29
In der nächsten Therapiestunde ist die Stimmung gedrückt, auch wenn der Urlaub kurz bevor steht. Drew geht es nicht gut, denn nachdem er Becca verkündet hatte, dass er Trans ist, braucht sie erst einmal Zeit für sich und muss darüber nachdenken. Bis jetzt hatte sie sich noch nicht bei ihm gemeldet und er wollte nicht darüber reden, denn es fühlt sich an, wie Versagen. Er wünscht sich nur, ein ganz normaler Junge zu sein. Dass er es nicht mehr erwähnen müsste. Seine Mastektomie würde nach den Sommerferien, wenn sie aus dem Urlaub kamen, anstehen und darauf freute er sich schon sehr. Es war ein sehr großer Schritt in die richtige Richtung. Die anderen Jungen waren auch eher schweigsam, aber dies war, weil sie glücklich waren. Ganz anders, als Drew.
Bo und Zak waren total verknallt ineinander und auch Maciek hatte endlich Erfolg mit Edda, denn sie würden sich noch einmal treffen. Arlo hatte eine gute Phase, in der er keine Angst hatte, dass der Krebs zurückkommen würde. Bo hatte keine Ausbrüche mehr gehabt, auch wenn die in einer Sekunde genauso schnell auftauchen, wie auch verschwinden konnten. Niemand der Jungen war sicher, aber sie besserten sich. Ihre Freundschaft füreinander stabilisierte sie. In der Stunde sprachen sie wieder über den anstehenden Urlaub, auch wenn Drew keine Lust mehr darauf hatte, weil Becca die ganze Zeit in seinem Kopf herumspukte. Sie sollte aus seinem Kopf gehen, denn sie wird ein Problem damit haben, dass Drew kein biologischer Junge ist. All solche Gedanken gehen durch seinen Kopf. Was er allerdings nicht weiß ist, dass die draußen vor der Praxis auf ihn wartet, um ihn auf ein weiteres Date einzuladen. Die Jungen verbringen ihre neunzig Minuten mit sinnlosem Gerede, weil niemand etwas Neues zu erzählen hatte. Keine Probleme sind in der letzten Woche aufgetreten. Sie erzählen ein wenig von der Party, aber schon bald sind die neunzig Minuten vorüber und es ist auch mal schön, eine Therapiestunde ohne Probleme und Sorgen abzuhalten.
Drew tritt aus dem Raum heraus und holt seine Jeansjacke von der Garderobe, denn er will so schnell wie möglich, in sein kleines blaues Zimmer und so schnell wie möglich von den anderen Jungen weg, bevor sie etwas über Becca fragen konnten. Er wollte nicht darüber reden. Er reißt die Jacke von der Stange und verschwindet, ohne die anderen zu verabschieden. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet und er geht schnell, damit er den Bus vor den anderen erreicht und nicht mit ihnen fahren muss. Vielleicht erreicht er den anderen Bus der auf der Strecke fährt und mit dem er auch nach Hause fahren kann. Als er jedoch hinaus rennt läuft er jemanden um.
„Tut mir Leid", nuschelt er, ohne die Person zu beachten. Sein Blick ist immer noch auf den Boden gerichtet.
„Drew?", fragt eine Stimme, die er genau zu ordnen kann.
„Becca?", fragt er und dreht sich im gleichen Moment um.
„Ja, ich bin es", lächelt sie und nimmt ihn dann in den Arm.
„Es tut mir Leid", entschuldigt sie sich.
„Das braucht es nicht. Es ist eine Menge zu verkraften, wenn man es nicht von Anfang an weiß. Das war es auch für mich", lacht er und löst sich aus ihrer Umarmung, nachdem er ein wenig überrumpelt von der Situation ist.
„Ich mag dich trotzdem. Genauso, wie du bist. Du bist einfach perfekt. Ich habe noch nie einen Jungen getroffen, wie dich. Denk deine Transsexualität weg. Ich meine es, auch den Aspekt rauslassend, dass ich noch nie einen Jungen getroffen habe, der sich so viel Mühe gegeben hat, der einfach mal einen guten Musikgeschmack hat, der perfekt aussieht. Du bist einfach, wie von einem anderen Stern", sagt sie und küsst ihn. Sie ist vorsichtig, ihre Lippen berühren sich kaum. Er schließt die Augen und nimmt ihr Gesicht in seine Hände. Sie schmeckt wieder nach Erdbeere.
„OUHH", kreischen die anderen Jungen, die nun auch aus der Praxis heraus kommen. Drew muss ungewollt in den Kuss hinein lächeln.
„Ich habe mich in dich verliebt", sagt sie, als sie sich wieder voneinander lösen. Er küsst sie noch einmal. Dieses Mal treffen ihre Lippen ganz aufeinander.
„Woher wusstest du, dass ich hier bin?", fragt er.
„Ich habe mich informiert", grinst sie.
„Was?", fragt er verdutzt.
„Naja. Holly und Bash verbringen ziemlich viel Zeit miteinander. Ich habe einfach Bash gefragt und der meinte, dass du hier bist", grinst sie und nimmt seine Hand, um mit ihm die Treppen von der Praxis herunter zu gehen.
„Meinst du, die beiden sind jetzt zusammen?", fragt Drew grinsend.
„Ich denke schon", lächelt sie ihn an und gibt ihm noch einmal einen Kuss auf die Wange. Die anderen Jungen verlassen langsam die Praxis, nur Maciek ist noch in der Praxis, um sich seine Jacke zu holen, die er das erste Mal dort aufgehängt hatte.
„Edda?", fragt er lächelnd, als er sie erblickt.
„Maciek", lächelt auch sie ihn an.
„Hast du nach deiner Therapiestunde noch Zeit, etwas mit mir zu machen?", fragt er.
„Ich kann jetzt schon", sagt sie.
„Hast du keine Therapie?", fragt er.
„Nein", lächelt sie.
„Wieso bist du dann hier?", fragt er.
„Was wollen wir denn machen?", fragt Edda, ohne auf seine Frage zu antworten.
„Hast du Lust etwas essen zu gehen?", fragt er.
„Ist das nicht eine blöde Frage an jemanden, der magersüchtig ist?", fragt sie.
„Oh. Tut mir Leid. Stimmt. Geht es dir besser?", fragt er.
„Wieso?"
„Naja. Im Krankenhaus sahst du ziemlich schlecht aus", ergänzt er.
„Was? Ma-Frau Silverstone hat dir doch verboten, zu mir zu kommen. Ich wollte niemanden sehen. Jetzt weißt du ja, wie ich in meinen schlimmsten Zeiten aussehe", erwidert sie.
„Ich finde dich trotzdem noch sehr schön", grinst er. Die beiden treten nun ebenfalls in die Abendsonne.
„Ich bin früher geschwommen. Wollen wir vielleicht im See baden gehen?", fragt er.
„Damit du angeben kannst?", fragt sie lachend.
„Ja, vielleicht", grinst er. „Bei den anderen Mädels hat das immer funktioniert"
„Ich bin aber nicht die anderen", schmollt sie.
„Und ich will mich nicht vor dir ausziehen"
„Oh. Ist wohl auch eine scheiß Idee. Was würdest du denn gerne machen?", fragt er.
„Ich habe zufällig mitbekommen, dass du Musik machst. Magst du mir nicht etwas vorspielen?", fragt sie.
„Dann müssten wir zu mir gehen"
„Damit habe ich kein Problem"
„Okay. Dann müssen wir den Bus da nehmen, der gerade vor unserer Nase wegfährt. Scheiße", flucht er.
„Wir können doch spazieren gehen", sagt sie lächelnd und nimmt seine Hand, um sie mit ihrer zu verschränken. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass sie nun auch noch seine Hand nimmt. Dies waren seltsame Gefühle, er konnte Edda inzwischen nicht mehr zu ordnen. Er wusste nicht, was sie wollte und was ihr Ziel war. Entweder er mochte sie oder nicht. Aber sie war irgendwie dazwischen gefangen und das verwirrte ihn.
„Wir sind da", sagt er nach einer Weile und lässt ihre Hand los, um den Schlüssel heraus zu holen und die Tür auf zu schließen. Als er die Tür aufschließt, bemerkt er, dass seine Eltern nicht da sind, denn in dem Haus ist alles dunkel und sie haben drei Mal herumgeschlossen. Gott sei Dank, dann würde er keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Er stößt die Tür auf und schaltet das Licht an.
„Wow. Das ist verdammt groß", bewundert sie das Haus, als sie hineinkommen. Es stimmt, die Nowaks hatten einen verdammt großen Eingangsbereich. Maciek zieht sich die Schuhe aus und Edda macht es ihm nach.
„Meine Eltern sind nicht Zuhause. Du kannst schon mal nach oben, in mein Zimmer gehen. Es steht mein Name an der Tür", sagt er und begibt sich Richtung Küche. Dann dreht er sich noch einmal um.
„Wasser oder Orangensaft?", fragt er, obwohl er der Meinung ist, die Antwort schon zu kennen. Zu seinem Erstaunen sagt sie Orangensaft.
„Bei O-Saft kann ich einfach nicht wiederstehen", lächelt sie, als sie seinen verwunderten Blick sieht.
„Okay .Ich komme gleich", sagt er lächelnd und schenkt die beiden Gläser ein, um sie dann mit nach oben zu nehmen. Als er wieder oben ankommt, steht seine Zimmertür einen Spalt weit offen und Edda steht mitten in dem großen Zimmer, um es sich anzuschauen. Sie bewundert gerade die beiden Gitarren an der Wand.
„Ich habe gerade erst angefangen mit dem Musik machen. Vorher bin ich ja wie gesagt geschwommen", sagt er und sie zuckt zusammen.
„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken", sagt er und lacht. Dabei stellt er die beiden Gläser auf seinen Schreibtisch.
„Du hast ganz schön viele Pokale", sagt sie.
„Die sind alle ganz schön alt. Vom Schwimmen" , entgegnet er.
„Warum schwimmst du nicht mehr?", fragt sie und setzt sich nun auf den Schreibtischstuhl, um sich etwas von ihrem Orangensaft zu nehmen. Maciek setzt sich ihr gegenüber auf das Bett. Sie hat den Stuhl gedreht, sodass die beiden sich anschauen können.
„Wegen dem Druck. Wir sind der Meinung, dass vielleicht das Schwimmen meine Bulimie versursacht haben könnte", antwortet er.
„Oh"
„Was?"
„Ich dachte, du bist auch magersüchtig"
„Nein. Ich habe nur Bulimie, keine Magersucht"
„Oh. Aber du hast auch immer eine Flasche dabei"
„Ja. Ich trinke genauso viel, wie Magersüchtige. Aber ich habe andere Symptome. Sie haben nur Bulimie festgestellt"
„Achso"
„Aber es geht mir inzwischen besser. Die Jungs helfen mir echt. Die Gruppentherapie ist bis jetzt echt das Beste, was mir passieren konnte", gibt er zu.
„Das freut mich. Kannst du mir jetzt etwas vorspielen?", fragt sie lächelnd und zeigt auf die Gitarre, die an der Wand hängt.
„Ja. Aber ich kann noch nicht so viel. Magst du Bruno Mars?", fragt er.
„Ich liebe Bruno Mars!", kreischt Edda.
„Echt?", grinst er.
„Ich kann zufällig das eine Lied von ihm spielen"
„Welches?", fragt sie und ihre Augen leuchten.
„Count On Me"
„Ohh, wirklich?", quietscht sie.
„Wirklich", grinst er und holt die Gitarre von der Wand, um ihr ein Lied vorzuspielen.
Nachdem er das Lied zu Ende gespielt hatte, strahlt sie immer noch über beide Augen.
„Jetzt sag nicht, du kannst auch noch singen", erwidert sie.
„Ich hab es noch nie ausprobiert", lacht er.
„Kannst du den Text?", fragt sie.
„Ich glaube schon"
„Okay. Dann spielst du und wir singen zusammen, okay?", fragt sie.
„Wir können es versuchen", sagt er und fängt noch einmal von vorne an. Er kann allerdings noch nicht so gut Gitarre spielen, weshalb er die Hälfte der Zeit vergisst mitzusingen, da er sich auf die Akkorde konzentriert.
„Wow", sagt er, als die beiden zu Ende gespielt haben.
„Du hast eine wunderschöne Stimme", erklärt er.
„Danke. Ich nehme auch schon seit Jahren Gesangsunterricht", lächelt sie.
„Wir können doch viel öfter etwas gemeinsam machen. Ich spiele Gitarre und du singst", sagt er, doch in diesem Moment klingelt ihr Handy.
„Da muss ich rangehen", sagt sie, obwohl sie noch nicht einmal drauf geschaut hat. Vielleicht hat sie die Person am Klingelton erkannt.
„Ja, Mama", kommt es von Edda.
„Maciek", sagt sie.
„Ja. Was denn?" , fragt sie in den Hörer.
„Du bist scheiße!", brüllt sie als letztes und legt auf.
„Tut mir Leid. Ich muss nach Hause", sagt sie und lässt ihren Orangensaft stehen. Sie hatte kaum etwas davon getrunken.
„Ich fand es heute wirklich schön"
„Ich auch. Das können wir gerne widerholen", lächelt er und bringt sie noch zur Tür.
„Vielleicht sehen wir uns vor unserem Urlaub noch einmal", sagt er.
„Urlaub?", fragt sie.
„Die Jungs und ich fahren nächste Woche in den Urlaub"
„Oh. Wann?"
„Nach der Therapiestunde geht es los", erwidert er.
„Ich werde da sein", sagt sie und umarmt ihn das erste Mal, stark. Sie zerquetscht ihn fast. Maciek wundert es nicht, dass sie da sein würde, obwohl sie eigentlich Therapie hätte.
„Ich hab dich wirklich gern", sagt sie und verschwindet in der Dunkelheit. Maciek wundert sich, denn dies war ein sehr seltsames Verhalten. Das Treffen war wirklich schön und diesen Abend schläft auch er mit einem Lächeln im Gesicht ein. Ganz anderes als Edda. Denn die hatte ein riesen großes Problem. Sie durfte Maciek gar nicht sehen. Ihre Mutter hatte es ihr von Anfang an verboten.
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