Lebensmosaik

Als die Diagnose kam, war ich gerade mal sieben Jahre alt.

Alt genug, um zu verstehen, dass auch mein Opa an Krebs gestorben ist und zu jung um den Unterschied zu verstehen.

Ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern, als meine Welt in tausend Stücke zersplitterte.

Und ich mit ihr.

Plötzlich war meine Welt in ein Vorher und ein Nachher unterteilt.

Und ich war weder im Vorher, noch im Nachher zuhause.

Als ich klein war, da versuchte mein Kopf der Krankheit eine Gestalt zu geben.

Irgendwas Reales, das ich hassen konnte.

Und eines Tages am Strand,

da sah ich einen Krebs dort liegen.

Ausgehöhlt von Möwen,

nur noch ein Gerippe.

Und für einen Moment verspürte ich so etwas, wie Schadenfreude.

Denn da lag das Sinnbild meiner Wut und meiner Ängste,

ausgehöhlt, wie die Krankheit es bei meiner Mutter tat.

Einen Moment lang nur,

dann erinnerte ich mich, dass der Tod von diesem Krebs,

meine Mutter auch nicht gesund machte

und ich schämte mich.

Über die Jahre, da habe ich einiges gelernt.

Ich habe gelernt, dass es wichtig ist die Krankheit meiner Mutter, als einen Teil von ihr zu betrachten und nicht als ein Ganzes.

Ich habe gelernt, dass niemand Haare braucht um schön auszusehen, solange das Lächeln bleibt.

Ich habe gelernt, dass Unabhängigkeit nicht bedeutet, keine Hilfe anzunehmen.

Ich habe gelernt, dass nichts im leben so feststeht wie es scheint.

Ich habe gelernt, dass Hoffnung mehr bewirkt, als jede Medizin und jede Therapie.

Und ich habe gelernt, dass die Liebe einer Mutter über alle denkbaren Grenzen hinausgeht.

Denn der Krebs war

zerstörerisch

ermüdend

kräftezehrend

auffressend

und raumgreifend.

Aber meine Mutter, sie war glücklich.

Ich weiß noch zu gut, wie oft sie dieses Glück betonte.

Was für ein Glück sie doch hat

mit ihrer liebenden Familie

mit ihren hilfsbereiten Freunden

mir ihren tollen Kindern

mit ihrem schönen Leben.

Denn am klarsten sehen,

kann man immer durch den Schmerz hindurch.

Doch ich lernte nicht nur die guten Dinge.

Ich lernte, dass runtergeschluckte Worte umso stärker versuchen herauszudrängen, desto mehr sie werden.

Ich lernte, dass Umarmungen von denen man weiß, dass sie wahrscheinlich zu den letzten gehören, mehr schmerzen, als Geborgenheit zu verströmen.

Ich lernte, dass Einsamkeit nichts mit Räumlichkeit zu tun hat.

Ich lernte, dass auch unter Medikamenteneinfluss gesagte Worte, die nie so gemeint waren, noch jahrelang wehtun können.

Ich lernte, dass auch die stärkste Person, im Angesicht des Todes die Fassung verlieren kann.

Ich lernte, dass der letzte Atemzug in Büchern eine viel zu tragende Rolle spielt, im Gegensatz zur Wirklichkeit.

Und ich lernte, dass auch die schönsten Erinnerungen sich anfühlen können, als würde man sein Herz in Reißzwecken baden.

Denn egal wie schön auch die Erinnerungen an eine Zeit mit ihr zusammen sind,

was bleibt, sind tausend Erinnerungen in denen sie fehlen wird.

Tausend Momente, in denen ich merke, dass es ohne sie nicht funktioniert.

Tausend Momente in denen die Mutter zum Kind fehlt.

Tausend Ratschläge die nie vergeben werden.

Tausend Tränen, die nie getrocknet werden.

Tausend Umarmungen, die ich nicht mehr spüren werde.

Tausend Mal die Worte Du bist (gut) genug, die ich nie hören werde.

Und einmal, da bleibe ich übrig.

Alleine.

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Lesenacht (3/5)

Just some thoughts.

Übrigens sorry für die leichte Verspätung. War ins Schreiben vertieft.

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