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Schon langsam brach die Morgendämmerung an und der Himmel färbte sich von rot, zu rosa und schließlich blau-grau. Von Westen zogen dunkle Wolken heran, es würde wahrscheinlich ein regnerischer und ungemütlicher Tag werden. Zu meiner Stimmung würde dieses Wetter jedenfalls passen, denn auch in meiner Seeke wütete ein unruhiger Sturm, bestehend aus Verzweiflung und Angst. Doch genau wie die Sonne hinter dem Wolken, versteckte sich hinter meinem Sturm ein Stück Hoffnung.
Seufzend wand ich mich vom Fenster ab und setzte mich wieder neben Zac. Auch ihm merkte ich die Unruhe an. Er machte sich Sorgen und hatte Angst, genauso wie ich. Warum musste einem das Leben auch solche schwerwiegenden Steine in den Weg legen? Warum konnte mein Leben nicht sorgenfrei und unbeschwer sein, sondern so kompliziert?
"Wir lassen Schule heute ausfallen", teilte er mir mit und ich nickte nur, da ich das für selbstverständlich hielt. Alles, was ich wollte, war, dass wir endlich wussten, was mit Mum passiert ist. Und heute würde ich einen Schultag mit Sicherheit nicht überleben, ohne dabei in Tränen auszubrechen. Konzentrieren würde erst recht nicht funktionieren, ich war ständig in Gedanken bei Mum und malte mir die hässlichsten Situationen aus.
Erschöpft lehnte ich mich an meinen Bruder und fuhr mir durch die Haare. Mit meinen Augen fixierte ich einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand und ließ meinen Gedanken freien Lauf, was keine besonders gute Idee war.
Vor meinem inneren Auge entstanden die wildesten Fantasien und Bilder, die mir noch mehr Angst machten, als ich eh schon hatte. Die Panik kroch in mir hoch und jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Gänsehaut bildete sich auf meinem Körper, mein Herz schlug schneller und klopfte hart gegen meine Rippen. Der Schmerz, der sich in meinem Kopf bildete, war kaum auszuhalten. Die Gedanken, die Bilder.. Sie sollten aufhören.
Mum, wie sie schwerverletzt in einem Straßengraben liegt, das Auto überschlagen und vollkommen zerstört. Einzelne Splitzer schmückten die Straße und Glasscherben.. Überall.
Wie jemand ihren Wagen erwischte und weiterfuhr, sie einfach blutend in dem Auto zurückließ und keine Hilfe holte. Stück für Stück schwand das Leben aus ihren Augen.
Bei dem Gedanken drehte es mir den Magen um und mein Körper fing leicht an zu zittern. Das zog nun auch Zacs Aufmerksamkeit auf mich und besorgt sah er zu mir runter. Er wusste, dass ich mir in solchen Momenten das Schlimmste ausmalte und obwohl ich es nicht wollte, kamen die Bilder in meinen Kopf. Mir fehlte die Kraft, um sie zu verdrängen und so musste ich es über mich geschehen lassen.
"Alles wird gut..", sagte er leise, trotzdem hörte ich die Unsicherheit aus seiner Stimme deutlich heraus. Auch das leichte Zittern verriet ihn, ich kannte ihn nunmal zu gut.
"In Wahrheit glaubst du doch selbst nicht dran", murmelte ich und hörte ihn daraufhin leise seufzen.
"Sie ist schon so lange weg.. Irgendwas ist da passiert, das spüre ich doch.." Zustimmend nickte ich und beobachtete die Polizeibeamten, die mal hektisch, mal völlig gelassen herumliefen.
"Zac Stoner?", hörte ich plötzlich eine Stimme rufen und aufmerksam ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Zac erhob sich mit einem fragenden 'Ja?' und daraufhin sah ein etwas rundlicher Mann in Polizeiuniform zu ihm, kam auf uns zu.
"Kommen sie bitte mit? Wir haben auf ihren verzweifelten und dringenden Wunsch hin schon früher mit der Recherche um ihre Mutter begonnen und etwas gefunden", sagte er und deutete an, ihm zu folgen. Sofort sprangen wir auf und gingen zu ihm. Sie hatten etwas gefunden.. Die Aufregung war nun so groß, dass mir davon schon leicht schlecht wurde und unwillkürlich wollte ich wussen, ob es sich um positive oder negative Nachrichten handelte.
"Das ist meine Schwester, Halo Stoner.", informierte Zac den Polizist noch schnell und er erwiderte darauf, dass ich selbstverständlich mitkommen konnte.
Er führte uns einen Gang entlang ud dann in ein Büro, wo er sich auf seinen Stuhl fallen ließ und wir gegenüber von ihm Platz nahmen.
"Was haben sie herausgefunden?", fragte ich fordernd und man konnte mir die Anspannung deutlich ansehen. Ängstlich griff ich nach Zacs Hand und klammerte mich an sie. Die Hoffnung keimte in mir auf und gebannt sah ich ihn an.
"Nun, es sind eher weniger erfreuliche Sachen", meinte er bedauernd und sah uns zwei an. Bumm, Hoffnung zerplatzt. Der Druck von Zacs Hand um meine wurde stärker und ein Angstschauer durchfuhr meinen Körper.
"Ihre Mutter ist heute früh nicht zur Arbeit erschienen, weshalb wir damit rechnen müssen, dass sie nun schon mehr als 24 Stunden vermisst ist. Niemand an ihrem Arbeitsplatz hat sie irgendwo gesehen oder gar mit ihr geredet. Natürlich laufen die Ermittlungen und wir tun alles Mögliche, was in unserer Macht steht, um ihre Mutter Alissa uu finden. Im Radio und Fernsehen wird ab sofort darüber berichtet, damit uns jemand Bericht erstatten kann, sollte er sie in den letzten 17 Stunden gesehen haben."
Der Schmerz kam und bohrte sich tief in mein Herz, riss Stücke aus meiner Seele hinaus, teilte sie in zwei Hälften und warf sie achtlos weg. Sie war weg. Vermisst. Mum wurde vermisst. Wie ein Hagelschauer prasselte die Erkenntnis ein und hinterließ tiefe Wunden. Ich fühlte mich wieder fast genau so wie damals, als Dad gestorben ist. Doch ich durfte nicht zulassen, erneut in ein solches Loch zu fallen. Es gab noch Hoffnung. Noch war Mum nicht vollständig weg.
Kurz kniff ich die Augen zusammen, um das Schwindelgefühl loszuwerden und drückte mir eine Hand gegen die Stirn. Tief atmete ich ein und aus, versuchte meinen Körper wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bringen, was ich schließlich auch mit viel Mühe und Zusammenreißen schaffte.
Langsam öffnete ich meine Augen wieder, blinzelte ein paar Mal und sah zu Zac, dessen Gesicht einer Kalkwand ähnelte, so blass war er. Fest klammerte ich mich an seine Hand und drückte mich an ihn. Wir brauchten uns und die gegenseitige Nähe mehr denn je und ich war unglaublich froh, das nicht alleine bewältigen zu müssen, sondern ihn bei mir zu haben. Jemanden, der meinen Schmerz gerade nach empfinden konnte.
"Geht ihr zwei noch zur Schule?", fragte uns der Mann und perplex nickten wir.
"Bleibt heute zu Hause, aber morgen solltet ihr wieder hingehen. Es ist wichtig etwas Normalität im Tag zu haben und dadurch denkt ihr nicht allzu viel nach. Wenn es etwas Neues gibt, benachrichtigen wir euch umgehend."
"Okay..", murmelte Zac und zog mich dann an der Hand mit nach draußen. Da mein ganzer Körper noch wie gelähmt war, stolperte ich ihm unbeholfen hinterher und sank dann auf den Beifahrersitz.
Und dann, als ich dort so da saß und starr aus dem Fenster blickte, spürte ich, wie mir die Tränen in die Augen stiegen und nur Sekunden später tropfte die Erste von meinen Wimpern auf die Wange, bahnte sich ihren Weg und vom Kinn nach unten. Weitere Tränen folgten und leise schluchzte ich auf.
Zac legte mir seinen Arm um die Schulter und zog mich zu sich, legte seinen Kopf auf meinem ab und ich spürte, wie auch sein Körper leicht zitterte. Nach oben zu sehn traute ich mich nicht, den Anblick von einem weinenden Zac, meinem Bruder, würde ich nicht ertragen. Das letzte Mal hatte ich ihn bei dem Vorfall mit Dad weinen gesehen.
"Wir dürfen sie nicht auch noch verlieren..", hauchte ich schniefend und drückte mein Gesicht gegen sein Oberteil, wodurch es von meinen Tränen leicht nass wurde. Er drückte mich noch etwas fester an sich und ich spürte seine angespannten Muskeln unter seinem Shirt an mir.
"Nein dürfen wir nicht.. Und wir werden sie finden.. Wir müssen einfach. Und wir geben ja nicht die Hoffnung auf, okay?", sagte er leise und leicht nickte ich. Versprechen würde ich nichts. Wenn wir Mum verlieren würden, würde ich zusammenbrechen.
"Zac..", schluchzte ich leise und augenblicklich verfestigte sich sein Griff um meinen Körper. "Wenn wir sie verlieren kann ich nicht mehr.. Und dann will ich auch nicht mehr " Langsam strich er über meine Haare und seufzte schwer.
"Wir schaffen das zusammen. Du weißt, ich bin immer für dich da" Kurz nickte ich und lehnte mich dann schweigend an ihn. Mein Blick war aus dem Fenster gerichtet und meine Gedanken kreisten durcheinander.
Die Sonne wurde von kohlrabenschwarzen Wolken verdunkelt und genau so fühlte sich unsere Situation gerade an. Von einem Moment auf den Anderen wurde meine neue, heile aufgebaute Welt erneut durcheinander geworfen und alles schien aussichtslos.
Doch wie sagte man so schön:
Am Ende eines jeden Tunnels ist ein Licht. Dass mein Licht jedoch auf sich warten lassen würde, war mir in dem Moment noch nicht klar.
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