17

Arlo wacht am nächsten Morgen auf, um Scarlett weinend im Bad zu finden. Er sucht sie zunächst gar nicht, da er denkt, dass sie einfach auf die Toilette gegangen sei, aber als sie nach einer halben Stunde immer noch nicht zurück kehrt, macht er sich Sorgen und findet sie letztlich im Badezimmer. Er klopft mehrere Male an die Tür, ohne eine Antwort zu bekommen. Er lauscht mit dem Ohr an der Badezimmertür und nimmt ein leises Schluchzen wahr. Dann klopft er noch einmal.

„Scarlett? Was ist los?", fragt er in die Stille hinein.

„Ich..Meine", fängt sie an zu stottern, dann bricht sie jedoch wieder ins Schluchzen aus. Man würde sie sowieso nicht verstehen.

„Kannst du die Tür aufmachen?", fragt Arlo vorsichtig. Nach einer kurzen Weile öffnet sie tatsächlich die Tür und er wartet noch einen Moment, bis er ebenfalls in das Bad hinein tritt. Er öffnet die Tür und sieht seine Freundin auf dem Badezimmerteppich sitzen. Er setzt sich dazu und nimmt sie erst einmal in den Arm.

„Was ist los, Süße?", fragt er dann noch einmal.

„Ich.. Meine-" , versucht sie erneut den Satz anzufangen.

„Okay. Wir beruhigen uns jetzt erst einmal. Komm, wir gehen in mein Zimmer und ich mache dir einen Tee. Ich kann auch noch Schokolade holen", sagt er und trägt seine Freundin, die nicht dazu in der Lage ist, sich zu bewegen, in sein Bett zurück. Dann verschwindet er für eine Weile in der Küche. Als er mit einem Tablett zurückkommt, auf dem ein Frühstück serviert ist, fängt sie sogar an zu lächeln.

„Ich habe den besten Freund der Welt", grinst sie ihn an und schlingt ihre Arme um ihn. Er hatte das Tablett zuvor auf dem Schreibtisch abgestellt, um sich nun neben sie zu setzen.

„Erst Frühstück, oder erst reden?", fragt er.

„Du bist echt der Beste. Meine Eltern haben mir heute Morgen geschrieben, dass sie sich scheiden lassen. Kannst du dir das vorstellen?", fragt Scarlett ihren Freund. Sie hatte sich in der Zwischenzeit beruhigt und weint nicht mehr.

„Scheiden lassen? Deine Eltern?" , fragt er. „Nein", antwortet er sich selbst.

„Ich bin so am Boden zerstört, weil ich niemals damit gerechnet hätte. Meine Eltern waren doch immer so liebevoll zueinander und es geht nicht in meinen Kopf hinein, dass sie sich nun scheiden lassen wollen. Nicht nur trennen, nein. Direkt scheiden lassen. Und wieso zur Hölle schreiben sie mir das als Sms?", fragt sie ihn perplex.

„Das tut mir wahnsinnig Leid", sagt er und umarmt sie noch einmal.

„Du kannst nichts dafür", antwortet sie leise.

„Ich weiß. Aber es ist trotzdem scheiße"

„Immerhin habe ich noch beide meine Elternteile", flüstert sie, sodass fast nur sie es hören kann.

„Du darfst trotzdem traurig sein, auch wenn dein Vater nicht gestorben ist, sondern sich deine Eltern bloß trennen. Unsere Probleme sind andere und du musst dich nicht schämen, weil du deswegen so traurig bist. Du darfst nicht denken, dass du nicht traurig sein darfst, weil mein Vater damals gestorben ist", erklärt er ihr und umarmt sie noch einmal fest.

„Und, wollen wir jetzt frühstücken, oder willst du warten, bis alles kalt ist?", fragt er grinsend.

*

Ein paar Tage später muss Drew wieder in die verhasste Schule, denn sie hatten ein paar Tage frei gehabt.

„Ich hasse es hier so sehr", sagt er zu seinem besten Freund Bash, der Gott sei Dank auf dieselbe Schule geht. Aber sie gehen leider nicht in die gleiche Klasse.

„Ich hasse es hier auch und bin froh, wenn wir endlich aus diesem Drecksloch verschwinden können. Mit unserem Abi in der Tasche" , grinst Bash ihn an. Bash konnte es auf dieser Schule niemals so hassen, wie Drew es tut.

„Hey, Bash", ruft ein Junge ihm winkend zu. Bash winkt zurück und grüßt. Drew wird wieder einmal nicht beachtet, doch dies ist ihm lieber, als das Mobbing, welches er gleich erfahren wird.

„Bash, altes Haus. Kommst du mit in die Klasse? Es ist was voll Abgefahrenes passiert", sagt ein anderer Junge, der auf ihn zukommt und Drew ebenfalls nicht beachtet. Die Freunde von Bash mobbten Drew zwar nicht, aber sie ignorierten ihn jedes Mal. Bash wirft Drew einen Blick zu und dieser nickt.

„Bis nachher, Kumpel", erwidert Bash noch einmal, bevor er mit dem anderen Jungen in eine andere Richtung verschwindet. Die Freunde von Bash akzeptierten, dass Drew Bashs Freund ist, aber sie wollten es nichts mit ihm zu tun haben.

Auf in den Kampf.

Drew ist relativ spät da. Eigentlich versucht Drew meist relativ spät zu kommen, damit er weniger von dem Mobbing ertragen muss, welches seine Klassenkameraden witzig zu scheinen finden.

„Da ist ja unser Freak!", schreit er Mädchen, welches in der hintersten Reihe sitzt und Kaugummi kaut.

„Wo hast du den deinen schwulen Freund gelassen?", fragt ein anderer Junge.

„Bash ist nicht schwul", antwortet Drew. Wenn sie ihn mobbten konnte er das über sich ergehen lassen, aber wenn jemand Bash mit hinein zog, dann war Schluss mit Lustig.

„Ich kann nicht verstehen, wie man überhaupt mit jemand, wie dir befreundet sein kann. Abschaum bist du", sagt jemand anderes. Ein anderer schmeißt ihm einen Papierknödel an den Kopf. Der Lehrer kommt hinein und rettet Drew.

*

„Wie war eure letzte Woche?", ist die erste Frage, die Frau Silverstone den Jungen mal wieder stellt.

„Die Eltern meiner Freundin lassen sich scheiden. Dementsprechend geht es ihr wirklich beschissen. Ich weiß einfach nicht, wie ich sie aufmuntern kann und sie denkt, sie darf nicht traurig sein, weil mein Vater damals gestorben ist. Aber ich versuche ihr klar zu machen, dass sie das darf. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll", erklärt Arlo seine Situation.

„Lenk sie ab, mach ein paar schöne Sachen mit ihr. Fahre irgendwo mit ihr hin, was sie gerne mag. Vielleicht können wir uns alle zusammen noch einmal treffen und sie ablenken", schlägt Maciek vor.

„Was denn für Sachen?", fragt Arlo.

„Skate mit ihr, fahrt an euren Lieblingsort, macht ganz viele Dinge gemeinsam", erklärt Bo.

„Das wird ihr bestimmt gefallen", lächelt Drew.

„Danke, Jungs. Ihr seid echt die besten", erwidert Arlo.

„Meine Woche hat echt beschissen angefangen, aber sich dann noch zum Guten gewendet", lächelt Drew.

„Wieso?", fragt Arlo.

„Ich werde die Schule wechseln", sagt er.

„Echt? Warum denn?" , fragt Maciek nun.

„Ich wurde auf meiner alten Schule extrem gemobbt und nun habe ich mich entschlossen, die Schule zu wechseln. Ich hätte das schon viel früher tun sollen"

„Aber, hast du nicht Angst, dass das Mobbing wieder von vorne los geht?", fragt Maciek.

„Nein, eigentlich nicht. Ich weiß, aus welchem Grund sie mich mobben. Das sind alles Arschlöcher auf meiner Schule und ich glaube, auf einer neuen Schule wird alles besser", gibt Drew wieder.

„Vielleicht kannst du ja auf eine unserer Schulen gehen", grinst Zak.

„Ich könnte wirklich Unterstützung gebrauchen", fügt er, noch immer grinsend, hinzu.

„Meine Schwester, Mum und ich haben mir schon eine Schule ausgesucht. Nächste Woche wird es losgehen. Es ist ja auch gerade der Wechsel von der elften auf die zwölfte. Deshalb werde ich jetzt wechseln. Vorher erschien es mir immer total blöd, weil die ganzen Gruppen sich auch schon gebildet hatten und irgendwie habe ich alles noch ausgehalten. Bash war ja auch immer bei mir", erklärt Drew.

„Bash und du gehen auf eine Schule?", mischt sich nun auch Bo in das Gespräch ein.

„Ja, aber nicht in eine Klasse und diese Woche hat sich gezeigt, dass es Zeit wird, die Schule wirklich zu wechseln. Bash ist total beliebt, alle mögen ihn, auch wenn er mein bester Freund ist. Aber seine Freunde ignorieren mich total, ich bin Luft und er ist natürlich dann mit ihnen unterwegs, was auch völlig in Ordnung ist. Nur habe ich eben keine anderen Freunde und diese Menschen, in meiner Klasse, mobben mich, wenn er nicht gerade auf mich aufpasst. Ich kann das einfach nicht mehr", sagt er.

„Aber das war doch die ganze Zeit schon so, oder?", fragt Maciek wieder.

„Ja, aber.. Irgendwie. Ich kann neu angefangen, weißt du? Jetzt bin ich bereit dazu", erklärt Drew noch einmal. Er versucht immer noch zu umgehen, was der eigentliche Grund für das Mobbing ist, aber er weiß selbst, dass er es den Jungen bald sagen muss.

„Wieso warst du denn vorher nicht bereit?", fragt Maciek, ehrlich und direkt, wie er ist.

„Weil ich da noch kein Testo genommen habe", sagt er und entschließt sich, endlich mit der Wahrheit ans Tageslicht zu rücken.

„Kein Was?", fragt Maciek.

„Kein Testosteron"

„Warum musst du das den nehmen?", fragt Arlo.

„Wieso seid ihr denn so schwer von Begriff? Habt ihr noch nie etwas von Transgender gehört?", fragt er, unsicher lachend. Alle Jungen in der Gruppe schütteln den Kopf.

„Lebt ihr hinterm Mond?", fragt Drew, nun lachend.

„Anscheinend schon", lachen Bo und Zak gleichzeitig.

„Die meisten Jungen sind ja einfach Jungen", sagt er langsam und macht eine lange Pause. Es scheint ihm schwer zu fallen, dies auszusprechen.

„Ich wurde in einem Mädchenkörper geboren" Auf einmal ist alle Anspannung, die sich in den letzten drei Monaten gebildet hatte, verklungen.

„Ich bin ein Junge, ich muss mich nur mehr dafür anstrengen", sagt er schnell hinterher. Es fällt ihm sichtlich schwer, dies seinen neuen Freunden mitzuteilen. Im Raum ist es still.

„Deshalb werde ich gemobbt. Ich werde behandelt, wie der letzte Dreck und es wird immer schlimmer. Ich kann da einfach nicht mehr hingehen. Ich kann nicht mehr schlafen und", sagt er und fängt nun an zu weinen.

„Hey, Drew. Wir lieben dich, genauso wie du bist. Du bist gut so, genauso so", erklärt Bo ihm.

„Ja, du bist genau richtig", fügt Zak hinzu.

„Egal, ob du Mädchen, Junge oder ein Alien wärst. Wir mögen dich, genauso wie du bist", lacht Maciek.

„Du bist doch immer noch du", lächelt nun auch Arlo ihn an.

„Danke, Jungs. Das hätte ich wirklich nicht erwartet", erwidert Drew.

„Und falls dir nochmal jemand blöd kommt, dann rufst du uns an und wir hauen ihm eine rein. Aber du musst nicht mehr in die alte Schule, oder?", fragt Bo.

„Nein. Das ist jetzt vorbei. Ich besuche schon nächste Woche die neue Schule. Und ihr habt mir gezeigt, dass man es mir nicht mehr ansehen kann, dass ich Transgender bin", erklärt er lächelnd.

„Gruppenumarmung?", fragt Zak.

„Gruppenumarmung", grinsen die anderen.

„Wollen sie nicht mitmachen?", lacht Maciek, denn Frau Silverstone ist einsam auf ihren Platz sitzen geblieben.

„Macht mal eure Gruppenumarmung", lacht nun auch sie.

„Ich bin wirklich froh, euch zu haben", lächelt Drew in die Gruppenumarmung hinein.

Nachdem die Gruppentherapie schließlich zu Ende geht, nehmen die Jungen sich vor, noch gemeinsam etwas zu unternehmen.

„Wie wär's mit Pizza?", fragt Arlo grinsend.

„Pizza klingt gut", lachen Zak und Bo.

„Welcher Pizzaladen?", fragt Drew.

„Der hier um die Ecke", antwortet Arlo. Die Jungen setzen sich alle in Bewegung, um ein Stück zu laufen, als sie einige Klassenkameraden von Drew treffen.

„Oh, wie süß. Hast du endlich Freunde gefunden? Wahrscheinlich noch größere Freaks, als du es bist" , kreischt eines der Mädchen.

„Ignoriere sie einfach", sagt Maciek zu ihm.

„Wissen sie von deinem kleinen Geheimnis noch nicht, oder weshalb geben sie sich mit dir ab?", fragt der Junge aus der Gruppe.

„Sollen wir es ihnen verraten?", fragt ein anderer.

„Wisst ihr was? Ihr seid verfickte Arschlöcher. Ich habe etwas Besseres verdient, als all das hier. Das sind meine wahren Freunde und sie wissen, dass ich Trans bin, okay? Aber sie sind keine Arschlöcher, denn sie wissen, dass ich nicht nur Trans bin. Ich bin Drew und habe Gefühle, wie jeder andere Mensch auch. Ich bin ein scheiß Mensch. Kapiert das endlich!", schreit er sie an. Tatsächlich weichen ein paar aus der Gruppe einen Schritt nach hinten.

„Zum Glück hast du dich endlich von unserer Schule verpisst. So ekelhafte Menschen, wie dich findet man nicht so oft. Und nun sind wir dich endlich los", haut trotzdem noch jemand drauf.

„Weißt du was, du scheiß Wichser?", schreit Bo ihn nun an.

„Fick dich! Drew ist mein Freund und du wirst dafür bezahlen, dass du ihn so beleidigst", schreit er ihn an und will auf ihn losgehen, doch die anderen können ihn gerade noch festhalten, bevor er den Jungen krankenhausreif prügelt.

„Er schlägt dich krankenhausreif. Also hau lieber ab. Er ist professioneller Boxer. Na, machst du dir schon in die Hose?", fragt Zak den Jungen nun grinsend. Tatsächlich verschwinden die Mädchen und Jungen danach.

„Das war wirklich stark, Drew", sagen die anderen.

„Danke, dass du dich so für mich einsetzen wolltest, Bo", lächelt Drew ihn an und sie gehen weiter, um zu dem Pizzaladen zu gelangen.

„Aber ich habe Angst, dass so etwas nochmal passiert. Wenn ihr nicht bei mir seid. Was ist dann?", fragt Drew unsicher.

„Ich glaube, dass hier spricht sich rum", grinst Maciek.

„Und dann werden alle dich in Ruhe lassen", fügt Arlo hinzu.

„Es kann eigentlich nichts schief gehen. Ich meine, wie würde man uns den anderen beschreiben, deinen blöden Klassenkameraden? Einer ist verdammt groß, einer sieht aus, als wenn er gerade aus dem Knast gekommen wäre, Sorry Arlo, aber wenn jemand keine Haare hat, muss ich immer an Leute aus dem Gefängnis denken. Es steht dir aber echt gut", lacht Zak. Obwohl Arlo seine Mütze aufhatte, sieht er verdammt Angst einflößend aus.

„Oh, da kriegst du dich nicht mehr raus geredet.", lacht Arlo.

„Aber ich habe es inzwischen akzeptiert. Ich meine, ein paar stoppeln sich ja schon wieder da. Erinnern die dich an den Knast, oder die ganze Glatze?", fragt er.

„Beides, um ehrlich zu sein. Also lass dir schnell wieder Haare wachsen", lacht Zak.

„Aber dann kann ich Drew doch nicht mehr beschützen" Die anderen stimmen nun alle mit in das Lachen ein.

„Bo hat sie wahnsinnig eingeschüchtert. Professioneller Boxer war der Hammer. So werden sie Bo beschreiben und sie haben es ja auch gesehen. Und ich denke, weil sie nicht als Weicheier darstellen wollen, beschreiben sie uns noch krasser. Dich wird also niemand mehr mobben", sagt Zak.

„Danke, Jungs. Ihr seid wirklich die besten Freunde, die man sich wünschen kann", lächelt Drew. Inzwischen sind sie beim Pizzaladen angekommen.

„Jetzt lass uns endlich reingehen. Ich habe Hunger", beschwert sich Arlo lachend und zieht sich das erste Mal seit langem die Mütze vom Kopf, doch Drew muss noch lange darüber nachdenken, was die anderen zu ihm gesagt haben.

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