09. Yesterday

KAPITEL 9
Yesterday
Montag, 10. Oktober 1977

»»——⍟——««

DAS IST DER GRUND, WARUM ICH ASTRONOMIE ABGEWÄHLT HABE", sagte Darjana trocken, als sie Charity über ihren Hausaufgaben verzweifeln sah.

„Darjana, du hast Geschichte gewählt, sag mal nichts", entgegnete Charity, ohne aufzusehen. „Ich wusste ja nicht, dass es ab der Sechsten so kompliziert werden würde — okay, ich übe mal an dir. Dein Geburtsdatum bitte."

„17. November", antwortete Darjana ruhig und sah kurz auf, als eine Gruppe wild gewordener Erstklässler durch die Bibliothek stürzte und gleich darauf von Madam Pince zusammengestaucht wurde.

„Mit Uhrzeit?"

„Was weiß ich..." Sie zuckte mit den Schultern. Sie hatte die Frau, die das wusste, schlecht fragen können, da sie sie nicht gesehen hatte, seit sie acht Jahre alt war.

Charity seufzte. „Die einzige Information, die ich also bekomme, ist, dass du ein Skorpion bist. Na bravo. Das hilft mir nicht gerade bei der Berechnung von Sternenpositionen. Wenn ich meine UTZ-Prüfungen nur wegen Astronomie verkacke, wander ich aus."

„So geht's mir mit Arithmantik", sagte Darjana. Sie hatten wieder zusammen eine Freistunde und da sie gefragt hatte, hatte Darjana nur allzu gerne zugestimmt, Zeit mit ihr zu verbringen. Sie war immer noch der Meinung, dass Charity eine bessere Freundesgruppe als die von Patience Parkinson verdiente. Doch ob sie diese bessere Freundin war, wusste sie nicht.

„Ich will nicht mehr", maulte Charity gequält.

„Niemand tötet dich, wenn du eine Pause machst."

Ich bin dann aber enttäuscht von mir — ich habe es mir für heute vorgenommen." Charity gähnte.

„Dann mach weiter."

Charity sah Darjana für ein paar Momente schweigend an und lachte schließlich leicht vor sich hin. „Du bist keine große Hilfe", sagte sie, klang aber amüsiert. „Aber du hast recht, ich gehe ins Bett."

„Ins Bett?" fragte Darjana. „Es ist Mittag."

„Und?" entgegnete Charity. „Mein Bett und ich leben in einer ernstzunehmenden Beziehung, werden aber jeden Morgen aus unserem Frieden gerissen. Wir brauchen Zeit miteinander."

„Ach so." Darjana nickte belustigt, als sei diese Erklärung mehr als einleuchtend.

Als Charity aufstand und sie umarmte, drehte sie sich im Gehen noch einmal zurück zu ihr. „Du legst dich mittags nie ins Bett?" fragte sie immer noch erschüttert.

„Nicht allein", entgegnete Darjana trocken, was Charity dazu brachte, aufzulachen, bevor sie aus der Bibliothek ging. „War kein Witz, aber okay" murmelte sie. Da Darjana eigentlich nicht wirklich etwas zu tun hatte, packte sie ebenfalls ihre Sachen zusammen und wollte gerade aufstehen, als ihr Sichtfeld plötzlich schwarz wurde. Das einzige, was sie wahrnehmen konnte, waren dunkle... Haare? „Woah", entfuhr es ihr, als Vanessa Allerton sie aus ihren braunen Augen grinsend ansah.

„Hi", sagte sie.

„Hey", entgegnete Darjana langsam. Sie war kaum kleiner als Allerton — wirklich, es konnte es sich um höchstens drei Zentimeter handeln, aber trotzdem fühlte sie sich hilflos. Nicht, dass sie das zeigen würde. „Was ist?"

Vanessa Allerton war eines dieser Mädchen, die den ganzen Raum einnahmen, ohne etwas dafür getan zu haben. Die, die ein absolut perfektes Leben führten, mit den coolen Jungs der Schule befreundet waren und machen konnten, was sie wollten, ohne verurteilt zu werden. Darjana mochte diese Art von Mädchen nicht, zumindest waren es nicht die, mit denen sie freiwillig Zeit verbrachte. Sie waren so optimistisch, so glücklich, und dachten, sie alleine könnten durch eine kleine Ansprache alles zum Guten wenden und mit optimistischen Worten Probleme lösen. Hoffnung besiegte alles und so. Viele Gryffindors waren so.

Lupin allerdings war anders. Auch bei ihm schwang eine gewisse Schwere mit; hin und wieder zeigte der Ausdruck in seinen Augen, dass es viel gab, was ihn beschäftigte. Doch Darjana wusste wieso und am liebsten würde auch sie zu einer Art Vanessa Allerton werden, um die richtigen Worte zu finden, ihn abzulenken und ihm ein tolles Leben zu versprechen.

„Lass uns doch rausgehen", schlug Allerton vor, als wären sie alte Freunde, die sich seit ihrer Kindheit kannten und liebten. „Madam Pince hasst mich nämlich und ich bin so kurz davor, für immer verbannt zu werden — was nur an James liegt übrigens — und das ist nicht so vorteilhaft für die UTZs."

„Vermutlich nicht", entgegnete Darjana ohne ein Anzeichen von Begeisterung. Sie war nicht gut darin, mit fremden Menschen zu reden, als würde sie sie gut kennen.

Allerton zögerte kurz, schien aber ihre schreckliche Motivation nicht zu verlieren. Seufzend folgte Darjana ihr aus der Bibliothek — sie kam aus der Nummer wohl nicht raus — und sah abwartend zu ihr, während sie weiter neben ihr herlief. „Also..." begann die Gryffindor. „Ich habe gehört, du verbringst Zeit mit Remus?"

„Lupin?" wiederholte Darjana. Er erzählte seinen Freunden von ihr? Das war ja irgendwie... süß. „Man kennt sich."

Man konnte sehen, dass sich Vanessa mehr erhofft hatte als diese Reaktion. Sie wusste, dass Remus sie vermutlich umbringen würde, wenn er hiervon wusste. Aber wenn Remus Sie ist ein guter Mensch sagte, sah es Vanessa als ihre Pflicht, das selbst zu beurteilen. Immerhin wusste sie höchstwahrscheinlich von seinem Geheimnis.

Darjana grübelte derweil immer noch darüber nach, ob Lupin tatsächlich den Verdacht hatte, dass sie etwas gehört hatte. Natürlich, das hatte sie und vielleicht sollte sie es ihm sagen — ihr war der Gedanke noch nie zuvor gekommen. Sie vermutete schon länger, dass das vielleicht der Grund war, warum er mehr Zeit mit ihr verbrachte. Es war der einzig denkbare Grund. Außer, er stand wirklich auf sie. So oder so, vielleicht sollte sie es ihm sagen. Denn wenn er es vermutete, würde er in der Ungewissheit leben, und selbst wenn nicht, hätte er das Recht, es zu wissen, oder?

Aber was, wenn er dann aufhören würde, sie sehen zu wollen? Darjana mochte es irgendwie, dass er ihre Nähe suchte, egal, aus welchem Grund. Jetzt würde sie ihn nicht mehr so leicht davonkommen lassen. Er hatte sie neugierig gemacht — auf sich selbst.

„Wie gut?" fragte Allerton.

Darjana hob die Augenbrauen. Unauffällig, Miss Gryffindor. „Naja, wir haben vor ein paar Tagen geheim geheiratet, also schon recht gut", antwortete sie ruhig.

Vanessa lachte auf. „Was denkst du so über ihn?" fragte sie grinsend weiter.

„Schrecklich unsympathisch", sagte Darjana trocken, bevor sie sich zu ihr drehte. „Ernsthaft, du bist mit ihm befreundet... Selbst wenn man versuchen würde, ihn unsympathisch zu finden, ist es echt schwer, keine Schwäche für ihn zu entwickeln, oder?"

Allerton schien zufrieden mit dieser Antwort zu sein.

„Das ist bei seinen anderen Freunden ein bisschen schwieriger", fügte Darjana nach ein paar Sekunden hinzu.

„Was soll ich sagen? Das stimmt wohl."

Darjana war ein wenig überrascht darüber, lächelte aber das erste Mal, seit Vanessa sie aus der Bibliothek geschleift hatte. „Lupin sieht immer aus, als würde er mich häuten wollen, wenn ich Witze über seine Freunde mache."

Vanessa setzte zu einer Antwort an, gerade als sie um eine Ecke bogen und sie schlagartig verstummte. „Al—" begann Darjana verwirrt, doch da war die Gryffindor schon verschwunden, als wären Todesser hinter ihr her, damit sie in dem Gang, in den sie gerade eingebogen waren, nicht mehr zu sehen war. Als Darjana den Blick hob, verstand sie wieso.

Lupin kam auf sie zu. Er kramte gerade in seiner Tasche und da er erst aufblickte, als sie schon verschwunden war, sah er Vanessa nicht. Ob sie noch hinter der Ecke stand? Wie auch immer, Darjana lief einfach weiter und lächelte leicht, als sie ihn sah. „Hey", grüßte sie ihn und blieb stehen, als er ebenfalls langsamer wurde.

„Hallo", entgegnete er und fuhr sich mit der Hand über den Nacken.

„Geschichte gleich, hm? Freust du dich schon?" fragte sie grinsend.

„Oh ja, riesig", entgegnete er.

„Wieso hast du es überhaupt weitergewählt?"

„Naja..." begann er und zuckte mit den Schultern. „Ich hatte nur drei Fächer, die ich weiterführen wollte und das kam mir so wenig vor."

„Und dann nimmst du Geschichte?"

„Für jemanden, der auch Geschichte gewählt hat, verurteilst du mich ganz schön."

Darjana lächelte schief.

Vanessa derweil lehnte hinter der nächsten Ecke und wedelte wie wild mit den Händen, als Maggie durch den Gang auf sie zukam und sie ihr versuchte, deutlich zu machen, dass sie nichts Lautes rufen sollte. Maggie runzelte die Stirn, schien sie aber zu verstehen und kam schweigend auf sie zu. Kaum, dass sie in Reichweite war, packte Vanessa ihren Arm und zog sie neben sich.

„Was—?" begann Maggie, doch Vanessa legte ihren Finger auf die Lippen und nickte mit dem Kopf in die Richtung, in der Remus und Darjana miteinander redeten.

„Remus ist da mit Darjana", flüsterte sie.

„Rowe?" hauchte Maggie erstaunt.

„Achte auf den flirtenden Unterton, es ist verrückt."

Sie hörten Darjana ein leises Lachen ausstoßen, bevor sie antwortete: „Ich beschwer mich ja gar nicht, sonst würden wir nicht nebeneinander sitzen."

Maggie klappte der Mund auf. Vanessa setzte einen Siehst-du?-Blick auf.

„Stimmt", sagte Remus. „Aber du musst zugeben, dass die ZAG-Prüfungen ziemlich einfach waren, wenn man wenigstens etwas gelernt hat."

„Waren sie ja auch." Sie schwieg für ein paar Sekunden. „Also, Loverboy, wohin willst du?"

„Naja, alle haben Kräuterkunde außer ich, also schlage ich irgendwie die Zeit tot—" begann Remus.

Ich habe kein Kräuterkunde", beschwerte sich Vanessa leise.

„Loverboy?" wiederholte Maggie währenddessen flüsternd.

„Du hast mich gestern nach meinem Lieblingslied gefragt, richtig?" hörten sie Remus sagen.

„Ja, das habe ich", antwortete Darjana ruhig. Sie hatte noch nie so oft gelächelt wie in seiner Nähe.

„Naja, du meintest, es soll etwas Fröhliches sein und da wurde die Auswahl etwas kleiner", fuhr er fort und zuckte verhalten mit den Schultern. „Ich dachte— Ich dachte, jetzt könnte ich dir ein bisschen mehr zeigen. Wenn du magst, kannst du mit mir kommen."

„Wohin?" fragte Darjana.

„Äh— in meinen Schlafsaal?" Remus merkte selbst, wie es sich anhörte, als er es aussprach, hoffte aber, dass sie wusste, wie er es meinte. Darjana war sich bewusst, was In meinem Schlafsaal normalerweise hieß, aber sie sagte dennoch „Okay". Selbst wenn sie wüsste, dass er nicht besser war als die anderen und nur nach einem Vorwand suchte, würde sie vermutlich mitkommen. Es war für sie keine so große Sache. Außerdem schien er auf sie wie jemand, der sich nicht nur um sich selbst kümmerte. Das fände sie auch mal nicht schlecht.

Vanessa drehte sich hinter der Ecke zu Maggie. „Über Musik fing das mit Sirius und mir auch an", flüsterte sie und erinnerte sich daran, wie Sirius ihr damals stolz seine Queen-Schallplatten gezeigt hatte und sie ihn überzeugen wollte, dass ABBA schon an Freddie Mercury heranreichen konnte. Er lebte immer noch in Verleumdung, was das anging.

Maggie warf ihr einen Blick zu.

„Unsere Freundschaft", fügte Vanessa leise hinzu. Sie vergas manchmal, dass Sirius etwas mit Maggie gehabt hatte, auch wenn Maggie es heute selbst als eine komische Art der Beziehung bezeichnete, da sie sich vielmehr freundschaftlich angefühlt hatte.

„Wie auch immer", gab Maggie leise zurück. „Wir lassen die beiden jetzt alleine."

Vanessa zog einen Schmollmund, bevor sie die Stirn runzelte. „Was machst du eigentlich hier? Hast du nicht Pflege Magischer Geschöpfe?"

„Kesselbrand ist krank", erklärte sie und beugte sich um die Ecke. „Sie sind weg."

„Was meinst du damit, sie sind weg?"

Während Vanessa und Maggie darüber diskutierten, was sie gerade gesehen hatten, folgte Darjana Remus durch das Schloss, das dadurch, dass bis auf ein paar Sechst- und Siebtklässler alle Unterricht hatten, sehr leer wirkte. „Darfst du mir überhaupt euren Gemeinschaftsraum zeigen, ohne dass du von einer Meute Gryffindors mit Mistgabeln verfolgt wirst?"

„Sie würden nie in Frage stellen, was ihr Vertrauensschüler tut", entgegnete er mit einem verschmitzten Grinsen, während sie auf eine der Treppen warteten.

„Natürlich nicht", meinte Darjana und hob die Augenbrauen. Als sie die nächste Treppe betreten konnten, sah Remus sich ein wenig nervös um. Er fühlte sich, als würde er etwas Verbotenes tun, bei dem er unter gar keinen Umständen erwischt werden durfte. Vielleicht hätte er es lieber bleiben lassen sollen, aber seit dem Gespräch mit Vanessa und den anderen war es beinahe, als wäre eine Art von Trotz in ihm erwacht. Vielleicht war es nicht die beste Idee, aber er wollte sich von niemandem ihre Nähe verbieten lassen. Es war wie, wenn man als Kind gesagt bekam, man solle den Schokoladenkuchen auf dem Tisch nicht essen, da er nicht für einen bestimmt war, aber man musste doch wissen, wie er schmeckte. Was vielleicht nicht der beste Vergleich war. Doch so ungefähr fühlte es sich an.

Wenn es Drück nicht auf den roten Knopf hieß, konnte Remus sich immer schwer zurückhalten.

„Vielleicht solltest du deine Krawatte ausziehen", schlug er vor, als er vor dem Gemälde der Fetten Dame stehenblieb. Darjana sah sich überrascht um.

„Hier?" fragte sie.

Remus nickte.

„Meinst du, das macht das Ganze besser?" fragte sie. „Guck mal, du musst dir angewöhnen, dass man nur auffällig ist, wenn man versucht, unauffällig zu sein. Stell dir vor, du hast eine Affäre und stellst die Frau ganz normal deiner Frau vor — sie würde doch nie denken, dass du so dämlich wärst, sie ihr vorzustellen, wenn du was mit ihr hättest."

Remus runzelte die Stirn. „Das... Das ist nicht mal so blöd", gab er zu. „Aber denkst du, die Lehrer würden denken, ich wäre so verantwortungsbewusst, wenn ich diese Taktik nicht schon längst kennen würde?"

„So ist das also..."

Er lächelte unschuldig.

„Aber gut, wenn du denkst, es ist unauffälliger." Sie lockerte ihre Slytherin-Krawatte und fühlte Remus' Blick auf ihr, als sie sie aus ihrem Kragen zog.

Mandragora", sagte er das Passwort, hielt sie aber zurück, als das Gemälde vor ihnen den Weg freigab und sie losgehen wollte. „Warte, ich muss kurz nachsehen, ob... also jemand hat gerade auch eine Freistunde und—"

„Es wäre peinlich, mit mir gesehen zu werden?" vervollständigte sie seinen Satz.

„Nein, aber—"

„Es würde dir das Leben schwer machen?"

Er atmete tief durch.

„Keine Sorge, Allerton ist nicht hier. Die hat eben schon mit mir geredet."

Remus' Kopf fuhr zu ihr herum. „Sie hat was?"

„Ich finde es ja wirklich niedlich, dass du deine Freunde auf mich ansetzt, aber du solltest ihr sagen, es unauffälliger anzustellen."

„Ich—" setzte er an. „Ich habe nie mit ihr über irgendwas gesprochen."

„Und was denkst du so über ihn?" zitierte Darjana mit hoher Stimme, was Vanessa eben zu ihr gesagt hatte.

Lupin sah aus, als wäre ihm das entweder schrecklich peinlich oder als würde er Allerton von der nächsten Treppe schubsen wollen. Vielleicht auch beides. „Was hast du geantwortet?", fragte er jedoch plötzlich, womit Darjana nicht im Geringsten gerechnet hatte. Sie legte den Kopf schief.

„Na, dass ich dir am liebsten die Kleider vom Leib reißen würde", antwortete sie trocken. Er lachte leicht. „Habe ich das gesagt? Nein. Gedacht? Vielleicht." Sie zwinkerte. 

Er schüttelte mit dem Kopf, unsicher, was er dazu sagen sollte. „Hereinspaziert", murmelte er nur, als Darjana an ihm vorbei in den Gemeinschaftsraum ging, ohne auf ihn zu warten. Sie ließ ihren Blick über die roten Tapeten an den runden Wände des Turms gleiten. Während der Slytherin-Gemeinschaftsraum durch seine Lage mysteriös wirkte, war dies hier einfach nur ein einladender, kraftspendender Raum. Darjana fragte sich, ob schon einmal ein Gryffindor auf die Idee gekommen war, von dem Fenster aus auf die Turmspitze zu klettern. Sicherlich. Es waren Gryffindors.

Während sie voranging, schaute Remus sich hastig um, um zu überprüfen, ob irgendjemand hier ihn sehen könnte, den er kannte. Bis auf eine Sechstklässlerin, die in ein Buch vertieft war und nicht einmal aufsah, war jedoch niemand hier. Auch wenn er nicht die Luft angehalten hatte, fühlte er sich, als könnte er wieder atmen.

Als es in Richtung der Schlafsäle ging, ließ Darjana ihm den Vortritt und folgte ihm erwartungsvoll, bis sie im Schlafsaal der vier Jungs ankamen. „Äh... falls du dich setzen willst: Das da ist meins." Remus deutete auf das nächstgelegene Bett, bevor er zu einem Regal ging, das neben dem unordentlichsten von allen stand. Wahrscheinlich das von Sirius. Während er die meisten Schallplatten hervorzog und kurz umdrehte, kam Darjana seinen Worten nach, zog sich die Schuhe aus und ließ sich auf sein gemachtes Bett fallen.

Eine Packung Schokolade lag auf dem Kopfkissen und ein Gryffindor-Schal hing über der Bettkante. Sie lächelte leicht bei diesem Anblick. „Was liest du gerade?" fragte sie in dem Moment, in dem er mit einer Schallplatte zum Plattenspieler ging. Ihr Blick war auf das Buch auf seinem Nachttisch gefallen und Remus griff danach, als er neben ihr stehenblieb und sich ebenfalls auf sein Bett setzte. Sie las den Titel, als er es ihr hinhielt. „Die Kameliendame." Sie machte einen anerkennenden Gesichtsausdruck. „Hört sich romantisch an."

„Naja, ist es irgendwie", gab Remus zu. „Es geht um einen Mann aus der hohen Pariser Gesellschaft und er verliebt sich in Marguerite, die... naja, sie ist eine Kurtisane."

„Ah, eine Kurtisane." Darjana hob die Augenbrauen. „Klingt vielversprechend."

„Es ist über hundert Jahre alt", meinte Remus mit einem leichten Lachen. „Ich habe es gestern zu Ende gelesen und... Willst du es lesen? Bevor ich zu viel verrate."

Darjana strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich lese nicht so viel, um ehrlich zu sein", gestand sie. „Und ich bin langsam."

„So lange du es mir zurückgegeben hast, bis wir unseren Abschluss haben", meinte er nur und beugte sich ein wenig nach vorne, um es ihr auf den Schoß zu legen. Sie saßen sich nun im Schneidersitz gegenüber, nur eine Armlänge trennte sie voneinander. Remus befand sich auf der Kopfseite des Bettes und sah sie schweigend an. Darjana wusste nicht, wieso sie unter seinem Blick so nervös wurde.

„Wolltest du mir nicht die Musik zeigen?" fragte sie, um die Stille zu unterbrechen. Normalerweise war sie es, die es mochte, jemanden durch Schweigen zu verunsichern.

„Richtig", sagte Remus und griff nach seinem Zauberstab. Bevor er mit ihm auf den Schallplattenspieler deutete, fügte er hinzu: „Okay, du musst die Augen zumachen. Du kennst das, wenn man nachts um 3 Uhr solche Lieder hört und weinen könnte?"

„Ich weine nicht", sagte Darjana cool, schloss aber dennoch die Augen. Remus grinste leicht.

„Es ist vermutlich die klischeehafteste Antwort auf ein Lieblingslied, ich weiß es nicht — und es ist auch nicht das Lieblingslied, aber in letzter Zeit höre ich es irgendwie ziemlich oft", begann er sich zu erklären, als die ersten Töne von Yesterday erklangen, doch Darjana formte ein „Schh" mit den Lippen. Also beobachtete er sie schweigend dabei, wie sie sich mit geschlossenen Augen darauf einließ, eines seiner Lieblingslieder zu hören. Ihre Augenbrauen zogen sich konzentriert zusammen, so leicht, dass man es kaum wahrnahm. Remus beobachtete sie dabei, wie sie sich hin und wieder auf die Lippe biss oder ihre Mundwinkel an manchen Stellen leicht nach oben bewegte und wandte mit einem leichten Lächeln den Blick nach unten.

Im Refrain öffnete sie ein Auge. Als er merkte, dass sie sich bewegte, sah er wieder auf und sah sie fragend an. „Und?"

„Das sind die Beatles, oder?"

„Jup."

„Ja..." begann Darjana. „Ich bin noch dabei, bei Muggelmusik durchzusteigen, aber ich kenne ein bisschen was von denen. Nur nicht so die schnulzigen Sachen."

Remus verdrehte die Augen. „Dann bin ich eben ein bisschen schnulzig."

„Es sei dir vergeben", sagte Darjana mit einem leichten Grinsen.

„Was hörst du denn so?"

„Das wirst du noch herausfinden müssen", entgegnete sie ruhig, da er wieder einmal so neugierig aussah.

„Herausforderung angenommen."

„Aber Strawberry Fields Forever von den Beatles mochte ich auch gerne."

„Hey, das ist auch schnulzig", sagte Remus und deutete herausfordernd auf sie, was Darjana mit einem Lachen erwiderte, bevor sie beide den Blick senkten.

Anschließend wandten sie sich im gleichen Moment wieder einander zu und sahen sich für ein paar Sekunden schweigend in die Augen. Darjana konnte nicht anders als den Kopf schief zu legen. „Sag mal, Lupin, willst du eigentlich was von mir?" fragte sie so plötzlich, dass Remus' Augen sich überrascht weiteten.

„Was?"

„Naja, also... Ich wär dabei, falls es so wäre." Es war nur die Wahrheit, die sie hier so nüchtern sagte. Sie hatte darüber genug nachgedacht. Sie mochte ihn. Irgendetwas an ihm war schrecklich attraktiv. Wenn er sie deswegen hierher gebracht hatte, wäre Darjana nicht einmal abgeneigt.

„Wie... Wie kommst du darauf?" fragte Remus ein wenig verwundert.

„Du hast mich hierher gebracht in deinen Schlafsaal — deine Freunde sind nicht da, weil sie eine Freistunde haben..." Sie zuckte mit den Schultern.

Remus runzelte die Stirn. „Aber ich wollte dir nur das Lied zeigen."

„Die meisten Jungs würden nicht nur ein Lied zeigen wollen, wenn sie ein Mädchen in ihren Schlafsaal mitbringen, während ihre Freunde Unterricht haben", erklärte sie schlicht.

„Was für Jungs hast du denn bisher getroffen?" fragte Remus etwas überrumpelt.

„Vermutlich die Falschen", antwortete sie bedauernd, bevor sie ihn genauer betrachtete. Er sah so... unschuldig aus. „Scheiße, du zerstörst echt mein Weltbild. Du bist ja gar kein Arschloch."

„Tut mir leid?" sagte Remus und fuhr sich verunsichert durch die Haare. „Aber wieso— Wenn du dachtest, dass ich— Wieso bist du dann überhaupt mitgekommen?"

„Wie gesagt, ich wär dabei."

Remus wandte den Blick ab. Hatte sie gerade gesagt, sie wäre dabei? Dieser Satz löste ein einziges Chaos in ihm aus — und es war nicht nur Überraschung. Darjana war... Sie war hübsch, sie war lustig und sagte ihm, dass sie etwas mit ihm anfangen würde? Das war es doch, was sie sagte, oder?

Als Schritte auf der Treppe von draußen zu hören waren, machte Remus sich keine Gedanken — zumindest, bis ihm klar wurde, dass es James, Sirius und Peter sein könnten. Es hörte sich verdächtig nach drei Leuten an. „Du musst hier weg", entfuhr es ihm.

„Oh, okay, unhöflich", kommentierte sie seine Worte neutral, sah aber nicht angegriffen aus. „Soll ich in den Kleiderschrank oder was? Unters Bett?"

Doch Remus war schon aufgesprungen und stürzte auf eines der Betten gegenüber zu, wo er sich auf den Boden kniete und krampfhaft nach etwas zu suchen schien.

„Sirius?" hörte Darjana die Stimme von Vanessa Allerton hinter der Tür. Auch wenn es ihr eigentlich recht egal war, wer sie hier sah, schien Remus über die Tatsache, dass Vanessa sie ablenkte, recht erleichtert zu sein. 

Jamesie, wie schön dich zu sehen!" sagte Potter theatralisch. „Erinnert ihr euch noch daran? Wahrscheinlich nicht, ich weiß. Als diese Töne von Vanessa kamen, gab es noch Hexenverfolgungen."

„Die gibt es immer noch", murmelten Darjana und Remus gleichzeitig. Sie sahen sich für einen Moment in die Augen.

„Hallo, mein lieber James", entgegnete Vanessa langsam, um ihn zu besänftigen. Währenddessen schien Remus fündig geworden zu sein, ging schnell auf Darjana zu und warf ihr einen Umhang über den Kopf.

„Was ist daran so schlimm, dass ich hier bin?" fragte sie gelangweilt. Remus schien kurz zu zögern. Scheinbar wusste er die Antwort selbst nicht so recht.

Als sie sich den Umhang vom Kopf streifen wollte, sagte er schnell: „Der macht unsichtbar."

Darjanas Augen weiteten sich, doch natürlich sah Remus das nicht und legte sich schnell auf sein Bett, als wäre er die ganze Zeit in dieser Position gewesen. Sie warf ihm das Buch zu, das immer noch auf ihrem Schoß lag. Er reagierte noch gerade rechtzeitig, bevor es ihn am Kopf treffen konnte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und die drei Jungs kamen hereinspaziert, gefolgt von Vanessa, die im Türrahmen lehnen blieb und sofort zu Remus sah. Überraschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

„Hi", sagte Remus locker. Man sah ihm wirklich nicht an, dass irgendetwas los war. „Wie war Kräuterkunde?"

James und Sirius stöhnten gleichzeitig auf, doch Peter lächelte ehrlich. „Schön."

„Krone hier musste von Lily gerettet werden", erzählte Sirius. Remus hob eine Augenbraue.

„Sie hat ihn nicht sterben lassen?" fragte er.

„Überraschend, oder?" Sirius grinste, als James ihm auf den Arm schlug.

„Ich glaube, wir verlieren einmal viel Geld", sagte Remus.

Vanessa lachte leicht. „Ich habe immer auf James gesetzt."

„Wenigstens einer hält zu mir", meinte James schmollend.

Vanessas Augen wanderten skeptisch durch den Raum, doch Remus erwiderte ihren Blick entspannt, als er an ihm hängenblieb.

„Kommst du runter, Moony?" fragte James und Remus nutzte diese Gelegenheit nur zu gerne, um in den Gemeinschaftsraum zu kommen, also nickte er und klappte das Buch zu.

„Hast du das nicht schon gestern gelesen?" Peter runzelte die Stirn, als er zu ihm sah.

„Ich... Ich lese es eben nochmal", antwortete Remus. Darjana sah zu ihm und schließlich zu den anderen Gryffindors. Es war seltsam sie so zu sehen — so ganz ohne Show im Unterricht.

Sirius verdrehte die Augen. „Wer liest ein Buch denn freiwillig zweimal?" fragte er kopfschüttelnd. „Außer natürlich, ich wäre der Hauptcharakter. War das nicht das, wegen dem du gestern geflennt hast?"

„Ich habe nicht geflennt", entgegnete Remus genervt. Als Darjana leise schnaubte, trat er sie so unauffällig, dass sie es kaum spürte.

„Aber du warst schlecht drauf", meinte James grinsend. Vanessa ging derweil auf Remus zu und streckte die Hand nach dem Buch aus. Remus hielt es ihr stirnrunzelnd hin und bemerkte erst, als sie es entgegennahm, dass sie unauffällig die Schuhe, die immer noch dort standen, wo Darjana sie ausgezogen hatte, mit dem Fuß unter das Bett schob.

„Hört sich interessant an", sagte sie, als sie so tat, als würde sie den Klappentext überfliegen. Sie warf ihm einen Blick zu, den Remus ebenso starr erwiderte, als sie ihm das Buch wieder zurückgab.

„Okay, genug über Bücher geredet", meinte James und packte sie an den Schultern, bevor er Vanessa aus dem Raum schob. „So, kommt Leute, Bewegung, Bewegung."

Darjana stand ebenfalls so vorsichtig wie möglich auf, schnappte ihre Schuhe und folgte Remus, der als letzter aus dem Raum ging. Da er sie nicht sehen konnte, blieb sie kurz neben dem Bett stehen und warf mit einem Kissen auf ihn, als alle weg waren und er ihr den Rücken zugewandt hatte. Er drehte sich um. „Echt jetzt?" fragte er leise und warf das Kissen zurück auf sie. Doch Darjana stand schon neben ihm und grinste nur in sich hinein.

Als sie in den Gemeinschaftsraum gingen, durchbohrte Vanessa Remus förmlich mit ihren Blicken, doch er achtete kaum auf sie, da er sich eine Ausrede ausdenken musste, wenigstens kurz rauszugehen. Er konnte sich nicht mehr auf seine Tätigkeit als Vertrauensschüler stützen, da James als Schulsprecher über alles Bescheid wusste. Das einzige, weswegen sie nicht fragen würden... Er hasste es, diese Karte auszuspielen.

„Ich muss kurz zu Pomfrey", sagte er, als sich alle seine Freunde gesetzt hatten, und blieb stehen.

„Geht's dir gut?" fragte James sofort besorgt. „Können wir irgendwas tun?"

Remus schüttelte mit dem Kopf, während Darjana sich darüber Gedanken machte, dass sie nie geglaubt hätte, Potter so fürsorglich zu sehen, nur weil sein Freund in den Krankenflügel wollte. Gut, sie wusste, wieso, aber trotzdem... Sie wussten es auch, oder? Sicherlich, sie lebten in einem Schlafsaal. „Alles gut, ich bin gleich wieder da."

Darjana folgte ihm, als er das Gemälde aufhielt und zog sich den Umhang vom Kopf, kaum dass er es hinter sich schloss, um ihn ihm hinzuhalten. Sie sagte nichts dazu, wie unnötig sie das Ganze fand.

„Tut mir leid", sagte Remus und hielt ihr das Buch hin, das er ihr hatte ausleihen wollen. Sie nahm es entgegen.

„Viel Spaß im Krankenflügel", entgegnete sie nur. „An dem Unauffällig sein musst du noch arbeiten..."

„Keiner hat was gemerkt", sagte er und runzelte die Stirn.

„Ja, aber es gibt ja auch nichts zum Merken — du machst ein Geheimnis aus etwas, das kein Geheimnis ist." Sie zuckte mit den Schultern. „Aber gut, ich verstehe schon, Gryffindors und Slytherins und so."

„Tut mir leid", wiederholte er erneut und fuhr sich über die Stirn. Er wusste ja selbst nicht, weshalb er den Drang bekommen hatte, ihre Anwesenheit zu verheimlichen. Doch nach dem, was sie heute gesagt hatte... Vielleicht war es besser. Remus glaubte nicht, dass er jetzt noch die Chance hätte, irgendeinen Weg, für den er sich entschieden hatte, zurückzugehen.

„Man sieht sich", sagte Darjana schlicht. „Bye bye love, bye bye happiness und so... das ist meine Art von Musik."

Remus runzelte kurz die Stirn, bevor er verstand, was sie sagen wollte. „Also mehr die 50er?"

„Es gibt noch genug Dinge, die du über mich herausfinden kannst und hoffentlich wirst... Dann kann ich dir das wohl schon mal verraten."

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