Kapitel VIII: Erinnerung

Ein kleiner Spaziergang wird sicherlich was gegen diesen abnormalen Kater helfen, dachte sich Idalia, nachdem sie mit heftigen Kopfschmerzen aufgewacht ist. 

Nun ist sie also bei strahlender Nachmittagssonne draußen und läuft durch einen kleinen Park, in der Nähe ihres Hauses. Viel ist nicht los. Ab und zu sieht man ältere Pärchen auf Bänken sitzen und Vögel füttern oder Teenies, die heimlich rauchen und rumknutschen. Genießerisch atmet Idalia die frische Luft ein. Es ist ein angenehmer Sommertag, warm und etwas windig. 

Man erkennt noch leichte Augenringe durch den fehlenden Schlaf der letzten Nacht. In Idalias Kopf ist es tatsächlich mal ruhig. Das Einzige, woran sie gerade denken kann, ist, wie stark ihr Kopf hämmert und wie gut dieser Spaziergang tut. Vor einem kleinen Teich bleibt Idalia stehen und schaut sich den Ausblick an.

Die Sonne glitzert auf der Wasseroberfläche und ein paar Enten schwimmen darüber. Schnell holt Idalia ihr Handy heraus und macht ein paar Fotos von den Vögeln, um es ihrer besten Freundin zu schicken. Danach steckt sie es wieder ein und macht sich auf den Rückweg. 

Es wird immer ruhiger, umso weiter sie sich dem Ausgang nähert. Die Straßen sind kaum befahren. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es Sonntag ist und sich jeder zu Hause ausruht. Eine leichte Prise weht durch Idalias kurzen Haare und sie schließt ihre Augen. Plötzlich hört sie ein Rascheln hinter sich.

Neugierig und verwirrt dreht sie sich um. Niemand ist zu sehen. Vielleicht war es ja einfach ein Tier. Die Braunhaarige zuckt mit ihren Schultern und läuft einfach weiter. Doch da. Schon wieder das Rascheln. Nun misstrauisch dreht sich Idalia wieder um. Dieses Mal steht aber eine Gruppe aus circa fünf Männern auf dem Weg. Ihre Kleidung ist schwarz und die Maske über ihren Gesichtern gibt Idalia eine Gänsehaut. In den Augen der Männer ist pure Selbstsicherheit zu sehen. 

Geschockt und verwirrt stolpert Idalia einige Schritte zurück. "Ähm, alles gut bei euch? Braucht ihr irgendwie Hilfe?", unsicher lässt sie ihre Augen über die Gruppe schweifen. Ein abfälliges Lachen entkommt einem der Masken. Langsam umrunden die anderen Idalia. Angst überkommt sie. "Nach so vielen Jahren haben wir dich gefunden", beginnt der kräftigste von allen an zu sprechen. Aus seiner Tasche zieht er langsam etwas Rotleuchtendes. Idalias Augen weiten sich und ihr Atem stockt.

Wieso ist es ihr nicht eher aufgefallen? Das sind die Masken aus ihrem Traum und das, was der Mann dort in seiner Hand hält. Nein, das ist nicht möglich. Verängstigt beginnt Idalia an zu zittern. "Was- Was wollt ihr von mir?", ihre Stimme ist piepsig und heißer. Die Masken kommen immer näher auf Idalia zu. "Umso mehr du dich wehrst, desto schmerzhafter wird es", kommt es von dem Mann vor ihr. 

Panisch läuft Idalia rückwärts, doch ihr Rücken stößt nur mit einer anderen Maske zusammen. Mit weiten Augen und schnellem Atem stolpert sie wieder zurück. "Lasst mich bitte in Ruhe! Ich hab doch gar nichts getan!", ihre Kopfschmerzen sind längst vergessen. Pure Angst füllt ihre Augen. 

Plötzlich wird sie von zwei Männern an ihren Handgelenken gepackt, wie zwei eiserne Ketten, die sie nie loslassen werden. Schreiend versucht sich Idalia aus ihren Griffen zu winden. Adrenalin wird durch ihre Venen gepumpt. Ohne groß darüber nachzudenken, beißt sie dem Mann auf ihrer linken Seite ins Handgelenk. Mit einem Zischen zieht er seine Hand weg. "Miststück!", flucht er wütend, doch sie zögert nicht. Idalia tritt dem Mann rechts von ihr heftig ins Schienbein. Auch er lässt sie schnell los. Wegrennen kann die junge Frau aber vergessen. 

Von hinten wird sie fest an ihrer Schulter gepackt und nach hinten gerissen. Schnell rammt Idalia ihren Ellenbogen in den Bauch des Mannes. Ein Keuchen entkommt ihm. Doch in diesem Moment durchfährt ein schneidender Schmerz ihre Seite. Alles in Idalia erstarrt. Geschockt dreht sie sich um, nur um zu sehen, wie die Klinge des Dolchs über ihre Wange gleitet. Ein brennender Schmerz flammt auf, und heißes Blut rinnt ihre Wange hinunter. Genauso tut es auch an ihrer Seite, wo der Dolch sie das erste Mal getroffen hat.

All das geschieht in Sekundenbruchteilen, doch für Idalia dehnt sich die Zeit, jeder Schlag ihres Herzens ist ein Echo in der lähmenden Stille. Die Zeit bleibt wortwörtlich stehen und Idalias Körper erstarrt. 

Wie aus dem Nichts wird alles schwarz um sie herum. Ein erdrückendes Gefühl überkommt Idalia und verwirrt schaut sie sich um. Das schmerzhafte Pochen in ihrer Seite lässt nicht nach. Eine alte braune Tür erscheint vor der jungen Frau. Misstrauisch begutachtet Idalia sie. Doch langsam hebt sie ihre Hand und dreht den Türknauf. Mit einem Quietschen öffnet sich die alte Tür und Idalia geht, ohne nachzudenken, durch sie durch.                  

Die schwarze Leere wird von einem kleinen, geräumigen Badezimmer ersetzt. Kleine Fließen bedecken den Boden und die Wände. Pflanzen sind über den Raum verteilt. Eine Badewanne mit Duschvorhang befindet sich direkt neben Idalia. Doch schon hat die junge Frau wieder die Kontrolle über ihren Körper verloren. Automatisch läuft sie nach vorne und bleibt vor einem kleinen, weißen Waschbecken stehen. 

Langsam bewegt sich ihr Kopf nach oben und sie schaut in einen Spiegel. Idalias Atem stockt erschrocken. Anstatt sich selber im Spiegel zu sehen, sieht sie eine junge Frau mit schwarzen, brustlangen Haaren. Ihr Gesicht hat leichte asiatische Züge.

Ein sanftes, gar trauriges Lächeln spielt auf ihren Lippen. Die braunen Augen der Frau sind gefüllt mit Bedauern, Besorgnis und endloser Liebe und Güte. "Meine Idalia", ihre Stimme ist sanft und ruhig. Realisierend fängt Idalias Herz an, schneller zu schlagen. "Ich schätze, du bist ziemlich verwirrt, was hier gerade passiert, oder?", leicht amüsiert lacht die Frau auf. "Ich bin Nayeli, deine-", sie stockt. Idalia spürt die gemischten Gefühle der Frau. Unsicherheit, Furcht und vor allem Stolz. "Deine Mutter."

Idalias Gedanken rasen. Wie kann das sein? Wieso sieht sie das hier? "In diesem Moment, wenn du das hier siehst, wurden deine Kräfte aktiviert. Ich hoffe natürlich, dass ich dabei bin, wenn es passiert, aber vermutlich wird dies nicht der Fall sein", ihre Mundwinkel fallen leicht und Trauer macht sich in ihr breit, doch sie zwingt sich wieder ein Lächeln auf. "Wir beide sind miteinander verbunden. Meine Erinnerungen sind deine und umgekehrt. Dein Papa und ich werden dir nichts gesagt haben. Wir waren uns einig, dass du eine ganz normale Kindheit haben sollst, eine Kindheit, die ich nie haben konnte." 

Um sich selber zu beruhigen, streicht sich Idalias Mutter über die Arme. "Ich bin in einem Waisenhaus aufgewachsen, zusammen mit meinen fünf Brüdern. Wir alle hatten besondere Kräfte und die Nonnen experimentierten an uns herum. Sie wollten mehr über uns wissen. In der Zeit glaubten die Menschen noch an Hexen, deswegen durften wir das Waisenhaus nie verlassen", man sieht deutlich, dass sich Nayeli nicht wohlfühlt, über dieses Thema zu sprechen.

Mitleid überkommt Idalia. "Eines Tages hielt ich es nicht mehr aus. Ich wollte die Welt erkunden, neue Menschen kennenlernen. Also verließ ich meine Brüder und entfernte ihre Erinnerung an mich. Nur Eos ließ ich sie, mit ihm war ich schon immer am engsten gewesen. Er verstand mich", Reue taucht in den Augen von Idalias Mutter auf.

Ein ungutes Gefühl macht sich in Idalia breit. Ist er für ihren Tod schuld? Dafür, dass Idalia angegriffen wurde? Plötzlich ist von draußen eine Tür zu hören, die gerade zugeht. Erschrocken dreht sich Nayeli um, doch beruhigt sie sich wieder, als sie ihren Mann sieht. Idalias Herz setzt aus, als sie ihren Vater nach vier Jahren wieder sieht. "Wieso bist du schon so früh hier?", hört Idalia ihre Mutter fragen. Das Gesicht ihres Vaters spannt sich an. So besorgt hat sie ihn noch nie gesehen. "Die Masken, sie haben uns gefunden. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr", erzählt Idalias Vater.

Ein Gefühl purer Furcht überflutet Idalia. Sie kann kaum noch unterscheiden, was ihre Gefühle sind und die ihrer Mutter. Der Blick von Nayeli flüchtet kurz zur Seite. Friedlich am Tisch malend, sitzt ein kleines Kind. Ihre Augenbrauen sind leicht zusammengezogen und ihre braunen Haare fallen dem Mädchen vor ihr Gesicht.

So schnell wie Nayeli zu dem Kleinkind geguckt hat, so schnell guckt sie auch wieder zu ihrem Mann. "Gut, dann müssen wir hier schnell weg. Bitte nimm Idalia", beschließt die Mutter. Nickend dreht sich Idalias Vater um und verlässt das Badezimmer.

Nayeli dreht sich wieder zum Spiegel. "Es tut mir leid. Ich hätte dir gerne noch so viel mehr erzählt. So viel mehr", ihr steigen Tränen in den Augen und Nayeli muss sich ein Schluchzen unterdrücken. "Meine Brüder können dir helfen. Fips, Klaus, Rhun und Zeke sind ihre Namen. Gib ihnen ihre Erinnerung zurück. Sie werden dich so sehr lieben, da bin ich mir sicher", ein trauriges Lächeln ziert Nayelis Lippen und eine Träne läuft ihr die Wange runter. "Ich liebe dich über alles, Schatz. Ich wünschte, wir hätten viel mehr Zeit miteinander verbringen können. Vergiss nicht, ich bin immer bei dir und werde dich beschützen", sie legt eine Hand auf ihre Brust.

Plötzlich wird alles grell weiß und ein Schrei entkommt Idalia als sie wieder zurück in die Realität kommt. Panisch guckt sie sich um und sieht, wie alle Maskenmänner bewusstlos auf dem Boden liegen.

Zitternd legt Idalia ihre Hand auf ihre Brust. Sie spürt immer noch die Hand ihrer Mutter. Nun fließen auch der jungen Frau Tränen die Wangen runter. "Mama", ihre Stimme bricht. Idalia wird bewusst, dass sie sofort hier weg und zu Zeke muss. Schnell geht sie aus dem Park heraus. 

Der stechende Schmerz in ihrer Seite macht sich wieder breit. Die Wunde blutet zum Glück nicht mehr. In Idalia herrscht ein totales Chaos. Was ist da gerade passiert?

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Und das war es mit einem weiteren Kapitel! Sorry, dass es so verspätet kam, Sandmann Spin-off hat mich auseinandergenommen XD

Dieses Kapitel ist tatsächlich eines der wichtigsten in der ganzen Geschichte. Idalia hat endlich ihre Kräfte und sie ist mit den Wächtern verwandt! Hat das einer von euch erwartet? XD

Ich hab mich mal an emotionalen Szenen versucht. In sowas bin ich echt noch nicht gut, aber ich hoffe trotzdem, dass es euch gefallen hat! <3

Danke außerdem für so viele Reads und Votes! Ich freue mich so sehr, dass jemand diese Geschichte liest! Zudem auch danke, dass ihr solche netten Kommentare hinterlasst! Fühlt euch alle gedrückt von mir! <3

Das wars auch erstmal von mir. Bis zum nächsten Kapitel!

~ Tamia ~

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