Kapitel 9 - Wendy

"Ein Mädchen ist mehr wert als zwanzig Jungen." 

- Peter Pan, JM Barrie - 

Inzwischen war in Westminster niemand mehr auf den Straßen, denn es war weit nach drei Uhr in der Nacht. Es hatte begonnen zu regnen, alles wirkte noch düsterer und das Donnergrollen am Himmel spiegelte die Stimmung im Innern Hooks wider.
Der Arzt im Hospital hatte ihm Opium gegen die Schmerzen gegeben. Ob er seine Hand je wieder würde benutzen können, würde sich mit der Zeit zeigen müssen. Sein Körper war deshalb genauso bleiern und schwer, wie seine Gedanken.

Als James Hook die Stufen zu seinem Haus hinaufging, brannte nur noch im Wohnzimmer hinter den Vorhängen Licht. Seine Frau saß in ihrem Schaukelstuhl vor dem Kamin und strickte. Als er eintrat, bot ihr Gesicht ihm zuerst Erleichterung darüber, dass ihr Mann nach Hause zurückgekommen war, dann den aufsteigenden Ärger, den er erwartet hatte.

„James Hook, ist dir klar, dass es bereits zur dritten Stunde geschlagen hat?!", drang ihre Stimme gedämpft und doch voller liebevollem Groll an seine Ohren. Es gab nichts Furchteinflößenderes und zugleich Bezaubernderes, als den Zorn seiner Frau.

„Ich weiß, Darling", meinte der sonst so stoische Captain beschämt, in Anbetracht weiblichen Ärgers. Seine Schultern wurden, sofern das überhaupt möglich war, noch schwerer und sanken augenblicklich noch tiefer.

Die Züge seiner Frau wurden weicher, als er an ihren Schaukelstuhl trat und sich zu ihr neigte, um erst ihr einen Kuss in den Mundwinkel und dann einen weiteren, auf ihren großen, runden Bauch zu setzen.


Als seine Frau die Verletzung an seiner Hand sah, brach ihre Miene in Sorgen auf.
„James! Was ist geschehen?" Sie erhob sich schwerfällig aus dem Stuhl und tastete vorsichtig nach dem Ärmel seines vom Regen nassen Mantels, um ihm herauszuhelfen.

„Pan", antwortete Hook. Seine Stimme schwang voller Frust und Resignation. „Wir hatten ihn beinahe."

„James." Die weichen Hände seiner Frau legten sich an seine Wangen und strichen über seinen stets ordentlich gestutzten Bart. „Du verlierst dich noch in diesem Fall. Du bist Nächte und tagelang fort, kommst spät nach Hause. Deine Tochter hat dich seit Tagen nicht gesehen." wisperte sie sachte und James spürte die Last dieser Wahrheit auf seinen Schultern.

„Kinder werden viel zu schnell erwachsen. Du fehlst uns. Du bist auch James. Nicht nur Captain Hook", erinnerte sie ihn.

„Ich weiß", murmelte er leise und seufzend setzte er einen Kuss auf die Innenseite ihrer Handflächen. „Komm. Lass uns zu Bett gehen. Es ist schon spät."

Er wusste, dass seine Frau recht hatte. Seine Gedanken kreisten ständig um Pan und diesen Fall. Darum, wie er ihn erwischen und endlich aufhalten konnte.

James Hook fuhr sich mit den Fingern durch die dunklen Locken. Ein seltsames, rastloses Gefühl lag in seinem Magen. Der Gang lag in friedlicher Dunkelheit da. In der Stube tickte die große Standuhr und fahles Mondlicht fiel durch den Spalt der Kinderzimmertür in den Flur.

James blieb vor der Türe stehen. Vorsichtig und leise legte er die Hand an den Türknauf, um seine Tochter nicht zu wecken und schob sie dann langsam ein kleines Stück weiter auf.
Irrte er und bildete sich nun schon Dinge ein, oder hatte er eben ein Geräusch gehört?

„Wendy?", fragte James leise in die Stille der Nacht, „Darling?"

In diesem Moment spürte er den kalten Luftzug, der durch das geöffnete Fenster in das Innere der Stube drang und sein Gesicht streifte. Sein Herzschlag zog augenblicklich an und er erstarrte.

Da rollte etwas zielgerichtet aus der Dunkelheit, wo es trudelnd gegen seinen Stiefel stieß. James Blick fiel hinab auf das, was zu seinen Füßen im matten Licht des Mondes lag und einen dunklen Schatten warf:

Eine Eichel.

- 𝐄𝐧𝐝𝐞? - 


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