Teil 45
*Liljas Sicht*
Ich wurde aus dem Schlaf gerissen, als mich jemand unsanft rüttelte.
"Steh auf Faulpelz. Du bist nicht zum pennen hier, sondern zum arbeiten. Also beweg endlich deinen Arsch hoch" brüllte jemand und ich riss erschrocken die Augen auf. Diese Stimme. Ich kannnte diese Stimme irgendwo her. Mehrmals musste ich blinzeln, bis ich etwas erkannte und direkt in das Gesicht des Mannes blickte. Miro... Wie ein Geistesblitz sah ich plötzlich tausende Bilder und Szenen vor mir. Geschehnisse, die sie mir antaten. Ängste, die ich durchlitten hab. Hunger, den ich immer hatte. Miro und seine Brüder Lauri, Joel und Daavid. Sie hatten mich also wirklich gesucht und in Jukkas Haus gefunden. Obs den beiden gut geht?
"Hoch jetzt mit dir. Du warst über 3 Wochen weg und hast demzufolge eine Menge sauber zu machen" fuhr er mich an und ich rappelte mich auf. Mir war immer noch so schrecklich kalt und meine Kopfschmerzen wurden auch nicht besser.
"Mitkommen" knurrte er mich an, umgriff fest meinen Oberarm und zog mich quer durch den Bunker. Richtig, wir sind in einem Bunker. Tief unter der Erde versteckt. Mitten in diesem großen Wald. Unmöglich, das mich hier je jemand fand. Der Eingang war zu gut unter einem Baum versteckt und eigentlich immer durch Schnee oder Gestrüpp verdeckt. War ich doch schon seit über 3 Jahren hier. Sklavin für alles. Oder wie Miro es nannte, sein Mädchen für alles. Zum sauber machen. Zum kochen. Um ihn und seine Brüder zu belustigen. Zum spielen, wie sie es nannten. Sie bei Laune zu halten und ihre Launen stumm über mich ergehen zu lassen. Das war der Grund, warum ich nicht mehr sprach. Sie hatten es mir verboten und anscheinend hatte ich es mit der Zeit verlernt, normal zu reden. Konnte man das so einfach vergessen?
"Los mach die Küche sauber, dann koch uns was. Wir haben Hunger. Aber zackig" mit diesen Worten ließ er mich in einem kleinen, dunklen Raum zurück. Kaum 2x2m groß. Überall türmten sich dreckige Töpfe, Pfannen, Teller, leere Bier und Schnapsflaschen und es stank einfach nur. Es ekelte mich so an, das ich mit der aufkommenden Übelkeit kämpfte.
"Ich höre dich nicht arbeiten" brüllte es von neben an und schnell ließ ich Wasser in die Spüle laufen. So schnell es ging, räumte ich die Küche auf und hatte dabei größte Mühe, das Geschirr sauber zu bekommen. Die Flaschen stellte ich in die Klappbox, den Rest in den Müll. Danach fegte und wischte ich schnell durch und nachdem alles trocken war, schaute ich in den kleinen Kühlschrank. Wie immer fast leer. Nur Bier und Schnitzel waren zu finden. Letzteres holte ich heraus und schmiss sie in die Pfanne, als ich spürte, das jemand hinter mir stand und mich beobachtete. Alles zog sich vor Angst in mir zusammen und ich fing an zu zittern. Er kam dichter und presste sich von hinten an mich. Sein Atem stank widerlich nach Alkohol und er selber nach Schweiß.
"Du brauchst doch vor mir keine Angst zu haben. Ich würde dir doch nie weh tun" raunte mir Daavid ins Ohr, wobei mir wieder die Übelkeit in den Hals kroch. Er streichelte mir über den Nacken, während ich versuchte, mich weg zu drehen. Doch er presste sich nur dichter an mich und mich somit gegen die kleine Arbeitsfläche.
"Daavid lass sie. Ich hab Hunger. Du kannst später spielen" brüllte Miro und er ließ grummelnd von mir ab.
"Ich will aber jetzt spielen" maulte dieser und ging in den Raum neben an. Was sie dort weiter redeten hörte ich nicht und wollte es auch nicht hören. Ich wollte hier weg. Weit weg. Sie nie wieder sehen. Ich wollte zu Rafa und Jukka. Doch lebten diese überhaupt noch? Wer weiß, was die ihnen angetan haben. Würden sie mich suchen? Oder würden sie mich einfach vergessen? Mich im Stich lassen und ihr Leben normal weiter leben? Schließlich kannten sie mich ja kaum. Warum sollten sie da schon nach mir suchen. Wer war ich schon, das es sich lohnen würde. Ich war nur Saara Koskinen. Geboren am 22.11.1984 in Vantaa. Einer knapp 130 000 Einwohnerstadt, wo ich auch aufgewachsen bin. Als ich 4 Jahre alt war, sind meine Eltern bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen. Ich schlief in dieser Nacht bei meinen Großeltern. Diese hatten mich danach bei sich aufgenommen und mich groß gezogen. Ich liebte und vergötterte sie. Nie haben sie mich spüren lassen, das ich ihnen lästig wäre. Haben mich immer bei allem unterstützt und waren einfach für mich da. Auch wenn es für sie schmerzlich war, haben wir oft über meine Eltern geredet. Immer und immer wieder haben sie mir erzählt, wie meine Eltern waren und wie sehr sie mich liebten. Meine Freunde konnte ich an einer Hand abzählen. Doch diese waren ebenfalls immer für mich da. Doch wo waren sie jetzt? Hatten sie mich abgeschrieben? Als ich 17 war, ist meine Großmutter verstorben. Danach hat auch Großvater sehr abgebaut. Er vermisste sie schmerzlich, auch wenn er es mir nie so sagte, so wusste ich es doch. Jeden Tag ging er zu ihrem Grab und brachte ihr frische Blumen. Jeden Abend vorm schlafen gehen küsste er ihr Foto, welches auf seinem Nachtschränkchen stand, genau so, wie jedem Morgen nachdem aufstehen. Als ich 19 war fing Großvater an, immer mehr Sachen zu vergessen und mit 21 musste ich ihn schweren Herzens in ein Altenpflegeheim bringen. Zu dem Zeitpunkt wusste er immer seltener, wer ich bin, wo er ist oder wer er ist. Ich konnte ihn keine Sekunde mehr aus den Augen lassen und musste doch arbeiten. Jeden Tag ging ich ihn besuchen und freute mich jedesmal wie ein kleines Kind, wenn er mich erkannte. Doch war dies immer seltener der Fall, bis er mich gar nicht mehr erkannte. Trotzdem ging ich täglich hin, bis ich ein Stellenangebot in Helsinki fand, das ich nicht ausschlagen konnte. Mit 22 machte ich mich auf den Weg nach Helsinki, um bei einer wohlhabenden Familie als Haushaltshilfe und Kinderbetreuung anzufangen. Doch da kam ich nie an. Auf dem Weg dorthin schnappten mich die Kerle an einer Raststätte, an der ich nachts Pause machte und seitdem bin ich hier. Gefangen in der Höhle, aus dem es kein entkommen gibt. Am Anfang hab ich öfter versucht zu fliehen, doch die Strafen waren gnadenlos. Sie kannten den Wald zu gut, im Gegensatz zu mir. Ich irrte nur wild umher und lief oft im Kreis. Irgendwann hab ich mich meinem Schicksal hingegeben, bis vor 3 Wochen. Da waren die Brüder mal wieder so besoffen, das sie die Tür vom Bunker nicht richtig geschlossen hatten, als sie wieder kamen. Ich wartete, bis der letzte tief und fest schlief, zog mir meine wenigen Klamotten über und machte, das ich weg kam. Doch auch dieser Versuch ging schief. Und nicht nur das, nein, ich hab auch noch zwei unschuldige Menschen mit hineingezogen. Menschen, von denen ich nun nicht wusste, wie es ihnen ging. Menschen, die ich vermutlich niemals wieder sehen würde. Menschen, die mir so ans Herz gewachsen waren. Wie ich sie doch vermisste. Ich konnte und wollte nicht glauben, das ich ihnen egal war. Sie würden mich ganz bestimmt suchen. Doch wie sollten sie mich hier je finden? Die Chancen waren geringer als minimal. Dazu müsste schon ein. Wunder geschehen und an Wunder glaubte ich schon lange nicht mehr. Sie haben mir mein Lachen wieder gebracht und mir gezeigt, das es doch noch anders geht. Anders, als ich es hier sehe und erlebe. In dem Gefängnis des Grausens. Ich machte ihnen ihr Essen fertig und putzte danach die Mini Toilette und das "Wohnzimmer/Schlafzimmer". Anschließend kümmerte ich mich in der Küche in der Spüle um die dreckige Wäsche.
"Das Fleisch ist nüchtern. Hast du vergessen, wie man richtig kocht? Mach es das nächste mal besser!" knurrte mich Joel an. Ich zuckte vor schreck zusammen, was Daavid nur dreckig lachen ließ.
"Unsere Zuckerpuppe hat Angst vor uns. Dabei sind wir doch immer so lieb und nett zu dir" säuselte Miro und lachte laut, als hätte er den Witz des Jahrhunderts gerissen. Jukka. Rafa. Holt mich hier raus. Bitte. Ich will hier nicht sein. Ich will bei euch sein. Ich brauche euch doch.
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