06. Die Werwolfverführerin

KAPITEL 6
Die Werwolfverführerin
Dienstag, 20. September 1977

»»——⍟——««

KONNTE MAN ES DARJANA VORWERFEN, dass sie hin und wieder das Bedürfnis bekam, Leute zu erschrecken? Vor allem, wenn Leute groß und braunhaarig waren, konzentriert in der Bücherei saßen und Remus Lupin hießen? Es war einfach die perfekte Gelegenheit. Gut, Darjana machte nicht wirklich etwas Auffälliges, indem sie zum Beispiel mit einer Affenmaske herumlief, aber sie hätte durchaus lauter und in einem anderen Winkel auf ihn zugehen können, damit er sie bemerkte.

Lupin zuckte also heftig zusammen, als sie ihre Tasche von hinten auf den Stuhl neben ihm warf, sagte aber nichts weiter, als er zu ihr aufsah. Darjana blickte ihn für ein paar Sekunden ausdruckslos an. Ernsthaft? Kein kesser Spruch? Einfach nur dieser Blick? Sie gab auf. Das war ja zum Verzweifeln.

„Hey", begann er und kam anschließend direkt zum Punkt. „Ich habe mir angeguckt, was du aufgeschrieben hast und—" Ihr Blick brachte ihn zum Schweigen. „Was ist?"

Sie schüttelte nur mit dem Kopf und winkte ab, während sie die Augenbrauen hob und tief durchatmete. Anschließend sah sie ihn schweigend an.

„Es ist wirklich schwer, keine Angst vor dir zu haben, wenn du einen so ansiehst", sagte er nach einer Weile.

Darjana grinste schief. „Du hast also Angst vor mir?"

„Bitte", begann Lupin mit einem leichten Schnauben. „Du fütterst Enten namens Sven und Robin."

„Und Batman", fügte Darjana zufrieden hinzu. Endlich. Da war sein Humor.

„Und Batman", stimmte er mit einem leisen Lachen zu.

Darjana nahm ihre Tasche von ihrem Schoß und ließ die Bücher, die sie eingepackt hatte, auf den Tisch gleiten. Ihr Herz stoppte für einen kurzen Moment, als der Brief ihrer Mutter zwischen zwei der Bücher herausrutschte und direkt vor seinen Fingern liegen blieb. Remus sah auf den Umschlag hinab, auf dem einzig und allein ein Wort stand: Darjana.

Eines hatte Darjana im Laufe der Zeit gelernt: Wenn man aus etwas keine große Sache machte, nahmen die Leute sie auch nicht als große Sache wahr. Wenn man jedoch Ausreden suchte und Erklärungen machte, wussten sie, dass mehr dahinter steckte, als man es zu zeigen versuchte. Hatte man einmal gelernt, sich solche Sachen zunutze zu machen, war man ein guter Lügner.

„Ups." Ruhig griff Darjana nach dem Brief und schob ihn zurück in ihre Tasche. Lupin beobachtete den Brief aufmerksam und sah sie für ein paar Sekunden an, selbst als sie ihn schon weggepackt hatte. Richtig. Gryffindors waren ja neugierig aufgrund ihres Heldenkomplexes. „Es ist nur ein Brief von meiner Mutter, kein Staatsgeheimnis. Du bist ein bisschen neugierig, oder?"

Er sah mit einem leichten Grinsen auf den Tisch, bevor er wieder zu ihr hochblickte. Seine Haare fielen ihm in die Stirn, als er seinen Kopf unbeabsichtigt dabei schief legte. Das konnte doch nicht wahr sein. Sein Lächeln war so ansteckend, dass Darjana gar nicht anders konnte, als es zu erwidern. Fast schon niedlich. „Kann sein", sagte er so unglaublich unschuldig, dass Darjana kurz zur Seite sehen musste, um mit dem Kopf zu schütteln.

„Dann bin ich jetzt mal neugierig", entgegnete sie schließlich. „Dein Lieblingsfach?"

Remus sah sie kurz an, als wolle er verstehen, was in ihr vor sich ging, bevor er antwortete. „Verteidigung."

„War ja klar."

„Was ist daran so schlimm?"

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Dass das so eine Gryffindor-Antwort ist."

„Naja, Überraschung—" Er hob seine Krawatte an, um sie ihr hinzuhalten. „Dafür steht rot, weißt du?"

„Ach, wirklich?"

In diesem Moment dachte Remus zum ersten Mal, dass es schön war, sie kennenzulernen, ungeachtet der Tatsache, wie er auf sie aufmerksam geworden war. Wenn sie es nicht erfahren hätte (vielleicht), wäre er nicht hier. Dabei war sie gar keine so schlechte Gesellschaft. Vielleicht hatte tatsächlich alles etwas Gutes. „Was ist denn dein Lieblingsfach?"

„Hm..." begann sie zu überlegen. „Ich glaube Verwandlung. McGonagall kann gut erklären."

„Ja, sie ist eine gute Lehrerin", stimmte er zu.

„Aber ich muss sagen, ich finde es schade, dass Binns Geschichte so scheiße unterrichtet. Eigentlich könnte das so wichtig sein — und wir sollten mehr über Politik beigebracht bekommen."

„Naja, da gibt es ja im Moment nur eine Sache, die sie uns beibringen müssen: Kinder, unterstützt Voldemort nicht."

Darjana grinste leicht. „Schon", gab sie zu. „Du bist der erste, den ich treffe, der ihn beim Namen nennt."

„Naja..." Remus kratzte sich am Hinterkopf. „Sirius meinte, wir sollen uns das Ganze mit Du-weißt-schon-wem lassen. Ich bin dabei, es mir abzugewöhnen."

„Er ist nervig, aber da stimme ich ihm zu", meinte sie belustigt. „Die meisten schrägen Typen aus meinem Haus, die ich kenne, nennen ihn Dunklen Lord."

„Ja, das ist nicht so..." begann er und suchte nach dem richtigen Wort.

„Gut?" fragte sie. „Ja, das würde ich auch sagen. Aber mich wundert's nicht, weil—"

„—alle Menschen Arschlöcher sind?"

Darjana lachte leicht auf. „Du lernst, Lupin."

„Ich tue mein Bestes."

Sie musterte ihn ein wenig, bevor sie fortfuhr. „Darf ich weiter neugierig sein?"

„Pass auf, dass du nicht in ein anderes Haus sortiert werden musst", meinte er.

Darjana verdrehte die Augen, sprach aber unbeirrt weiter. „Also, gestern vor dem Gewächshaus, mein lieber Moony... Welcher Plan war denn da in Gange?"

Nun war er es, der die Augen verdrehte. „Nichts", sagte er. Sie hob eine Augenbraue. „Okay... Das hört sich vermutlich total komisch an—"

„Ihr habt Spitznamen füreinander — mich überrascht echt nichts mehr, Lupin."

Er schnaubte belustigt, bevor er tief durchatmete. „Sie wollen mich verkuppeln."

Darjana hielt sich eine Hand vor den Mund, um ihr Grinsen zu verdecken. „Ich schätze mal nicht mit mir."

„Nein", antwortete er amüsiert. „Mit einer Ravenclaw."

„Hast du je mit ihr gesprochen?"

„Nein."

„Hört sich ja nach einer ernsten Sache an", kommentierte sie die Situation trocken.

„Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich aus der Sache rauskommen soll", gab Lupin zu.

„Wer ist es denn?"

„Zara Westwick."

„Ach..." sagte Darjana überrascht.

„Sag nicht, ihr seid Freundinnen."

„Zum Glück nicht."

Er schwieg ein wenig hilflos. „Zum Glück?" wiederholte er fragend.

„Nein, sie ist nicht schlimm, keine Sorge", beschwichtigte Darjana ihn mit einem leichten Lachen. „Das war mehr darauf bezogen, dass ich jetzt nicht vermitteln muss, weil ich sie kenne. Sie ist glaube ich ganz nett." Sie setzte sich in ihrem Stuhl auf und machte es sich im Schneidersitz bequem, während sie ihre Hände auf ihren Unterschenkeln ablegte. „Um das nochmal zusammenzufassen: Du kennst sie gar nicht, hast nie gesagt Boah, die ist echt hübsch und deine Freunde kamen einfach auf die Idee, euch zu verkuppeln."

Remus nickte und zuckte mit den Schultern. „Gut zusammengefasst, ja."

„Du solltest echt deine Freundeswahl überdenken."

„Sie sind großartig", verteidigte er sie sofort, fast schon ein wenig angegriffen.

„Jaja, komm, das ist nichts Persönliches", entgegnete sie knapp. „Gryffindors eben."

Lupin sah aus, als wollte er etwas sagen, schwieg aber.

„Würdest du aus der Sache rauskommen, wenn wir im Gang vor ihnen rumknutschen?" fragte sie so ernst, dass Remus sich fast verschluckte. Dann grinste er mit einem Kopfschütteln.

„Ich weiß nicht, wer von uns dann zuerst verbrannt werden würde", entgegnete er schlicht. Er ließ sich nicht anmerken, was er dazu dachte.

„Oh, verstehe", sagte Darjana übertrieben. „Gryffindors und Slytherin dürfen nicht in Gängen miteinander knutschen. Nur in Geheimgängen."

„Das ist wohl die ungeschriebene Regel", stimmte er mit einem leichten Lachen zu.

„Ist notiert für die Zukunft."

Lupin sah ein wenig überrascht aus und warf ihr einen Blick zu, als versuche er ihre Gedanken zu lesen — erneut.

„Wollen wir dann mal mit dem Vortrag anfangen?" fragte sie, ohne weiter darauf einzugehen.

„Klar, ja", meinte er. „Ich habe noch hinzugefügt, wie man sich verhalten sollte, wenn man einer Todesfee begegnet — das hattest du ein wenig weggelassen."

„Ja, aber ganz ehrlich, was soll ich denn da groß machen?" entgegnete Darjana gelangweilt. „Singen, um sie zu übertönen? Wir hätten Vampire nehmen sollen. Oder Werwölfe. Dann hätten wir sagen können: Wedelt mit Knoblauch rum. Heult ihn nieder."

„Du willst einen Werwolf niederheulen?" fragte er und sie wusste nicht, wie sie seinen Tonfall deuten sollte. War es wirklich nur die Belustigung, die so offensichtlich war? Oder schwang Skepsis mit? Das würde ihre Vermutung stützen, dass er nur Zeit mit ihr verbrachte, weil er etwas vermutete...

„Ich würde es schaffen", sagte sie stolz. „Ich kann sehr schön heulen, ich würde den Werwolf voll verführen."

Scheiße, sie weiß es, dachte Remus, als er das hörte. Oder interpretierte er zu viel in solche Dinge hinein, weil er glaubte, dass sie es wusste? Oder war das tatsächlich ein Weg, ihm mitzuteilen, dass sie es wusste? Es wäre fair von ihr, wenn sie es ihm sagen würde. Remus hätte es der Person gesagt, wenn er etwas so Gravierendes über sie herausgefunden hätte, um ihr zu versichern, dass er nichts verraten würde. „Warum haben sie überhaupt noch Werwolfjäger?" ging er dennoch auf ihren Witz ein. „Sie sollten dich als Werwolfverführerin einstellen."

„Du lachst, aber ich würde einen guten Job machen", sagte sie stolz.

Remus lächelte schief. Naja, vielleicht würde sie das wirklich, wenn er ehrlich war...

»»——⍟——««

KAUM, DASS DARJANA DIE BIBLIOTHEK VERLASSEN HATTE, kam auch schon die nächste Person zu Remus, gerade, als er seine Sachen einpacken wollte. Vanessa setzte sich schwungvoll vor ihm auf den Tisch und schlug die Beine übereinander. „Hallo, Remus", sagte sie grinsend und eindeutig zu motiviert. „Na?"

Remus drehte den Kopf zur Seite, als würde er mit einer unsichtbaren Kamera kommunizieren, zog die Augenbrauen zusammen und sah zu ihr zurück. „Ja?"

„Okay, ich hatte gerade eine Diskussion mit Sirius und James und du bist ja ein Junge, richtig?"

„Naja, ich gehe davon aus", sagte Remus trocken. „Was kommt jetzt für eine Frage? Muss ich mich dafür erstmal vorbereiten?"

Vanessa zögerte kurz. „Nein... schätze ich." Sie zuckte mit den Schultern. „Also, wie drücke ich das jetzt weniger vulgär als Sirius aus?"

„Sag es überhaupt ni—"

„Bist du eher der Brust- oder Hintern-Typ?"

Remus blinzelte zweimal. „Was?"

„Bei Frauen. Was ist besser?"

„Beides?" entgegnete er verwirrt. „Ich wusste nicht, dass ich mich da als Junge entscheiden muss."

„Keine Angst", sagte Vanessa lachend und tippte ihm mit seiner Schreibfeder auf die Nase. „Wir wollen dir nichts wegnehmen. Du weißt aber, wie Sirius' Reaktion sein wird, wenn ich sage, dass deine Antwort Beides war, oder?"

„Was hat er denn gesagt?" fragte er, während er versuchte, ihr seine Feder aus den Händen zu nehmen.

„Brüste."

„Dann kann ich aus Prinzip nicht zustimmen."

Vanessa nickte interessiert. „Du hast da nie drüber nachgedacht?"

„Ich weiß ja nicht, was du denkst, was ich mache, aber ich laufe nicht durch Hogwarts und starre jedes Mädchen an, um am Ende zu vergleichen."

„Ich verstehe schon, du findest beides ganz toll, das verübelt dir ja keiner", meinte Vanessa, bevor sie plötzlich noch seltsamer zu grinsen begann. „Remus!" rief sie laut aus.

„Pscht", sagte Remus hastig, da Madam Pince sicherlich nicht weit war.

„Ach, sie hasst mich eh schon", winkte Vanessa ab. „Und Mann, du hörst dich ja schon an wie sie." Sie sprang vom Tisch und begann, für ihn seine Sachen zusammenzupacken. „Dann gehen wir eben."

Remus ergab sich und ließ sich von ihr aus der Bibliothek ziehen, von wo aus sie nebeneinander durch den Korridor gingen. Er sah nachdenklich auf den Boden, während sie schwieg und erwartungsvoll in sich hinein lächelte. Sein Gespräch mit Darjana schwirrte ihm immer noch im Kopf herum. Sie war auf jeden Fall... besonders.

„Also..." begann Vanessa plötzlich. „Wo wir beim Thema sind: Darjana Rowe hat auch einen schönen Hintern."

„Mmh", stimmte Remus in Gedanken zu, bis er bemerkte, was er gerade gesagt hatte. „Äh, ich meinte—"

„Nicht, dass du geguckt hast, ich verstehe schon."

„Sie hatte eine Sporthose an", verteidigte er sich hastig. „Ich saß da, sie hat geboxt, mehrere Minuten lang. Es ist mir nur durch Zufall aufgefallen. Die Hose war eng."

„Schon klar", sagte Vanessa. „Weißt du, Sirius und James sind vielleicht ein bisschen besessen mit der ganzen Zara-Idee, aber auch, wenn es wirklich Darjana Rowe wäre—"

„Ist es nicht", unterbrach Remus sie. „Ich will keine Beziehung."

„Wir denken nur, dass du es verdient hättest. Glücklich zu sein, weißt du?"

„Ich bin glücklich."

„Ja, aber verliebt sein ist voll schön — ich könnte jeden Baum umarmen, den ich sehe. Du würdest leuchten, Remus."

„Leuchten?"

Ja." Sie machte eine kurze Pause. „Du warst doch auch mit Mary zusammen."

„Ich war auch verknallt in Mary."

„Na, siehst du."

„Vanessa, wenn ich..." begann Remus und blieb plötzlich stehen würde, um mit den Händen zu gestikulieren. „Wenn ich mich jetzt in jemanden verlieben würde, könnte ich auch für nichts garantieren. Ich denke irgendwie immer ein wenig zu spät und bereue es dann, also... ja. Aber eigentlich will ich das wirklich niemandem antun. Ich habe keine sichere Zukunft."

„Wegen..." Sie beendete ihren Satz nicht. Auch Vanessa hatte sich nun angewöhnt, nicht mehr zu laut darüber zu sprechen.

„Ja." Er seufzte. „Für eine Zeit habe ich das gar nicht wirklich gesehen. Ich wusste nicht, wie die ganze Welt dazu steht... und dann dachte ich, ich schaffe das schon irgendwie, aber mittlerweile habe ich verstanden, dass das nicht so einfach wird."

Vanessa senkte den Blick. „Aber — um es mal auf die Sirius-Art zu betrachten — du willst doch auch nicht dein ganzes Leben wie ein Mönch leben?"

Remus schwieg kurz. „Nein, natürlich nicht", gab er schließlich zu.

„Naja, dann musst du ja nicht gleich nach etwas Festem suchen." Bei seinem Blick sah sie ihn fragend an, bevor sie langsam fortfuhr. „Aber dafür bist du nicht der Typ...?" nahm sie langsam an.

„Vanessa."

„Ach, komm schon, Remus, lass mich an deinem Liebesleben teilhaben", bat sie ihn mit einem leichten Quengeln.

„Es gibt kein Liebesleben."

„Aber ich habe euch beobachtet. Du hast Darjana Rowe angelächelt."

„Das ist gruselig", sagte Remus. „Du sollst mich nicht beobachten — Beobachte mich nicht, was zur Hölle?"

„Es ist mir nur durch Zufall aufgefallen", zitierte sie ihn von eben. „Sie ist cool."

„Ja..." Für einen kurzen Moment wollte er es ihr sagen — sie war dabei gewesen, als Darjana sein Geheimnis gehört hatte (vielleicht). Doch er fürchtete, sie würde es James oder Sirius erzählen, und das war genau das, was er nicht wollte.

„Vanessa", begann er erneut. „Glaub mir, das einzige, was Darjana und mich gerade verbindet, ist dieser Vortrag, okay?"

„Hm..." Vanessa verengte die Augen. „Aber du findest, dass sie einen hübschen Hintern hat."

„Von mir aus, ja. Wenn es dich glücklich macht, absolut fantastisch", sagte Remus wenig begeistert.

„Wenn du irgendwelche Ratschläge über Mädchen brauchst, komm zu mir und nicht zu Sirius, ja?"

Als ob Remus je auf die Idee gekommen wäre, Sirius zu fragen... Da würde er lieber gleich gegen Darjana in einem Boxduell antreten und haushoch verlieren.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top