11. Ohne Zukunftsplanung, ohne Sentimentalität

KAPITEL 11
Ohne Zukunftsplanung, ohne Sentimentalität
Donnerstag, 20. Oktober 1977

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„ICH HABE ÜBER EIN PAAR DINGE NACHGEDACHT."

„Na, großartig", murmelte Darjana und versuchte, so neutral wie möglich auszusehen, als sie Lupin morgens vor dem Frühstück auf sich warten sah. Diesmal stand er schon am Eingang des Schlosses und nicht erst am See selbst, wie er die letzten Male getan hatte. Die letzte Woche hatte sie auf diese Art und Weise gut hinter sich gebracht — einfach nichts anmerken lassen und knapp antworten. „Lupin, du bist wirklich, wirklich unheimlich, weißt du das?", sagte sie im Vorbeigehen, woraufhin er ihr wie selbstverständlich folgte.

„Ja", gab er zu. „Ja, das tue ich. Und weißt du, was ich noch weiß? Dass es mir wirklich, wirklich leid tut."

Darjana blieb nun doch stehen und sah ihn ein paar Sekunden an. Ihr Herz pochte aufgeregt, als sie das erste Mal seit Hogsmeade wieder in seine grünen Augen sah, in denen so viel Aufrichtigkeit lag, dass es ihr Angst machte. „Ja, okay, Schwamm drüber", entgegnete sie schließlich und ging an ihm vorbei. Remus runzelte die Stirn und drehte sich nach einem kurzen Moment perplex zu ihr um, um mit dem Finger auf sie zu zeigen.

„Dafür... Dafür habe ich mich eine Woche schlecht gefühlt und mich von dir ignorieren lassen?", fragte er ungläubig.

Darjana drehte sich mit einem frechen Grinsen zu ihm um. Was er gesagt hatte, hatte an ihr genagt — vielleicht, weil er recht hatte. Doch wenn sie ehrlich war, lag es nicht nur daran. Sie hatte oft in der letzten Woche an ihn gedacht. Etwas schien ihre Gedanken immer wieder zu ihm hinzuziehen und es war immer wieder dieses kleine, verschmitzte Lächeln oder das Funkeln in seinen Augen, wenn er sie ansah, als gäbe es nur sie. Sie kannte ihn eigentlich kaum, aber seine Nähe fühlte sich jetzt schon vertraut an. „Du musst auch keine Angst haben", sagte sie, fast schon sanft, ohne auf seine Frage einzugehen. „Wir gehen nur ein bisschen spazieren."

„Wusstest du etwa, dass ich mitkomme?", scherzte Remus, bevor er neben sie eilte, als sie langsamer wurde, um auf ihn zu warten.

„Vielleicht habe ich es ja gehofft", gab sie zu und hob die Augenbrauen, nur um ihn verlegen lachen zu hören. Das hatte sie auch vermisst. Er hatte in den letzten Tagen in Verteidigung und Geschichte versucht, sich zu entschuldigen, aber Darjana hatte ihn nicht wirklich beachtet und nur kurz geantwortet. Sie hatte gedacht, dass es vielleicht besser werden würde, aber das wurde es nicht. Nicht beachtet war auch gelogen. So hatte sie es zumindest aussehen lassen. Doch wenn er den Raum betrat, waren ihre Augen sofort auf ihm; wenn er redete, blendete sie ohne darauf zu achten alles um sich herum aus, nur um zu hören, was er sagte. Um seine Stimme zu hören. Und wenn sie abends im Bett lag, kreisten sich ihre Gedanken ohne Pause um ihn. Darjana hatte selten so eine Anziehungskraft zu jemandem verspürt. Gestern Abend hatte ihr Atem ein wenig gezittert, als sie daran gedacht hatte, wie er vor den Gewächshäusern so nah neben ihr gestanden hatte, um ihre Notizen anzusehen. Als sie nun zu ihm schaute, dachte sie daran, wie der Gedanke an die Wärme, die er damals ausgestrahlt hatte, immer noch eine Gänsehaut bei ihr auslösen konnte. Es ließ sie an seine Hände denken und daran, wie warm sie sich auf ihrer Haut anfühlen würden.

Natürlich musste sie solche Gedanken bekommen, wenn sie ihre Tage hatte.

Remus warf ihr ein leichtes Lächeln zu, als er ihre Antwort hörte. Auch wenn sie es nur aus dem Augenwinkel sah, konnte sie nicht anders, als es zu erwidern.

„Ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast", sagte sie schließlich etwas leiser als beabsichtigt.

„Nein, ich habe nachgedacht", sagte er schnell. „Und es war taktlos, was ich gesagt habe."

Sie drehte den Kopf zur Seite, um ihn anzusehen, während sie nebeneinander hergingen. „Komm schon", begann sie. „Du bist ein Gryffindor. In dir brennt doch sicherlich schon der sehnsüchtige Wunsch, mir einen lebensrettenden Ratschlag für diese Situation zu geben, um mir das Leben leichter zu machen."

Es interessierte sie wirklich, was er dazu dachte. Wie er reagieren würde und was in seinem Kopf vorging. Aber das verpackte sie natürlich anders. „Ich würde antworten. Ich weiß nicht, was in dem Brief stand, aber—"

Darjana seufzte. „Sie hat gefragt, ob sie mich sehen könnte."

„Hat sie deinem Bruder auch geschrieben?"

„Er hat nichts gesagt", antwortete sie schulterzuckend. „Andererseits habe ich ihm auch nichts gesagt."

Remus schwieg und vergrub die Hände in den Jackentaschen. „Was ist mit deinem Dad?", fragte er.

„Oh, jetzt wird die ganze Familiengeschichte rausgeholt." Sie seufzte. „Frag mich das, wenn ich betrunken bin."

„Soll ich was holen?", entgegnete er ernst. Darjana blieb stehen, um zu erkennen, ob er gerade einen Witz gemacht hatte oder nicht.

„Klar", sagte sie trocken.

Remus runzelte die Stirn. „Es... Es ist halb sieben morgens."

„Und?"

„Ich wollte sagen, dass das die perfekte Zeit ist", meinte er und als er sie mit einem Grinsen ansah, begann auch Darjana aufzulachen. Sie sah zur Seite, als sie bei seinem Anblick nur weiter lachen musste und sich kaum wieder einkriegte, und Remus hätte sie am liebsten umarmt, weil sie so süß dabei aussah, wenn sie die Nase beim Lachen hochzog, aber stattdessen sah er sie einfach nur an und lächelte sanft. Kaum, dass Darjana seinen Blick erwiderte, wurde sie ruhig. Es verunsicherte sie ein wenig, wenn er sie so ansah — wie jemand, dem ein Engel erschienen war. Er kannte sie nicht einmal richtig. Wie würde sein Blick aussehen, wenn er wirklich tat?

„Du kannst mich ja an Halloween abfüllen", schlug sie vor.

Bei dem Wort Halloween kratzte er sich am Hinterkopf und wich ihrem Blick aus, bevor er wieder etwas selbstbewusster aussah und mit dem Kopf schüttelte. „Ja, genau das war schon immer mein Plan für ein gutes Halloween."

„Lupin, weißt du, am Anfang dachte ich echt, du wärst langweilig, aber es macht ja sogar Spaß, wenn du hier auf mich wartest", sagte Darjana grinsend.

Er sah sie kopfschüttelnd an, „Ich liebe das so sehr", antwortete er plötzlich und machte eine dankbare Geste in Richtung Himmel. „Endlich ein Mädchen, das sagt, was es denkt, da muss ich nicht so viel herumrätseln." Dass sie gleichzeitig die undurchsichtigste Person war, die er je getroffen hatte, ließ er weg.

„Ich meine, was würd's mir denn auch bringen?", fragte Darjana. „Wenn ich was von dir will und du willst was von mir und wir beide sind zu schüchtern, um das zu sagen, wird das noch nie was. Also sag ich dir: Hey, wenn du Interesse an mir hast, sag es einfach, weil ich es hab."

Remus atmete tief durch und hielt mit einer großen Handgeste an, um sie ansehen. Auch Darjana drehte sich stirnrunzelnd zu ihm um und strich sich eine Haarsträhne zurück. Sie hatte es schon wieder gesagt und die Worte wirbelten in seinem Verstand herum, als würde ihn eine innere Stimme mit ihnen anschreien. „Wenn du das so sagst...", begann er etwas durch den Wind. Er konnte nicht einmal mehr klar denken. Wenn sie das sagte, hörte es sich wie keine große Sache an; als würde sie jeden Tag mit jemandem wie ihm reden und dasselbe sagen, als hätte es keine Bedeutung, wenn es ihm anders gehen würde. Dabei wollte er, dass es eine Bedeutung hatte, er wollte ihr wichtig sein, auch wenn er sie kaum kannte. „Was wäre, wenn ich sagen würde, dass ich... Interesse habe?"

Darjana sah ihm in die grünen Augen, die sie so aufrichtig ansahen, und spürte ein leichtes Ziehen in ihrem immer schneller schlagenden Herzen. Er war nicht so verkorkst wie sie, er hatte unrecht. Darjana distanzierte sich von etwas, bevor sie ihm überhaupt eine Chance gab, weil sie ihre Gefühle nicht verletzen wollte. Und das würde er, weil er erkennen würde, dass er, der Gryffindor mit Hoffnung und Optimismus, mehr verdient hatte als eine Slytherin, die die Welt so sah, wie sie war. „Ich bin nicht so für Beziehungen", entgegnete sie.

Remus nickte und sah auf den Boden.

„Zumindest nicht im Moment, ich meine, es ist das letzte Schuljahr und ich habe echt keine Lust, mich zu verlieben. Wer weiß, was ich nach der Schule mache..."

„Das kannst du doch nicht kontrollieren", entgegnete Remus und erkannte, dass er sich genauso wie James anhörte.

„Ach ja?" Sie hob unbeeindruckt die Augenbrauen. „Aber du bist nicht der Typ dafür, ich weiß. Das ist okay, ich beneide das fast. Ich weiß nicht, warum ich so komisch bin."

„Nein", sagte Remus schnell. „Es ist nur... Wir verstehen uns doch so gut. Das würde bestimmt nur komisch werden."

„Es würde sich ja nicht viel ändern", meinte Darjana. „Wenn das für dich okay wäre, wäre das für mich nichts Einmaliges. Wir wären weiterhin Freunde oder was auch immer wir sind, nur halt mit mehr — ich mag dich ja, ich will nicht aufhören, mit dir zu reden, im Gegenteil. Ich will viel mit dir reden. Aber ohne Zukunftsplanung, ohne zu viel Sentimentalität — einfach nur dieses Schuljahr und was danach passiert, sieht man dann."

Remus schluckte. Wenn er sich nicht beherrschte und tatsächlich näher darüber nachdachte, würde er Ja sagen, bevor er seinen Kopf anschalten konnte. Aber es war eine ganz schlechte, katastrophale Idee, richtig? Das einzige, worin er sich in diesem Moment sicher war, war die Tatsache, dass sie nichts gehört hatte. Sie wusste nicht, dass er ein Werwolf war. Warum sollte sie ihm sonst so etwas anbieten? Und außerdem hätte sie es ihm gesagt. Darjana war ein guter Mensch. Sie hätte es ihm sofort gesagt, zum Beispiel: „Lupin, ich weiß übrigens, dass du dich hin und wieder in einen kleinen Wolf verwandelst, hört sich ja ganz schön schräg an."

Sollte er es ihr sagen, wenn er sich darauf einlassen würde? Eigentlich musste er es nicht. Vorerst nicht. Er fuhr sich durch die Haare und atmete tief durch. Ihm war schrecklich heiß. Darüber musste er nun wirklich in Ruhe nachdenken.

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„REMUS, DU BIST EIN BISSCHEN GRÜN", stellte Vanessa fest, als sich Remus neben ihr auf den Sessel fallen ließ und wortlos in die Flammen starrte. Sie runzelte die Stirn. In letzter Zeit führte er sich komisch auf — und sie war die einzige, die wirklich wusste, wieso.

„Sind James und Sirius da?", fragte er, ohne auf ihre Aussage einzugehen.

„Nein, die haben immer noch Nachsitzen", antwortete Vanessa, als wäre das nichts Besonderes. Nun, es... war ja auch nichts Besonderes. Sie strich sich eine Locke aus dem Gesicht und überkreuzte aufmerksam die Beine in ihrem Schoß. „Wir haben ein Wörtchen zu reden. Ich war ja lange ruhig, aber—"

„Ja, ich weiß", unterbrach er sie schon seufzend. „Okay. Ähm, naja."

Vanessa zog die Augenbrauen zusammen. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, weil sie überhaupt nicht mehr darüber wusste, als das, was sie mitbekam: Remus verhielt sich komisch, Darjana und er flirteten und näherten sich an und Darjana war eine Slytherin, die allein deswegen von seinen Freunden nicht gemocht wurde. Sie wusste, dass sie Remus unterstützen würden, sobald sie es wussten, aber sobald sie es nicht wussten, taten sie es eben nicht und das war es wahrscheinlich, womit Remus sich so schwertat.

„Sirius würde wahrscheinlich sagen: Hey, das Mädchen ist ein Jackpot", begann er, was Vanessa nur noch mehr verwirrte. „Und ich meine, es ist ja vielleicht an sich auch was Normales, aber ich weiß nicht..."

„Remus", sagte sie. „Kontext bitte."

Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und lehnte sich in den Sessel zurück, wo er regungslos verharrte.

„Alles klar."

„Okay okay", begann er. „Sie will quasi eine Freundschaft... mit mehr. Ohne Bindungen oder sowas."

Vanessa sah ihn an. „Ich nehme an, wir reden von Darjana", stellte sie trocken fest. „Und sie will Sex ohne Gefühle."

Remus hob den Blick. Es zu hören war seltsam. „Naja... ja."

Sie hätte nicht gedacht, dass gerade Remus in so eine Situation geriet, aber jetzt, wo es so war, überraschte es sie nicht einmal. „Willst du?", fragte sie.

„Ich... weiß nicht", antwortete Remus, ohne sie anzusehen. „Deswegen bin ich hier, um ehrlich zu sein."

„Ah." Vanessa nickte. „Über dein Liebesleben willst du nicht mit mir reden, aber sobald es um das Sexleben geht, bin ich gut genug." Sie legte sich eine Hand an die Brust. „Ich versuche, mir das nicht zu nahe gehen zu lassen."

Endlich lachte er leicht auf und verdrehte die Augen.

„Du willst es nicht, weil die Sache mit dem Sex ohne Gefühle schwer wird mit Gefühlen", fuhr sie ernster fort.

Remus biss sich auf die Lippe. „Vielleicht verliebt sie sich ja in mich."

„Remus..."

„Das könnte doch sein, wenn ich... nett zu ihr bin? Ihr Blumen bringe oder sowas? Mädchen mögen Blumen, oder? Also ich würde Blumen mögen."

Sie wollte sich die Hand an die Stirn schlagen, als sie erkannte, wie Darjana ihm das Gehirn vernebelt hatte, ließ es aber bleiben. Vanessa wollte ihm wirklich helfen. „Du kannst an so etwas nicht mit der Hoffnung rangehen, dass es genau das Gegenteil von dem wird, auf das du dich da einlässt. Das funktioniert nicht. Und du hast am Ende nur ein gebrochenes Herz."

„Ich würde auch nicht so weit gehen, dass ich verliebt bin", verteidigte Remus sich und fuhr bei ihrem skeptischen, unbeeindruckten Gesicht fort. „Sieh mal, ich bin nur... Ich— Ich denke den ganzen Tag an sie. Und wenn sie den Raum betritt, Vanessa, dann..." Er lachte leicht auf. „Dann gibt es nichts anderes mehr in diesem Raum. Ich kann mich gar nicht konzentrieren."

(Er war natürlich nicht in sie verliebt, wie hatte Vanessa nur auf die Idee kommen können?)

Sie räusperte sich. „Merkst du was?", fragte sie.

Er schloss die Augen. „Scheiße", murmelte er.

„Weißt du, vor ein paar gefühlten Tagen hast du mir noch gesagt, dass du dich nicht verlieben willst, aber auch nicht wie ein Mönch leben willst." Vanessa atmete tief durch. „Das hier wäre genau so etwas."

„Ja, ich weiß." Er hörte sich verzweifelt an. „Ich hab ihr das noch nicht erzählt mit... ähm... der Halloween-Sache. Du weißt schon."

„Oh", sagte Vanessa.

„Ich wollte sie ja erst einladen, weißt du?", begann er. „In Hogsmeade."

„Wo sie dich mit dem Eis abgeworfen hat?"

Als sie die Augenbrauen hob, verdrehte er nur die Augen. „Also kann sie mir das hier doch eigentlich nicht vorwerfen. Ich meine, so wie sie das gesagt hat, wäre das ganz locker und vielleicht... also vielleicht... ich weiß nicht."

„Remus, solange du eigentlich mehr als nur das willst, solltest du dich nicht darauf einlassen", sagte Vanessa ehrlich.

Er nickte. Das stimmte, ja. Er wusste es selbst. Er wusste nur nicht, ob seine Vernunft reichte, wenn es um Darjana ging.

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