr Eigentum. Jedes mal, wenn ich schlief, träumte ich von den beiden. Hauptsächlich von Rafa. Wie wir uns am Strand sehen und uns zärtlich küssten, während ich ihm sagte, das er mich nicht vergessen soll. Fast jede Nacht der selbe Traum. Konnte er es spüren, das ich ihn brauchte? Vermisste?
*Jukkas Sicht*
3 Wochen sind seitdem vergangen. 3 lange Wochen, in denen wir nicht wussten, wo Lilja ist. Wie es ihr geht und ob sie verletzt war. Seit ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bin ich bei Samu und Vivi untergekommen. Meine rechte Hand machte nach wie vor Probleme, doch mit groben Sachen kam ich klar. Bis auf die Schuhe, konnte ich mich alleine anziehen. Nur Sachen, wie Fleisch schneiden, Zahnpasta auf die Zahnbürste drauf machen, die Wasserflasche aufmachen und so weiter bereitete mir Probleme. Doch schlimmer war, das die anderen mir helfen mussten. Auch wenn sie dies ganz selberverstandlich taten, als wäre es das normalste der Welt, nervte es mich tierisch. Mein halb abgebranntes Haus hatte ich verkauft. Ich hätte es auch renovieren können, doch ich wollte dort nicht mehr wohnen. Rafa hatte sich soweit erholt. Nur wenn er zu schnell zu viel machte, hatte er noch schmerzen, auch wenn er es sich selten anmerken ließ. Auch er war im Grunde bei Samu eingezogen. Er aß kaum noch, konnte man genau sehen, das ihm jeder Bissen im Hals stecken blieb. Doch immerhin versuchte er es. Er konnte auch einfach nicht alleine sein. Hatte regelrechte Panikattacken und jede Nacht schreckliche Albträume. Die ersten zwei Nächte schlief er im Gästezimmer neben mir, doch nachdem er ständig schreiend und nassgeschwitzt aufwachte, schlief er bei mir. Was mir auch ganz recht, hatte doch auch ich Angst, alleine zu sein. Die Suche nach Lilja verlief auf Hochtouren. Zumindest unsere, die Polizei gab die Hoffnung langsam auf und gingen nur noch schwachen Hinweisen aus der Bevölkerung nach, was allerdings nichts brachte, oder einfach nur eine falsche Spur war. Wir saßen gerade im Wohnzimmer und machten ein Suchplan für morgen, als es an der Tür Sturm klingelte. Rafa zuckte unwillkürlich zusammen und verkrampfte kurz. Lange würde er so nicht mehr durchhalten. Samu kam mit Sami ins Wohnzimmer der uns aufgeregt anschaute.
"Ich hatte eben ein Anruf aus einem Altenpflegeheim" sprach er und lief hin und her.
"Was wollten sie denn?" fragte Vivi.
"Sie haben Lilja erkannt. Also einer der Bewohner, der anscheinend ihr Großvater ist, rief mich an und sagte, das Mädchen im Fernsehen ist Saara, dann legte er einfach auf. Ich rief sofort zurück und hatte eine Mitarbeiterin dran. Lilja heißt eigentlich Saara Koskinen und ist 25 Jahre alt. Bis vor etwas mehr als 3 Jahren kam sie ihren Großvater täglich besuchen. Dann nahm sie in Helsinki eine Arbeitsstelle an und seit sie aus Vantaa, dort wohnte sie zu diesem Zeitpunkt, aufgebrochen ist, fehlt von ihr jedes Lebenszeichen. Ein paar Freunde von ihr haben wohl eine Vermisstenanzeige aufgegeben und sie monatelang gesucht, aber irgendwann aufgehört, weil sie dachten, sie wäre mit irgendjemandem durchgebrannt. Obwohl das wohl nicht zu ihr gepasst hätte" erzählte Sami ohne Punkt und und Komma. Er erzählte uns noch etwas über ihre Eltern und das sie bei ihren Großeltern aufgewachsen ist. Danach ließ er sich in den Sessel fallen.
"Dann haben die Aufrufe im Fernsehen und Radio immerhin ihre Identität aufgedeckt. Das ist doch schon mal ein Anfang" meinte Samu.
"Trotzdem haben wir sie noch nicht gefunden und die Chancen sinken weiterhin. Sie braucht uns doch. Wer weiß, was diese Arschlöcher mit ihr anstellen" erwiderte Rafa verzweifelt.
"Wir werden sie finden. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben" versuchte Vivi ihm Mut zuzusprechen.
"So wie Raul und Osmo?" fragte er ziemlich sarkastisch nach. Er hat recht, die beiden haben die Hoffnung aufgegeben und beteiligen sich immer seltener an der Suche.
"Nein, so wie wir! Ich glaube fest daran, das wir sie da rausholen und bald wieder fest in unsere Arme schließen können. Das es ihr soweit gut geht und sie für uns stark bleibt. So, wie sie es versprochen hat" erwiderte ich mit einer Überzeugungskraft in meiner Stimme, die selbst mich kurz zusammen zucken ließ.
"Ich geh ins Bett. Danke fürs Bescheid sagen, Sami" und mit diesen Worten war ich im Gästezimmer verschwunden, schnappte mir frische Sachen und verschwand unter der Dusche. Kaum lief das lauwarme Wasser, vermischte sich dieses mit den salzigen Tränen, die nun unaufhörlich liefen. Ich konnte und ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, das wir Lilja finden. Tief im Herzen wusste ich, das sie lebt. Das sie auf uns wartet und das wir sie daraus holen würden. Ich trocknete mich ab, zog mich an und kuschelte mich ins Bett. Doch schlafen wollte ich noch nicht. Ich wusste, das Rafa auch gleich kommen würde. Er vermisste sie so schrecklich und machte sich Vorwürfe. Dabei konnte er doch genauso wenig dafür, wie ich. Plötzlich senkte sich das Bett neben mir und ich drehte den Kopf zur Seite.
"Lass mich doch bitte nicht alleine" flüsterte Rafa.
"Samu, Vivi und Sami waren doch da" erwiderte ich.
"Ich weiß... Trotzdem fühle ich mich alleine. Sie verstehen das nicht. Sie verstehen mich nicht. Ich erkenne es an ihren Augen. Voller Mitleid schauen sie mich an. Warten praktisch darauf, das ich wieder Panik bekomme... Bei dir sehe ich das nicht" antwortete er. Ich nahm ihn, wie jeden Abend, fest in den Arm und streichelte ihm beruhigend über den Rücken.
"Du bist nicht alleine. Und sie können dich verstehen, auch wenn sie es anders verstehen, als ich. Mach dir darüber nicht so viele Sorgen. Ich bin hier und ich lass dich nicht alleine" flüsterte ich ihm leise ins Ohr.
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