Kapitel XIII: Familienzusammenführung
"Ich habe Klaus und Fips benachrichtigt. Sie werden gleich hier sein, schätze ich", erzählt die Zahnfee und setzt sich wieder. Irgendwie freut er sich, seine Brüder wiederzusehen.
"Wir wissen doch beide, dass die beiden erst in ein paar Stunden da sein werden. Die kommen nie pünktlich", erwidert Zeke und rollt mit den Augen.
"Klaus und Fips kommen immer pünktlich. Du bist immer zu früh da", meint Rhun.
"Das hat etwas mit Anstand zu tun. Man sollte immer eher da sein", verteidigt der Sandmann sich.
Schon zum dritten Mal innerhalb der letzten fünf Minuten blickt Zeke zu Idalia. Sie hat sich keinen Millimeter bewegt, und doch scheint sie seine volle Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Zehn Minuten vorher war sie, dank des Wächters, am Tisch eingeschlafen. Ihre Arme hat sie verschränkt und nutzt sie als provisorisches Kopfkissen.
Eine ihrer blonden Strähnen hängt ihr sanft über die Wange. Ihr Gesicht wirkt entspannt, fast schon friedlich, während sich ihre Schultern in einem gleichmäßigen Rhythmus heben und senken.
"Du solltest dich nicht zu sehr an Idalia hängen. Du wirst sonst noch emotional abhängig, und das wird nicht gut ausgehen", entkommt es Rhun. Mit ernstem Gesicht schaut er zu Zeke.
"Ich bin und werde nicht abhängig von ihr. Außerdem brauchst du mir keine Ratschläge in sowas zu geben. Immerhin habe ich keine Crew, die mich seit Jahrhunderten begleitet", antwortet der Sandmann, wendet dabei seinen Blick aber nicht von der jungen Frau ab.
"Idalia ist noch jung. Sie wird dich verlassen, und dann musst du wieder alleine klarkommen", macht Rhun weiter.
Zeke öffnet den Mund, um einen spöttischen Kommentar von sich zu geben, doch die Worte bleiben ihm im Hals stecken. Seine Lippen bleiben stumm, während Rhuns Worte wie ein Echo in seinem Kopf widerhallen. Könnte Rhun Recht haben? Ist er gerade dabei, von Idalia abhängig zu werden? Nein, zwischen ihnen war und wird nie mehr als eine ganz normale, gesunde Freundschaft sein. Er schüttelt den Kopf, um die aufkommenden Zweifel zu vertreiben.
Der Sandmann versucht, sich an die unzähligen Male zu erinnern, in denen er alleine zurechtgekommen war. Zeke ist ein Wächter, ein uraltes Wesen mit unglaublichen Fähigkeiten. Er braucht niemanden – oder zumindest sollte er niemanden brauchen. Doch warum kommt es ihm plötzlich so vor, als sei die junge Frau in den letzten Jahren ein unverzichtbarer Teil seines Lebens geworden? Ihre Lebhaftigkeit, ihre durchgängige Empathie und ihre Fähigkeit, selbst in den dunkelsten Momenten ein wenig Licht zu finden, hatten etwas in ihm bewegt, das er längst als verloren geglaubt hatte: Hoffnung und Freude.
Nein, er kann alleine klarkommen. Schließlich hatte er das die letzten Jahrhunderte auch schon getan. Doch tief in seinem Inneren ist immer noch dieser kleine, leise Zweifel, der weiter an ihm nagt – ein Zweifel, den er vor allem sich selbst nicht eingestehen will.
Wie aus dem Nichts ist von draußen ein lautes Quietschen zu hören und kurz darauf ein Krachen. Beide Brüder springen geschockt auf und rennen zum Eingang. Kampfbereit hebt Rhun sein Zepter und lässt es mit seiner Magie aufleuchten. Doch er lässt es sofort wieder sinken, als die Zahnfee den roten Ferrari sieht. Wütend zieht Zeke seine Augenbrauen zusammen und stürmt mit geballten Fäusten auf das Auto zu.
Ein Mann mit einer Weihnachtsmütze, einem prächtigen Bart und einem selbstsicheren Lächeln steigt mit einem theatralischen Schwung aus dem Wagen. Genüsslich streckt er sich und guckt sich mit einem zufriedenen Nicken um. "Mal wieder perfekt eingeparkt", verkündet er stolz, mit einem Grinsen, das von Ohr zu Ohr reicht, und klopft sich dabei selbst auf die Schulter.
Auf der anderen Seite des Wagens öffnet sich die Tür, und heraus taumelt ein halber Hase. Eine Hand hat er auf seinen flauschigen Bauch gelegt, die andere hält er sich schützend vor den Mund, während sein Gesicht eine ungesunde grünliche Färbung annimmt.
"Scheiße, ist mir schlecht", keucht der Osterhase mit gequälter Stimme und macht ein alarmierendes Würgegeräusch.
"Was zur Hölle hast du hier getan?", brüllt Zeke mit einer Stimme, die vor Wut und Ungläubigkeit zittert. Seine Augen funkeln bedrohlich, während er seinen Bruder mit einem durchbohrenden Blick fixiert.
"Ich habe eingeparkt", meint Klaus, ohne die Wut zu bemerken, und lehnt sich lässig gegen seinen Wagen. Dabei verschränkt er die Arme vor der Brust, als hätte er gerade ein Meisterwerk vollbracht.
"Du hast uns fast umgebracht, das hast du getan", murmelt Fips, mit mühsam unterdrückter Übelkeit. Seine sonst so aufrecht stehenden Ohren hängen kraftlos herab, und er sieht aus, als würde er jeden Moment umkippen.
"Ach komm schon, Hase, stell dich nicht so an. Ich bin mal wieder perfekt gefahren", lacht Klaus.
Mit einem lockeren Schritt geht er um das Auto herum, auf Zeke zu, der mit verschränkten Armen vor den Überresten seiner kunstvollen Skulpturen steht. Die ehemals majestätischen Figuren aus Sand, die er mit eigenen Händen geformt hatte, sind nun über den ganzen Boden zerteilt. Nichts ist mehr übrig von ihnen.
Bevor Zeke reagieren kann, wird er mit einem überraschten Quietschen von zwei kräftigen Armen umschlungen. Es wäre ein Wunder, wenn nicht gleich alle Knochen des Wächters gebrochen wären. Zeke spürt, wie die langen, weißen Barthaare von Santa seine Nase kitzeln."Klaus, lass mich sofort los!", knurrt er und versucht, sich von seinem großen Bruder zu befreien.
Mit einem Lachen lässt Klaus ihn wieder runter. Zeke stolpert zurück, als er wieder festen Boden unter seinen Füßen spürt.
Rhun und Fips lachen leise, als sie das genervte Gesicht des Sandmanns sehen. Genervt klopft er seinen Poncho ab und streicht ihn energisch glatt.
"Sag mal", grinst Fips spöttisch, nachdem sich sein Magen wieder beruhigt hat, "kann es sein, dass du jedes Mal ein Stückchen kleiner wirst, je länger wir uns nicht sehen?"
Zekes Augen verengen sich zu Schlitzen, und ein gefährliches Knistern liegt in der Luft. "Und kann es sein, dass deine Sprüche jedes Mal schlechter werden?" faucht er zurück, seine Stimme voller Spott. Böse starren sich die beiden Geschwister an.
Rhun, der den Streit schon kommen sieht, hebt leise seufzend sein Zepter und lässt es mit einem dumpfen, aber eindrucksvollen Klang auf den Boden treffen. "Es reicht jetzt", sagt er bestimmend. "Wir sollten reingehen. Es gibt Wichtigeres zu besprechen, und hier draußen könnten ungebetene Ohren zuhören."
Klaus hebt eine Augenbraue. "Und was genau soll das sein?" fragt er neugierig. "Wie gesagt, wir besprechen das besser drinnen." Mit einem epischen Schwung dreht sich Rhun um und geht zurück in die Sandburg. Zeke und Fips werfen sich noch einen letzten Killerblick zu, bevor sie Rhun zusammen mit Klaus folgen.
Währenddessen ist Idalia ebenfalls aufgewacht. Sie hatte sich gefragt, wo die beiden Wächter geblieben sind, und war durch die Burg gelaufen. Nach ein paar Minuten hatte sie die Suche jedoch aufgegeben und sich in ihr "Labor" zurückgezogen, um sich abzulenken.
Nun steht sie an ihrem hölzernen Arbeitstisch, der von Kratzern und eingetrockneten Flecken übersät ist, und betrachtet die Zutaten, die sie sorgfältig vor sich ausgebreitet hat. Mit einem Lächeln auf den Lippen beginnt sie leise und fröhlich, ein Abba-Lied zu summen, das den ganzen Raum erfüllt.
Behutsam nimmt sie eine kleine Phiole in die Hand, die eine lilafarbene, magisch schimmernde Flüssigkeit enthält. Das Glühen des Elixiers spiegelt sich in Idalias Augen wider, als sie den Korken löst.
Ruhig gießt sie die glitzernde Flüssigkeit in einen alten, schmutzigen Topf, der auf einem kleinen, schwach flackernden Feuer steht. Als das Elixier zischend auf den Boden des Topfes trifft, setzt sich eine hauchdünne Nebelschicht frei. Fasziniert beobachtet Idalia, wie sich die Farbe des Tranks langsam in ein leuchtendes Violett verwandelt. Diese Alchemie raubt ihr jedes Mal aufs Neue den Atem.
Als Nächstes greift sie zu einem frischen Zweig Pfefferminze, dessen Blätter in einem satten Grün leuchten und einen belebenden Duft im Raum verströmen. Mit einem scharfen Messer zerteilt sie zwei Blätter in feine, gleichmäßige Stücke, wobei der angenehme Minzgeruch die Luft erfüllt. Tief atmet Idalia durch. Sie liebt diesen Geruch.
Die zerschnittenen Blätter lässt sie in den Topf fallen, wo sie langsam auf der Oberfläche treiben, bevor sie in dem Trank versinken. Idalia tritt einen Schritt zurück und beobachtet freudig, wie die Mischung leise zu brodeln beginnt.
Erschrocken reißt Idalia den Kopf hoch, als die Tür abrupt aufspringt und Zeke ins Zimmer stürmt. Seine sonst so entspannte Art ist völlig dahin. Seine Schultern heben und senken sich hektisch, sein Atem geht schwer, und in seinen Augen ist völlige Sorge zu erkennen. Für einen Moment scheint er das Zimmer abzusuchen, doch als sein Blick auf Idalia fällt, verfliegt die Anspannung von seinem Gesicht, und er atmet erleichtert auf. Ohne zu zögern, geht er schnell auf die junge Frau zu und zieht sie fest in seine Arme, so fest, dass sie einen Moment die Luft anhalten muss.
"Du kannst doch nicht einfach so verschwinden! Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert – dass dich jemand entführt hat oder so!", murmelt er. Seine Stimme ist rau, und vor allem ist die Angst zu hören, die noch nicht ganz abgeklungen ist. Er verstärkt den Griff um Idalia, als wollte er sicherstellen, dass sie wirklich da ist und nicht gleich wieder verschwindet.
Idalia kann sich ein leises Kichern nicht verkneifen. Es ist etwas lustig, Zeke so besorgt zu sehen. Sonst tut er immer so, als hätte er kein Herz. Doch die junge Frau genießt die Wärme der Umarmung und die Fürsorge, die von dem Wächter ausgeht. Das hatte sie lange nicht mehr so gespürt.
"Ihr wart doch plötzlich weg. Ich hatte euch gesucht, und als ich euch nicht gefunden habe, bin ich eben hierher", erwidert Idalia unschuldig, während ein amüsiertes Lächeln über ihre Lippen huscht.
Zeke seufzt und löst sich letztendlich aus der Umarmung, auch wenn sein Blick noch für einen Moment prüfend auf seiner Nichte ruht. "Du machst mich wahnsinnig, weißt du das?" Er schüttelt leicht den Kopf, bevor sein Blick zum Kessel auf dem Feuer wandert, aus dem eine große Dampfwolke aufsteigt. Schnell stellt er den kochenden Trank vom Ofen.
"Komm mit. Die anderen sind schon da, und ich will die nicht länger allein in meinem Haus lassen. Die fackeln hier noch alles ab", murmelt der Sandmann, nimmt Idalia sanft, aber bestimmt am Handgelenk und zieht sie aus dem Raum.
Rhun ist inzwischen schon am Ende seiner Nerven. "Warum sind wir überhaupt hier?", wiederholt Fips zum dritten Mal, nun deutlich gereizt. Rhun schnaubt und reibt sich die Schläfen. "Habe ich nicht gerade eben gesagt, dass ihr es gleich erfahren werdet? Geduld ist offenbar nicht deine Stärke", erwidert die Zahnfee entnervt.
Interessiert begutachtet Klaus die Wände des Besprechungsraums. Er war schon sehr lange nicht mehr hier gewesen. Viel hatte sich über die hundert Jahre aber nicht verändert. Das Einzige sind diese kleinen Risse in der Wand. Die sollte der Sandmann echt mal reparieren lassen, sonst werden sie immer schlimmer.
Genau in diesem Moment öffnet sich die schwere Tür des Raumes, und Zeke tritt ein. Er streicht seinen Poncho glatt und fixiert Klaus und Fips mit zusammengekniffenen Augen. "Seid jetzt bitte beide so normal wie möglich und blamiert mich nicht", bittet der Wächter und schaut vor allem Fips an, der sofort die Augen verdreht. "Wir sind doch immer normal", erwidert Klaus darauf und verschränkt die Arme.
Rhun prustet los, als er das hört. Das glaubt Klaus doch selbst nicht.
"An deiner Stelle würde ich leise sein, Rhun. Du bist doch der Unnormalste von uns allen!", zischt Fips scharf.
Der Kommentar lässt Rhuns Gesicht für einen Moment entgleisen, doch dann setzt er wieder seine übliche kalte Maske auf und umfasst wütend sein Zepter.
Bevor die Situation weiter eskalieren kann, öffnet sich die Tür ein weiteres Mal, und Idalia tritt mit einem fröhlichen Lächeln ins Zimmer. Ihre Anwesenheit wirkt wie ein erfrischender Hauch in der angespannten Luft. "Hallo", begrüßt sie Fips und Klaus mit strahlender Stimme und einem fröhlichen Winken. Ihre Leichtigkeit prallt jedoch direkt auf eine Welle der Überraschung.
Klaus und Fips starren sie an, ihre Augen weiten sich ungläubig, und ihre Münder klappen synchron auf, als ob sie nicht glauben könnten, was sie da sehen.
"Seit wann hast du eine Partnerin?", fragt Klaus schließlich flüsternd, während er langsam auf Idalia zugeht.
Zeke verzieht angewidert das Gesicht. "Wieso denkt eigentlich jeder, dass Idalia meine Freundin ist?", kommt es genervt vom Sandmann.
"Ich bin eure Nichte", korrigiert Idalia amüsiert. Ihre Augen glitzern belustigt, während sie die Reaktionen der beiden Brüder beobachtet. "WAS?", Klaus' Stimme überschlägt sich vor Schock. Der älteste Bruder wirbelt herum, sieht Zeke an und zeigt dann auf Idalia. "Zeke, seit wann hast du ein Kind? Wieso hast du sie uns nie vorgestellt?", ruft Santa vorwurfsvoll seinem jüngeren Bruder zu.
Der Sandmann rollt mit den Augen. "Sie ist nicht meine Tochter. Sie ist die Tochter unserer Schwester Nayeli."
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Boah, hat das wieder Spaß gemacht! Dieses Mal gibt es auch wieder ein längeres Kapitel. Ich hoffe, wie immer, es hat euch gefallen :D
Was denkt ihr über die Beziehung zwischen Zeke und Idalia? Meint ihr, Rhun hat recht? Schreibt es gerne in die Kommentare! XD
Naja, das war's dann mal wieder von mir. Bis zum nächsten Kapitel!
~Tamia~
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