t w e n t y t w o.

t w e n t y t w o.




What would life be without a little bit of adventure now and then?












Als ich Ashton um Punkt zwölf Uhr den Spielplatz betreten sehe, kann ich es kaum erwarten, endlich aus meinem Haus flüchten zu können.

Ich warte schon erfolglos darauf, dass sich meine Eltern endlich auf den Weg zu irgendeiner Ausstellung machen, die ich laut ihnen eigentlich auf keinen Fall verpassen sollte.

Es klopft und ohne auf eine Antwort zu warten, platzt meine Mutter in mein Zimmer.

„Julie? Hast du all deine Tabletten genommen? Du weißt, was der Arzt gesagt hat! Und iss genug, du weißt, dass die Appetitlosigkeit von deiner Krankheit und den Medikamenten kommt. Das zählt nicht als Ausrede", meint sie in überzeugtem Tonfall und zieht mir dann die Decke bis zum Hals.

Man könnte meinen, ich hätte die Grippe und Schüttelfrost. Schade nur, dass man Leukämie nicht auch so leicht kurieren kann.

Ich verdrehe die Augen, werfe einen unauffälligen Blick aus dem Fenster und atme erleichtert auf, als ich Ashton noch auf einer der beiden Schaukeln sitzen sehe.

Ich hoffe nur, dass meine Eltern verschwunden sind, bevor Ashton sich wieder auf den Weg macht, denn ich könnte seine Gesellschaft nach meinem gestrigen peinlichen Auftritt mehr als gut gebrauchen.

„Julie! Hörst du mir überhaupt zu? Ich mache das hier nicht zum Spaß! Und wir sind sowieso schon unter Zeitdruck, da musst du dich nicht auch noch querstellen!", herrscht meine Mutter und sieht mich missbilligend an.

„Ich habe alles gehört, Mutter", erwidere ich mit sarkastischem Unterton. Doch entweder übergeht sie diesen geschickt oder aber sie hat noch nie in ihrem Leben auch nur von Sarkasmus gehört. Ich tippe auf letzteres.

Spaß ist in ihrem Leben garantiert schon immer spärlich gesät gewesen. Jedenfalls die Art von Spaß, die ich auch als Spaß bezeichnen würde und Buchbesprechungen sowie Kaffeetrinken im Gemeindehaus zählen nicht dazu.

„Also können wir dich jetzt alleine lassen?", fragt sie mich.

Ich verdrehe erneut die Augen. „Keine Sorge, Mutter. Ich werde schon nicht auf dem Teppich krepieren, während ihr weg seid."

„Julie! Über so etwas macht man keine Witze!", ruft sie entsetzt. „Außerdem hat der Arzt gesagt, dass du dir eine positive Einstellung zulegen sollst! Das hilft in manchen Fällen bei dem Heilungsprozess!"

Das ist so leicht gesagt, denke ich und seufze leise.

Meine Mutter ist schon fast aus meinem Zimmer verschwunden, als sie sich noch einmal zu mir umdreht. „Ruh dich aus. Und denk daran, heute Abend ist die Businessgesellschaft bei uns zu Gast. Also versuch zu schlafen, damit du heute Abend wieder fit bist."

Sonst hätte ich garantiert eine weitere Diskussion über ihre dämliche Party und meine geforderte Anwesenheit auf dieser angefangen, doch ich verkneife es mir, um Zeit zu sparen.

Ich seufze erleichtert, als ich endlich sehe, wie das Auto meiner Eltern aus unserer Ausfahrt fährt und sich in den Verkehr einfädelt.

Etwas zu ruckartig schmeiße ich meine Bettdecke zurück und schließe dann gequält die Augen, als mich ein Schwindelanfall überfällt. Ich habe es keinem erzählt, aus Angst, was es bedeuten könnte, aber diese Anfälle werden in letzter Zeit immer häufiger.

Als meine Sicht vor meine Augen wieder klar wird, erhebe ich mich – diesmal um einiges vorsichtiger – aus meinem Bett und tausche meine Jogginghose gegen die erstbeste Hose, die ich aus meinem Kleiderschrank ziehe.

Dann eile ich die Treppe herunter, schnappe mir meine Jacke und verlasse das Haus.

„Saßest du eigentlich schon immer um diese Uhr auf dem Spielplatz und mir ist es nur in all den Jahren davor nicht aufgefallen?", frage ich Ashton, als ich auf ihn zugehe.

„Was interessiert dich das Ganze eigentlich?", erwidert er genervt.

Er erinnert mich mehr an den Ashton, dem ich das erste Mal begegnet bin, als mir lieb ist.

„War nur eine Frage. Du musst mir natürlich nicht antworten", murmele ich und lasse mich auf die zweite Schaukel fallen.

„Tut mir leid, Jul. Ich bin gerade nicht gerade in bester Laune", erwidert er und kneift die Augen zusammen. „Wahrscheinlich solltest du dir jemand anderen suchen, denn ich bin heute bestimmt nicht die beste Gesellschaft."

„Ist irgendwas passiert?" Fragend sehe ich ihn an und muss einmal tief Luft holen, als sich seine Augen in meine bohren. Ich hätte nie gedacht, dass Augen einen so faszinieren könnten.

„Meine Mutter wurde gekündigt", murmelt Ashton und klingt dabei so miserabel, dass ich aufstehe und ihm eine Umarmung aufzwinge.

Er erhebt sich ebenfalls und vergräbt sein Gesicht in meiner Schulter. Beruhigend streiche ich ihm durch die Haare, als ich höre, wie er zittrig Luft holt.

„Das tut mir Leid, Ash. So furchtbar Leid", flüstere ich und drücke ihn näher an mich.

So viel Nähe lässt mein Herz höher schlagen und ich hoffe, dass er dies nicht bemerkt. Es ist beinahe furchtbar, wie viel Einfluss er auf mich hat, ohne dass ich irgendetwas dagegen tun könnte.

„Schon okay. Das wird schon irgendwie wieder werden", murmelt Ashton und holt einmal tief Luft, bevor er sich wieder von mir löst.

Behutsam wische ich ihm eine Tränenspur aus dem Gesicht und schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Das wird es garantiert. Deine Mum ist eine so liebe Frau, ihr wird es bestimmt nicht so schwer fallen, einen neuen Job zu bekommen."

„Danke, Jul. Aber sie ist eine alleinerziehende Mum mit drei Kindern, die sie durchbringen muss. Wenn sie nicht schleunigst einen neuen Job hat, dann wird es wirklich eng werden. Ich meine, wir schwimmen so schon nicht im Geld und ich werde sie nicht alle von meinem Einkommen ernähren können", murmelt er und sieht beschämt auf den Boden.

In diesem Moment bin ich dankbar dafür, dass seine Mutter mich schon über ihre Situation aufgeklärt hat. Ansonsten wäre ich wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen, als ich ihn so erniedrigt vor mir stehen sehe. Seine Schultern sind gesunken und er sieht mir immer noch nicht in die Augen.

„Ich schätze, dass ist nicht wirklich das Gespräch, was du dir heute Nachmittag vorgestellt hättest. Tut mir Leid, Jul. Ich sollte dich damit nicht nerven. Und erst recht nicht anfangen zu weinen" Ashton lacht zittrig.

„Hey", meine ich und wiederhole das Ganze bestimmender. „Sieh mich an, Ash. Sieh mich an."

Behutsam umfasse ich sein Kinn und drehe seinen Kopf so, dass er mir in die Augen sehen muss.

„Du musst dich nie – niemals – dafür schämen, mir so etwas anzuvertrauen, okay? Und ich würde gerade nirgendwo anders lieber sein", flüstere ich eindringlich und schließe ihn in eine Umarmung.

Als wir uns nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich einfach nur die Sicherheit genossen habe, die seine Arme um mich gestrahlt haben, wieder von einander lösen, krame ich in meiner Jackentasche und ziehe mehrere Geldscheine aus meinem Portemonnaie.

„Hier", murmele ich und drücke es ihm in die Hand.

„Wofür ist das?", fragt er mich und weigert sich, dass Geld auch nur in die Hand zu nehmen.

„Für all die Dinge, die du mir in letzter Zeit bezahlt hast", erwidere ich.

„Was soll das, Jules? Ich will dein Geld nicht. Behalt es.", meint Ashton und sieht mich wütend an. „Denkst du wirklich, ich würde Almosen von dir annehmen?"

Ich beiße mir auf die Lippe und stecke das Geld wieder weg. „So war das nicht gemeint! Ich fand es nur unfair, dass du immer für mich mitbezahlt hast", versuche ich ihm zu erklären.

„Ich wollte es so, okay?", meint er versöhnlicher und schenkt mir zum ersten Mal heute ein kleines Lächeln. „Ich wollte für dich bezahlen."

„Okay. Danke dafür", flüstere ich und erwidere sein Lächeln.

„Also, was machen wir heute?", fragt Ashton und sieht mich dann leicht verunsichert an. „Es sei denn, du willst was mit mir machen?"

Ich will gerade Antworten, als mich ein erneuter Schwindelanfall überkommt. Ich schwanke leicht und stütze mich an seiner Schulter ab.

Schnell umfasst Ashton meinen Arm und sieht mich besorgt an. „Ist alles in Ordnung?"

„Ich – mir ist heute nur etwas schwindelig", murmele ich und schenke ihm ein beruhigendes Lächeln.

„Also lassen wir es etwas langsamer angehen?"

Ich nicke erleichtert und quietsche auf, als er mich plötzlich über seine Schulter wirft und mich zum Auto trägt.

Kurz wird mir schwarz vor den Augen und ich schnappe nach Luft, woraufhin mich Ashton sofort absetzt.

Ich atme einmal tief ein und lehne mich gegen das Auto. „Plötzliches Über-die-Schulter-Werfen verträgt sich nicht allzu gut mit Schwindel", meine ich mit einem entschuldigenden Lächeln.

„Tut mir leid", erwidert Ashton schuldbewusst und verzieht das Gesicht.

„Hey, keine schlechte Laune mehr", meine ich tadelnd und pikse ihm in die Wange, bis er mir ein Lächeln schenkt.

Es erreicht nicht ganz seine Augen, aber es ist zumindest ein Anfang.

„Ich weiß genau, was wir heute machen werden", lächelt er und lenkt damit gekonnt vom Thema ab. „Bereit?"

Ich zucke mit den Schultern und grinse. „Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich bereit bin. Ich weiß ja nicht einmal, was wir machen werden."

„Schritt eins: Wir setzen uns in mein Auto", erwidert er.

Wir steigen in sein Auto und Ashton öffnet das Handschuhfach, in dem er kurz etwas sucht, bevor er mir eine Karte in die Hand drückt.

„Schritt zwei: Du machst die Augen zu und deutest auf einen beliebigen Punkt auf der Karte. Da fahren wir dann hin", meint er mit einem verschmitzten Grinsen.

Ich folge seiner Aufforderung und schließe die Augen, bevor ich meinen Finger ein paar Mal kreisen lasse und schließlich auf einen Punkt zeige. Dann öffne ich die Augen wieder und werfe neugierig einen Blick auf die Karte.

„Und?" Ashton ist damit beschäftigt, seinen Autoschlüssel zu suchen und daraufhin den Motor zu starten.

Ich muss lachen, als ich sehe, wo mein Finger gelandet ist.

„Edmonton. Kanada. Kein Problem. Allerdings werden wir da wohl ein paar Wochen unterwegs sein", lache ich.

Ashton wird rot und sieht mich beschämt an, was mein Herz schneller schlagen lässt.

„Sorry, das war die falsche Karte", murmelt er und holt eine weitere aus dem Handschuhfach. „Das hier müsste die richtige sein."

Ich nicke und schließe die Augen erneut, während er mir die Karte von Sydney und Umgebung hinhält. Als ich dieses Mal die Augen wieder öffne, liegt mein Finger auf einer mir unbekannten Straße, dessen Namen ich noch nie in meinem Leben gehört habe.

„Und jetzt? Fahren wir da hin?" Unsicher sehe ich Ashton an, der bestätigend nickt.

„Schritt drei: Wir starten das Auto und fahren los", meint er und sieht mich lächelnd an, während er den Schlüssel dreht.

„Was genau sollen wir dort denn machen?", erkundige ich mich, während wir uns der nächstgrößeren Straße nähern und Ashton unser Auto geschickt in den Verkehr einfädelt. Fast zu geschickt.

Ich halte mich panisch am Armaturenbrett fest, als er anstatt anzuhalten einfach Gas gibt und sich gerade noch in die Lücke zwischen zwei anderen Autos quetscht.

Ich wiederhole meine Frage, als ich mich wieder einigermaßen gefangen habe.

Ashton zuckt mit den Achseln. „Das weiß ich noch nicht. Aber nur weil wir keinen Plan haben, heißt es ja nicht, dass es nicht abenteuerlich werden wird. Man muss nur wissen, wo man suchen muss. Dann findet man immer ein Abenteuer. Und wer sagt denn, dass einfach drauflosfahren ohne einen Plan zu haben nicht auch schon ein Stück Leben ist?"

Ich lasse mir seine Worte durch den Kopf gehen und nicke schließlich. Vielleicht hat er Recht. Vielleicht braucht man nicht immer das Offensichtliche, das Große, das Unübersehbare.

Vielleicht sind manche kleine Dinge so viel mehr Abenteuer als ich gedacht habe.

Vielleicht muss man wirklich nur dazu bereit sein, sein Leben zu leben, um es auch wirklich zu leben.

„Zwanzig Fragen?", meint Ashton und wendet seinen Blick kurz von der Straße ab.

Seine Augen bohren sich in meine und ich merke, wie ich sofort anfange rot zu werden, weswegen ich hastig aus dem Seitenfenster sehe.

Plötzlich wird mir bewusst, dass ich mit ihm in seinem Auto sitze und wir alleine sind. Ganz alleine. Nur wir zwei.

„Ja klar", erwidere ich ihm zuliebe und räuspere mich, um meine Verlegenheit zu überspielen.

„Wann hast du das letzte Mal so sehr gelacht, dass du weinen musstest?", fragt Ashton mich und ich bin dankbar über die Ablenkung.

Statt weiter darüber nachzudenken, was für tolle Augen er hat, lasse ich meine Gedanken schweifen und versuche mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal so wirklich gelacht habe, dass ich alles andere vergessen habe.

„An Calums fünfzehnten Geburtstag", antworte ich schließlich und erinnere mich mit einem Lächeln an den Tag zurück.

„Ist Calum dein Freund?"

„Ja klar ist Calum mein Freund", erwidere ich automatisch und merke, was Ashton eigentlich wissen wollte. Ich werde rot. „Also er ist nur mein bester Freund, nicht mein fester Freund."

„Gut." Das ist alles, was Ashton dazu sagt und ich konzentriere mich plötzlich sehr auf meine Hände, nur um ihn nicht ansehen zu müssen.


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