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Während die Jungen warten, reden sie wieder miteinander, denn inzwischen hatten sie, vor allem Bo und Zak, Vertrauen aufgebaut. Kurz nachdem die Jungen eingetroffen sind, bittet Frau Silverstone sie hinein.

„Wie war eure Woche?", fragt sie lächelnd.

„Beschissen", sagt Maciek leise vor sich hin, da er nicht plant, dass ihm jemand zuhört und sein Gesagtes aufnimmt.

„Was ist passiert?", fragt Bo ihn.

„Ähm, ich bin nicht erster geworden", gibt Maciek zu. Er schaut auf den Boden, da er sich schämt. Er kaut wieder auf seinen Lippen herum.

„Wobei?", fragt nun auch Arlo, dessen Interesse er geweckt hat.

„Bei meinem Wettkampf", sagt er, immer noch leise.

„Welchen Sport machst du?", fragt Zak, der direkt davon ausgeht, dass Maciek eine Sportart macht, denn er ist gut gebaut und es verstecken sich bestimmt Muskeln unter den vielen Klamotten, die er heute trägt.

„Ich schwimme", antwortet er, mit einem leichten Lächeln im Gesicht.

„Aber es ist doch gar nicht schlimm, wenn du mal nicht gewinnst. Wirst du sonst immer erster?", fragt Zak nun noch einmal, der davon ausgeht, dass Maciek ziemlich ehrgeizig ist und immer der Erste wird.

„Ja. Ich trainiere sehr hart und bin noch nie zweiter geworden", erklärt dieser.

„Zweiter ist doch gut", gibt nun auch Bo zu.

„Zweiter sein gibt's nicht bei uns in der Familie. Ich habe versagt"

„Du hast nicht versagt. Du bist zweiter geworden. Wie viele Teilnehmer gab es?", fragt Arlo, um ihn nun aufzuheitern.

„Um die 100"

„Um die 100 und du bist zweiter geworden?", fragt Drew begeistert.

„Ja, nur zweiter. Jetzt reib mir das doch nicht noch mehr unter die Nase. Ich weiß, dass ich versagt habe", erwidert er schnippisch.

„Ich finde das ehrlich gesagt, verdammt krass. Du bist unter 100 Leuten der fucking zweite geworden! Das ist der Hammer, Maciek!", freuen sich nun auch die anderen und springen auf um ihn zu umarmen, doch er weicht zurück und nimmt seine Wasserflasche, um sie wieder aufzufüllen.

„Er hat doch einen Knall, oder?", fragt nun Bo, der nicht versteht, weshalb Maciek reagiert, wie er reagiert, als er den Raum verlässt.

„Hör auf so über ihn zu reden. Er ist unser Freund", gibt Zak zurück.

„Ich denke, er hat seine Gründe und wenn er gleich wieder kommt, erfahren wir vielleicht mehr. Aber auch, wenn wir es nicht tun, dann ist das okay.", erklärt Arlo.

Kurz nachdem Arlo den Satz beendet, kommt Maciek mit einer vollen Wasserflasche wieder in den Raum hinein.

„Wieso starrt ihr mich alle so an?", fragt er, als er sich wieder auf seinen Stuhl setzt.

„Hast du die Wasserflasche immer dabei, weil du dich mit dem Wasser verbunden fühlen musst?", fragt Bo ihn nun, doch Maciek schüttelt den Kopf.

„Es hat nichts mit dem Schwimmen zutun. Obwohl, wenn man es so sieht, hat es wieder etwas damit zu tun", überlegt er laut und alle, bis auf die Therapeutin, schauen ihn gespannt an.

„Wieso ärgerst du dich so darüber, dass du zweiter geworden bist?", fragt Drew ihn nun.

„Weil ich versagt habe, habe ich euch jetzt doch schon tausend Mal erzählt", erklärt er ein erneutes Mal sein Problem.

„Aber warum denkst du, du hättest versagt? Selbst, wenn du der hundertste geworden wärst, hättest du nicht versagt, denn du wärst trotzdem ins Ziel gekommen", erklärt Arlo ihm.

„Ich bin ein Versager, wenn ich nicht der Beste bin. Ich bin ein Versager, wenn ich nicht der Erste bin. Es ist egal, ob ich zweiter oder der hundertste bin. Wenn ich nicht als erstes im Ziel bin, dann habe ich versagt", versucht er es noch einmal, den anderen Jungen sein Problem näher zu bringen. Doch sie können es nicht verstehen.

„Wer sagt das?", fragt Arlo nun interessiert.

„Meine Eltern", gibt er zurück. Im Raum wird es still. Keiner sagt etwas.

„Wir scheinen ja alle nicht besonders tolle Eltern zu haben", lacht Zak leise vor sich hin, nuschelt es eher, als es zu sagen in sich hinein.

„Meine Eltern leben nicht mehr und sie waren verdammt gute Eltern!", gibt Bo wütend zurück, seine Aggressivität vom ersten Mal ist wieder in seiner Stimme. Auch Drew und Arlo sagen etwas dagegen, denn auch sie sind in einem guten Elternhaus aufgewachsen.

„Mein Vater ist ebenfalls tot und er war der beste Vater der Welt. Wage es nicht noch einmal so über meine Eltern zu reden, denn meine Mutter ist auch die Beste und kümmert sich seitdem nur noch besser um mich", gibt auch er wütend zurück. Er scheint bei den beiden einen wunden Punkt getroffen zu haben.

„Ich glaube, ihr seid die einzigen, die beschissene Eltern haben. Ich kann mir keine bessere Mutter vorstellen", wird nun auch Drew wütend, denn seine Mutter, seine Schwester und sein bester Freund sind die einzigen Menschen, die ihn seit einer lagen Zeit akzeptieren, genauso wie er ist.

„Sorry Zak, aber ich muss leider auch sagen, dass meine Eltern ansonsten ganz in Ordnung sind. Sie streiten sich wegen dem Scheiß zwar die ganze Zeit, aber sie versuchen ihr bestes. Wir leben in einem großen Haus, wofür sie jeden Tag schuften gehen und sie tun alles dafür, damit ich glücklich bin. Sie versuchen mir, alles zu ermöglichen. Früher hat mir das Schwimmen Spaß gemacht, meine Eltern kommen mich anfeuern und unterstützen mich, wo sie können. Ich habe einfach Angst, ihnen zu sagen, dass ich aufhöre.", erklärt er.

„Es tut mir Leid. Eigentlich ist meine Mutter auch in Ordnung. Nur mein Vater ist das Arschloch. Er scheint der einzige zu sein", sagt er leise, sodass man ihn wieder kaum versteht.

„Ist schon okay. Wir wissen, dass du es nicht so gemeint hast", sagt Arlo und legt ihm eine Hand auf seine Schulter.

„Ja, wir verstehen das. Du hast echt eine beschissene Zeit durchgemacht", sagt nun auch Drew und auch die anderen fangen an, sich zu entschuldigen, da sie nicht wirklich sauer auf Zak sind.

„So Frau Silverstone, wir sind durch. Wir haben heute ein Problem charakterisiert und nun könnten wir theoretisch gehen", sagt Arlo frech zu der Therapeutin. Der Junge hat wirklich zu viel Selbstbewusstsein.

„Nein, so läuft das hier nicht, Arlo. Das war vielleicht letzte Woche so, weil wir uns da einig waren, dass die Jungs noch nicht so weit sind, sich den anderen zu öffnen. Doch nun hat Maciek den ersten Schritt gemacht und wir wollen ihn nicht unterbrechen. Ich glaube, er hat noch mehr zu sagen, was du dir nicht entgehen lassen solltest, mein lieber. Ich denke, du kannst ihm ein bisschen helfen", erklärt sie und drückt Arlo zurück auf seinen Stuhl.

„Ich halte den ganzen Druck einfach nicht mehr aus und weiß nicht, wie ich es meinen Eltern sagen soll. Ich will nicht mehr schwimmen", erklärt er den anderen und schaut ratlos in die Runde.

„Ich würde es deinen Eltern einfach sagen. Was ist denn das schlimmste, was passieren kann?", fragt Drew ihn.

„Sie könnten mich nicht mehr lieb haben, wenn ich ihnen sage, dass ich ihren größten Traum aufgeben will", erklärt er.

„Ich kann dir versprechen, dass sie dich noch lieb haben werden. Du bist ihr Kind und sie lieben dich über alles. Sie werden dich lieb haben, egal ob du nun schwimmst oder nicht", sagt Drew.

„Meinst du wirklich? Woher willst du das wissen? Du kennst meine Eltern doch gar nicht"

„Ich weiß es einfach. Ich musste meinen Eltern etwas anderes sagen, was mich noch viel mehr Überwindung gekostet hat, als dich das hier und sie lieben mich. Genauso wie ich bin", erklärt Drew lächelnd, als er an den Moment zurück denkt.

„Aber wie soll ich es ihnen sagen? Hi, Mom und Dad. Ich war gerade bei der Therapie und habe nun beschlossen mit dem Schwimmen aufzuhören, weil mir ein Freund geraten hat, es euch einfach so zu sagen. Was sagt ihr? Oder wie?" , fragt er nun verwirrt.

„Nein. Nicht so. Ich würde damit beginnen, dass du sie irgendwo hin bittest, dass sie sich setzen sollen und du dringend mit ihnen reden musst. Dann fragen sie dich vermutlich, was denn los sei und dann kannst du ihnen davon erzählen, dass das Schwimmen bei dir einen enormen Druck auslöst, dem du nicht mehr standhalten kannst. Dass sie dir diesen Druck noch verschlimmern, indem du immer der Beste sein musst und gerne damit aufhören würdest, weil dir deshalb der Spaß daran vergangen ist, oder so ähnlich", sagt Drew und schaut Maciek eindringlich an. Dieser nickt schwach und geht verschiedene Szenarien im Kopf durch, wie das Gespräch ablaufen könnte.

„Ich versuche es ihnen heute Abend zu sagen", versichert er den anderen. Danach wechseln sie das Thema und reden noch einmal über die bis jetzt vergangenen Gruppentherapiestunden.

„Ich finde es wirklich schön, wie sehr ihr euch schon nach fünf Wochen versteht und vertraut und wie ihr euch gegenseitig Ratschläge geben könnt. Ich finde, ihr macht das richtig toll und..." Sie blickt auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Wir haben schon überzogen, ich habe jetzt die nächste Patientin. Na los, raus mit euch", sagt sie und bricht das Gespräch ab, obwohl sie gerade noch im Feedback war. Da die Jungs allerdings fertig waren, ist diese Unterbrechung nicht sehr schlimm und sie stehen alle auf, um sich ihre Jacken im Warteraum zu holen. Frau Silverstone flitzt noch einmal auf die Toilette, bevor sie die nächste Patientin empfängt. Maciek ist der letzte im Raum, da er noch einmal seine Flasche auffüllen gegangen ist und sich nun seine Jacke aus dem Raum holt, als er wieder das Mädchen von neulich sieht. Sie lächelt ihn sogar an, bis er dann aus dem Warteraum verschwindet, um sich noch einmal umzudrehen und sie anzusehen. Sie schaut ihn ebenfalls an und lächelt. Dann fällt die Tür zu und er rennt den anderen hinterher, die schon zum Bus gelaufen sind. Sie treffen sich an der Bushaltestelle und fahren wieder gemeinsam nach Hause, bis sie alle wieder an der gleichen Haltestelle aussteigen müssen. Zak kann es dieses Mal aber nicht.

„Ich. Ich krieg keine Luft mehr", fängt er panisch an und setzt sich auf den Boden, doch Bo und Maciek schaffen es, ihn zu beruhigen. Sie sitzen alle gemeinsam auf dem Boden in der Mitte des Busses auf der anderen Seite des Ausgangs.

„Hier hast du gewohnt oder?", fragt Maciek ihn. Zak nickt, immer noch ohne Atem in der Lunge.

„Sollen wir eine Station weiter fahren?", fragt Maciek.

„Du kannst aussteigen, ich werde mich um Zak kümmern und ihn nach Hause bringen", bietet Bo an.

„Ist schon okay. Ich kann dir helfen", antwortet Maciek.

„Du musst doch bestimmt nach Hause. Wissen deine Eltern davon?", fragt Bo ihn. Bo umschreibt es, weil er nicht will, dass alle wissen, dass sie gemeinsam zur Therapie gehen, auch wenn Zaks Panikattacke danach aussieht.

„Wovon?", fragt Maciek, doch dann realisiert er, wovon Bo spricht und schüttelt den Kopf.

„Sie wissen rein gar nichts. Sie denken, ich bin glücklich. Aber das bin ich nicht. Innerlich bin ich schon lange gestorben. Aber ich zeige es ihnen nicht. Ich spiele den gut gelaunten Jungen, der immer der Beste sein muss" , erwidert er traurig und steigt aus dem Bus, der gerade schon die Tür schließen will, da nun die beiden Omas, sowie die Frau mit dem Kinderwagen und der Mann mit dem Rollstuhl ausgestiegen sind.

„Sag es ihnen!", ruft Bo ihm noch nach und kümmert sich dann weiterhin um Zak, dem es, nachdem der Bus weiter fährt, schlagartig wieder gut geht.

„Tut mir Leid", sagt er.

„Das passiert jedem Mal", erwidert er.

„Eine Panikattacke, weil das die Haltestelle seines alten Zuhauses ist? Ja, Klar", lacht Zak. Die beiden fahren eine Station weiter, um dann zu Fuß ein Stückchen zurück zu gehen, damit sie zum Kinderheim kommen. Es ist zwar ein kleiner Umweg, aber so muss Zak nicht in die gewohnte Umgebung.

„Ich werde meine Sachen wohl niemals abholen können", denkt Zak traurig nach.

„Ich könnte sie für dich holen", schlägt Bo vor.

„Nein!", schreit Zak schon fast. „Du holst sie auf keinen Fall. Mein Vater denkt sowieso schon, ich bin schwul und dann kann er das erst gar nicht gebrauchen. Wenn er denkt, du bist mein Freund, dann schlägt er dich vermutlich auch noch zusammen", erklärt er.

„Bist du es?", fragt Bo grinsend.

„Was?", fragt Zak verdutzt.

„Schwul", antwortet Bo mit Leichtigkeit in der Stimme. „Du musst es nicht beantworten, wenn du nicht willst. Ich hätte nichts dagegen, ich hatte viele schwule Freunde", fügt er schnell noch hinzu.

„Nein, bin ich nicht", antwortet Zak.

„Mein Vater hätte auch etwas dagegen. Deshalb hat er mich oft geschlagen, weil er dachte, ich sei schwul", antwortet er.

„Warum dachte er es?", fragt Bo.

„Keine Ahnung. Wenn ich von Arlo erzählt habe, dem neuen aus meiner Klasse. Er weiß nichts von der Therapie, sonst wäre ich vermutlich nicht mehr hier, dann dachte er es. Ich habe oft gelogen, um nicht geschlagen zu werden. Aber auch davor, wenn ich von anderen Jungs erzählt habe, weil er wissen wollte, wo ich war", sagt er.

„Bei mir bist du sicher", sagt Bo und umarmt ihn auf einmal, völlig aus dem Nichts.

„Ich kann deine Sachen trotzdem für dich holen. Du musst mir nur sagen, was", sagt er.

„Nein! Ich will es nicht, okay?"

„Ich werde mit solchen Typen fertig"

„Ich will es aber nicht. Akzeptier das!"

„Du hättest gerne dein Kuscheltier, oder?", fragt er auf einmal. Zak ist auf einmal hellwach, denn er hätte nicht gedacht, dass Bo sich daran erinnern kann und auch nicht, dass er sich nicht darüber lustig macht. Auch wenn er selbst eine kleine Giraffe besitzt. Aber bei ihm ist es etwas anderes, denn die Giraffe hat er damals von seinen Eltern zur Geburt bekommen und sie sind tot.

„Warum machst du dich nicht über mich lustig?", fragt er nun gerade heraus, denn andere hätten ihn definitiv dafür ausgelacht.

„Weil ich dich mag", erwidert Bo. Danach gehen die beiden schweigend den restlichen Weg ins Kinderheim zurück und melden sich wieder beim Betreuer.

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