Teil 22


*Liljas Sicht*

"Vergiss das atmen nicht" flüsterte Jukka und ich sog scharf die eiskalte Luft ein. Es brannte in meiner Lunge, doch fühlte ich mich schon lange nicht mehr so lebendig. Ich drehte meinen Kopf zu Jukka, sah in dessen grünen Augen und griff nach seiner Hand. Diese hielt ich fest umschlossen. Fast so, als würde ich daraus Kraft ziehen. Kraft, die ich gleich brauchen werde. Er lächelte mich sanft an und erwiderte den Druck meiner Hand.

Ich schaute ihn an und fragte unter grösster Anstrengung "G-e-t-r-a-g-e-n?". Er schien kurz zu überlegen, was ich meine, bis er breit grinste.

"Nein Lilja. Ich habe dich nicht getragen, du bist gelaufen.

"G-e-l-a-u-f-e-n i-c-h?" presste ich mit Mühe und Not zwischen meinen Lippen heraus. Stolz lächelte er mich nun an.

"Ja Lilja. Du bist das ganze Stück gelaufen. Und das alleine. Ich bin sehr stolz auf dich" flüsterte er nun schon fast. Sanft hob er seine freie Hand und wischte mir über meine Wangen. Seine Fingerspitzen glänzten feucht. Ich berührte meine Augen. Wann hatte ich angefangen zu weinen? Ich bin im freien gelaufen. Ohne es zu merken. Aber ich habs geschafft. Und gesprochen hatte ich auch wieder. Da war es wieder. Dieses unglaubliche Gefühl. Dieses mal würde ich es nicht wieder hergeben. Sondern festhalten.

"Wollen wir reingehen und bei einer Tasse heißen Kakao ausruhen?" fragte er. Ich nickte nur. Jukka stand auf und ich tat es ihm gleich. Doch bevor ich richtig stand, gaben meine Beine nach. Fühlten sich mit einmal an, wie Wackelpudding. Jukka reagierte schnell und schob seinen Arm unter meinen und fing mich so auf, bevor ich wieder im Schnee landete. Den anderen Arm legte er unter meine Knie und hob mich so, langsam hoch und trug mich Richtung Haus. Ich legte meine Arme vorsichtig um seinen Hals und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

"War wohl etwas viel eben" meinte er, doch bevor ich nicken konnte, war ich schon, erschöpft und doch glücklich, eingeschlafen.

Ich hörte etwas knistern und eine angenehme Wärme umwickelte meinen Körper. Auch die Erschöpfung hatte etwas nachgelassen. Langsam öffnete ich die Augen und sah mich um. Ich lag auf der Couch im Wohnzimmer, umhüllt von einer dicken Decke. Das Knistern kam vom Kamin. Ich liebte es, wie das Feuer flackerte. Wie die Funken sprühen und man dabei zusehen konnte, wie das Holz vor sich hin glüht und langsam zu Asche verfällt. Ich ließ meinen Blick weiter wandern und entdeckte Jukka, der es sich auf dem Sessel bequem gemacht hat. Seine Beine hingen über die Lehne, auf seinem Schoß ein Block liegend, in dem er etwas aufschrieb. Er wirkte hochkonzentriert. Nun setzte den Stift ab, las sich alles mehrmals durch. Nun kritzelte er wie verrückt auf dem Blatt rum. Strich er alles wieder durch? Oder malte er? Ich musste leise lachen, als ich sein Gesichtsausdruck sah. Wirkte schon ein wenig verzweifelt. Erschrocken sah er auf und grinste mich dann an, als er sah, das ich ihn beobachte.

"Scheint dir wieder besser zu gehen. Magst einen heißen Kakao haben?" fragte er und ich nickte, mal wieder. Er stand auf und verschwand in die Küche, während ich mich langsam aufsetzte, wohl bedacht, schön unter der angewärmten Decke zu bleiben. Kurz darauf kam er mit zwei dampfenden Tassen wieder und reichte mir meine. Als ich diese ergriff, spürte ich seine eiskalten Finger kurz auf meinen. Ohne zu zögern, hob ich die Decke ein Stück an und bedeutete ihm so, sich zu mir zu setzen. Er schaute mich an und schien zu überlegen, was ich meine, bis man deutlich sah, wie es klick machte.

"Bist du dir sicher?" fragte er leise und sah mich unsicher an. Ich nickte und hielt die Decke weiter hoch. Er setzte sich, mit einem kleinen Abstand, neben mich. Ich schmunzelte und rutschte vorsichtig, um den Kakao nicht zu verschütten, dicht zu ihm und deckte uns beide wieder zu. So blieben wir, schweigend, sitzen und ließen uns den leckeren Kakao schmecken.

Es war kein unangenehmes Schweigen. Ganz im Gegenteil. Für mich fühlte es sich gut an. Ich fühlte mich in seiner Nähe sicher und beschützt. Und dafür bedarf es wohl nicht vieler Worte. Ich stellte meine leere Tasse auf den Tisch und schaute, gedankenverloren, ins Feuer. Nie kam mir der Gedanke, das ich ihm eventuell lästig war. Oder es werden könnte. Das ich ihn in seiner Ruhe hier draussen stören würde. Sein Leben durcheinander brachte. Ihn in seiner Kreativität einschränkte. Ich genoss es einfach, nicht alleine zu sein. Zu wissen, das er da war, wenn ich ihn brauchte. Und er sich, zusammen mit mir, über jeden Fortschritt, möge er noch so klein sein, mit mir freute. Als wäre es nie anders gewesen. Er trank seinen Kakao aus und stellte die Tasse auf den Tisch.

Ich schaute ihn an. Irgendwie sah er blass aus. Hatte er Sorgen? Ging's ihm nicht gut? Ich rutschte noch ein Stück näher, legte seinen Arm vorsichtig um meine Schulter. Wartete kurz ab, ob dies etwas falsches in mir auslöste. Doch nichts passierte. Zufrieden lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter, nahm seine, immer noch eiskalte Hand und zog die Decke höher. Zaghaft streichelte er meinen Arm und ich mit meinem Daumen über seinen Handrücken. Er lehnte seinen Kopf an meinen und ich konnte deutlich spüren, wie er sich langsam entspannte.

"A-l-l-e-s o-k?" fragte ich leise, wobei es mehr ein rumstottern war.

"Ja, kleine Lilja. Ich hab nur Kopfschmerzen. Wenn ich einmal in meiner Arbeit drin bin, vergesse ich gerne mal die Zeit und dann kommt das öfters vor" antwortete er leise. Was hat er denn gearbeitet? Da fiel mein Blick wieder auf seinen Block und ich zeigte mit dem Finger drauf.

"Ja genau. Hab versucht, ein paar Texte zu überarbeiten, doch das ist nicht gerade meine Stärke" versuchte er zu grinsen und sah mit einmal noch blasser aus. Verschwieg er mir etwas? Ich machte mir Sorgen um ihn. Hatte er wirklich bloß Kopfschmerzen? Er nahm meinen Blick wohl war, denn er meinte lächelnd "Es ist alles ok. Wirklich" und ich nickte nur.

Ich rutschte ans Ende von der Couch und versuchte Jukka, mit den Händen begreiflich zu machen, das er seinen Kopf auf meinen Schoß legen soll. Ich konnte förmlich hören, wie es in seinem Kopf arbeitete und musste schmunzeln. Ich griff nach seiner Hand, zog ihn näher zu mir und allmählich schien er zu begreifen, was ich wollte, denn seine Augen wurden immer größer. Ich wusste, das es richtig war. Ich hatte keine Angst und sie wird davon auch nicht ausgelöst. Das spürte ich irgendwie.

Ich nickte ihm aufmunternd zu, er legte seine Beine auf die Couch und betete seinen Kopf vorsichtig in meinen Schoß. Ich deckte ihn zu und begann sanft, mit kreisenden Bewegungen seine Schläfe zu massieren. Er seufzte leise auf und schloss die Augen.

"Das tut gut" murmelte er und ich massierte, lächelnd, weiter. Ich hatte diesem Mann so unglaublich viel zu verdanken. Wer weiß, ob ich ohne ihn überhaupt noch leben würde. Lässt mich weiter hier wohnen, obwohl es mir, zumindest körperlich, ja wieder gut geht. Irgendwann werde ich mich dafür revanchieren. Auch wenn ich noch nicht wusste, wie. Gedankenverloren betrachtete ich ihn und streichelte, unbewusst, mit der freien Hand durch sein Haar.

Er war so unglaublich lieb, sanft und geduldig. Warum hat er keine Freundin? Hat ihn jemand verletzt und er hat Angst? Die richtige einfach noch nicht gefunden? Wird er bestimmt bald. Ich vernahm leise schnarchgeräusche und schmunzelte vor mich hin, klang es doch irgendwie niedlich. Ich lehnte meinen Kopf an die Couch, streichelte weiter durch sein Haar, mittlerweile bewusst, und schaute ins Feuer. Ich weiß nicht, wie lange ich so da saß, doch irgendwann wurden auch meine Augen schwer, fielen zu und blieben zu.

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