12
„Verdammte Scheiße, dann hättest du mehr essen müssen", kommt es aus der Stille heraus.
„Ich konnte vor Angst nichts essen", antwortet Zak aus der anderen Seite der Dunkelheit.
„Du handelst mir nur Ärger ein. Komm mit", sagt er und schlägt die Bettdecke über, um sich einen Pullover und eine Jogginghose überzuziehen. Zak tut es ihm nach.
„Aber wir müssen leise sein", sagt er und öffnet schließlich die Tür, so leise wie möglich. Doch sie quietscht unheimlich, so dass die beiden denken, man würde sie im ganzen Kinderheim hören.
„Komm jetzt endlich", sagt Bo noch einmal, als er schon bei den Treppen ist und Zak immer noch bei der Zimmertür steht.
„Ich hab Schiss, erwischt zu werden. Lass uns lieber ins Zimmer zurückgehen. Ich kann bis morgen früh warten", sagt er und ist auch schon wieder im Zimmer verschwunden.
„Schisser" , murmelt Bo leise vor sich hin und geht schließlich alleine die Treppen hinunter, denn inzwischen wurde er von Zaks grummelndem Magen so lange wach gehalten, dass er selbst Hunger bekommen hat. Er kommt in der Küche an und schmiert sich ein paar Scheiben Brot, die er noch in einer, fast schon, leeren Tüte findet. Er versucht so leise, wie möglich zu sein, doch er scheint trotzdem jemanden geweckt zu haben, denn er hört Schritte und versteckt sich, so schnell wie möglich.
Er hat Glück, denn eine Sekunde nachdem er sich in seinem Versteck sicher fühlt, kommt jemand in die Küche hinein. Er kann nicht genau erkennen, wer es ist, doch wenn es ein Betreuer ist, ist er am Arsch.
„Wer hat das denn hier liegen lassen?", fragt jemand in die Stille hinein. Bo will antworten, doch kann sich gerade noch zurückhalten, denn er kann die Stimme nicht einordnen. Nach weiteren fünf Minuten ist die Person wieder verschwunden und Bo kann aus seinem engen Versteck hervor kriechen.
„Verdammte Scheiße", flucht er. Anschließend geht er wieder die Treppen nach oben und versucht wieder so leise zu sein, wie es geht. Dann öffnet er die Zimmertür leise, die jedoch wieder quietscht, als wäre sie hundert Jahre nicht geölt wurden.
„Wo warst du, verdammte Scheiße? Ich habe gedacht, sie haben dich erwischt", wirbelt ihm Zak entgegen.
„Ich war, im Gegensatz zu dir, kein Schisser", sagt er.
„Tut mir Leid. Ich bin gerade erst neu und will mein neues Zuhause nicht aufs Spiel setzen"
„Alles gut. Ich habe jetzt etwas, um meinen Hunger zu stillen", sagt Bo grinsend und setzt sich mit dem Brot und seinem Teller auf sein Bett. Zak starrt ihn ungläubig an.
„Hast du mir nichts mitgebracht?", fragt er.
„Eigentlich schon. Ich war in der Küche, aber dann kam jemand und hat die Hälfte gegessen. Deine Hälfte. Das Brot war danach alle", sagt er.
„Kannst du nicht mit mir teilen? Ich halte dich doch sonst wieder die ganze Nacht wach. Und das möchte ich ehrlich gesagt nicht noch einmal", erklärt Zak ihm.
„Ich habe dir einen Joghurt mitgebracht. Sorry, mehr hab ich nicht. Ich hoffe, du magst Joghurt", sagt Bo und reicht ihn Zak.
„Danke", sagt er und fängt an seinen Joghurt zu löffeln. Den Rest der Nacht ist es ruhig, weil Zak Bo noch nach einer Hälfte des letzten Brotes anbettelt und auch bekommt.
*
„Bevor wir gehen, müssen wir deine Sachen noch verstecken. Die Jungs wollen das Zimmer dieses Mal bestimmt wieder sehen", sagt Bo.
„Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen los, sonst kommen wir wieder zu spät und das können wir uns nicht leisten. Die fahren doch danach nach Hause. Keiner wird mehr hierher kommen. Meine Sachen sind im Schrank, den werden sie ja wohl nicht aufmachen und Cooper tun wir einfach unter die Bettdecke. Sie wissen doch nichts von ihm, oder? Habe ich ihnen von Cooper erzählt?", fragt Zak ihn aufgebracht, als er das kleine Kuscheltierei unter seine Bettdecke stopft. Die beiden gehen aus dem Zimmer hinaus und schauen sich ein letztes Mal um. Es ist kaum zu erkennen, dass hier zwei Jungen leben.
„Wieso heißt das Ei eigentlich Cooper? Cooper ist doch dein Nachname?", fragt Bo, als er die Tür des Kinderzimmers hinter sich schließt.
„Witzige Geschichte. Mein verstorbener Opa hat mir damals, als ich geboren wurde das Ei gegeben und ich konnte seinen Namen nicht aussprechen, weshalb ich es Cooper genannt habe. Seitdem heißt mein Ei eben wie ich", grinst Zak.
Die beiden kommen dieses Mal pünktlich, gerade so, denn die anderen stehen im Warteraum auf, um in den anderen Raum zu gehen und sich zu setzen. Die beiden Jungen schließen sich dem an.
„Sind deine Alpträume besser geworden?", fragt Frau Silverstone nach einer Weile.
„Ein bisschen. Manchmal habe ich noch welche, aber es wird besser", lächelt Zak.
„Das freut mich, wirklich sehr. Ich merke, wie viel besser es dir geht, seit dem du nicht mehr Zuhause wohnst", erklärt sie.
„Weißt du noch, wie du das erste Mal hergekommen bist?", fragt Frau Silverstone ihn lächelnd.
„Ja. Ich habe mich damals selbst angemeldet, meine Eltern durften schließlich nichts hiervon wissen. Ich musste damals zu irgendeinem Arzt, oder so und habe dieses Gebäude gesehen. Irgendwie wurde ich magisch angezogen und sie hatten gerade einen Termin frei, weil jemand abgesagt hat. Dann haben sie eine Stunde lang mit mir geredet, einfach nur zugehört und anschließend bin ich jede Woche wiedergekommen", lächelt er sie an. Frau Silverstone nickt lächelnd.
„Maciek, wie geht es dir heute?", fragt sie.
„Mir geht es besser. Ich esse. Manchmal kotze ich danach noch, aber seitdem ich mit dem Schwimmen aufgehört habe, ist es weniger geworden. Ich kann mich schließlich auch nicht jedes Mal nach dem Schwimmen übergeben, da es nicht mehr existiert. Ich bin ihnen wirklich dankbar, dass sie mich dazu gebracht haben, denn Mut aufzuweisen und es meinen Eltern zu sagen", dankt er ihr.
„Drew und deine Freunde haben dir geholfen. Mehr als ich"
„Wir sind für dich da", sagen sie alle im Chor, auch wenn sie es manchmal ein bisschen lächerlich finden, wenn sie das alle im Chor zusammen sagen sollen. Irgendwie unehrlich.
„Arlo, darf ich dich auch fragen, wie deine letzte Chemotherapie war?", fragt sie.
„Lustig, dass Sie fragen. Es war tatsächlich meine aller letzte Chemo. Ich hoffe, danach werde ich wieder gesund und kann wieder skaten. Ich vermisse es so sehr, über den Platz zu fahren", erzählt er.
„Boah, wie cool. Du skatest. Hast du dann auch Skaterfreunde? Kann ich dich dabei mal fotografieren?", fragt Drew, mal wieder grinsend.
„Meine Skaterfreunde haben sich verringert, seitdem ich Krebs habe. Immerhin kann ich nicht mehr skaten und es war auch niemals klar, ob ich jemals wieder skaten kann. Die meisten meiner Freunde haben sich abgewendet. Doch die wirklich guten sind geblieben. Und ja, du kannst mich gerne einmal beim skaten fotografieren", lächelt er.
„Bo, Drew. Wie geht es euch?", fragt Frau Silverstone.
„Bei mir läuft gerade alles wirklich gut. Ich habe Auryn, hier habe ich irgendwie Anschluss gefunden und ich bin fast einmal glücklich. Ich dachte, dieses Gefühl habe ich nicht mehr. Ich dachte, ich kann es nicht mehr empfinden", erklärt Drew ihr.
„Alles gut, eigentlich", erwidert Bo. Die Therapeutin weiß, was in Bos Leben los ist, denn sie hatten letzte Woche ein doppeltes Einzelgespräch. Sie hat sich um ihn gekümmert. Er ist noch nicht bereit, sich all den Jungs zu öffnen.
„Das freut mich"
„Darf ich etwas weiteres aus meinem Leben erzählen?", fragt Arlo und strahlt dabei von einem übers andere Ohr.
„Meine Freundin, sie hat sich wieder bei mir gemeldet", sagt er.
„Lass dich nicht verarschen", sagt Drew.
„Lass sie dir nicht das Herz brechen", sagt auch Maciek.
„Pass bloß auf", sagt Zak.
„Das freut mich für dich, Arlo. Wirklich" , erwidert Bo.
„Wieso seit ihr denn alle so negativ?"
„Weil sie eine Schlampe ist. Lässt unseren Freund im Stich und kommt nun wieder angekrochen", sagt Maciek.
„Du kennst sie doch gar nicht", verteidigt Bo sie.
„Sie hat doch mit ihm Schluss gemacht, weil er Krebs hat"
„Ja. Aber nun ist sie zurück. Es ist nicht einfach, wenn ein sehr enger Mensch, denn man liebt, den man wirklich sehr liebt, auf einmal Krebs hat", sagt Zak und gibt nun Bo recht.
„Hört euch doch erst einmal an, was Arlo überhaupt zu erzählen hat", erwidert Bo.
„Ich bin wirklich sehr glücklich, dass sie sich gemeldet hat. Ich liebe sie unglaublich. Und sie mich auch. Sie hat mir einen Brief geschrieben, in dem sie alles geklärt hat. Sie hat sich entschuldigt und ich muss das alles irgendwie loswerden. Also, darf ich euch den Brief vorlesen?", fragt er in die Runde. Alle nicken.
„Lieber Arlo,
ich bin ein verdammtes Arschloch. Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich sehr und vermutlich ist das der Grund, weshalb ich Schluss gemacht habe. Ich habe es nicht ertragen können, dich so leiden zu sehen. Ich habe immer noch so große Angst um dich. Aber nun weiß ich, dass dies der falsche Schritt war. Es war das dämlichste, was ich in der Situation hätte tun können, denn genau jetzt brauchst du mich am meisten. Ich liebe doch einfach alles an dir und ich könnte es nicht ertragen, wenn der Krebs dich von innen zerfrisst. Meinen kleinen Arlo. Ich dachte, wenn ich Schluss mache, könnte ich der Situation entkommen, doch so habe ich mich nur noch schuldig gefühlt. Ich habe wochenlang in meinem Zimmer gesessen und geweint, aber nicht gewusst, warum. Nun weiß ich es und ich hoffe, du kannst mir verzeihen, denn ich möchte wieder deine großen Hände in meinen kleinen spüren. Ich will mit meinem Daumen über die große Narbe streicheln, die auf deiner rechten Hand prangt. Ich will wieder, dass du mir beim Skaten zusiehst und dich darüber schlapplachst, weil ich es kein Stück kann. Ich vermisse Blooper so sehr. Ich vermisse deine Albernheit und selbst dein verschissenes Nasenbluten, was du so oft bekommst. Ich vermisse dich Arlo. Ich will wieder mit dir zusammen sein, denn ich habe einen riesengroßen Fehler gemacht. Ich liebe dich.
Deine Scarlett"
„Wer ist Blooper?"
„Das hätte ich nicht als erste Reaktion erwartet", lacht Arlo. „Mein Kater"
„Sie ist wirklich süß. Seit ihr denn wieder zusammen?", fragt Maciek.
„Ja. Wir haben uns gestern Abend getroffen und uns geküsst. Sie meinte, sie mag mich auch ohne Haare noch genauso, wie vorher und ich sei noch immer sehr schön", lacht er.
„Das freut mich wirklich sehr für dich", erwidert Zak und auch die Therapeutin beglückwünscht ihn. Es tun alle so, als wenn sie geheiratet oder ein Baby bekommen hätten. Bo sagt gar nichts. Er ist lieber still, als ein Heuchler zu sein.
*
„So, jetzt wollen wir heute aber dein Zimmer sehen. Ich war noch nie in sowas", sagt Maciek, als sie auf dem Heimweg sind und sich alle ihre Jacken vom Garderobenständer holen. Dann entdeckt er Edda.
„Hey, du bist heute aber früh da", sagt sie.
„Ja, mich hatte früher Schulschluss"
„Achso, soll ich mit dir warten, bis du dran bist? Das kann dich bestimmt noch zehn bis zwanzig Minuten dauern", schlägt Maciek vor. Er sieht sie wieder vor sich auf dem Badezimmer liegen. Er will nicht, dass ihr so etwas noch einmal passiert.
„Nein, danke. Silverstone und ich können bestimmt schon früher anfangen", lächelt sie ihn an. Die anderen Jungs warten schon auf ihn und so verabschiedet er sich von ihr.
Dieses Mal drängen die anderen Jungen Bo regelrecht ihnen sein Zimmer zu zeigen. Zum Glück hatten sie vorhin den kleinen Cooper versteckt. Die Jungen betreten alle gemeinsam das Zimmer, es ist still im Kinderheim. Vielleicht machen die kleinen einen Ausflug und somit würde das Abendessen heute später beginnen.
„Wow. Das ist ja der Hammer. Lebst du hier alleine?", fragt Maciek.
„Es ist nicht der Hammer. Wo ist das hier bitte der Hammer?", fragt Bo.
„Es ist total groß"
„Willst du mich verarschen?", fragt Bo.
„Nein."
„Es ist nicht groß. Hier wohnen zwei Leute drinnen und es ist scheiße, okay?", fragt er. Dann schmeißt er die Jungs raus. Alle bis auf Zak.
„Was ist los mit Bo? Das Zimmer war doch voll okay", sagt Maciek, als die drei anderen auf dem Weg zur Bushaltestelle sind.
„Ich weiß nicht, wie lange er dort schon lebt. Ohne Eltern. Ich denke, es ist beschissen", erwidert Drew.
„Seine Zimmernachbarn müssen doch auch ständig wechseln, oder? Weil ständig einer adoptiert wird und wer weiß, ob die gleichaltrigen in ein Zimmer kommen oder ob er mal auch einen kleinen, nervigen Zimmernachbarn hat", erwidert Arlo.
„Aber er meinte doch, dass die da alle seine Geschwister sind. Muss doch cool sein, mit seinen Freunden zusammen zu leben"
„Ich denke eher nicht. Nicht so" , antwortet Arlo.
„Aber findet ihr es nicht seltsam, Zaks und Bos Verhalten? Zak ist jetzt da geblieben und auch letztes Mal. Da geht doch irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu. Ich glaube, da steckt mehr dahinter, als Freundschaft"
„Meinst du, sie sind schwul?", fragt Maciek.
„Nein, Dummkopf", erwidert Arlo.
„Ich denke, Zak ist in gar keinem anderen Heim, sondern wohnt im gleichen Heim, wie Bo. Google mal, wie viele Heime es hier in unserer Stadt gibt", sagt Drew.
„Eins", erwidert Maciek, nachdem sie gegoogelt haben.
„Siehst du. Er kann in gar keinem anderen leben. Aber wieso sagen sie es uns nicht?", fragt Arlo wieder.
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